Entscheidungsstichwort (Thema)
Kraftfahrzeugsteuerrechtliche Einstufung eines Geländewagens vom Typ Land Rover Defender
Normenkette
KraftStG § 2 Abs. 2, § 8 Nr. 2, § 9 Abs. 1 Nr. 3; StVZO § 23 Abs. 6a; PBefG § 4 Abs. 4 Nr. 1; EWGRL 156/70; EGRL 116/2001
Verfahrensgang
Tatbestand
Auf die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist ein Kfz des Herstellers Rover zugelassen. Es handelt sich um einen Geländewagen vom Typ Land Rover Defender, der ein zulässiges Gesamtgewicht von über 2,8 t aufweist. Im Fahrzeugbrief ist der Geländewagen als geschlossener PKW mit Dieselantrieb eingestuft. Mit dem Fahrersitz verfügt das Fahrzeug über insgesamt fünf Sitzplätze. Das Fahrzeug wurde vom Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt ―FA―) zunächst als "anderes Fahrzeug" i.S. von § 8 Nr. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) eingestuft und nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG der Gewichtsbesteuerung unterworfen. Mit Änderungsbescheid vom 20. März 2006 hat das FA unter Hinweis auf die Aufhebung der in § 23 Abs. 6a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) getroffenen Sonderregelung für Kombinationsfahrzeuge mit Wirkung zum 1. Mai 2005 eine Einstufung des Fahrzeugs als PKW und ab dem 1. Mai 2005 eine entsprechende Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer vorgenommen.
Gegen den Änderungsbescheid legte die Antragstellerin Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Ihren Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Bescheids in dem Umfang, in dem sich ab dem 1. Mai 2005 eine höhere Steuer als die nach § 8 Nr. 2 KraftStG zu erhebende Steuer ergebe, lehnte das FA ab. Daraufhin hat die Antragstellerin einen AdV-Antrag gleichen Inhalts beim Finanzgericht (FG) gestellt. Das FG hat dem Antrag mit der Begründung stattgegeben, dass die Einstufung des Fahrzeugs nach der Richtlinie 2001/116/EG (RL 2001/116/EG) der Kommission vom 20. Dezember 2001 zur Anpassung der Richtlinie 70/156/EWG (RL 70/156/EWG) des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger an den technischen Fortschritt (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002 Nr. L 18/1) zu erfolgen habe. Die verkehrsrechtliche Einstufung entfalte auch für die Besteuerung Bindungswirkung. Nach den Vorgaben der RL 70/156/EWG könne das Fahrzeug der Antragstellerin nicht der Klasse M1 (PKW) zugeordnet werden, denn es erfülle die im Anhang II C 1 b der RL 2001/116/EG festgelegte Bedingung P - (M + N x 68) ≫ N x 68, d.h. die unter Berücksichtigung der zulässigen Gesamtmasse maximal zuladbare Nutzlast sei bei dem Fahrzeug größer, als die bei Ausnutzung sämtlicher Sitzplätze (außer dem Fahrersitz) erreichbare Personenlast. Der Wagen diene der Beförderung von Fahrgästen und deren Gepäck in einem einzigen Innenraum. Aus dem Fahrzeugbrief gehe keine Typgenehmigung hervor, die nur der Klasse M1 vorbehalten sei. Daraus sei im Umkehrschluss abzuleiten, dass das Fahrzeug nicht unter die Fahrzeuge der Klassen AA bis AE falle.
Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde wendet sich das FA gegen die vom FG vorgenommene Einstufung des Fahrzeugs anhand der Vorgaben der RL 70/156/EWG. Eine objektive Beschaffenheit zur überwiegenden Güterbeförderung ließe sich im Streitfall nicht feststellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei bei Serienfahrzeugen die Konzeption des Herstellers bestimmend. Dem Internetauftritt des Herstellers könne nicht entnommen werden, dass die Vorzüge dieses Fahrzeugtyps vorwiegend in seinem Ladevolumen zu sehen seien. Vielmehr würden die vielseitige Verwendbarkeit und Geländegängigkeit angepriesen. Auch die technischen Daten sprächen gegen eine Einstufung als LKW. Die Ladefläche mache nicht einmal 50 v.H. der gesamten nutzbaren Fahrzeugfläche aus. Die insgesamt mögliche Zuladung betrage nur ca. 30 v.H. des zulässigen Gesamtgewichts. Schließlich ließen weder die Motorisierung noch die Höchstgeschwindigkeit des streitbefangenen Fahrzeugs mit 129 km/h erkennen, dass das Fahrzeug vorwiegend zum Transport von Gütern geeignet und bestimmt sei.
Die Antragstellerin ist der Beschwerde entgegengetreten und verweist auf den Senatsbeschluss vom 21. August 2006 VII B 333/05 (BStBl II 2006, 721, BFH/NV 2006, 2001).
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gelangt der beschließende Senat zu der Auffassung, dass das FG seine Entscheidung zu Unrecht darauf gestützt hat, dass sich das Fahrzeug nicht in die Klasse M1 der RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG einordnen lasse und dass es weitere Umstände, wie z.B. die Größe der Ladefläche, die mögliche Zuladung, die Höchstgeschwindigkeit oder das äußere Erscheinungsbild, von vornherein unberücksichtigt gelassen hat.
1. In seinem Beschluss in BStBl II 2006, 721, BFH/NV 2006, 2001 hat der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ausgeführt, dass die RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG keine Bestimmung über die Einstufung von Kfz in die Klasse der "Personenkraftwagen" enthalte. Den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen seien keine für die Mitgliedstaaten als verbindlich anzusehenden Festlegungen hinsichtlich der Einteilung von Kraftfahrzeugen für die Zwecke der Erhebung von Kraftfahrzeug- und Zulassungssteuern zu entnehmen. Maßgebend sei demnach das nationale Recht, dem ―wie § 4 Abs. 4 Nr. 1 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) belege― der Begriff des PKW geläufig sei.
a) Mit der Aufhebung von § 23 Abs. 6a StVZO durch die Siebenundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 2. November 2004 (BGBl I, 2712) ist die bis dahin nur für Kombinationskraftwagen bestehende Sonderregelung ersatzlos entfallen. Daher kann auch die Rechtsprechung des Senats, nach der Kombinationskraftwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t ohne Rücksicht auf Typ und Erscheinungsbild des Fahrzeugs nicht als PKW zu besteuern sind (BFH-Urteil vom 31. März 1998 VII R 116/97, BFHE 185, 511, BStBl II 1998, 487), keine Geltung mehr beanspruchen.
b) Auch für Kfz mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t gilt nun der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass anhand von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs zu beurteilen ist, ob ein LKW oder PKW vorliegt. Dabei obliegt es dem Tatsachengericht, unter Berücksichtigung der Gesamtheit aller Merkmale eine Bewertung der objektiven Beschaffenheit des jeweiligen Fahrzeugs vorzunehmen. Als für die Einstufung relevante Merkmale zu berücksichtigen sind z.B. die Zahl der Sitzplätze, die verkehrsrechtlich zulässige Zuladung, die Größe der Ladefläche, die Ausstattung mit Sitzbefestigungspunkten und Sicherheitsgurten, die Verblechung der Seitenfenster, die Beschaffenheit der Karosserie und des Fahrgestells, die Motorisierung und die damit erreichbare Höchstgeschwindigkeit, das äußere Erscheinungsbild und bei Serienfahrzeugen die Konzeption des Herstellers (Senatsurteile vom 26. November 1991 VII R 88/90, BFH/NV 1992, 414; vom 5. Mai 1998 VII R 104/97, BFHE 185, 515, BStBl II 1998, 489; vom 26. Juni 1997 VII R 12/97, BFH/NV 1997, 810, und vom 1. August 2000 VII R 26/99, BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Dabei kann kein Merkmal von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs als von vornherein alleinentscheidend angesehen werden, mag auch einzelnen Merkmalen ein besonderes Gewicht zukommen und eine Zuordnung als PKW oder LKW nahe legen (Senatsurteil in BFHE 185, 515, BStBl II 1998, 489).
c) Die Einstufung eines Fahrzeugs durch die Verkehrsbehörde hat als solche weder kraftfahrzeugsteuerrechtlich bindende Wirkung, wie sich im Umkehrschluss aus § 2 Abs. 2 Satz 2 KraftStG ergibt, noch lässt sie im Allgemeinen deshalb einen zuverlässigen Rückschluss auf die richtige kraftfahrzeugsteuerrechtliche Beurteilung zu, weil die Verkehrsbehörden insofern eine überlegene Sachkunde anwenden könnten (BFH-Urteile vom 30. September 1981 II R 56/78, BFHE 134, 367, BStBl II 1982, 82, und in BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Vielmehr hat die Kraftfahrzeugsteuerstelle die Einstufung eigenverantwortlich vorzunehmen. Auch der Fahrzeugklassifikation des Herstellers und der darauf beruhenden verkehrsrechtlich orientierten Beurteilung durch das Kraftfahrtbundesamt kommt keine kraftfahrzeugsteuerrechtliche Bindungswirkung zu (Senatsurteil vom 8. Februar 2001 VII R 73/00, BFHE 194, 264, 269, BStBl II 2001, 368). Die Finanzbehörden sind somit an die von der Verkehrsbehörde vorgenommene Einstufung eines Fahrzeugs in die Klassen der RL 70/156/EWG nicht gebunden.
2. Entgegen der Auffassung des FG bestimmt sich die Besteuerung des streitgegenständlichen Kfz nicht nach den in der RL 2001/116/EG getroffenen Festlegungen. Die Einstufung ist vielmehr aufgrund einer komplexen Gesamtwürdigung der die Bauart und Einrichtung bestimmenden Merkmale unter Berücksichtigung der hierzu entwickelten BFH-Rechtsprechung vorzunehmen. Wie bereits ausgeführt, ist die Gesamtheit der technischen Merkmale einer tatrichterlichen Würdigung zu unterziehen. Im Streitfall sind daher evtl. vorgenommene Umbaumaßnahmen, die Größe der Ladefläche, die mögliche Zuladung, die Höchstgeschwindigkeit und das äußere Erscheinungsbild einer Gesamtbeurteilung zu unterziehen. Da das FG dies außer Acht gelassen hat, war der Beschluss aufzuheben. Obwohl der BFH im Streitfall Tatsacheninstanz ist, erscheint es dem Senat zweckmäßig, die Sache an das FG zurückzugeben. Eine Zurückverweisung ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH auch im Beschwerdeverfahren möglich (Senatsentscheidungen vom 4. Mai 2004 VII B 318/03, BFH/NV 2004, 1363, und vom 8. August 1995 VII B 61/95, BFH/NV 1996, 105).
Fundstellen