Entscheidungsstichwort (Thema)
Körperschaftsteuer Sonstiges Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ist eine Kapitalgesellschaft, die in mehreren Staaten Vermögen hat, in einem Staat enteignet worden, so beschränkt sich die Wirkung der Enteignung auf das Territorium des Staates, der die Enteignung angeordnet hat. Im übrigen besteht die Kapitalgesellschaft fort.
Ist für das in der Bundesrepublik gelegene Vermögen einer in einem anderen Staat enteigneten Kapitalgesellschaft ein Abwesenheitspfleger bestellt, so kann dessen Tätigkeit nur dann durch Ausübung einer Geschäftsleitung die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht begründen (§ 1 Abs. 1 KStG in Verbindung mit § 15 Abs. 1 StAnpG), wenn sich sein Wirkungsbereich auf sämtliche Staaten erstreckt, in denen die Kapitalgesellschaft nicht nur geringfügiges Vermögen hat.
Normenkette
KStG §§ 1-2, 6; KStDV § 15; EStG § 49
Tatbestand
Streitig ist, ob die Revisionsbeklagte (AG), eine Aktiengesellschaft tschechischen Rechts, in der Bundesrepublik beschränkt oder unbeschränkt Körperschaftsteuerpflichtig ist.
Die AG, die ihren Sitz in Prag hatte, wurde im Jahre 1945 durch den tschechoslowakischen Staat entschädigungslos enteignet. Sie hat in der Bundesrepublik Bankguthaben. Der Wirkungskreis des für die AG gerichtlich bestellten Abwesenheitspflegers umfaßt die Besorgung der Vermögensangelegenheiten der AG innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Die AG hat auch mindestens noch in einem anderen europäischen Land Vermögen. Hierfür wurde ebenfalls ein Pfleger bestellt. Die Pfleger verwalten das Vermögen jeweils selbständig und unabhängig voneinander. Der Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) behandelte die AG, der in den Streitjahren aus ihren inländischen Bankguthaben Zinsen zugeflossen sind, mit diesen als unbeschränkt steuerpflichtig.
Gegen die Bescheide 1958 bis 1960 und 1961 richteten sich die Sprungberufungen der AG, mit denen sie ihre unbeschränkte Steuerpflicht in der Bundesrepublik mit der Begründung bestreitet, sie habe hier weder Sitz noch Geschäftsleitung. Die Tätigkeit des Pflegers könne eine Geschäftsleitung nur begründen, wenn der Pfleger die für den Bestand und die Entwicklung des Gesamtunternehmens wesentlichen geschäftlichen Entscheidungen getroffen hätte. Dies sei jedoch nicht der Fall, da in den Streitjahren mehrere Pfleger bestellt gewesen seien, die völlig unabhängig voneinander Teile des Vermögens der AG verwaltet hätten.
Die Berufungen führten zur Aufhebung der Körperschaftsteuerbescheide der Jahre 1958 bis 1960 und 1961.
Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 1965 S. 75 veröffentlicht ist, verneinte eine inländische Geschäftsleitung. Es führte aus: Zwar habe die entschädigungslose Enteignung der AG in der CSSR für die Bundesrepublik keine Auswirkungen. Jedoch begründe die Tatsache allein, daß sich Vermögen der enteigneten Gesellschaft in der Bundesrepublik befinde und hier verwaltet werde, die unbeschränkte Steuerpflicht nicht. Diese wäre höchstens dann anzunehmen, wenn festgestellt werden könnte, daß sich sämtliche von der Enteignung nicht erfaßten Vermögenswerte hier befinden. In einem solchen Fall könnte möglicherweise von einer durch die Verhältnisse erzwungenen Verlegung der Geschäftsleitung gesprochen werden. Dies könne jedoch nicht angenommen werden, wenn feststehe, daß Vermögen der enteigneten Gesellschaft in mehr als einem Staat vorhanden sei. Das in der Bundesrepublik befindliche Vermögen sei auch kein Zweckvermögen (§ 1 Abs. 1 Ziff. 5 KStG), da es weder bestimmten Zwecken gewidmet worden noch aus dem Vermögen der AG ausgeschieden sei. Es bilde zusammen mit den in anderen Ländern befindlichen Vermögenswerten das Vermögen der AG.
Hiergegen richten sich die Rbn. des Vorstehers des FA (Revisionen des FA), mit denen unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts gerügt wird. Das FA führt aus, die AG sei nur für den Bereich der Bundesrepublik als ein einheitliches und in sich geschlossenes Rechtsgebilde anzusehen. Ihre Existenz beruhe allein auf dem im Bundesgebiet gelegenen Vermögen und dessen Verwaltung. Es komme nicht darauf an, ob die AG auch in anderen Ländern der westlichen Welt Vermögen besitze und deshalb auch unabhängig von den Staatsgrenzen als Ganzes fortbestehend angesehen werden müßte.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen werden zur gemeinsamen Sachentscheidung verbunden. Sie führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG.
Die Vorinstanz hat die AG zu Recht als körperschaftsteuerpflichtige Kapitalgesellschaft im Sinne des Körperschaftsteuerrechts angesehen. Sie ist zutreffend davon ausgegangen, daß die entschädigungslose Enteignung der AG in der CSR auf die Bundesrepublik keine Auswirkung hat, die AG mithin als Rechtspersönlichkeit bestehengeblieben ist. Es entspricht den gefestigten Grundsätzen der zivilgerichtlichen Rechtsprechung, daß Enteignungen auf das Gebiet desjenigen Staates beschränkt bleiben, der die Enteignung angeordnet hat (Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - I ZR 123/50 vom 1. Februar 1952, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1952 S. 540; II ZR 318/55 vom 11. Juli 1957, NJW 1957 S. 1433; VII ZR 165/58 vom 12. November 1959, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen - BGHZ - Bd. 31 S. 168; VII ZR 92/58 vom 5. Mai 1960, Juristenzeitung 1960 S. 703). Soweit die Besteuerung ebenfalls auf die Rechtspersönlichkeit abstellt, ist der Bundesfinanzhof (BFH) diesen Grundsätzen gefolgt (Urteile I 57/56 U vom 24. August 1956, BStBl 1956 III S. 289, Slg. Bd. 63 S. 241; III 229/56 U vom 18. Mai 1957, BStBl 1957 III S. 243, Slg. Bd. 65 S. 28).
Die Auffassung der Vorinstanz, die AG sei in der Bundesrepublik nicht unbeschränkt steuerpflichtig, weil sie hier weder Sitz noch Geschäftsleitung hat (§ 1 Abs. 1 Ziff. 1 KStG in Verbindung mit § 15 Abs. 1 StAnpG), begegnet ebenfalls keinen Bedenken.
Zwar hat der BFH in den Urteilen I 57/56 U (a. a. O ) und III 229/56 U (a. a. O.) ausgeführt, daß die Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft auch durch einen Abwesenheitspfleger, der in der Bundesrepublik für das Vermögen einer in der Sowjetischen Besatzungszone oder im Ausland enteigneten Kapitalgesellschaft eingesetzt worden ist, ausgeübt werden kann. Diese Urteile betreffen jedoch Fälle, in denen die enteignete Kapitalgesellschaft lediglich in der Bundesrepublik Vermögen hatte, für das ein Abwesenheitspfleger bestellt worden war. Im Streitfall ist nach den unwidersprochen gebliebenen tatsächlichen Feststellungen des FG jedoch davon auszugehen, daß die AG auch in mindestens einem anderen Staat, nämlich in österreich, ins Gewicht fallendes, jedenfalls nicht nur geringfügiges Vermögen hat, das dort ebenfalls von einem Pfleger selbständig verwaltet wird. Diesem Umstand kommt für die Beurteilung, ob die Tätigkeit des inländischen Pflegers als Ausübung der Geschäftsleitung gewertet werden kann, wesentliche Bedeutung zu. Das KStG versteht unter Kapitalgesellschaft ein Gebilde mit einer bestimmten gesellschaftsrechtlichen Form (vgl. § 1 Abs. 1 Ziff. 1 KStG) und unterwirft dieses einer einheitlichen steuerlichen Beurteilung. Die AG ist als Rechtsgebilde des Gesellschaftsrechts insoweit untergegangen, als die Wirkung des Enteignungsakts in der CSR reicht. Dieser beschränkt sich nach den oben dargelegten, von den Zivilgerichten entwickelten Grundsätzen nach dem Territorialprinzip auf das Hoheitsgebiet der CSR. Daraus folgt, daß die AG nicht etwa - wie das FA meint - nur in der Bundesrepublik wegen des hier gelegenen Vermögens als fortbestehend gilt, sondern mit Ausnahme der CSR rechtlich in vollem Umfang weiterbesteht. Ihr rechtlicher Wirkungsbereich erstreckt sich daher mithin mindestens auf die Bundesrepublik und österreich, da sie in beiden Staaten Vermögen hat.
Reicht die rechtliche Existenz der AG über den Raum der Bundesrepublik hinaus und kann sie auch körperschaftsteuerlich nur als Ganzes beurteilt werden, so könnte eine Geschäftsleitung in der Bundesrepublik nur dann angenommen werden, wenn sich der Wirkungskreis des hier bestellten Pflegers auf ihren gesamten oder jedenfalls den wesentlichen Rechtsbereich erstrecken würde. Das ist nicht der Fall. Die Annahme mehrerer örtlich begrenzter Geschäftsleitungen für ein und dieselbe Kapitalgesellschaft wäre mit dem Sinn des Begriffes Geschäftsleitung in § 1 Abs. 1 KStG nicht vereinbar. Durch das Merkmal der Geschäftsleitung soll unter mehreren Orten, zu denen die Kapitalgesellschaft eine Beziehung hat, der dominierende Schwerpunkt bestimmt werden, der für die Zuordnung der Kapitalgesellschaft als Ganzes zur unbeschränkten Steuerpflicht in der Bundesrepublik den Ausschlag gibt. Dieser Schwerpunkt kann bei sinngerechter Beurteilung nicht an mehreren Orten zugleich bestehen. Er liegt im Streitfall jedenfalls nicht im Inland. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine Geschäftsleitung der AG außerhalb der Bundesrepublik Deutschland besteht oder etwa vorübergehend ebensowenig feststellbar ist, wie der Sitz der Gesellschaft.
Gleichwohl sind die Vorentscheidungen aufzuheben, da die Vorinstanz nicht geprüft hat, ob die AG in der Bundesrepublik (§ 6 Abs. 1 KStG, § 15 KStDV, § 49 Abs. 1 EStG) beschränkt steuerpflichtig ist (§ 2 Abs. 1 Ziff. 1 KStG).
Bei der Prüfung, wie die Einkünfte der AG, die für die beschränkte Besteuerung in der Bundesrepublik in Frage kommen, einzuordnen sind, kann indes nicht davon ausgegangen werden, daß sämtliche Einkünfte, die die AG in der Bundesrepublik bezogen hat, ohne weiteres Einkünfte aus Gewerbebetrieb sind (§ 49 Abs. 1 Ziff. 2 EStG). Nach der sog. isolierenden Betrachtungsweise kommt es für die Einordnung der Einkünfte unter die Fälle des § 49 Abs. 1 EStG nicht ausschlaggebend darauf an, daß das zu besteuernde Rechtssubjekt eine Kapitalgesellschaft ist (BFH-Urteile I 112/57 S vom 20. Januar 1959, BStBl 1959 III S. 133, Slg. Bd. 68 S. 340; I 153/61 S vom 29. Januar 1964, BStBl 1964 III S. 165, Slg. Bd. 78 S. 428). Voraussetzung für die Anwendung des § 49 Abs. 1 Ziff. 2 EStG wäre vielmehr, daß sich die AG im Inland gewerblich betätigt hätte. Dies könnte auch durch den Abwesenheitspfleger als ständigen Vertreter geschehen sein. Indes kann aus der Tatsache allein, daß ein Abwesenheitspfleger das Vermögen der AG verwaltet, noch nicht auf eine gewerbliche Betätigung geschlossen werden. Im Streitfall wird insbesondere auch zu prüfen sein, ob die AG Einkünfte aus Kapitalvermögen bezogen hat, die unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Ziff. 5 EStG der beschränkten Steuerpflicht unterliegen.
Fundstellen
Haufe-Index 412028 |
BStBl III 1966, 207 |
BFHE 84, 570 |
DB 1966, 768 |