Entscheidungsstichwort (Thema)
Statthaftigkeit des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung; Umdeutung eines Antrags auf Erlaß einer instweiligen Anordnung in einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung
Leitsatz (NV)
1. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen ist - vom Fall der Unbilligkeit der Zwangsvollstreckung abgesehen - dann nicht statthaft, wenn ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Vollstreckungsmaßnahmen statthaft ist.
2. Der dem Wortlaut nach eindeutige Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung eines nicht durch einen Bevollmächtigten vertretenen und nicht rechtskundigen Antragstellers kann jedenfalls dann nicht in einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung umgedeutet werden, wenn aus dem Sachvortrag des Antragstellers nicht hervorgeht, daß er mit dem durch die Aussetzung der Vollziehung zu erlangenden, weniger weit reichenden vorläufigen Rechtsschutz einverstanden ist.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 1, 3, § 114 Abs. 1, 5; AO 1977 §§ 258, 361 Abs. 2
Tatbestand
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) pfändete in der Wohnung des Antragstellers und Beschwerdeführers (Antragsteller) . . . . Der Antragsteller legte gegen die Pfändungsmaßnahmen Beschwerde ein. Das FA lehnte den Antrag des Antragstellers auf Aufhebung der Pfändungsmaßnahmen ab und legte die Beschwerde der Oberfinanzdirektion (OFD) vor. Der im finanzgerichtlichen Verfahren nicht durch einen Bevollmächtigten vertretene Antragsteller beantragte beim Finanzgericht (FG), dem FA im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 114 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufzugeben, die Pfändungsmaßnahmen bis zur Entscheidung aufzuheben.
Das FG wies den Antrag mit der Begründung als unzulässig ab, daß die angefochtenen Pfändungen vollstreckbare Verwaltungsakte darstellten und deshalb gemäß § 114 Abs. 5 FGO allenfallls eine Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen i. S. von § 69 FGO in Betracht komme. Eine Umdeutung des Antrags in einen Aussetzungsantrag entfalle, da die Voraussetzungen des § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 FGO nicht vorlägen. Angesichts der Herausgabe der . . . durch den Antragsteller sei eine Durchsuchung der Wohnung nicht durchgeführt worden.
Mit der Beschwerde macht der Antragsteller geltend, sein Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Abs. 1 FGO sei in einen Aussetzungsantrag gemäß § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 FGO umzudeuten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Das FG hat zu Recht den Antrag des Antragstellers als Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung i. S. von § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO angesehen und als unzulässig abgewiesen. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung war nach § 114 Abs. 5 FGO als solcher nicht statthaft. Der Antragsteller hat sich zur Begründung seines Antrags auf die Rechtswidrigkeit der Pfändungen berufen. Die vom Antragsteller angegriffenen Pfändungen der einzelnen Gegenstände sind Verwaltungsakte (§ 118 der Abgabenordnung - AO 1977 -; vgl. Senatsbeschluß vom 17. Januar 1985 VII B 46/84, BFHE 142, 564, 566, BStBl II 1985, 302), gegen die vorläufiger Rechtsschutz im Wege der Aussetzung der Vollziehung nach § 361 Abs. 2 AO 1977 oder § 69 Abs. 3 FGO gegeben ist (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 69 FGO, Tz. 3a) mm). Zwar schließt die Statthaftigkeit des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung einer Vollstreckungsmaßnahme den Erlaß einer einstweiligen Anordnung über die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung (§ 258 AO 1977) nicht schlechthin aus. Voraussetzung ist aber, daß die Unbilligkeit der Zwangsvollstreckung i. S. von § 258 AO 1977 geltend gemacht wird (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. Februar 1989 VII B 143/88, BFH/NV 1989, 565). Im Streitfall hat der Antragsteller keine Tatsachen oder sonstigen Gesichtspunkte für eine Unbilligkeit der Zwangsvollstreckung i. S. von § 258 AO 1977 vorgetragen.
Es ist im Ergebnis auch nicht zu beanstanden, daß das FG den dem Wortlaut nach eindeutigen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht in einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO umgedeutet hat. Zwar war der Antragsteller im Verwaltungsverfahren nicht durch sachkundige Bevollmächtigte vertreten. Es konnte deshalb von ihm nicht ohne weiteres wie von einer rechtskundigen Person verlangt werden, daß er den Rechtsbehelf wählt oder den Antrag stellt, der dem Gesetz entspricht. Doch lagen die weiteren Voraussetzungen für eine Umdeutung nicht vor. Der Antragsteller hat nämlich das Ziel des von ihm erstrebten Rechtsschutzes unmißverständlich dahin umschrieben, daß er die Aufhebung der Pfändungsmaßnahme bis zur Entscheidung begehrt. Er hat weder dargelegt noch ist sonst ersichtlich, daß er sich mit einer anderen, weniger weitreichenden Entscheidung des FG einverstanden erklärt hätte. Die Aufhebung der Pfändungsverfügung war aber durch eine Aussetzung der Vollziehung nicht zu erreichen.
Außerdem ist zu beachten, daß zwar Vollstreckungsmaßnahmen Gegenstand von Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung sein können, wenn sie - wie im Streitfall - selbständig mit Rechtsbehelfen angefochten sind. Aber die Vollziehung einer bereits vollzogenen Vollstreckungsmaßnahme kann nicht gemäß § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO aufgehoben werden, wenn dadurch die Entscheidung in der Hauptsache ins Leere ginge. Ist die Aufhebung der Pfändungsverfügung selbst Gegenstand des Hauptsacheverfahrens, so würde das FA endgültig seine aufgrund der Pfändung erlangte Rechtsposition verlieren, wenn die Pfändungsverfügung bereits im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung aufgehoben würde (vgl. BFH-Beschluß vom 16. November 1977 VII S 1/77, BFHE 123, 427, BStBl II 1978, 69, 70).
Soweit der Antrag des Antragstellers auf Aufhebung des Beschlusses des FG und Umdeutung des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung als erstmals in der Beschwerdeschrift gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gewertet werden könnte, wäre dieser Antrag unzulässig. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO ist für die Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ausschließlich das Gericht der Hauptsache zuständig. Das ist grundsätzlich das Gericht, das mit der Entscheidung über den angefochtenen Verwaltungsakt befaßt ist, hier also das FG.
Fundstellen
Haufe-Index 417421 |
BFH/NV 1991, 607 |