Entscheidungsstichwort (Thema)
Divergenz, Verfahrensmangel, ausgelaufenes Recht, qualifizierter Rechtsanwendungsfehler
Leitsatz (NV)
1. Die Zulassung der Revision kommt nicht in Betracht, soweit die der Entscheidung zu Grunde liegende Rechtsfrage ausschließlich ausgelaufenes Recht betrifft.
2. Das Vorliegen eines Verfahrensfehlers wird nicht mit der fehlerhaften Würdigung einer Ermessensentscheidung dargelegt.
3. Die fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalles begründet keinen qualifizierten Rechtsanwendungsfehler.
Normenkette
BGB § 419 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 1 S. 3, § 115 Abs. 2 Nrn. 2-3
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 21.06.2005; Aktenzeichen 2 K 3965/02) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von dem Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--) erhobenen Rügen sind unbegründet.
1. Die Revision ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen.
Es ist bereits zweifelhaft, ob das Finanzgericht (FG) einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, der mit tragenden Rechtsausführungen in dem vom FA genannten Divergenzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 19. Februar 1976 III ZR 75/74 (BGHZ 66, 217) nicht übereinstimmt.
Das FA entnimmt der Vorentscheidung den angeblich abweichenden Rechtssatz, dass der Haftungstatbestand gemäß § 419 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) nur dann zu bejahen ist, wenn der schuldrechtliche Vertrag auch dinglich vollzogen wird. Abgesehen davon, dass man unter dem "Vertrag" i.S. des § 419 Abs. 1 BGB in der Tat regelmäßig die Gesamtheit der die Vermögensübernahme betreffenden Verpflichtungs- und (dinglichen) Verfügungsgeschäfte zu verstehen haben wird (s. hierzu etwa Weber in Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, herausgegeben von Mitgliedern des Bundesgerichtshofs --BGB-RGRK--, 12. Aufl., § 419 Rz 12 ff., m.w.N.), dürften die Ausführungen der Vorentscheidung aber auch anders gemeint sein. Wie sich der Bezugnahme auf das Urteil des BGH vom 18. Dezember 1970 V ZR 31/68 (BGHZ 55, 111) entnehmen lässt, dürfte das FG davon ausgegangen sein, dass der vorliegende schuldrechtliche Grundstücksüberlassungsvertrag durch die noch am selben Tag im Einverständnis mit den Grundstücksüberlassern erfolgte Weiterveräußerung im Ergebnis schon gar nicht auf den dinglichen Vollzug gerichtet war. Dies hat das FG offensichtlich aus dem Umstand geschlossen, dass im Streitfall eine sogenannte Kettenauflassung vorlag, auf Grund derer die Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) zu keinem Zeitpunkt das Eigentum erworben haben. Das Eigentum ist deshalb unmittelbar von den Grundstücksüberlassern an den Zweiterwerber --die Stadt T-- übertragen worden. Davon ausgehend läge eine Abweichung nicht vor.
Dem FA wäre aber insoweit zuzugeben, dass das FG den Rechtssatz des BGH-Urteils in BGHZ 55, 111, wonach ein Vertrag im Sinne der Regelung des § 419 BGB nur ein solcher ist, der auf einen den Vermögensübergang ergebenden dinglichen Vollzug gerichtet ist (s. BGH-Urteil in BGHZ 55, 111, unter III.3.b, letzter Absatz), fehlerhaft auf den vorliegenden Fall angewandt hätte. Trotz der sofortigen Weiterveräußerung des Grundstücks und der vorliegenden Kettenauflassung ist auch der Überlassungsvertrag zwischen den Klägern und den Überlassern auf die Übernahme des Grundstücks (als Teil des Vermögens i.S. des § 419 BGB) und damit auf den dinglichen Vollzug gerichtet gewesen. Auf den tatsächlichen Vollzug in der Person der Kläger kommt es insoweit nicht an. Nach Eintragung der Auflassungsvormerkung zugunsten des Zweiterwerbers bezog sich die Haftung nicht mehr auf das Grundstück, sondern auf den Kaufpreis als dessen Surrogat (s. z.B. Weber in BGB-RGRK, § 419 Rz 84). Die fehlerhafte Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf die Besonderheiten des Streitfalls stellt jedoch keine Abweichung dar, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnte.
Das FG hat seiner Entscheidung auch keinen Rechtssatz zu Grunde gelegt, der den tragenden Rechtsausführungen des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 17. Dezember 1970 IV R 133/70 (BFHE 102, 197, BStBl II 1971, 553) entgegensteht. Das FG hat vielmehr unter Bezugnahme auf das Urteil des Senats in BFHE 102, 197, BStBl II 1971, 553 den dort aufgestellten und vom FA benannten Rechtssatz seiner Entscheidung vorangestellt (s. S. 9, 1. Absatz der Entscheidungsgründe).
Letztlich kann das Vorliegen einer Abweichung aber ohnedies dahinstehen, da es jedenfalls an der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH fehlt. Der von dem FA aufgeworfenen Rechtsfrage kommt nämlich keine Bedeutung mehr für künftige Streitfälle zu, weil sie ausgelaufenes Recht betrifft (vgl. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 65). § 419 BGB ist durch Art. 33 Nr. 16 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung vom 5. Oktober 1994 (BGBl I 1994, 2911, 2925) mit Ablauf des 31. Dezember 1998 --ersatzlos-- außer Kraft getreten und bleibt nur noch für Vermögensübernahmen anwendbar, die bis zu diesem Zeitpunkt wirksam werden (Art. 223a des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch). Angesichts des zum Zeitpunkt der Erhebung der Nichtzulassungsbeschwerde bereits mehr als 6,5 Jahre zurückliegenden Zeitpunktes des Außerkrafttretens der Norm erscheint es eher ausgeschlossen, dass sich dieselbe Rechtsfrage in künftigen Streitfällen erneut stellen wird.
2. Soweit das FA einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO (unzureichende Begründung des Urteils) damit begründet, das FG habe im Rahmen seiner rechtlichen Erwägungen nicht ausreichend dargelegt, warum die Steuerschulden der Überlasser im Zeitpunkt des Abschlusses des schuldrechtlichen Vertrages noch nicht im Keim begründet gewesen seien, fehlt es an der schlüssigen Darlegung, weshalb die Entscheidung auf dem gerügten Mangel beruhen kann. Die diesbezüglichen Ausführungen sind nämlich nur als Hilfsbegründung zu verstehen, denen aus Sicht des FG eine Entscheidungserheblichkeit nicht zukommt. Dies zeigt sich deutlich an der Formulierung der Ausführungen im Konjunktiv.
3. Das weitere Vorbringen, das FG habe nicht in ausreichendem Maße dargelegt, warum die Stadt T als Haftungsschuldnerin in Betracht zu ziehen gewesen wäre, ist ebenfalls nicht geeignet, einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO darzulegen. Tatsächlich rügt das FA mit seinem diesbezüglichen Vorbringen nicht die unterlassene Darlegung der Entscheidungsgründe, sondern die fehlerhafte Würdigung der getroffenen Ermessensentscheidung durch das FG.
4. Das FA hat schließlich auch einen sog. qualifizierten Rechtsanwendungsfehler nicht hinreichend substantiiert dargetan.
Es muss sich insoweit um einen Rechtsfehler handeln, der von erheblichem Gewicht und deshalb geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsprechung zu beschädigen (BFH-Beschlüsse vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25, und vom 7. Juli 2004 VII B 344/03, BFHE 206, 226, BStBl II 2004, 896).
Ein solcher Fehler kommt nur bei offensichtlichen materiellen oder formellen Rechtsanwendungsfehlern des FG im Sinne einer willkürlichen oder zumindest greifbar gesetzwidrigen Entscheidung in Betracht. Dazu reicht indes nicht eine bloß fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalles aus (BFH-Beschluss vom 27. August 2003 VIII B 150/02, BFH/NV 2004, 226, m.w.N.). Das FG hat sich intensiv mit der Rechtsprechung des BFH und des BGH sowie einem zivilrechtlichen Großkommentar auseinandergesetzt. Auch wenn die von dem FG gewonnene Gesetzesauslegung nicht ohne Rechtsfehler zustande gekommen sein mag, ist sie nicht als schlechthin unvereinbar mit der geltenden Rechtsordnung einzustufen.
Fundstellen