Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung; "willkürliche" Entscheidung; Verfahrensfehler
Leitsatz (NV)
1. Mit der Frage, wie die Rechtsbegriffe "wohnen", "sich aufhalten", "Besitz an einer Wohnung" und "nichteheliche Lebensgemeinschaft" im Einzelfall auszulegen sind, legt der Kläger lediglich den konkreten Sachverhalt der Streitsache, nicht aber die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dar.
2. Mit der Rüge einer fehlerhaften Rechtsanwendung kann der Kläger im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht gehört werden.
3. Mit dem Vortrag, das FG habe materiell-rechtliche Rechtsfehler begangen und in der Sache falsch entschieden, wird das Vorliegen einer "willkürlichen" Entscheidung nicht bezeichnet.
4. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO gebietet es nicht, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern.
5. Rechtskundig vertretene Beteiligte müssen grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einrichten.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 17.03.2009; Aktenzeichen 9 K 4212/08 E) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nicht gegeben.
1. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) aufgeworfenen Rechtsfragen zu den Begriffen "wohnen", "sich aufhalten", "Besitz an einer Wohnung" und "nichteheliche Lebensgemeinschaft" haben keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO; im Streitfall kam den genannten Begriffen keine Bedeutung für die finanzgerichtliche Entscheidung zu. Maßgeblich für die Beurteilung, ob der Kläger Fahrtkosten für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltend machen konnte, war vielmehr zum einen die Frage, wo sich im Streitjahr 2003 der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Klägers befand (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 7 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung); zum anderen war zu entscheiden, ob der Kläger aus der Vermietung eines Hauses an die Mutter seiner nichtehelichen Kinder (negative) Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt hat. Die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen sind vom Finanzgericht (FG) unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles beantwortet worden. Hat das FG --wie im Streitfall-- die maßgeblichen Einzelumstände erwogen, kommt der Entscheidung keine Bedeutung für die Allgemeinheit mehr zu.
Nach dem sachlichen Gehalt seines Beschwerdevorbringens wendet sich der Kläger nur gegen das Ergebnis der erstinstanzlichen Entscheidung des FG und setzt seine eigene Rechtsauffassung an die Stelle des FG; mit der darin liegenden Rüge einer fehlerhaften Rechtsanwendung kann der Kläger im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht gehört werden (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. Juni 2003 IX B 29/03, BFH/NV 2003, 1212).
2. Aus den genannten Gründen ist die Revision auch nicht wegen der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO) zuzulassen.
3. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision zur Sicherung der Rechtseinheit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) liegen ebenfalls nicht vor. Hierzu wäre es erforderlich gewesen, schlüssig vorzutragen, inwieweit die angestrebte BFH-Entscheidung geeignet und notwendig sei, künftige unterschiedliche gerichtliche Entscheidungen über die genannten Rechtsfragen zu verhindern, oder hinreichend darzulegen, dass die Entscheidung des FG auf einer offensichtlich falschen Rechtsanwendung beruht (BFH-Beschluss vom 11. Februar 2003 VII B 244/02, BFH/NV 2003, 833). Dies ist im Streitfall nicht geschehen. Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich nur, dass das FG --nach seiner Auffassung-- materiell-rechtliche Rechtsfehler begangen und in der Sache falsch entschieden habe; das Vorliegen einer "willkürlichen" Entscheidung wird dadurch nicht bezeichnet (z.B. BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2005 IX B 38/05, BFH/NV 2006, 772, m.w.N.).
4. Der von dem Kläger sinngemäß behauptete Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift hat das FG seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens, also den gesamten konkretisierten Prozessstoff zugrunde zu legen. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO gebietet allerdings nicht, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern. Vielmehr ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinander gesetzt hat (z.B. BFH-Beschluss vom 15. September 2006 IX B 209/05, BFH/NV 2007, 80, unter 3. c, m.w.N.).
Das FG hat auch keine Überraschungsentscheidung erlassen und dadurch den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) verletzt. Eine solche Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf rechtliche Gesichtspunkte stützt, zu denen sich die Beteiligten bisher nicht geäußert haben und nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung auch nicht äußern brauchten (z.B. BFH-Beschluss vom 18. Juni 1996 IV B 96/95, BFH/NV 1996, 919). Allerdings müssen rechtskundig vertretene Beteiligte grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einrichten (z.B. BFH-Beschluss vom 7. Dezember 2006 IX B 50/06, BFH/NV 2007, 1135, m.w.N.); vorliegend ist die Streitsache ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 17. März 2009 mit den Beteiligten erörtert worden.
Fundstellen