Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Grundsteuerbefreiung nach dem GSW vom 28. November 1949 ist nicht von der Stellung eines förmlichen Antrags abhängig gemacht; der Steuerpflichtige muß jedoch gegenüber dem Finanzamt zu erkennen geben, daß Grundsteuerbefreiung in Betracht kommt und beansprucht wird.
Hat ein Steuerpflichtiger versäumt, bei der ersten Veranlagung des Grundsteuermeßbetrags nach der Bezugsfertigkeit von Kleinwohnungen die Grundsteuerbefreiung geltend zu machen, so kann er das auf den Beginn eines folgenden Kalenderjahrs nachholen. Dies gilt jedoch nur, wenn die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung bei der Bezugsfertigkeit der Kleinwohnungen bestanden haben und seitdem nicht fortgefallen sind. Die Steuerbefreiung ist in einem solchen Fall nur noch für den Rest der Laufzeit des Befreiungszeitraums zu gewähren.
Normenkette
WoBauG; GSWBY 6; GSWBY 5
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) hat in den Jahren 1946 bis 1951 auf einem Ruinengrundstück einen Neubau in mehreren Bauabschnitten errichtet. Abgesehen von den Wertfortschreibungen zum 21. Juni 1948, in welchem Zeitpunkt sich das Grundstück im Zustand der Bebauung befand und noch keine bereits bezugsfertigen Gebäude oder Gebäudeteile erstellt waren, führte die Errichtung des Neubaus zu folgenden Fortschreibungen des Einheitswerts und des Grundsteuermeßbetrags:
1. zum 1. Januar 1949: Einheitswert 39.400 DM, ---------------------- Grundsteuermeßbetrag 275,80 DM; 2. zum 1. Januar 1950: Einheitswert 93.700 DM, ---------------------- Grundsteuermeßbetrag 655,90 DM; 3. zum 1. Januar 1952: Einheitswert 121.600 DM, ---------------------- Grundsteuermeßbetrag 851,20 DM. Die Bescheide über die Feststellung der Einheitswerte und die Festsetzung der Grundsteuermeßbeträge zum 1. Januar 1949 (Ziff. 1) sowie zum 1. Januar 1950 (Ziff. 2) wurden unanfechtbar. Trotzdem beantragte der Bf. nachträglich, ihm ab 1. April 1949 für vier in dem Neubau am 1. November 1948 bezugsfertig gewordene Kleinwohnungen die Grundsteuerbefreiung nach dem Bayer. Gesetz über Grundsteuerfreiheit und Gebührenfreiheit für den sozialen Wohnungsbau (GSW) vom 28. November 1949 zu gewähren. Diesen Antrag lehnte das Finanzamt im Hinblick auf die Rechtskraft des Grundsteuermeßbescheids zum 1. Januar 1949 (Ziff. 1 oben) ab. Auch dieser ablehnende Bescheid wurde unanfechtbar.
In seinem Einspruch gegen den Einheitswertbescheid und Grundsteuermeßbescheid zum 1. Januar 1952 (Ziff. 3 oben) beantragte der Bf., ihm wenigstens ab 1. April 1952 für die genannten vier Kleinwohnungen die Grundsteuerbefreiung zu bewilligen, falls seinem weitergehenden Antrag (Befreiung bereits ab 1. April 1949) nicht stattgegeben werden könne. Einspruch und Berufung blieben erfolglos. Die Entscheidung der Vorinstanz beruht auf folgenden Erwägungen:
Im Streitfall sei nicht nachgewiesen, daß die Voraussetzungen für die Grundsteuerbefreiung der vier Kleinwohnungen gegeben seien, da der Bf. trotz wiederholter Mahnungen und Hinweise die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht habe.
Abgesehen davon könnten die vier strittigen Wohnungen weder ab 1. April 1949 noch ab 1. April 1952 von der Grundsteuer befreit werden. Für die Frage, ob die Voraussetzungen der Grundsteuerbefreiung gegeben seien, seien die Verhältnisse im Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit der Wohnungen (1. November 1948) maßgebend. über die Grundsteuerbefreiung hätte deshalb nur im Zusammenhang mit der ersten Festsetzung des Grundsteuermeßbetrags zum 1. Januar 1949 entschieden werden können. Für die Fortschreibungsveranlagung zu diesem Zeitpunkt habe der Bf. den Antrag auf Grundsteuerbefreiung nicht rechtzeitig gestellt. Unterlasse ein Steuerpflichtiger diesen Antrag, so verzichte er damit endgültig auf die Grundsteuerbefreiung und dieser Verzicht könne später nicht mehr widerrufen werden. Der Gesetzgeber habe auf den ersten Feststellungszeitpunkt nach der Bezugsfertigkeit von Wohnungen eine klare Sachlage schaffen wollen, weshalb auch die Stellung eines förmlichen Antrags gefordert werde (ß 13 der Durchführungsbestimmungen zum Bayer. Gesetz über Grundsteuerfreiheit und Gebührenfreiheit für den sozialen Wohnungsbau - GSWDB -). Der Grundsteuermeßbescheid zum 1. Januar 1952 könne nicht mit dem Ziel angefochten werden, die Steuerbefreiung ab 1. April 1952 oder gar rückwirkend ab 1. April 1949 zu erlangen.
In der Rechtsbeschwerde (Rb.) bestreitet der Bf., daß ihn eine Schuld für die verspätete Einreichung der Unterlagen treffe. Im übrigen gehe entgegen der Auffassung der Vorinstanz aus dem GSW nicht hervor, daß die Grundsteuerbefreiung nur auf Antrag zu gewähren sei. Das Finanzamt hätte von Amts wegen prüfen müssen, ob die Grundsteuerbefreiung in Betracht komme, und bejahendenfalls das weitere veranlassen sollen. Zumindest hätte bei der Entscheidung über seinen Einspruch gegen den Grundsteuermeßbetrag zum 1. Januar 1952 die Grundsteuerbefreiung nicht versagt werden dürfen. Weder im GSW noch in den GSWDB finde sich ein Anhaltspunkt dafür, daß über die Grundsteuerbefreiung nur bei der ersten Festsetzung des Grundsteuermeßbetrags nach der Bezugsfertigkeit der Wohnungen entschieden werden könne. Die Entscheidung auf einen späteren Stichtag könne höchstens zur Folge haben, daß der zehnjährige Befreiungszeitraum verkürzt werde.
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung.
Entscheidungsgründe
I. -
Es trifft zu, daß der Bf. trotz Mahnungen und Hinweise die von den Vorinstanzen eingeforderten Unterlagen (Baupläne, Lageplan und Bestätigung der Städt. Bauaufsichtsbehörde) nicht eingereicht hat. Der Bf. hatte jedoch - wie aus den Akten zu ersehen ist - der Vorinstanz vor Erlaß ihrer Entscheidung die Gründe angegeben, weshalb er die verlangten Unterlagen nicht einreichen konnte: Die in seinem Besitz befindlichen Baupläne und den Lageplan hatte der Bf., wie er angab, in einem Rechtsstreit mit seinem Architekten dem Gericht eingereicht; der Architekt selbst war seiner Bitte um überlassung von Kopien nicht nachgekommen. Ebenso hatte nach den weiteren Angaben des Bf. das Städt. Baurechtsamt trotz wiederholter Bitten die Bestätigung nicht erteilt. Bei dieser Sachlage konnte die Vorinstanz nicht mit der Begründung, der Bf. habe die Voraussetzungen der Grundsteuerbefreiung nicht nachgewiesen, die Grundsteuerbefreiung versagen. Der Bf. hat auch zutreffend darauf hingewiesen, daß nach der Entschließung des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen L 1108 - 5/14 - 60331 vom 10. Juli 1950 (Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen 1950 S. 388) das Finanzamt selbst den von ihm (dem Bf.) gestellten Antrag auf Grundsteuerbefreiung der Städt. Bauaufsichtsbehörde zu übersenden hatte; diese mußte überprüfen, ob der vorgelegte Bauplan eingehalten war, und das Ergebnis der überprüfung dem Finanzamt unmittelbar mitteilen.
II. - In § 6 GSW ist bestimmt, daß über die Grundsteuerbefreiung das Finanzamt, in dessen Bezirk das Gebäude gelegen ist, auf Antrag einen Bescheid erteilt. Nach der ergänzenden Bestimmung in § 13 GSWDB ist der Antrag auf Grundsteuerbefreiung auf einem besonderen Formblatt zu stellen. Das GSW und die GSWDB gehen somit ganz offensichtlich davon aus, daß ein Steuerpflichtiger, der die Grundsteuerbefreiung für Kleinwohnungen in Anspruch nehmen will, beim zuständigen Finanzamt einen Antrag stellt. Aus diesen Vorschriften kann aber - das ist dem Bf. zuzugeben - nicht geschlossen werden, daß die Gewährung der Grundsteuerbefreiung von der Stellung eines förmlichen Antrags abhängig zu machen ist. Umgekehrt ist aber aus den genannten Vorschriften auch nicht zu entnehmen, daß die Finanzämter - wie der Bf. annimmt - bei der Veranlagung der Grundsteuermeßbeträge von Amts wegen prüfen müßten, ob Grundsteuerbefreiung in Betracht kommt, und bejahendenfalls von sich aus das weitere zu veranlassen hätten. Diese Auffassung muß schon deswegen als unzutreffend abgelehnt werden, weil es in das Belieben des Steuerpflichtigen gestellt ist, die Grundsteuerbefreiung, die auf anderem Gebiet mit gewissen Nachteilen verbunden ist, in Anspruch zu nehmen oder nicht. Wenn danach zwar die Stellung eines förmlichen Antrags nicht gefordert werden kann, so muß doch dem Finanzamt, wenn es sich mit der Frage der Grundsteuerbefreiung befassen soll, zu erkennen gegeben werden, daß Grundsteuerbefreiung in Betracht kommt und beansprucht wird.
Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, daß es für die Grundsteuerbefreiung von Kleinwohnungen darauf ankommt, ob die Voraussetzungen der Steuerbefreiung im Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit der Wohnungen vorgelegen haben (vgl. § 1 GSW). Außerdem dürfen, wenn die zehnjährige Steuerbefreiung voll beansprucht wird, die Voraussetzungen der Steuerbefreiung später nicht weggefallen sein. Fallen sie bereits bis zum Beginn des nächsten Kalenderjahres weg, so kommt die Befreiung nicht zum Zuge; fallen sie später weg, so entfällt auch die Befreiung von einem bestimmten Zeitpunkt ab (vgl. § 5 GSW).
über die Grundsteuerbefreiung von Kleinwohnungen nach dem GSW wird bei der Fortschreibungsveranlagung oder Nachveranlagung des Grundsteuermeßbetrags entschieden (ß 14 GSWDB). Nach den §§ 13 bis 15 des Grundsteuergesetzes (GrStG) wird der Veranlagung der Grundsteuermeßbeträge der Einheitswert zugrunde gelegt, der auf den jeweiligen Festsetzungszeitpunkt (Hauptfeststellungszeitpunkt, Fortschreibungszeitpunkt, Nachfeststellungszeitpunkt) festgestellt worden ist. Dieser Zeitpunkt gilt bei Fortschreibungsveranlagungen und Nachveranlagungen auch als Stichtag für die Beurteilung der Verhältnisse im Falle der Grundsteuerbefreiung; die Befreiung selbst beginnt jedoch erst mit dem 1. April, der auf diesen Zeitpunkt folgt. Auf diese Regelung des GrStG (bei der Fortschreibungsveranlagung und Nachveranlagung Zugrundelegung der Verhältnisse vom Beginn des Kalenderjahres und Wirksamkeit der Veranlagung vom folgenden 1. April ab) ist auch die Regelung im GSW über den Beginn und Fortfall der Grundsteuerbefreiung (ß 5) abgestellt. Danach beginnt die zehnjährige Grundsteuerbefreiung mit dem 1. April, der auf das Kalenderjahr folgt, in dem das Gebäude oder der Gebäudeteil bezugsfertig geworden ist. Fallen die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung innerhalb des Zeitraums, für den die Steuerbefreiung an sich gilt, weg, so entfällt die Befreiung mit dem Ablauf des Rechnungsjahres, in dem die Voraussetzungen weggefallen sind.
Im Streitfall hätte der Bf. - unterstellt, daß die Voraussetzungen der Befreiung für die vier strittigen Wohnungen am 1. November 1948 gegeben waren und bis zum 1. Januar 1949 nicht fortgefallen sind - bei der Fortschreibungsveranlagung des Grundsteuermeßbetrags zum 1. Januar 1949 die Steuerbefreiung geltend machen können. In diesem Fall hätte ihm die zehnjährige Grundsteuerbefreiung für die vier Wohnungen ab 1. April 1949 bewilligt werden müssen. Der Bf. hat es jedoch versäumt, bei der Fortschreibungsveranlagung zum 1. Januar 1949 rechtzeitig (d. h. vor Eintritt der Rechtskraft des Grundsteuermeßbescheids) die Grundsteuerbefreiung geltend zu machen. Damit entfällt eine Befreiung der vier Wohnungen ab 1. April 1949.
Die weitere Frage ist, ob dem Bf. - unterstellt, daß die Voraussetzungen der Befreiung für die vier strittigen Wohnungen am 1. November 1948 gegeben waren und nunmehr bis zum 1. Januar 1952 nicht fortgefallen sind - bei der Fortschreibungsveranlagung des Grundsteuermeßbetrags zum 1. Januar 1952 die Grundsteuerbefreiung (gegebenenfalls nur noch für den Rest der Laufzeit des Befreiungszeitraums) zu gewähren ist. Diese Frage ist im GSW nicht ausdrücklich geregelt. An sich besteht aus verschiedenen Gründen (Mietpreisbildung, Wohnungsbaufinanzierung usw.) ein erhebliches Interesse daran, daß die Frage, ob neugeschaffene Wohnungen grundsteuerbefreit sind oder nicht, möglichst auf den Beginn des Kalenderjahrs, das auf die Bezugsfertigkeit der Wohnungen folgt, entschieden wird. Diese Gründe reichen aber nicht aus, in den Fällen, in denen die Voraussetzungen der Steuerbefreiung bei der Bezugsfertigkeit der Wohnungen bestanden haben und seitdem nicht fortgefallen sind, die Befreiung auch für den Rest des Befreiungszeitraums nur deswegen zu versagen, weil es der Steuerpflichtige versäumt hat, bei der ersten Veranlagung des Grundsteuermeßbetrags nach der Bezugsfertigkeit die Grundsteuerbefreiung der Wohnungen geltend zu machen. Einmal handelt es sich bei der zehnjährigen Grundsteuerbefreiung um eine so bedeutende steuerliche Vergünstigung, die nicht deswegen für einen so langen Zeitraum versagt werden kann, nur weil der Steuerpflichtige es versäumt hat, die Steuerbefreiung alsbald nach der Bezugsfertigkeit der Kleinwohnungen geltend zu machen. Zudem kann es auch Fälle geben, in denen über die Grundsteuerbefreiung von neu errichteten Kleinwohnungen gar nicht auf den Beginn des Kalenderjahres, das auf die Bezugsfertigkeit folgt, entschieden werden kann, sondern auf einen späteren Zeitpunkt entschieden werden muß. Das würde z. B. zutreffen, wenn eine Fortschreibung erst später vorgenommen wird, weil die Wertgrenze infolge weiterer Veränderungen erst zu einem späteren Zeitpunkt überschritten wird. In einem solchen Fall beginnt der Befreiungszeitraum bereits mit dem 1. April, der dem Jahre der Bezugsfertigkeit folgt (ebenso in Abschnitt 11 der Entschließung des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen vom 10. Juli 1950). Auch hier kann die Grundsteuerbefreiung formell nur noch für einen entsprechend verkürzten Befreiungszeitraum zugestanden werden, weil die betreffenden Wohnungen vor dem Beginn des verkürzten Befreiungszeitraums sowieso (wegen Unzulässigkeit der Fortschreibung) nicht zur Grundsteuer herangezogen wurden. Vom Standpunkt des Interesses an einer möglichst baldigen Entscheidung kann somit die vom Bf. begehrte Steuerbefreiung für die Zeit ab 1. April 1952 nicht versagt werden; denn es kann verfahrensmäßig keinen Unterschied ausmachen, aus welchem Grund die Befreiung von der Grundsteuer nicht für den vollen zehnjährigen Befreiungszeitraum, sondern nur für einen verkürzten Zeitraum zu gewähren ist. Der erkennende Senat kommt daher zu dem Ergebnis, daß der Bf. im Steuermeßbetragsverfahren zum 1. Januar 1952 noch Steuerbefreiung der am 1. November 1948 bezugsfertig gewordenen Wohnungen geltend machen kann. Entscheidend ist jedoch, daß es sich um Kleinwohnungen handelt und daß die Voraussetzungen der Steuerbefreiung am 1. November 1948 bestanden haben und bis zum 1. Januar 1952 nicht fortgefallen sind. Die Feststellungen der Vorinstanzen hierüber reichen für eine Entscheidung nicht aus. Die nicht spruchreife Sache wird zweckmäßig an das Finanzamt zur weiteren Untersuchung und Entscheidung zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 408209 |
BStBl III 1955, 269 |
BFHE 1956, 184 |
BFHE 61, 184 |