Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Frage der Betriebszerschlagung bei verkleinerter, aber weiter bewirtschafteter Betriebsfläche wegen Abfindung weichender Erben
Leitsatz (NV)
1. Wird von einer ursprünglichen land- und forstwirtschaftlichen Betriebsfläche von rd. 11 ha nur noch rd. 1 ha bewirtschaftet, muss das keine Betriebszerschlagung bewirken.
2. Bei summarischer Betrachtung kommt der Freibetrag gemäß § 14a Abs. 4 EStG auch dann noch in Betracht, wenn dem möglichen Hoferben nicht der überwiegende Teil der Nutzflächen verbleibt.
3. Der nach der Veräußerung von land- und forstwirtschaftlichen Nutzflächen verbleibende Betriebsteil ist ein vollständiger Betrieb. Das muss auch dann gelten, wenn mehrere weichende Erben durch bisher land- und fortwirtschaftlich genutzte Grundstücke abgefunden werden.
Normenkette
FGO § 69; EStG §§ 13-14, 14a Abs. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie haben drei Kinder, die Söhne A und B sowie die Tochter X.
Der Antragsteller betrieb bis 1991 auf einer bewirtschafteten Fläche von 39,06 ha Landwirtschaft; davon waren 11,036 ha Eigentumsflächen. Mit Vertrag vom 27. Juni 1991 verpachtete der Antragsteller die Eigentumsflächen an seinen Sohn A; außerdem trat dieser in die bestehenden Pachtverträge ein. Der Pachtvertrag mit dem Antragsteller sollte bis zum 30. Juni 2000 laufen und sah eine Option zur Verlängerung auf unbestimmte Zeit vor.
In den Folgejahren veräußerte der Antragsteller nach und nach den größten Teil der Flächen des Betriebes, u.a. zum 1. Oktober 1994 ein 4,2392 ha großes Flurstück sowie zum 1. September 1998 ein 1,7061 ha großes Flurstück an Dritte. Zum 31. Dezember 1995 wurde das Wohnhaus (mit einer Grundstücksfläche von 958 qm) in das Privatvermögen überführt. Außerdem übertrug der Antragsteller der Tochter X zum 1. Juli 1997 eine Fläche von 1 400 qm (Entnahmewert: 140 000 DM) und dem Sohn B zum 1. Juli 1998 eine Fläche von 918 qm (Entnahmewert 110 140 DM) sowie mit Wirkung auf den 11. November 1999 ein ideelles Drittel eines Grundstücks mit einer Fläche von 3,8076 ha. Der Antragsteller und sein Sohn B veräußerten dieses Grundstück zum 1. Oktober 2000 an fremde Erwerber.
Nach dem letzten Verkauf verblieben lediglich 0,7061 ha Waldfläche und 0,2863 ha Hof- und Gebäudefläche.
Die Waldfläche liegt nach dem Besichtigungsvermerk des Forstsachverständigen der Finanzverwaltung in … auf grundwassernahen Standorten. Sie ist zu ca. 70 % mit Erlen und zu ca. 30 % mit Birken bewachsen. Die Waldfläche wurde in den Jahren 1964 bis 1970 aufgeforstet; zuvor diente sie als Grünland dem landwirtschaftlichen Betrieb.
In den Steuererklärungen 1997 bis 1999 beantragten die Antragsteller jeweils die Berücksichtigung von Freibeträgen für die Abfindung weichender Erben nach § 14a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Im Einzelnen ging es um folgende Beträge: 1997 60 000 DM (Abfindung Tochter X), 1998 110 490 DM (Abfindungen Tochter X 60 000 DM und Sohn B 50 490 DM), 1999 60 000 DM (Abfindung Sohn B).
Der Antrags- und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die Freibeträge in den Einkommensteuerbescheiden 1997 und 1998 erklärungsgemäß. Im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer 1999 vertrat das FA die Ansicht, mit der Übertragung der letzten landwirtschaftlichen Nutzfläche zum 1. Oktober 2000 sei eine Betriebsaufgabe erfolgt. Die Forstfläche von rund 0,7 ha stelle keinen forstwirtschaftlichen Erwerbsbetrieb dar. Ein Freibetrag nach § 14a Abs. 4 EStG könne daher nicht gewährt werden. Dementsprechend setzte das FA im Einkommensteuerbescheid 1999 keinen Freibetrag an. Außerdem änderte es unter dem gleichen Datum die Einkommensteuerbescheide 1997 und 1998 unter Aberkennung der bislang berücksichtigten Freibeträge nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977).
Die Antragsteller erhoben nach erfolglos gebliebenem Einspruch Klage, die unter dem Aktenzeichen 4 K 238/03 noch beim FG anhängig ist.
Den außerdem gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte das FG ab. Es verneinte ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide. Der Beschluss wurde in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) veröffentlicht (EFG 2004, 890).
Mit der vom FG gemäß § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassenen Beschwerde machen die Antragsteller geltend, es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide. Tatsächlich sei noch eine Betriebsfläche von 0,9924 ha vorhanden. Das FG sei zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der Betrieb nicht aufgegeben worden sei. Es folge aber zu Unrecht der Auffassung der Finanzverwaltung (erstmals R 133b Abs. 1 Sätze 4 bis 6 der Einkommensteuer-Richtlinien --EStR-- 2001), dass ein gewährter Freibetrag nach § 14a Abs. 4 EStG rückwirkend zu versagen sei, wenn nicht mehr als die Hälfte der nach der Abfindung verbleibenden Nutzflächen auf den Hoferben übergehe. Wäre diese Ansicht richtig, müsste der Landwirt seinen Betrieb erst durch Veräußerungen verkleinern und sodann die weichenden Erben abfinden und nicht umgekehrt.
Auch könne der Freibetrag erst dann rückgängig gemacht werden, wenn der Hof übertragen worden sei, weil der Hof bis zur Übergabe auch wieder aufgestockt werden könnte.
Die vom FG aufgeworfenen Fragen, wer Hoferbe und wer weichender Erbe sei, hätte das FA bei den ursprünglichen Veranlagungen klären müssen. Dies sei nicht geschehen und müsse ggf. im Hauptverfahren, nicht aber im summarischen Verfahren nachgeholt werden.
Ein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 sei nicht gegeben. Bei Erlass der erstmaligen Bescheide sei die 50 %-Grenze bereits unterschritten gewesen. Dafür, dass die Änderung der Bescheide wegen neuer Tatsachen auf § 173 AO 1977 gestützt werden könnte, habe das FA nichts vorgetragen.
Die Antragsteller beantragen, die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide wie folgt auszusetzen:
|
Einkommensteuer |
Kirchensteuer |
Solidaritätszuschlag |
1997 |
… DM |
… DM |
… DM |
1998 |
… DM |
… DM |
… DM |
1999 |
… DM |
… DM |
… DM |
zuzüglich 186,00 DM Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 1999,
hilfsweise die Vollziehung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet.
1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung der Vollziehung soll u.a. erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; seitdem ständige Rechtsprechung). Die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Mai 1997 VIII B 108/96, BFHE 183, 174, m.w.N.). Sie ist daher sogar dann zu gewähren, wenn die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide später im Hauptverfahren bestätigt werden sollte.
2. Im Streitfall ist die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1997 bis 1999 bei der gebotenen summarischen Prüfung ernstlich zweifelhaft i.S. von § 69 Abs. 2 FGO.
a) Das FA räumt selbst ein, dass der im Wirtschaftsjahr 1998/1999 erfasste Entnahmegewinn bezüglich des auf den Sohn B übertragenen Flurstücks Z der Flur 3 (908 qm) zu reduzieren ist, weil der Antragsteller 420 qm des Flurstücks Z wegen der Beendigung der Nutzungswertbesteuerung steuerfrei ins Privatvermögen überführen konnte.
b) Bei der gebotenen summarischen Prüfung kann der Senat aber auch nicht davon ausgehen, dass der Antragsteller seinen eigenen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb bereits aufgegeben hat. Eine Betriebsaufgabeerklärung liegt nicht vor. Auch die Tatsache, dass von der ursprünglich rd. 11 ha umfassenden eigenen Betriebsfläche nur noch eine Fläche von insgesamt knapp 1 ha übrig geblieben ist, musste keine Zerschlagung des Betriebs bewirken. Daran ändert auch nichts, dass die Restfläche im Wesentlichen nur noch aus einer rd. 0,7 ha großen Waldfläche sowie der Hofstelle besteht und vermutlich keine eigenständige Existenzgrundlage mehr bildet. Denn diese Betriebsfläche wurde weiter bewirtschaftet (vgl. Senatsurteil vom 18. Mai 2000 IV R 27/98, BFHE 192, 287, BStBl II 2000, 524, unter 1.d). Der Antragsteller hatte den vom ihm ursprünglich bis zum Jahr 1991 selbst bewirtschafteten Betrieb im Ganzen an seinen Sohn A verpachtet und ihn dann als Verpachtungsbetrieb --offensichtlich im Einvernehmen mit dem pachtenden Sohn-- durch die gewährten Abfindungen an die beiden anderen Kinder sowie durch Veräußerungen in stetig verkleinerter Form fortgeführt (vgl. Senatsurteil vom 28. November 1991 IV R 58/91, BFHE 167, 19, BStBl II 1992, 521, unter 3.).
c) Ernstliche Zweifel bestehen auch insoweit, als das FA unter Berufung auf R 133b Abs. 1 Satz 4 EStR angenommen hat, der Freibetrag nach § 14a Abs. 4 EStG käme bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Antragsteller mehr als die Hälfte des Flächenbestandes veräußert habe, so dass dem möglichen Hoferben nicht der überwiegende Teil der Nutzflächen verblieben sei (s. auch die Bedenken von Giere in Felsmann, Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirte, D 294 c). Denn selbst wenn ein als Verpachtungsbetrieb fortgeführter land- und forstwirtschaftlicher Betrieb durch Veräußerungen gleichsam halbiert wird, wird er dadurch nicht zerschlagen (Senatsurteil vom 21. September 2000 IV R 29/99, BFH/NV 2001, 433, unter 5.). Denn der nach den einzelnen Veräußerungen der Nutzflächen jeweils verbleibende Betriebsteil ist ein vollständiger Betrieb (vgl. Senatsurteil vom 9. November 2000 IV R 60/99, BFHE 193, 433, BStBl II 2001, 101). Bei einer Verkleinerung des Betriebs durch Entnahmen für Abfindungen an weichende Erben i.S. von § 14a Abs. 4 EStG kann letztlich nichts anderes gelten; denn weder die Buchwertfortführung i.S. von § 7 Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1997 (nun § 6 Abs. 3 EStG) noch der Freibetrag nach § 14a Abs. 4 EStG sind davon abhängig, dass das Abfindungsgrundstück eine bestimmte Größe nicht überschreitet (Senatsurteil vom 9. Mai 1996 IV R 77/95, BFHE 180, 391, BStBl II 1996, 476, unter 2.c). Es liegt zudem auf der Hand, dass sich die Betriebsfläche stark verringern kann, wenn mehrere weichende Erben abgefunden werden müssen (zur Abfindung mehrerer Erben s. im Übrigen das Senatsurteil vom 18. Juni 1998 IV R 9/98, BFHE 186, 368, BStBl II 1998, 623).
d) Nach den in Kopie vorgelegten Verträgen mit den Kindern B und X ist auch davon auszugehen, dass diese ihre Abfindungen erhalten haben, weil sie den Hof nicht erben werden.
e) Selbst wenn durch die Veräußerungen einerseits und die Abfindungen andererseits die verbleibende Betriebsfläche stark verringert worden ist, so ist dadurch eine Betriebsfortführung und damit eine Hoferbfolge nicht ausgeschlossen. Unter diesen Umständen ist --zumindest im summarischen Verfahren-- nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Wahrheit auch dem mutmaßlichen Hofnachfolger eine Kapitalabfindung zukommen lassen wollte oder will. Deshalb kann hier schließlich offen bleiben, ob die Einkommensteuerbescheide 1997 und 1998 nach § 173 oder § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 geändert werden durften.
3. Unter diesen Umständen ist auch die Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 1999 ernstlich zweifelhaft.
Fundstellen
Haufe-Index 1345128 |
BFH/NV 2005, 1042 |