Leitsatz (amtlich)
Ein zur Vermeidung der Enteignung geschlossener Grundstückstauschvertrag ist nicht gemäß Art. 1 Abs. 1 Nr. 10 des Bayerischen Gesetzes über die grunderwerbsteuerliche Behandlung von Erwerbsvorgängen aus dem Bereich des Bundesbaugesetzes vom 26. Oktober 1962 (GVBl S. 280) von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz ausgenommen.
Normenkette
GrEStG 1940 § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4; GrEStBBauG Art. 1 Abs. 1 Nr. 10; BBauG § 94 Abs. 1, § 95 Abs. 2 Nr. 2, § 100; GG Art. 3 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger und seine Ehefrau waren Eigentümer der Grundstücke Fl.Nr. 304/7 und Fl.Nr. 304/12 (Gemarkung ...) in A. Auf dem Grundstück Fl.Nr. 304/7 betrieben sie eine Kraftwagenreparaturwerkstätte und eine Tankstelle. Das westlich angrenzende Grundstück (Fl.Nr. 304/6) gehörte den Eltern des Klägers; diese betrieben dort ein Fuhrgeschäft. Die Stadt A (fortan Stadt) brauchte für den Ausbau eines Verkehrsknotenpunktes Teile der dem Kläger und seiner Ehefrau gehörenden Grundstücke. Diese Grundstücksteile waren im Bebauungsplan der Stadt als Verkehrsflächen ausgewiesen. Um eine Enteignung zu vermeiden, schlossen der Kläger und seine Ehefrau, seine Eltern und die Stadt am 10. Februar 1964 einen notariell beurkundeten "Tausch- und Kaufvertrag". Darin verpflichteten sich der Kläger und seine Ehefrau, eine Teilfäche von rd. 860 qm aus ihrem Grundstück Fl.Nr. 304/7 und eine Teilfläche von rd, 112 qm aus ihrem Grundstück Fl.Nr. 304/12 der Stadt zu übereignen. Den Wert der beiden Grundstücksteile bemaßen die Vertragschließenden mit 111 040 DM. Die Stadt verpflichtete sich ihrerseits, dem Kläger und seiner Ehefrau als Gegenleistung ein westlich angrenzendes, rd. 1 130 qm großes Grundstück aus Fl.Nr. 306 und Fl.Nr. 316, dessen Wert die Vertragschließenden mit 90 400 DM veranschlagten, zu übereignen.
Die Eltern des Klägers hatten ihr Grundstück Fl.Nr. 304/6 ihrem Sohn (dem Kläger) und dessen Ehefrau überlassen, damit diese dort ihr Unternehmen fortführen könnten. Darüber hinaus erklärten sie sich in dem Tausch- und Kaufvertrag damit einverstanden, daß eine von ihnen an die Stadt abgetretene, als Straßengrund aber nicht mehr benötigte Teilfläche von rd. 575 qm aus den Grundstücken Fl.Nr. 303 und Fl.Nr. 304/8 von der Stadt unentgeltlich dem Kläger und seiner Ehefrau übereignet wurde. Damit s i e ihr Fuhrunternehmen fortführen konnten, verkaufte ihnen die Stadt aus dem Grundstück Fl.Nr. 306 eine Teilfläche von 1 825 qm für 182 500 DM. Die Stadt verpflichtete sich, zur Abgeltung aller dem Kläger und dessen Ehefrau durch die Betriebsverlegung entstehenden Schäden insgesamt 500 000 DM zu zahlen und "hinsichtlich der auf die Eheleute ... übergehenden Vertragsflächen ... die Grunderwerbsteuer anteilsmäßig für einen Wert von 111 000 DM" zu übernehmen. Den darüber hinausgehenden Teil der Grunderwerbsteuer sollten vereinbarungsgemäß der Kläger und seine Ehefrau zahlen. Der Kläger und seine Ehefrau erklärten sich damit für voll abgefunden. Der Kläger und seine Ehefrau beantragten für den Erwerb des 1 130 qm großen Grundstücks Steuerfreiheit nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 10 des Bayerischen Gesetzes über die grunderwerbsteuerliche Behandlung von Erwerbsvorgängen aus dem Bereich des Bundesbaugesetzes vom 26. Oktober 1962 (GVBl, 280) - GrEStBBauG -.
Der Beklagte, das FA, hielt die Voraussetzungen der erwähnten Befreiungsvorschrift nicht für gegeben, da ein Enteignungsverfahren nicht durchgeführt worden sei und es sich infolgedessen nicht um den "Erwerb eines Grundstücks durch einen Entschädigungsberechtigten als Entschädigung in Land nach § 100 des Bundesbaugesetzes" handele. Es setzte durch teilweise vorläufigen Bescheid vom 27. Juli 1964 die Grunderwerbsteuer für den Kläger auf 3 164 DM fest; den Einspruch wies es zurück.
Mit der Berufung wiederholte der Kläger seine Ansicht, die Befreiungsvorschrift sei auch dann anzuwenden, "wenn es die Beteiligten nicht auf ein förmliches Enteignungsverfahren ankommen lassen, sondern die Grundabtretung und die Enteignungsentschädigung nach Enteignungsgrundsätzen ... gütlich regeln". Er legte eine Bestätigung der Stadt vom 6. Oktober 1965 vor, worin "bestätigt" wird, daß die Stadt die vom Kläger und seiner Ehefrau hingegebenen Grundstücke "im Fall eines Scheiterns gütlicher Verhandlungen im Wege der Enteignung" hätte erwerben müssen. Das FG wies die Berufung als unbegründet zurück. Entschädigungsberechtigter i. S. der Befreiungsvorschrift sei nur derjenige, "gegen den ein formelles Enteignungsverfahren durchgeführt worden" sei. Mit der Revision rügt der Kläger unrichtige Anwendung des Art. 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG und Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG.
Er beantragt, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung und den Steuerbescheid aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Der Vertrag vom 10. Februar 1964 unterliegt der Grunderwerbsteuer, da er den Anspruch des Klägers gegen die Stadt auf Übertragung des halben Miteigentumsanteils an dem 1 130 qm großen Grundstück begründete (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 GrEStG, § 433 Abs. 1 Satz 1, § 515 BGB). Er ist nicht gemäß Art. 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG steuerfrei, weil - wie das FG richtig erkannt hat - "der Erwerb eines Grundstücks durch einen Entschädigungsberechtigten als Entschädigung in Land nach § 100 des Bundesbaugesetzes" nicht vorliegt. Entschädigungsberechtigter im Wortsinne der Befreiungsvorschrift ist, wer in seinem Recht "durch die Enteignung" beeinträchtigt wird und "dadurch" einen Vermögensnachteil erleidet (§ 94 Abs. 1 BBauG); nur er kann ein Grundstück "als Entschädigung in Land nach § 100" BBauG erwerben (§§ 93, 100 BBauG). Der Kläger ist nicht Entschädigungsberechtigter in diesem Sinne, weil eine Enteignung, d. h. ein zwangsweiser Zugriff der öffentlichen Hand auf seine durch die Eigentumsgarantie geschützten Güter, nicht stattgefunden hat.
Der Erwerb zur Vermeidung einer Enteignung fällt nicht unter die Befreiungsvorschrift. Das ist deren klarem und eindeutigem Wortlaut zu entnehmen und folgt zudem aus dem Zusammenhang mit Nr. 7 des Art. 1 Abs. 1 GrEStBBauG. Nach dieser Vorschrift ist der Erwerb eines Grundstücks "zur Vermeidung der Enteignung" von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz nur dann ausgenommen, wenn eine Gemeinde das Grundstück erwirbt, um es für die bauliche Nutzung vorzubereiten oder um es der baulichen Nutzung zuzuführen (§ 85 BBauG). Für diese Auslegung spricht auch die Gesetzesbegründung. Danach sollte die Zahlung einer Grunderwerbsteuer nur dann dem früheren Eigentümer nicht zugemutet werden, wenn der Grundstückswechsel gegen seinen Willen durchgeführt wurde (Bayerischer Landtag, 4. Legislaturperiode, Beilage 2590).
Der Kläger meint, es sei mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unvereinbar, daß zwar der Erwerb eines Grundstücks durch einen Entschädigungsberechtigten als Entschädigung in Land nach § 100 BBauG von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz ausgenommen sei, nicht dagegen der Erwerb des Grundstücksmiteigentumsanteils, den er zur Vermeidung der Enteignung von der Stadt erworben habe.
Dem kann sich der erkennende Senat nicht anschließen. Die unterschiedliche grunderwerbsteuerrechtliche Behandlung der beiden Sachverhalte läßt sich sachlich rechtfertigen und erscheint nicht willkürlich. Der Landesgesetzgeber konnte davon ausgehen, daß er nicht auch den Erwerb eines Grundstücks zur Vermeidung der Enteignung von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz auszunehmen brauche, da einem zur Vermeidung der Enteignung geschlossenen Grundstückskauf- oder -tauschvertrag regelmäßig ein Angebot des möglichen Enteignungsbegünstigten (hier: der Stadt) "mit angemessenen Bedingungen (§ 87 Abs. 2 Nr. 2, § 88)" zugrundeliegt (§ 95 Abs. 2 Nr. 2 BBauG), d. h. ein Angebot, das auch den Ersatz der den Eigentümer (hier: Kläger) treffenden Grunderwerbsteuer umfaßt. Denn die bei freihändigem Erwerb auf Grund eines Übernahmeangebots zu erbringende Leistung soll es dem Betroffenen in gleicher Weise wie die Enteignungsentschädigung ermöglichen, sich - bildhaft gesprochen - eine der weggegebenen gleichartige Sache als Ausgleich zu beschaffen (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. Oktober 1974 III ZR 53/72, Neue Juristische Wochenschrift 1975 S, 157).
Ob die Preisgestaltung im Einzelfall diesen Anforderungen genügt, kann bei der Besteuerung nicht geprüft werden.
Im vorliegenden Falle hatte die Stadt sich verpflichtet, dem Kläger und seiner Ehefrau insgesamt 500 000 DM zur Abgeltung aller durch die Betriebsverlegung entstehenden Schäden zu zahlen sowie hinsichtlich der auf den Kläger, seine Ehefrau und seine Eltern übergehenden Grundstücke einen Teil der anfallenden Grunderwerbsteuer zu übernehmen; der Kläger und seine Ehefrau hatten ausdrücklich erklärt, damit voll abgefunden zu sein, daraus ist zu schließen, daß dem Vertrag vom 10. Februar 1964 ein Angebot "mit angemessenen Bedingungen" zugrunde gelegen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 71545 |
BStBl II 1975, 835 |
BFHE 116, 410 |
BFHE 1976, 410 |