Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung auf den Einzelrichter
Leitsatz (NV)
- Die Regelung in § 6 Abs. 1 FGO verstößt nicht gegen Verfassungsrecht (ständige Rechtsprechung).
- Die namentliche Benennung des Einzelrichters und eine Begründung der Übertragung auf den Einzelrichter sind nicht notwendig.
Normenkette
FGO § 6 Abs. 1, 4, § 113 Abs. 2 S. 1, § 116 Abs. 1 Nrn. 1, 5
Tatbestand
I. Die gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagten Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezogen im Streitfall 1993 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) geänderte Einkommensteuerbescheid vom 7. August 1995 erging im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden vorläufig nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Der Einspruch blieb erfolglos.
Mit ihrer Klage begehrten die Kläger, den Abzug ihrer Versicherungsbeiträge in Höhe von 23 427 DM in vollem Umfang, einen Weihnachts- und Arbeitnehmerfreibetrag von 1 080 DM sowie weitere Freibeträge bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 6 000 DM und 2 000 DM. Ferner beantragten sie, das Verfahren auszusetzen.
Die Sache wurde durch Beschluß vom 22. Januar 1996 auf den Einzelrichter übertragen. Das Finanzgericht (FG) verwarf die Klage durch Entscheidung des Einzelrichters als unzulässig hinsichtlich der nur beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen und der Höhe des Arbeitnehmer-Pauschbetrags. Insoweit fehle der Klage wegen der Vorläufigkeitsvermerke das Rechtsschutzinteresse. Hinsichtlich der geforderten weiteren Freibeträge entbehre die Klage jeglicher Rechtsgrundlage und sei unbegründet. Für die beantragte Aussetzung des Klageverfahrens seien die Voraussetzungen nicht gegeben. Die Vorläufigkeitserklärung begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung von Bundesrecht, insbesondere der Art. 101 und 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sowie des § 119 Nr. 1 und Nr. 6 und des § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
a) Der Einzelrichter sei nur dann der gesetzliche Richter, wenn er unter Beachtung rechtsstaatlicher Gesichtspunkte zum Einzelrichter ernannt worden sei. Die Übertragung auf den Einzelrichter sei ohne Namensnennung und trotz der Unanfechtbarkeit des Übertragungsbeschlusses ohne Gewährung rechtlichen Gehörs erfolgt. § 6 Abs. 1 FGO begegne darüber hinaus verfassungsrechtlichen Bedenken, da mit der Möglichkeit der Übertragung auf den Einzelrichter ein unzulässiges Ermessen eingeräumt werde. Ein Ermessen bei der Bestimmung des gesetzlichen Richters sei unzulässig und führe zur nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 119 Nr. 1 FGO). Der Bundesfinanzhof (BFH) habe sich hierzu lediglich mit einer lapidaren Feststellung geäußert (vgl. Gerichtsbescheid vom 27. Oktober 1994 I R 70/94).
b) Zudem enthielten die Entscheidungsgründe der Vorentscheidung keine Ausführungen zur Frage der (ohne vorherige Gewährung rechtlichen Gehörs) erfolgten Beauftragung des Einzelrichters. Daher sei auch § 119 Nr. 6 FGO verletzt.
Die Revision sei mithin nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 und 5 FGO zulassungsfrei.
c) Vorsorglich rügen die Kläger die Besetzung des für die Entscheidung über die Revision zuständigen Senats des BFH und beantragen, das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über entsprechende Verfassungsbeschwerden zu Art. 101 GG i.V.m. § 21g Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) auszusetzen sowie nach § 8 des Gerichtskostengesetzes (GKG) Kosten nicht zu erheben.
Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Revision ist unzulässig und gemäß §§ 124, 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen. Die Revision ist nicht zugelassen worden.
Der Fall einer zulassungsfreien Revision, insbesondere nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 und 5 FGO, ist nicht gegeben.
Eine zulassungsfreie Verfahrensrevision setzt voraus, daß innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ein Mangel i.S. des § 116 FGO schlüssig gerügt wird. Ein Verfahrensmangel ist schlüssig gerügt, wenn die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen ―ihre Richtigkeit unterstellt― einen Mangel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO ergeben. Die zur Begründung des Mangels erforderlichen Tatsachen müssen lückenlos vorgetragen werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 2. August 1996 XI R 50/95, BFH/NV 1997, 134).
a) Aus den vorgetragenen Tatsachen läßt sich eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO nicht herleiten. Das FG war gemäß § 6 Abs. 1 FGO berechtigt, den Rechtsstreit einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung zu übertragen. Die Regelung verstößt nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BFH-Beschlüsse vom 10. September 1996 IV R 51/94, BFH/NV 1997, 242; vom 27. März 1998 X B 161/96, BFH/NV 1998, 1487 und X R 105/96, BFH/NV 1998, 1488, m.w.N.; Buciek in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 6 FGO Rz. 14 ff.). Ebensowenig ist im einzelnen dargelegt, daß die Sache besondere Schwierigkeiten aufweise oder grundsätzliche Bedeutung hätte und eine Übertragung auf den Einzelrichter deshalb nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 FGO nicht zulässig sei (vgl. BFH-Beschluß in BFH/NV 1998, 1488).
Eine vorherige Anhörung der Beteiligten ist in § 6 Abs. 1 FGO ―anders als in § 6 Abs. 3 FGO― nicht vorgesehen. Die Kläger wurden auch auf eine mögliche Übertragung hingewiesen (vgl. FG-Schreiben vom 9. November 1995). Im übrigen könnte ihre Unterlassung, selbst wenn sie einen wesentlichen Verfahrensmangel i.S. des § 119 Nr. 3 FGO darstellen sollte (vgl. hierzu Urteil des FG Baden-Württemberg vom 16. Oktober 1997 10 K 130/97, Entscheidungen der Finanzgerichte 1998, 124, Revision IX R 94/97; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 6 FGO Tz. 9; Buciek, a.a.O., Rz. 27 f.), nicht die zulassungsfreie Revision gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO eröffnen (vgl. BFH-Beschluß in BFH/NV 1998, 1488, m.w.N.).
Die namentliche Benennung des Einzelrichters ist nicht notwendig (vgl. BFH-Beschluß vom 16. Dezember 1997 IX R 22/95, BFH/NV 1998, 720; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, § 6 Rz. 7). Die Beteiligten können den Namen des zuständigen Richters jederzeit aus dem senatsinternen Mitwirkungsplan in Erfahrung bringen.
Die Kläger haben nicht dargetan, daß die Übertragung nicht dem maßgeblichen Mitwirkungsplan entsprochen habe und "greifbar gesetzeswidrig" gewesen sei (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Januar 1994 II R 69/93, BFH/NV 1994, 725; vom 17. April 1996 VI R 105/95, BFH/NV 1996, 767; vom 17. April 1997 III R 39/96, BFH/NV 1997, 860).
b) Der Revisionsgrund des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO ist ebenfalls nicht schlüssig gerügt. Mängel in der Begründung der Entscheidung sind nicht erkennbar. Ausführungen zur Übertragung auf den Einzelrichter sind nicht notwendiger Teil des Urteils, sondern allenfalls Gegenstand des Übertragungsbeschlusses, der ―da unanfechtbar (§ 6 Abs. 4 Satz 1 FGO)― nach § 113 Abs. 2 Satz 1 FGO nicht begründet werden muß.
2. Die Besetzung des entscheidenden Senats ist nicht zu beanstanden. Sie folgt aus dem Geschäftsverteilungsplan des BFH für 1999 i.V.m. dem senatsinternen Mitwirkungsplan für 1999. Die Verfügung der Vorsitzenden des XI. Senats vom 11. Dezember 1998 über die Mitwirkung der Senatsmitglieder an den Verfahren für das Geschäftsjahr 1999 entspricht den Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und des § 4 FGO i.V.m. § 21g GVG. Die Verfügung legt abstrakt fest, welche Richter des erkennenden Senats im Geschäftsjahr 1999 an den einzelnen Entscheidungen mitzuwirken haben. Sie entspricht den Vorgaben des BVerfG-Beschlusses vom 8. April 1997 1 PBvU 1/95 (BVerfGE 95, 322, BStBl II 1997, 672). Durch die BVerfG-Entscheidung ist der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO gegenstandslos geworden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. Gründe, von der Erhebung von Kosten gemäß § 8 GKG abzusehen, sind nicht gegeben.
Fundstellen
Haufe-Index 302256 |
BFH/NV 1999, 1621 |