Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung von Wohnungseigentum als Ein- oder Zweifamilienhaus
Leitsatz (NV)
1. Das grundsätzlich zum Grundvermögen gehörende Wohnungseigentum (vgl. § 68 Abs. 1 Nr. 3 BewG) bildet nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BewG eine wirtschaftliche Einheit und gilt damit als ein Grundstück i. S. des BewG (§ 70 Abs. 1 BewG).
2. Zum Sinn und Zweck der Fiktion des § 93 Abs. 1 Satz 1 BewG.
3. Die Fiktion des § 93 Abs. 1 Satz 1 BewG schließt nicht die allgemeinen Abgrenzungsregeln für die Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit als Bewertungsgegenstand aus, wie sie in § 2 und § 70 Abs. 2 BewG normiert sind.
4. Zwei Wohnungen, die mit nur einem Miteigentumsanteil verbunden sind, werden grundsätzlich zu einer wirtschaftlichen Einheit i. S. des BewG zusammengefaßt. Eine Ausnahme liegt dann vor, wenn der tatsächliche Befund der Verkehrsanschauung entgegensteht; ein solcher Fall kann gegeben sein, wenn mit einem Miteigentumsanteil das Sondereigentum an mehreren Wohnungen verbunden ist, die zusammen keine geschlossene Einheit bilden.
Normenkette
BewG §§ 2, 68 Abs. 1 Nr. 3, §§ 70, 93; WEG § 1 Abs. 5, § 5
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Eheleute A waren Eigentümer eines bebauten Grundstücks. Durch Teilungserklärung vom 28. Februar 1980 haben sie das Grundstück gemäß § 8 WEG in Wohnungseigentum geteilt, und zwar 1/3 Miteigentumsanteil verbunden mit dem Sondereigentum an der Wohnung im Obergeschoß und 2/3 Miteigentumsanteil verbunden mit dem Sondereigentum an den Wohnungen im Erd- und Kellergeschoß. Am selben Tag verkauften sie den 2/3 Miteigentumsanteil verbunden mit dem Sondereigentum an den Wohnungen im Erd- und Kellergeschoß an die Kl. als Miteigentümer unter sich zu gleichen Teilen. Die Wohnung im Erdgeschoß wurde durch die Kl. selbst genutzt. Die Kellergeschoßwohnung ist vermietet. Auf den 1. Januar 1981 nahm das FA eine Nachfeststellung vor und stellte mit Bescheid vom 28. August 1981 den Einheitswert auf . . . DM und die Grundstücksart Zweifamilienhaus fest.
Im Hinblick auf den Erlaß der obersten Finanzbehörden der Länder vom 20. Oktober 1981 (BStBl I 1981, 640) kam das FA zu der Überzeugung, die Bewertung des Wohnungseigentums der Kl. zum 1. Januar 1981 sei fehlerhaft, weil es sich trotz Zusammenfassung zu einem Wohnungseigentum um zwei wirtschaftliche Einheiten handele. Mit Art- und Wertfortschreibungsbescheid zur Fehlerbeseitigung vom 30. März 1982 stellte es den Einheitswert auf den 1. Januar 1982 für die Erdgeschoßwohnung auf . . . DM und die Grundstücksart Einfamilienhaus fest. Mit einem weiteren Bescheid vom selben Tage stellte es im Wege der Nachfeststellung zum 1. Januar 1982 einen Einheitswert für die Kellergeschoßwohnung und die Grundstücksart als Einfamilienhaus fest.
Mit der nach erfolgloser Durchführung des Einspruchsverfahrens erhobenen Klage begehren die Kl. die Aufhebung des Art- und Wertfortschreibungsbescheids. Das FG hat der Klage mit dem in EFG 1986, 436 veröffentlichten Urteil stattgegeben.
Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt das FA, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen. Es rügt Verletzung der §§ 2, 93 BewG.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet.
1. Das grundsätzlich zum Grundvermögen gehörende Wohnungseigentum (vgl. § 68 Abs. 1 Nr. 3 BewG) bildet nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BewG eine wirtschaftliche Einheit und gilt damit als ein Grundstück im Sinne des BewG (§ 70 Abs. 1 BewG). Sinn und Zweck der Fiktion des § 93 Abs. 1 Satz 1 BewG besteht einmal darin, den Besonderheiten der Rechtsfigur des Wohnungseigentums bewertungsrechtlich Rechnung zu tragen, indem das Wohnungseigentum aus der Einheit des bebauten Grundstücks herausgenommen und diesem gegenüber verselbständigt wird (vgl. Senatsurteil vom 18. September 1985 II R 232/84, BFHE 144, 454, BStBl II 1985, 705). Zum anderen wird dadurch klargestellt, daß das Sondereigentum an der Wohnung (zum Gegenstand des Sondereigentums vgl. § 5 Abs. 1 WEG) und der Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum (§ 1 Abs. 5, § 5 Abs. 2, 3 WEG) nicht getrennt, sondern als Einheit zu bewerten sind (vgl. Urteil des BFH vom 23. Februar 1979 III R 73/77, BFHE 128, 83, BStBl II 1979, 547).
Die Fiktion des § 93 Abs. 1 Satz 1 BewG schließt jedoch im übrigen nicht die allgemeinen Abgrenzungsregeln für die Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit als Bewertungsgegenstand aus, wie sie allgemein in § 2 BewG und besonders für Grundstücke in § 70 Abs. 2 BewG normiert sind. Allgemein ist die Entscheidung darüber, was als wirtschaftliche Einheit zu gelten hat, nach den Anschauungen des Verkehrs zu treffen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 BewG). Dabei sind die örtliche Gewohnheit, die tatsächliche Übung, die Zweckbestimmung und die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit der einzelnen Wirtschaftsgüter zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 Satz 4 BewG). Maßgebend sind demnach neben objektiven Merkmalen auch subjektive Merkmale, die allerdings dann außer Betracht bleiben müssen, wenn sie in Widerspruch zu objektiven Merkmalen stehen (vgl. BFH-Urteile vom 15. Juni 1983 III R 40/82, BFHE 139, 201, BStBl II 1983, 752, und vom 23. Januar 1985 II R 35/82, BFHE 143, 152, BStBl II 1985, 336).
Diese Maßstäbe sind grundsätzlich auch für die Bestimmung des Bewertungsgegenstandes bei den nach dem WEG möglichen Rechtsfiguren anwendbar, wobei allerdings objektive Merkmale tatsächlicher Art mit solchen Merkmalen, die ihre Wurzel in der Rechtskonstruktion haben, in Widerspruch stehen können. So hat die Rechtsprechung bei Wohngrundstücken einerseits die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit davon abhängig gemacht, daß sie für sich allein veräußert werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 25. Februar 1983 II R 81/82, BFHE 138, 468, BStBl II 1983, 552, m. w. N.), andererseits es aber abgelehnt, auf die bei allen abgeschlossenen Wohnungen abstrakt bestehende Möglichkeit abzustellen, Wohnungseigentum zu schaffen (vgl. BFH- Urteil vom 2. Oktober 1970 III R 163/66, BFHE 100, 213, 216, BStBl II 1970, 822).
Daran ist für die Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit bei Wohnungseigentum und Teileigentum grundsätzlich festzuhalten. Das bedeutet, daß zwei Wohnungen, die mit nur einem Miteigentumsanteil verbunden sind, grundsätzlich zu einer wirtschaftlichen Einheit im Sinne des BewG zusammenzufassen sind. Eine Ausnahme besteht jedoch dann, wenn in diesem Fall der tatsächliche Befund der Verkehrsanschauung entgegensteht. Dies ist möglich, wenn - wie im Streitfall - mit einem Miteigentumsanteil das Sondereigentum an mehreren Wohnungen verbunden ist, die zusammen keine geschlossene Einheit bilden (zur Zulässigkeit vgl. Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 9. März 1971 BReg. 2 Z 15/71, Deutsche Notar-Zeitschrift 1971, 473). In diesem Fall muß die nach dem WEG gegebene rechtliche Möglichkeit, daß der Eigentümer sein Wohnungseigentum in eine der Zahl der abgeschlossenen Wohnungen entsprechende Zahl selbständiger Wohnungseigentumsrechte unterteilen kann, an den besonderen bewertungsrechtlichen Vorschriften gemessen werden (§ 68 Abs. 1 Nr. 3, § 70 Abs. 1, § 93 Abs. 1 i. V. m. § 2 BewG).
Liegen die Wohnungen in demselben Haus unmittelbar übereinander oder nebeneinander und sind sie nach den tatsächlichen Gegebenheiten baulich (bautechnisch) so miteinander verbunden, daß sie sich - gedanklich aus dem Gesamtbauwerk herausgelöst - als ein Raumkörper darstellen, so können sie zu einer einzigen wirtschaftlichen Einheit zusammengefaßt werden. Der Senat vermag insoweit nicht die Auffassung zu teilen, die in den gemeinsamen Ländererlassen vom 20. Oktober 1981 (BStBl I 1981, 640) unter 2. b) zum Ausdruck kommt. Besteht keine derartige Verbindung, weil sich die Wohnungen getrennt durch andere im Sondereigentum stehende Wohnungen im Gebäude befinden, muß die lediglich rechtstechnische Zusammenfassung zu einem mit einem Miteigentumsanteil am Grundstück verbundenen Sondereigentum gegenüber dem tatsächlichen Befund zurücktreten.
2. Im vorliegenden Fall, in dem die beiden mit nur einem Miteigentumsanteil verbundenen abgeschlossenen Raumeinheiten, die zusammen Gegenstand des Sondereigentums sind, unmittelbar über- bzw. untereinander liegen, ist nur eine wirtschaftliche Einheit Bewertungsgegenstand. Diese ist, wie das FG zutreffend ausgesprochen hat, als Zweifamilienhaus zu bewerten (§ 93 Abs. 1 Satz 2, § 75 Abs. 6 BewG), so daß der angefochtene Fortschreibungsbescheid rechtswidrig war.
Fundstellen
Haufe-Index 415067 |
BFH/NV 1989, 17 |