Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Vorabentscheidung vom 30.04.1987 - VII K 10/85

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur zolltariflichen Beurteilung von "programmierbaren Taschenrechnern" und "Taschen-Computern".

2. Dem EuGH werden folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

a) Wie sind die Begriffe "Rechenmaschinen" und "Automatische Datenverarbeitungsmaschinen" der Tarifnrn. 84.52 und 84.53 GZT gegeneinander abzugrenzen?

b) Sind elektronische Geräte zur Durchführung vorwiegend von Rechen-, aber auch von anderen Operationen, die nach einer Methode programmierbar sind, die einfacher als z.B. die Programmiersprache Basic zu handhaben ist, Rechenmaschinen i.S. der Tarifnr. 84.52 oder automatische Datenverarbeitungsmaschinen i.S. der Tarifnr. 84.53 GZT? (Vorlage an EuGH).

 

Normenkette

EWGVtr Art. 177 Abs. 3; GZT Tarifnr 84.52; GZT Tarifnr 84.53; GZT Kap 84 Vorschr. 3A Buchst. a

 

Nachgehend

EuGH (Entscheidung vom 20.01.1989; Aktenzeichen 234/87)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin beantragte im September 1984 bei der Beklagten (Oberfinanzdirektion --OFD--) verbindliche Zolltarifauskünfte (vZTA) für vier von ihr als "programmierbare Rechner" bezeichnete Waren. Die Waren sollen aus ihrem Ursprungsland Japan eingeführt werden. Sie sind programmierbar und arbeiten elektronisch. Ihre Abmessungen sind 11 x 74 x 144 mm bzw. 9,6 x 71 x 141,2 mm. Als Bestandteile weisen sie jeweils auf

- ein Bedienungsfeld aus 50 Drucktasten (Ziffern 0 bis

9, alle Buchstaben -klein und groß-, Grundrechenarten,

Betriebsartwahl, mathematische Funktionen, Programmieren

usw.), denen meist mehrere Funktionen zugeordnet

sind,

- eine gedruckte Schaltung mit einem Rechen- und

Speicherwerk in Form von integrierten Schaltungen,

- eine zehnstellige Flüssigkristallanzeige, zwei Stellen

für den Exponenten sowie einige Funktionsanzeigen,

- eine Schnittstelle für den Adapter X

bzw. (in zwei Fällen) den Drucker Y und

- zwei Batterien als Stromversorgung.

Die Rechner verfügen über die Grundrechenarten, zahlreiche mathematische Funktionen und verschiedene Zahlensysteme als Festfunktionen. Sie können sowohl Einzelberechnungen als auch zusammengesetzte Rechenvorgänge in Form eines über Tastenbefehle eingegebenen Programms erledigen.

Die OFD wies die Waren in vier verschiedenen vZTA vom 9. und 15.November 1984 der Tarifst. 84.52 A (Rechenmaschinen) des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu. Mit ihren Einsprüchen begehrte die Klägerin die Zuweisung der Waren zur Tarifst. 84.53 B GZT (Automatische Datenverarbeitungsmaschinen --ADVM--). Die OFD wies die Einsprüche mit der Begründung zurück, die Rechner könnten der Tarifnr. 84.53 GZT nur zugewiesen werden, wenn sie alle Voraussetzungen der maßgeblichen Vorschrift 3 A a zu Kap.84 GZT erfüllten. Das sei aber nicht der Fall, da die Rechner nicht in der Lage seien, ein in einer formalen Programmsprache geschriebenes Verarbeitungsprogramm mittels eigenem Übersetzungsprogramms in die interne Maschinensprache zu übersetzen. Die Rechner besäßen keine Übersetzungsprogramme, die mit einem Übersetzungsprogramm in die Programmiersprache Basic vergleichbar seien.

Mit ihrer Klage legte die Klägerin das Gutachten vom 24.Juli 1985 des Professors für Anwendungen der Informatik X vor. Der Gutachter gelangt zum Ergebnis, die vier Rechner erfüllten alle Voraussetzungen der Vorschrift 3 A a zu Kap.84 GZT. Insbesondere seien die in allen vier Rechnern ablaufenden Programme in einer formalen Programmiersprache, nämlich einer Assemblersprache geschrieben, zu deren Überführung in die Maschinensprache es einen ROM-residenten Übersetzer gebe, für welchen ebenfalls ein Speicher vorgesehen sei (ROM *= Read Only Memory).

Die OFD wendet dagegen folgendes ein: Der GZT definiere den Begriff "Rechenmaschinen" nicht. Für die Auslegung des Begriffs sei somit auf die "Verkehrsauffassung" und den "Sprachgebrauch der Technik" abzustellen. Die Waren seien aus technischer Sicht programmierbare elektronische Taschenrechner und damit Rechenmaschinen (vgl. auch Erläuterungen zur Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens --NRZZ--, Tarifnr. 84.52 Abschn.A). Die Klägerin biete die Waren im Handel als "programmierbare Taschenrechner" an. Die beigefügte Bedienungsanleitung spreche das Modell D als "programmierbarer Taschenrechner" an. Die technischen Daten für dieses Modell seien nach Auskunft von Sachkundigen typisch für programmierbare Taschenrechner. Die beigefügten Programmbücher enthielten ausschließlich Rechenprogramme. Die vergleichenden Marktübersichten klassifizierten das leistungsfähigste Modell D als Taschenrechner. Maschinen, deren einzige eigene Funktion im Rechnen bestehe, seien ungeachtet der Vorschrift 3 A a zu Kap.84 GZT der für diese Funktion in Betracht kommenden Tarifnr. 84.52 GZT zuzuordnen. Die Vorschrift 3 A a zu Kap.84 GZT stelle auch keine Definition des Begriffs der ADVM dar. Auch für diesen Begriff müsse der Sprachgebrauch der Technik herangezogen werden.

Die OFD legte das Gutachten vom 4.März 1986 des Professors Y vor. Dieser kommt im wesentlichen zu folgendem Ergebnis: Ein EDV-Praktiker habe durchaus Vorstellungen, was eine Rechenmaschine, ein Taschenrechner und eine ADVM sei. Diese Vorstellungen seien allerdings häufig unscharf und nicht überschneidungsfrei. Eine wichtige Maßgabe für die Entscheidung könnte die Intention des Gesetzgebers sein, elektronische Gerätschaften dieser Art zu differenzieren. Er, der Gutachter, neige eher dazu, die Ware D als Rechenmaschine zu klassifizieren. Die Ware befinde sich zwar "in der Schnittmenge der beiden Begriffe". Ihr fehle aber zum Teil die universelle Eigenschaft einer ADVM. So gebe es beispielsweise keine sinnvolle und praktikable Textverarbeitungsmöglichkeit und keine höhere Programmiersprache wie z.B. Basic. Die Handhabung sei mühsam und umständlich; die Ware sei für gelegentliche kleinere Berechnungen und nicht für längeres Arbeiten geschaffen. Die Auslegung dieses programmierbaren Taschenrechners sei dürftig im Vergleich zu home-computern. Die Problemneigung der (einzigen) Programmiersprache zeige eindeutig in Richtung Rechenmaschine. Er, der Gutachter, teile jedoch die Meinung, daß der Rechner die Voraussetzungen der Vorschrift 3 A a zu Kap.84 GZT erfülle.

Die Klägerin replizierte: Beide Gutachter hätten bestätigt, daß die streitbefangenen Modelle die Kriterien der Vorschrift 3 A a zu Kap.84 GZT erfüllten. Die Vorschrift enthalte eine Legaldefinition. Diese sei abschließend. Weiterer Untersuchungen bedürfe es nicht; denn die genauere Warenbezeichnung im Sinne der Allgemeinen Tarifierungsvorschriften (ATV) 3a enthalte die Tarifnr. 84.53 GZT.

Die Klägerin legte eine Stellungnahme vom 10.Januar 1987 von Professor X vor. Dieser führt u.a. aus: Die streitbefangenen Waren könnten unbestreitbar mehr als bloß arithmetische Operationen durchführen, insbesondere Operationen für Entscheidungen, Textdarstellung und Musikerzeugung. Es könne z.B. ein kleines Vokabel-Lern-Programm erstellt werden. Die Programmierung der Waren stelle eine formalisierte Problemlösung dar, für die eine (maschinennahe) formalisierte Programmiersprache vorliege. Alle fachlichen Aspekte sprächen dafür, die Waren als ADVM einzustufen.

 

Entscheidungsgründe

II. Für das vorlegende Gericht stellt sich die Frage nach der Auslegung der Tarifnrn. 84.52 und 84.53 sowie der Vorschrift 3 A a zu Kap.84 GZT, deren Abgrenzung zweifelhaft ist. Es ist daher nach Art.177 Abs.3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) verpflichtet, dazu eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) einzuholen.

Der GZT enthält keine Bestimmung des Begriffs "Rechenmaschinen". Auch aus den Erläuterungen zur NRZZ Tarifnr. 84.52 ist lediglich zu entnehmen, daß zu diesen Maschinen auch programmierbare elektronische Taschenrechner gehören. Dagegen ergibt sich aus ihnen genau so wenig wie aus dem Wortlaut des GZT, nach welchen Kriterien zu entscheiden ist, ob eine Ware "noch" Rechenmaschine oder "schon" ADVM ist.

Die Vorschrift 3 A zu Kap.84 GZT enthält nach der Auffassung der OFD keine erschöpfende Bestimmung des Begriffs der ADVM. Ist das richtig, so hilft die Vorschrift für die Abgrenzung der Tarifnrn. 84.52 und 84.53 GZT nicht. Hat die OFD unrecht, so ist wohl davon auszugehen, daß eine Maschine, die die Voraussetzungen der genannten Vorschrift erfüllt, auch dann nicht unter die Tarifnr. 84.52 GZT fällt, wenn sie die Voraussetzungen der Begriffsbestimmung "Rechenmaschine" erfüllte (ATV 3a oder 3c). Dann stellte sich für die Entscheidung des vorliegenden Falls die Frage nach der Auslegung der Vorschrift 3 A a zu Kap.84 GZT, insbesondere die Frage, was eine "formale Programmsprache" ist und ob die "Sprache" der streitbefangenen Geräte als eine solche anzusehen ist. Nach dem Gutachter X (Gutachten vom 10.Januar 1987) stellt die Programmierung der fraglichen Geräte eine formalisierte Problemlösung dar, für die eine (maschinennahe) formalisierte Programmiersprache vorliege. Die OFD spricht nur von einem "Tastencode". Der Gutachter Y vertritt die Auffassung, daß die "Sprache" der Geräte eine formale Programmsprache im Sinne der genannten Vorschrift sei, aber keine höhere Programmiersprache wie z.B. Basic.

Ist mit der OFD davon auszugehen, daß die in den Tarifnrn. 84.52 und 84.53 nicht definierten Begriffe Rechenmaschine bzw. ADVM ungeachtet der Vorschrift 3 A a zu Kap.84 GZT zu bestimmen sind, so stellt sich die Frage, ob dabei entsprechend der Auffassung der OFD "auf die Verkehrsauffassung" und "den Sprachgebrauch der Technik" abzustellen ist. Die von den Beteiligten vorgelegten Gutachten belegen allerdings, daß es in Wissenschaft und Praxis einheitliche Anschauungen insoweit nicht gibt oder diese jedenfalls so unscharf sind, daß ihnen keine genügend genauen Kriterien für die Abgrenzung entnommen werden können. Außerdem ergibt sich aus den Gutachten, daß die nach dem GZT erforderliche Abgrenzung zwischen Rechenmaschine und ADVM eine Frage aufwirft, die sich im Rahmen von Theorie und Praxis der Wissenschaft der Informatik nicht stellt.

Maßgebend für die Auslegung der beiden genannten Begriffe ist Sinn und Zweck der tariflichen Unterscheidung. Dieser ist jedoch nicht ohne weiteres erkennbar. In der Verordnung (EWG) Nr.1935/84 (VO Nr.1935/84) vom 4.Juli 1984 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 180/10) ist die Kommission offenbar davon ausgegangen, ein Kriterium für die Abgrenzung könne die Art und Weise der Programmiersprache sein. Ist sie die Sprache Basic, so liegt nach Auffassung der Kommission eine ADVM im Sinne der Tarifnr. 84.53 GZT vor. Die von den Beteiligten vorgelegten Gutachten begründen allerdings Zweifel an der Gültigkeit des von der Kommission zur Abgrenzung herangezogenen Kriteriums.

Als Abgrenzungskriterium könnte auch in Betracht gezogen werden, ob das Gerät allein zur Vornahme arithmetischer Operationen (zum Rechnen) oder auch zur Wahrnehmung anderer Funktionen geeignet ist, z.B. zur Textverarbeitung. Gemessen an diesem Kriterium dürften die fraglichen Geräte nicht als Rechenmaschinen anzusehen sein; sie sind auch zur Textverarbeitung geeignet. Nach Auffassung des Gutachters X können Nichtrechenprogramme eingegeben werden.

Ein anderes mögliches Abgrenzungskriterium könnte der übliche Verwendungszweck der Geräte sein. Dann stellte sich die Frage, ob die streitbefangenen Geräte üblicherweise als Rechner wie andere normale programmierbare Taschenrechner benutzt werden.

Abgrenzungskriterium könnte ferner sein, wie die beteiligten Wirtschaftskreise die Geräte zu bezeichnen pflegen. So unterscheidet die Klägerin offenbar zwischen "programmierbaren Taschenrechnern" und "Taschen-Computern". Daß die fraglichen Geräte von ihr als Taschenrechner bezeichnet werden, könnte dafür sprechen, sie als Waren der Tarifnr. 84.52 GZT anzusehen.

Außerdem kommen als Abgrenzungskriterien auch noch die Art und Weise der Handhabung der Geräte, ihre Auslegung und die Problemneigung ihrer Programmsprache in Betracht. In Betracht gezogen werden könnte schließlich auch, im Lichte der schnellen Entwicklung auf dem Gebiet der Informatik den Hinweis in den Erläuterungen, auch programmierbare Rechner seien Rechenmaschinen im Sinne der Tarifnr. 84.52 GZT, als nicht mehr im Einklang mit dem Wortlaut des GZT stehend anzusehen. Das würde den Weg zu einer relativ einfachen und praktikablen Abgrenzung öffnen: Alle elektronischen Rechenmaschinen, die programmierbar sind, wären dann als ADVM im Sinne der Tarifnr. 84.53 GZT anzusehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61938

BFHE 150, 100

BFHE 1987, 100

HFR 1987, 538-538 (ST)

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