Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterbrechung des Klageverfahrens gegen Gewinnfeststellungsbescheid durch Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens über Vermögen des Personengesellschafters
Leitsatz (NV)
1. Die Eröffnung eines vorläufigen Insolvenzverfahrens unter Verhängung eines allgemeinen Verfügungsverbots führt zur Unterbrechung des Klageverfahrens.
2. Die Eröffnung eines solchen Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Gesellschafters einer Personengesellschaft hat auch die Unterbrechung eines Klageverfahrens gegen den Gewinnfeststellungsbescheid zur Folge.
3. Ein vom FG in Unkenntnis des Insolvenzverfahrens erlassenes Urteil ist den Beteiligten gegenüber unwirksam. Wird wegen dieses Verfahrensmangels Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, ist das Urteil im Beschwerdeverfahren aufzuheben.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 6, § 155; ZPO § 240; InsO § 21 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger des Ausgangsverfahrens sind examinierte Krankenpfleger und hatten im Jahr 1990 einen ambulanten Pflegedienst in der Rechtsform einer GbR gegründet. Ende Mai 1994 wurde die GbR durch Ausscheiden des Klägers zu 2. im finanzgerichtlichen Verfahren (Kläger zu 2.) beendet.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hatte die Einkünfte der Kläger aus der GbR für die Streitjahre (1990 bis 1992) zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung als solche aus selbständiger Arbeit gemäß § 18 des Einkommensteuergesetzes (EStG) festgestellt. Nach einer an Amtsstelle durchgeführten und im Jahr 1996 ohne Schlussbesprechung abgeschlossenen Betriebsprüfung erließ das FA geänderte Gewinnfeststellungsbescheide für die Streitjahre und hob zugleich den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Die Bescheide waren an die (erloschene) GbR gerichtet, wurden aber beiden Klägern bekannt gegeben. Die festgestellten Einkünfte entsprachen der Höhe nach dem Betriebsprüfungsbericht, wichen von jenem aber dadurch ab, dass die Einkünfte weiterhin als solche aus selbständiger Arbeit gekennzeichnet wurden, während die Betriebsprüfung zu dem Ergebnis gekommen war, die GbR sei gewerblich tätig gewesen.
Gegen diese Bescheide legten die Kläger Einspruch ein. In dem Schreiben des Bevollmächtigten hieß es einerseits, der Einspruch werde beschränkt auf die Feststellung der Höhe der Einkünfte aus selbständiger Arbeit und deren Verteilung. Andererseits wurde die Aufhebung der Bescheide begehrt, weil eine Gesellschaft des angegebenen Namens und an dem angegebenen Ort nicht existiere. Daraufhin hob das FA die angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide durch Bescheid vom 2. September 1996 betreffend die ehemalige GbR der beiden Kläger auf und wies darauf hin, dass sich damit der Einspruch erledige und dass zugleich neue Gewinnfeststellungsbescheide erlassen worden seien. Diese neuen Gewinnfeststellungsbescheide ergingen unter dem gleichen Datum in der Form eines zusammengefassten Bescheids für die ehemalige GbR. In dem Bescheid hieß es, es würden die ursprünglichen Gewinnfeststellungen geändert und der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben. Die Einkünfte wurden nun als solche aus Gewerbebetrieb gekennzeichnet.
Der erneut von beiden Klägern erhobene Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als für das Streitjahr 1991 weitere Betriebsausgaben berücksichtigt wurden.
Mit den dagegen erhobenen und vom Finanzgericht (FG) verbundenen Klagen machten die Kläger geltend, die Bescheide hätten nicht ergehen dürfen, weil der Vorbehalt der Nachprüfung bereits zuvor aufgehoben worden sei. Die Bescheide seien im Übrigen formell fehlerhaft, weil keine Schlussbesprechung stattgefunden habe und deshalb das rechtliche Gehör verletzt sei. In der Sache seien die Einkünfte als solche aus selbständiger Arbeit zu qualifizieren und niedriger festzustellen.
Mit Urteil des Einzelrichters, auf den das Verfahren übertragen worden war, wies das FG die Klagen nach mündlicher Verhandlung am 13. Dezember 2002 ab. Die Klagen seien unzulässig, soweit die Feststellung einer anderen Einkunftsart begehrt werde. Im Übrigen seien sie unbegründet. Die Revision ließ das FG nicht zu.
Mit der dagegen namens des Klägers zu 2. erhobenen Beschwerde legte der frühere Bevollmächtigte einen Beschluss des Amtsgerichts … vom 9. Dezember 2002 vor, mit dem über das Vermögen des Klägers zu 1. im finanzgerichtlichen Verfahren (Kläger zu 1.) ein vorläufiges Insolvenzverfahren gemäß §§ 21, 22 der Insolvenzordnung (InsO) angeordnet worden war. Dem Kläger zu 1. war dabei nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt und die Verfügungsbefugnis war dem vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen worden. Unter Hinweis auf diesen Beschluss rügte der Kläger zu 2. einen Verfahrensfehler des FG-Urteils; denn ein Urteil habe wegen der Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 240 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht ergehen dürfen. Außerdem machte der Kläger zu 2. geltend, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Schriftsatz vom 21. April 2003 Bezug genommen.
Mit Beschluss des Amtsgerichts … vom 21. August 2003 wurde über das Vermögen des Klägers zu 2. das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Insolvenzverwalter wurde der (nunmehrige) Beschwerdeführer bestellt, der mit Schriftsatz vom 24. Mai 2004 das Verfahren aufgenommen hat.
Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß, die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Die Voraussetzungen eines Revisionszulassungsgrundes seien nicht ordnungsgemäß dargelegt (Schriftsatz vom 23. Mai 2003).
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Das Urteil ist verfahrensfehlerhaft ergangen und nicht wirksam geworden.
1. Die Beschwerde ist jedenfalls zulässig, soweit ein Verfahrensfehler im Zusammenhang mit der Eröffnung eines vorläufigen Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers zu 1. gerügt worden ist. Ist ein finanzgerichtliches Verfahren nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 240 ZPO unterbrochen, weil über das Vermögen des Klägers ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, darf der Prozess bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens bzw. bis zur Aufnahme des Verfahrens durch den Insolvenzverwalter nicht weiter betrieben werden. Insbesondere darf auch kein Urteil ergehen. Hat das FG in Unkenntnis des Insolvenzverfahrens gleichwohl ein Urteil erlassen, ist dieses den Beteiligten gegenüber unwirksam (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Juli 1988 X R 40/82, BFH/NV 1989, 238; Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 9. Juni 1977 III C 82.76, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1978, 390). Es kann mit einer auf den Verfahrensmangel gestützten Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen werden (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 74 Rz. 34). Im Beschwerdeverfahren wird das Urteil entsprechend § 116 Abs. 6 FGO aufgehoben. Der Rechtsstreit ist weiter beim FG anhängig.
Darauf hat sich der Beschwerdeführer berufen und damit eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge erhoben.
2. Der gerügte Verfahrensmangel liegt auch tatsächlich vor. Bereits vor Eröffnung der mündlichen Verhandlung am 13. Dezember 2002 war das Klageverfahren gemäß §§ 155 FGO, 240 ZPO unterbrochen. Am 9. Dezember 2002 war über das Vermögen des Klägers zu 1. ein vorläufiges Insolvenzverfahren eröffnet worden, das auch die Verhängung eines allgemeinen Verfügungsverbots nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 InsO einschloss. Während ein vorläufiges Insolvenzverfahren ohne allgemeines Verfügungsverbot noch nicht zur Unterbrechung nach § 240 ZPO führt (BFH-Beschlüsse vom 22. Januar 2003 V B 122/02, BFH/NV 2003, 645, und vom 24. Juni 2003 I B 30/03, BFH/NV 2003, 1434; Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 21. Juni 1999 II ZR 70/98, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1999, 2822), steht ein vorläufiges Insolvenzverfahren mit allgemeinem Verfügungsverbot einem endgültigen Insolvenzverfahren insoweit gleich und bewirkt eine Unterbrechung (Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 24. Aufl. 2004, § 240 Rn. 5). Dies gilt auch in einem Verfahren gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid für eine GbR, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen eines klagenden Gesellschafters eröffnet wird. Die klagebefugten Gesellschafter sind in einem solchen Fall notwendige Streitgenossen (BFH-Beschlüsse vom 6. Juli 1977 I R 182/76, BFHE 122, 437, BStBl II 1977, 696, und vom 26. April 1990 IX B 224/88, BFH/NV 1991, 240; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 59 FGO Tz. 4). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegenüber einem notwendigen Streitgenossen unterbricht den Rechtsstreit als Ganzen (Oberlandesgericht --OLG-- Frankfurt/M., Beschluss vom 13. August 2001 5 W 21/01, Der Betrieb --DB-- 2002, 41; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 62. Aufl., § 240 Rn. 8; Zöller/Greger, a.a.O., § 240 Rn. 7). Auch ein Teilurteil gegenüber dem nicht betroffenen notwendigen Streitgenossen ist in einem solchen Fall grundsätzlich nicht zulässig (BGH-Urteil vom 12. Januar 1996 V ZR 246/94, BGHZ 131, 376, NJW 1996, 1060). Ob etwas anderes gilt, wenn sich die Aufnahme des Verfahrens durch den Insolvenzverwalter für die anderen Beteiligten unzumutbar lange hinzieht (vgl. BGH-Urteil vom 19. Dezember 2002 VII ZR 176/02, Neue Juristische Woche -Rechtsprechungs- Report Zivilrecht --NJW-RR-- 2003, 1002 zu einfachen Streitgenossen), braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. Zum einen ist eine solche Verzögerung nicht erkennbar, zum anderen hat das FG kein Teilurteil gegen den Kläger zu 2. erlassen.
Im Streitfall durfte danach ungeachtet dessen, dass dem FG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung die Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens nicht bekannt war, ein Urteil nicht ergehen. Das verkündete Urteil ist unwirksam. Das Verfahren wird nach Aufnahme durch den Insolvenzverwalter über das Vermögen des Klägers zu 1. bzw. nach Abschluss jenes Insolvenzverfahrens fortgesetzt, nachdem der Beschwerdeführer als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Klägers zu 2. das Verfahren bereits aufgenommen hat.
3. Bei dieser Sachlage ist auf die weiter geltend gemachten Revisionszulassungsgründe nicht einzugehen. Zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten bemerkt der Senat aber, dass die Qualifizierung der Einkunftsart im Rahmen eines Bescheids über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte eine eigenständige und isoliert angreifbare Besteuerungsgrundlage ist (vgl. BFH-Urteil vom 29. September 1977 VIII R 67/76, BFHE 123, 315, BStBl II 1978, 44). In Bezug auf die Abgrenzung zwischen Einkünften aus selbständiger Arbeit und Einkünften aus Gewerbebetrieb bei ambulanten Pflegediensten verweist der Senat auf sein Urteil vom 22. Januar 2004 IV R 51/01 (BFHE 205, 151, BStBl II 2004, 509).
Fundstellen
Haufe-Index 1279359 |
BFH/NV 2005, 365 |