Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine grundsätzliche Bedeutung einer allgemeinen Rechtsfrage zum Umfang tatsächlicher Verständigung
Leitsatz (NV)
Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob eine tatsächliche Verständigung auch entgegen der ―erst später zutage getretenen― Aktenlage zulässig ist, genügt die allgemeine Behauptung, der BFH habe über einen vergleichbaren Sachverhalt noch nicht entschieden, nicht.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 3
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gegen einen Abrechnungsbescheid abgewiesen, weil die streitige Einkommensteuer-Abschlußzahlung für das Jahr 1976 im Jahr 1996 noch nicht durch Eintritt der Zahlungsverjährung erloschen gewesen sei. Der Ablauf der Zahlungsverjährung sei durch die in den Jahren 1979, 1983 und 1993 wirksam bekanntgegebenen Verfügungen über die Aussetzung der Vollziehung (AdV) jeweils unterbrochen worden. Die Kläger könnten sich nicht darauf berufen, es bestehe zwischen ihnen und dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) eine bindende tatsächliche Verständigung aus dem Jahre 1987 dahingehend, daß ein Einspruch für das Jahr 1976 nicht vorliege. Hierbei handele es sich um eine Rechtsfrage, die der tatsächlichen Verständigung nicht zugänglich sei. Die Einforderung des Steueranspruchs erst im Jahre 1996 verletze den Grundsatz von Treu und Glauben nicht, weil die Steuerpflichtigen keine Vermögensdispositionen im Vertrauen darauf, daß das FA die Steuer nicht mehr geltend machen werde, getroffen hätten.
Die gegen die Nichtzulassung der Revision durch das FG erhobene Beschwerde stützen die Kläger auf grundsätzliche Bedeutung.
Die Beschwerde behauptet die grundsätzliche Bedeutung folgender Rechtsfragen:
a) ob eine tatsächliche Verständigung mit dem FA auch über solche Tatsachenfragen zulässig sei, die nicht den materiell-rechtlichen Steueranspruch selbst betreffen, sondern verfahrensrechtliche Bedeutung haben, wie z.B. die Tatsache, ob ein Einspruch eingelegt worden ist oder nicht, ob ein Einspruch zurückgenommen wurde oder nicht oder ähnliche verfahrensrechtliche Fragen,
b) ob das einvernehmliche jahrelange Nichtbetreiben eines Einspruchsverfahrens durch das FA und den Steuerpflichtigen der formellen Beendigung des Einspruchsverfahrens durch Rücknahme des Einspruchs gleichzustellen sei, wenn die Beteiligten irrtümlich vom Nichtvorhandensein eines Einspruchs ausgegangen seien,
c) ob das FA nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet ist, sich so behandeln zu lassen, als wäre ein Einspruch zurückgenommen worden, wenn es die Auskunft gegeben habe, ein solcher sei nicht anhängig, und der Steuerpflichtige darauf vertraut habe.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig, weil die Kläger die grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfragen nicht i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) schlüssig dargelegt haben.
Der Senat hat bereits Bedenken, ob mit der weitgesteckten Formulierung der für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Rechtsfragen dem Erfordernis nach Herausarbeitung einer oder mehrerer bestimmter Rechtsfragen, die in dem angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden sollen, Genüge getan ist (zu diesem Erfordernis vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 16. März 1994 II B 102/93, BFH/NV 1995, 34; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rz. 8, 61).
Die Beschwerde legt jedenfalls nicht dar, aus welchen Gründen die für die Beurteilung des Streitfalles für maßgeblich gehaltenen Rechtsfragen das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berühren und warum die bezeichneten Rechtsfragen über den Einzelfall hinaus von erheblicher Bedeutung sind, so daß sie einer Klärung durch das angestrebte Revisionsverfahren bedürfen. Diese Voraussetzungen muß die Beschwerde schlüssig darlegen (vgl. BFH-Beschluß vom 29. Juli 1998 XI B 142/97, BFH/NV 1999, 72).
Der BFH hat ―wie die Kläger selbst vortragen― die Frage nach dem möglichen Inhalt einer tatsächlichen Verständigung dahingehend entschieden, daß eine solche über Rechtsfragen nicht zulässig ist (BFH-Urteile vom 14. September 1994 I R 125/93, BFH/NV 1995, 369, und vom 31. Juli 1996 XI R 78/95, BFHE 181, 103, BStBl II 1996, 625. Die Beschwerde läßt jegliche Ausführungen dazu vermissen, ob und aus welchen Gründen in der Literatur oder Rechtsprechung der FG die Auffassung vertreten wird, die Begrenzung der Möglichkeit "tatsächlicher Verständigung" durch die Rechtsprechung des BFH auf Unklarheiten im Tatsächlichen (vgl. BFHE 181, 103, BStBl II 1996, 625) sei zu eng gefaßt und es bedürfe deshalb einer weiteren Klärung im Hinblick auf die von den Klägern für den Streitfall angestrebte Möglichkeit einer tatsächlichen Verständigung entgegen der ―wenn auch erst später zutage getretenen― wirklichen Aktenlage. Das Interesse der Allgemeinheit an der Klärung einer solchen Rechtsfrage macht die Beschwerde nicht deutlich. Mit den allgemein gehaltenen Behauptungen, der BFH habe über einen vergleichbaren Sachverhalt wie im Streitfall noch nicht entschieden und es könne sowohl für die Finanzbehörde als auch den Steuerpflichtigen eine erhebliche Erleichterung mit sich bringen, wenn über schwer zu klärende tatsächliche Fragen mit verfahrensrechtlicher Auswirkung eine tatsächliche Verständigung getroffen werden könnte, ist die grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfragen nicht dargelegt (vgl. BFH-Beschluß vom 30. November 1989 V B 142/88, BFH/NV 1990, 785).
Schließlich tragen die Kläger nicht vor, daß die angegebenen Rechtsfragen in dem erstrebten Revisionsverfahren überhaupt geklärt werden könnten. Hinzu kommt, daß das Urteil des FG auf mehreren, die Entscheidung tragenden rechtlichen Gesichtspunkten beruht. In diesem Falle muß für jeden dieser Gründe ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO vorgetragen werden (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluß vom 22. August 1997 III B 32/97, BFH/NV 1998, 333, m.w.N.). Das FG hat seine Entscheidung in erster Linie damit begründet, daß schon die mehrfach wirksam ausgesprochenen Aussetzungen der Vollziehung der geänderten Einkommensteuerbescheide für das Jahr 1976 eine Unterbrechung des Laufs der Zahlungsverjährung bewirkt und damit deren Eintritt verhindert habe. Hierzu macht die Beschwerde keinen Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO geltend, sondern trägt nur vor, mit der Beantwortung der Frage, ob ein Einspruchsverfahren durch die übereinstimmende Auffassung von FA und Steuerpflichtigen, daß ein Einspruch nicht eingelegt worden sei, ende, müsse auch die Unterbrechung des Verjährungslaufs durch AdV enden, auch wenn die AdV nicht ausdrücklich aufgehoben worden sei. Von dieser Rechtsauffassung ist aber das FG ersichtlich nicht ausgegangen.
Die grundsätzliche Bedeutung der von der Beschwerde hervorgehobenen Rechtsfrage, ob das FA nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet sei, sich so behandeln zu lassen, als wäre ein Einspruch zurückgenommen worden, wenn es die Auskunft gegeben habe, ein Einspruch sei nicht anhängig, wird lediglich behauptet. Dies reicht zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht aus (zu den Darlegungserfordernissen vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 58).
Fundstellen
Haufe-Index 302482 |
BFH/NV 1999, 1598 |