Unionsrechtmäßigkeit der Fondsbesteuerung nach dem InvStG 2004
Hintergrund: Gesetzliche Regelungen
Nach § 2 Nr. 1 KStG (i. d. F. der Streitjahre 2008 bis 2010) sind Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland haben, beschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Da der persönliche Anwendungsbereich in § 2 KStG nicht näher definiert wird, ist der Bedeutungsgehalt der Begriffe unter Heranziehung des § 1 Abs. 1 KStG, der im Einleitungssatz dieselbe Formulierung verwendet und sodann eine Aufzählung der einzelnen Körperschaftsteuersubjekte vornimmt, näher zu bestimmen.
Ein nicht rechtsfähiges sonstiges Zweckvermögen des privaten Rechts i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG stellt eine Vermögensmasse dar und unterliegt – abhängig von Sitz und Geschäftsleitung – der unbeschränkten oder der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht.
Ausländische Gebilde unterliegen der unbeschränkten oder beschränkten Körperschaftsteuerpflicht nur dann, wenn sie nach ihrer wirtschaftlichen und rechtlichen Struktur – ungeachtet einer ggf. nach ausländischem Recht bestehenden Rechtspersönlichkeit – einem deutschen Körperschaftsteuersubjekt entsprechen (sogenannter Typenvergleich).
Sachverhalt: Beschränkte Steuerpflicht eines nach Luxemburger Recht gegründeten Fonds
Der Kläger ist ein nach luxemburgischem Recht errichteter Fonds für gemeinsame Anlagen (fonds commun de placement – FCP) in der Ausgestaltung eines spezialisierten Anlagefonds (fonds d'investissement spécialisé – SIF), der im Jahr 2008 aufgelegt worden ist und der Investmentaufsicht in Luxemburg (Commission de Surveillance du Secteur Financier – CSSF) unterliegt. Der Fonds hat – ebenso wie zwei institutionelle Anleger – weder Sitz noch Geschäftsleitung in Deutschland.
Bei einem SIF-FCP handelt es sich um eine von der CSSF genehmigte ungeteilte Gesamtheit von Vermögensgegenständen, die nach dem Grundsatz der Risikostreuung strukturiert ist und von einer Verwaltungsgesellschaft für Rechnung der Gemeinschaft der Anleger verwaltet wird. Die Haftung der Anleger ist auf ihre Einlage beschränkt und die Rechte der Anleger werden in ihren Anteilen verkörpert. Ein SIF-FCP hat keine eigene Rechtspersönlichkeit und wird in Luxemburg nicht besteuert (mit Ausnahme der von den bürgerlich-rechtlichen Gesellschaften und den Handelsgesellschaften zu entrichtenden Kapitalverkehrsteuer und der Zeichnungssteuer), wobei Ausschüttungen in Luxemburg keiner Quellensteuer unterliegen und bei nichtansässigen Empfängern nicht besteuert werden.
Der Kläger wurde ohne Börsennotierung als geschlossener Immobilienfonds zunächst für zehn Jahre (mit Verlängerungsoption um ein Jahr) errichtet. Bei Beendigung werden alle Immobilieninvestitionen, die nicht bereits verwertet wurden, liquidiert und die Verkaufserlöse an die Anleger ausgeschüttet. Der Verwaltungsgesellschaft ist es untersagt, das Portfolio insgesamt oder teilweise in Form einer Sachausschüttung auszuschütten. Vor Ablauf der Vertragslaufzeit des Klägers ist ein Rücknahmeverlangen der Anleger unzulässig. Die Verwaltungsgesellschaft darf Barerlöse nach ihrem Ermessen entweder ausschütten oder im Hinblick auf die Rücknahme der Anteile während der Laufzeit des Klägers oder bei Abwicklung des Klägers thesaurieren.
Verwaltet wird der Fonds durch eine Managementgesellschaft. Hierbei handelt es sich um eine nach luxemburgischem Recht gegründete und im Luxemburger Handels‑ und Gesellschaftsregister eingetragene GmbH mit Sitz in Luxemburg, der die Genehmigung durch die CSSF erteilt wurde. Zweck der Managementgesellschaft ist die Einrichtung, Verwaltung und Leitung des Fonds.
Die Managementgesellschaft erwarb mit Verträgen vom 31.3.2008 bzw. 1.4.2008 im eigenen Namen, jedoch handelnd als Verwaltungsgesellschaft für Rechnung des Klägers, ein Immobilienportfolio (1.241 in Deutschland belegene Immobilien aus dem Vermögen der A AG, die nach dem Erwerb vermietet und später teilweise verkauft wurden). Besitz, Nutzen und Lasten der Objekte gingen im Jahr 2008 über. Aus der Vermietung (sowie der Veräußerung einzelner) der vorgenannten Immobilien erzielte der Kläger in den Jahren 2008 bis 2010 Einkünfte. Im Herbst 2010 tätigte der Kläger die ersten Ausschüttungen. In den nicht den Streitzeitraum betreffenden Folgejahren erfolgten weitere Ausschüttungen.
Im Juli 2013 reichte der Kläger Steuererklärungen für die Streitjahre nach Maßgabe beschränkter Körperschaftsteuerpflicht ein. Zugleich bestritt er, körperschaftsteuerpflichtig zu sein. Das Finanzamt (FA) ging dagegen von einer beschränkten Körperschaftsteuerpflicht aus und setzte Körperschaftsteuer (im Streitjahr 2019 allerdings mit 0 EUR) fest.
Nach der erfolglosen Durchführung des Einspruchsverfahrens bestätigte das daraufhin angerufene FG Münster in seinem klageabweisenden Urteil vom 20.4.2017, 10 K 3059/14 K die Rechtsauffassung des FA im Wesentlichen.
Entscheidung: Revision ist begründet
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des FG-Urteils sowie zur Klagestattgabe. Dem Kläger ist aus unionsrechtlichen Gründen die Steuerbefreiung nach § 11 Abs. 1 Satz 2 InvStG (i. d. F. der Streitjahre) zu gewähren.
Klägerin unterliegt der inländischen beschränkten KSt-Pflicht
Nach den Maßstäben des innerstaatlichen Rechts unterliegt der Kläger als ausländisches sonstiges Zweckvermögen der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht.
Es ist in der Literatur umstritten, ob die Regelung in § 11 Abs. 1 Satz 1 InvStG 2004, wonach das inländische Sondervermögen als Zweckvermögen i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG gilt, konstitutiv die Körperschaftsteuerrechtssubjektivität eines Fonds begründet oder ob dieser Bestimmung lediglich deklaratorische Bedeutung zukommt. Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.
Der Kläger als luxemburgischer FCP entspricht von seinem Typus her einem inländischen Investmentfonds und ist daher als sonstiges Zweckvermögen mit seinen inländischen Einkünften gemäß § 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG beschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des FG handelt es sich bei dem Kläger um eine ungeteilte Gesamtheit von Vermögensgegenständen, die nach dem Grundsatz der Risikostreuung strukturiert ist und von einer Verwaltungsgesellschaft für Rechnung der Anleger verwaltet wird.
Eine Verfügungsberechtigung über die Gegenstände des Sondervermögens steht den Anlegern nicht zu. Diese sind durch einen Anteilsschein beteiligt und grundsätzlich besteht nach luxemburgischem Recht auch die Möglichkeit der Anteilsrückgabe. Dass dieses Recht im Streitfall für zehn Jahre ausgeschlossen war, ändert zum einen nichts an der grundsätzlichen typologischen Vergleichbarkeit des SIF-FCP mit einem deutschen Spezialfonds, führt zum anderen aber, wie vom FG zutreffend erkannt, zur Einordnung des Klägers als sonstiges Zweckvermögen i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG.
§ 3 Abs. 1 KStG schließt Körperschaftsteuerpflicht nicht aus
Der Große Senat des BFH sieht in § 3 Abs. 1 KStG nur einen Auffangtatbestand für nicht rechtsfähige Personenvereinigungen und Vermögensmassen, zu denen auch die sonstigen nicht rechtsfähigen Zweckvermögen gehören. Bereits diese Einordnung des § 3 Abs. 1 KStG als subsidiäre Vorschrift spricht dagegen, einem Gebilde, dessen Körperschaftsteuerpflicht sich bereits aus der unmittelbaren Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 2 Nr. 1 KStG ergibt, aufgrund des § 3 Abs. 1 KStG als nicht körperschaftsteuerpflichtig anzusehen.
Steuerbefreiung nach § 11 Abs. 1 Satz 2 InvStG aus unionsrechtlichen Gründen zu gewähren
Die Voraussetzungen für die Anwendung der in § 11 Abs. 1 Satz 2 InvStG 2004 enthaltenen Steuerbefreiung zugunsten des Klägers sind nach dem Wortlaut der Vorschrift zwar nicht erfüllt. Denn danach ist nur das in Satz 1 der genannten Regelung angesprochene inländische Sondervermögen von der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer befreit.
Allerdings hat der für die Auslegung des Unionsrechts zuständige EuGH mit dem aufgrund des Vorlagebeschlusses des BFH im Rahmen des vorliegenden Verfahrens ergangenen Urteil L Fund vom 27.4.2023, C-537/20, EU:C:2023:339 (IStR 2023, S. 355) entschieden, dass Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i. d. F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – AEUV – (Amtsblatt der Europäischen Union 2008, Nr. C 115, 47) dahin auszulegen ist, dass er den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach denen gebietsfremde Spezialimmobilienfonds für Immobilieneinkünfte, die sie auf dem Staatsgebiet dieses Mitgliedstaats beziehen, teilweise körperschaftsteuerpflichtig sind, gebietsansässige Spezialimmobilienfonds hingegen von dieser Steuer befreit sind.
Damit ist dem Kläger aus unionsrechtlichen Gründen die Steuerbefreiung des § 11 Abs. 1 Satz 2 InvStG 2004 einzuräumen. Entgegen der Auffassung des BMF kann die Gewährung der Steuerbefreiung nicht von der Voraussetzung abhängig gemacht werden, dass es zu einer mit inländischen Strukturen vergleichbaren Anlegerbesteuerung kommt.
Hinweis: Bindungswirkung durch Vorabentscheidung des EuGH
Der BFH und die konkret am vorliegenden Rechtsstreit Beteiligten sind an die im Revisionsverfahren eingeholte Vorabentscheidung des EuGH gebunden und daher nicht befugt, von der Antwort des EuGH abzuweichen. Der Tenor des EuGH-Urteils L Fund vom 27.4.2023, C-537/20 ist im Lichte seiner Entscheidungsgründe auszulegen. Gemessen daran kann kein Zweifel bestehen, dass der EuGH den Ausschluss des Steuerpflichtigen von der Steuerbefreiung des § 11 Abs. 1 Satz 2 InvStG 2004 als einen Verstoß gegen die unionsrechtlich verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit erachtet hat. Um den Anwendungsvorrang des Primärrechts der Union sicherzustellen, muss das Tatbestandsmerkmal „inländisch“ in § 11 Abs. 1 Satz 1 InvStG 2004, auf das Satz 2 der Regelung unmittelbar Bezug nimmt, zugunsten des Steuerpflichtigen unbeachtet bleiben, die Norm ist aber im Übrigen zur Anwendung zu bringen.
Revisionsbegehren ist im Hauptantrag zu entsprechen
§ 11 Abs. 1 Satz 2 InvStG 2004, der aus unionsrechtlichen Gründen beim Kläger zur Anwendung kommt, gewährt eine persönliche Steuerbefreiung. In einem solchen Fall darf ein Körperschaftsteuerbescheid, selbst wenn mit ihm eine Steuer von 0 EUR festgesetzt wird, nicht ergehen. Ergeht er dennoch, ist er ersatzlos aufzuheben.
BFH, Urteil v. 11.10.2023, I R 23/23; veröffentlicht am 1.2.2024
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