Leitsatz (amtlich)
Leistet ein Steuerpflichtiger im Zusammenhang mit dem Abbruch eines wirtschaftlich verbrauchten und der Errichtung eines neuen Gebäudes eine Abstandszahlung an einen dinglich Wohnberechtigten, um diesen zur Aufgabe des Wohnrechts und zur vorzeitigen Räumung des abzureißenden Gebäudes zu veranlassen, gehört die Abstandszahlung zu den Herstellungskosten des neu errichteten Gebäudes.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Kläger, Revisionskläger und Anschlußrevisionsbeklagten (Kläger) sind die Erben der im Jahr 1970 verstorbenen Frau P., die Inhaberin eines ...-Betriebs war. Diese übte ihren Betrieb auf dem ihr gehörenden Grundstück D-Straße 27 aus. 1963 erwarb sie das Nachbargrundstück D-Straße 29, das mit einem damals 60 Jahre alten Einfamilienhaus bebaut war, für annähernd 55 000 DM. Sie räumte außerdem dem Veräußerer K. und dessen Ehefrau ein lebenslängliches Wohnrecht in einigen Räumen des Hauses ein. Mitte 1966 ließ Frau P. das Haus D-Straße Nr. 29 abreißen und einen betrieblichen Zwecken dienenden Neubau errichten, nachdem der Wohnberechtigte K. - seine Ehefrau war inzwischen verstorben - in die Löschung des Wohnrechts eingewilligt und die von ihm benutzten Räume des Hauses zum 1. Juli 1966 geräumt hatte. Der Neubau wurde im Jahre 1967 fertiggestellt. Als Gegenleistung für die Aufgabe des Wohnrechts und die Räumung des Hauses wandte Frau P. aufgrund eines mit K. geschlossenen Vertrags insgesamt 24 443,57 DM auf (Barzahlung an K., Schmiergelder an dessen Vermieterin, Baukostenzuschuß, Umzugskosten, andere Kosten). Außerdem verpflichtete sich Frau P., an K. lebenslänglich die Miete für seine neue Wohnung in Höhe von 121,23 DM monatlich zu zahlen.
In ihrer Gewerbesteuererklärung 1966 machte Frau P. den Gesamtbetrag von 24 443,57 DM als Betriebsausgaben geltend. In dem endgültigen Gewerbesteuerbescheid, der gegen die Erben der inzwischen verstorbenen Frau P. erging, rechnete der Beklagte, Revisionsbeklagte und Anschlußrevisionskläger (das FA) diesen Betrag zu den Herstellungskosten des auf dem Grundstück D-Straße Nr. 29 neu errichteten Gebäudes. Der Einspruch der Kläger hatte insoweit keinen Erfolg.
Das FG gab der Klage zu einem geringen Teil statt. Es sah in den streitigen Aufwendungen unter Hinweis auf die Entscheidung des BFH vom 2. März 1970 GrS 1/69 (BFHE 98, 360, BStBl II 1970, 382) Anschaffungskosten für ein aktivierungspflichtiges immaterielles Wirtschaftsgut, das im vorliegenden Fall unter Zugrundelegung einer Nutzungsdauer von 10 Jahren, beginnend am 1. Juli 1966, abzuschreiben sei. Dieses durch die Abfindung erlangte Wirtschaftsgut - der mit der vorzeitigen Aufgabe des Wohnrechts und der Räume des Hauses verbundene betriebliche Vorteil - sei nicht in den Herstellungskosten des neuen Betriebsgebäudes aufgegangen.
In ihrer Revision rügen die Kläger die unrichtige Auslegung des § 6 EStG hinsichtlich des Begriffs "Wirtschaftsgut". Es erscheine zunächst zweifelhaft, ob die in den Aufwendungen von 24 443,57 DM enthaltenen Schmiergelder von 3 200 DM als Anschaffungskosten des vom FG angenommenen Wirtschaftsguts überhaupt in Betracht kommen könnten. Die Frage, ob durch Abstandszahlungen der hier in Rede stehenden Art, die ein Grundstückseigentümer leiste, ein greifbarer Vorteil im Sinne des Wirtschaftsgutsbegriffs erlangt werde, könne nicht ohne Rücksicht auf das Schicksal des Gegenstands, auf den sich die Abstandszahlungen bezögen, beantwortet werden. Aufgrund des Abbruchs des Gebäudes sei ein Vorteil, für den ein Erwerber des Unternehmens etwas zu zahlen bereit wäre, untergegangen. Die Aufwendungen hätten nur dem Zweck gedient, die Gewinnchancen des Unternehmens zu verbessern. Als solche seien sie aber nicht aktivierungsfähig. Zu dem gleichen Ergebnis komme man, wenn man die streitigen Aufwendungen mehr nach ihrer Verursachung beurteile. Die Freimachung des mit dem Wohnrecht belasteten Gebäudeteils sei unmittelbare Voraussetzung für den Abbruch des ganzen Gebäudes gewesen. Es sei folgerichtig, die Aufwendungen begrifflich den sofort absetzbaren Abbruchkosten zuzuordnen.
Die Kläger beantragen sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Betrag von 24 443,57 DM zum sofortigen Abzug als Betriebsausgaben zuzulassen.
Das FA, das Anschlußrevision eingelegt hat, beantragt, die Revision der Kläger zurückzuweisen, auf die Anschlußrevision die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage gegen den Gewerbesteuermeßbescheid 1966 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. Januar 1973 abzuweisen.
Das FA rügt Verletzung der §§ 5, 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Nach dem BFH-Urteil vom 29. Juli 1970 I 130/65 (BFHE 100, 32, BStBl II 1970, 810) ständen Entschädigungs- oder Abfindungszahlungen, die an die Mieter oder Pächter für die vorzeitige Räumung eines erworbenen Grundstücks geleistet würden, in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Errichtung des neuen Gebäudes, wenn das erworbene und geräumte Grundstück bebaut werde. Dieser Zusammenhang sei auch dann gegeben, wenn das Grundstück erst einige Jahre nach dem Erwerb von den Mietern oder Pächtern geräumt werde, ohne daß es darauf ankomme, ob bereits im Zeitpunkt des Erwerbs ein Neubau geplant gewesen sei. Entscheidend sei allein, daß durch die Räumung und die Entschädigungszahlungen die vorzeitige freie Verfügbarkeit über das Grundstück zum Zwecke der Errichtung eines Neubaus erreicht werden solle. Aus diesen Gründen gehöre im Streitfall die Abfindung zu den Herstellungskosten des Neubaus. Der durch die Abfindung erlangte Vorteil liege nicht allein in einer Verbesserung der Gewinnchancen des Unternehmens. Die Abfindung sei auch nicht den Abbruchkosten des Altbaues zuzuordnen. Schließlich könne es nicht zweifelhaft sein, daß die in den streitigen Aufwendungen enthaltenen Schmiergelder von 3 200 DM in die Herstellungskosten des Neubaus einzubeziehen seien.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist nicht begründet. Die Anschlußrevision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Die hier streitigen Aufwendungen im Gesamtbetrag von 24 443,57 DM gehören nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu den Herstellungskosten des neuen Gebäudes D-Straße 29.
Durch die Entscheidung des Großen Senats des BFH GrS 1/69 ist klargestellt, daß Abstandszahlungen, die der Erwerber eines Grundstücks kurze Zeit nach dem Erwerb an den Pächter oder Mieter für die vorzeitige Räumung leistet, nicht zu den Anschaffungskosten eines Grundstücks gehören.
Gleiches gilt nach dem BFH-Urteil I 130/65, wenn derartige Abfindungen für die vorzeitige Räumung teils kurz vor und teils kurz nach dem Erwerb des Grundstücks gezahlt werden. Wirtschaftlich gleich liegen auch die Fälle, in denen die Abfindungen an dinglich Wohnberechtigte für die Aufgabe des Rechts und die vorzeitige Räumung des Grundstücks gezahlt werden. Werden die Abfindungen an die weichenden Mieter, Pächter oder dinglich Wohnberechtigten nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Erwerb des Grundstücks, sondern erst längere Zeit danach geleistet, insbesondere wenn der Grundstückseigentümer sein Grundstück auf andere Weise als bisher nutzen will, ist kein Grund ersichtlich, die nachträglich gezahlte Abfindung anders zu behandeln als eine solche, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Grundstückserwerb gezahlt wird. Solche Abfindungen sind daher nicht beim Grund und Boden zu aktivieren.
Der BFH hat in der genannten Entscheidung GrS 1/69 in der Abstandszahlung des Eigentümers eines bebauten Grundstücks an einen Nutzungsberechtigten, der sich zur vorzeitigen Räumung verpflichtete, die Erlangung eines Vorteils gesehen, der darin bestehe, daß der Eigentümer das Grundstück und die aufstehenden Gebäude schon vor Ablauf des Miet-, Pacht- oder sonstigen Nutzungsverhältnisses eigengewerblich nutzen könne. Dieser Vorteil sei handelsrechtlich und steuerrechtlich als selbständiges Wirtschaftsgut (Vermögensgegenstand) zu erfassen, das in der Zeit zwischen dem vereinbarten Räumungstermin und dem ursprünglich vereinbarten Ende des Nutzungsverhältnisses in gleichmäßigen Beträgen abzuschreiben sei. Unter Bezugnahme auf diese Entscheidung hat das FG im vorliegenden Fall in der Zahlung der Beträge von insgesamt 24 443,57 DM, die Frau P geleistet hat, um die Räumung durch den Wohnberechtigten K zu erreichen, die Erlangung eines als selbständiges Wirtschaftsgut zu aktivierenden Vorteils gesehen, der darin bestehe, daß Frau P etwa 10 Jahre früher das Grundstück uneingeschränkt eigengewerblich habe nutzen können. Das FG hat demzufolge entsprechende Abschreibungen zugelassen.
Im vorliegenden Fall ist jedoch ein anderer Sachverhalt gegeben, als er der genannten Entscheidung des Großen Senats zugrunde gelegen hat. Dort verfolgte der Eigentümer den Zweck, die uneingeschränkte Nutzungsmöglichkeit des Grundstücks und der aufstehenden Gebäude schon vor vertraglicher Beendigung eines bestehenden Miet- oder Pachtverhältnisses zu erhalten, hier wollte Frau P das Gebäude, in dem eine Wohnung einem dinglichen Nutzungsberechtigten eingeräumt war, abreißen und ein für ihren Betrieb geeignetes neues Gebäude errichten lassen.
Die wirtschaftliche Zweckbestimmung einer Abfindungszahlung stand auch im Mittelpunkt der Entscheidung des BFH I 130/65, deren Gründe das FG unter Hinweis auf eine Kommentarstelle für nicht überzeugend gehalten hat. Dort hatte ein Grundstückserwerber, der auf einem erworbenen unbebauten Grundstück ein Fabrikgebäude errichten wollte, an die das Grundstück nutzenden Kleingärtner Entschädigungszahlungen für die vorzeitige Räumung geleistet. Der BFH sah diese Zahlungen als Teil der Herstellungskosten des Fabrikgebäudes (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG) an, weil sie in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Errichtung des Fabrikgebäudes gestanden haben.
Auch im vorliegenden Fall stand die Abfindung in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit einem ganz bestimmten Vorhaben: Frau P wollte das alte Gebäude abreißen, weil es wirtschaftlich verbraucht war, und ein für ihre betrieblichen Verhältnisse besser geeignetes neues Gebäude errichten. Diesen Absichten stand das dingliche Wohnrecht des K im Wege. K hätte sich der Aufgabe seines Wohnrechts in dem alten Gebäude widersetzen oder möglicherweise ein Wohnrecht in dem neu zu errichtenden Gebäude verlangen können. Frau P hat diese zu erwartenden Schwierigkeiten, die der Verwirklichung ihres Neubauprojekts entgegenstanden, dadurch beseitigt, daß sie an K für die Aufgabe seines Wohnrechts eine Abfindung zahlte und in seinem Interesse weitere Zahlungen (Umzugskosten, Baukostenzuschüsse, Schmiergelder usw.) leistete und sich ferner verpflichtete, die Miete für die neue Wohnung des K zu übernehmen. Auf diese Weise hat sie die freie Verfügbarkeit über ihr Grundstück zum Zwecke einer neuen Bebauung erhalten.
Daraus folgt, daß es nicht gerechtfertigt ist, den engen wirtschaftlichen Zusammenhang des durch die Abfindung erlangten wirtschaftlichen Vorteils allein mit dem Abbruch des alten Gebäudes anzunehmen. Frau P hat das dingliche Wohnrecht des K nicht allein deshalb abgelöst, um das wirtschaftlich verbrauchte Gebäude abbrechen zu können, ohne genaue Vorstellungen über die künftige Nutzung dieses Grundstücks zu haben. Nach dem Abbruch wäre die geräumte Grundstücksfläche, solange sie noch nicht wieder bebaut war, für ihren Strikkereibetrieb von keinem nennenswerten betrieblichen Nutzen gewesen. Sie hat gewissermaßen in einem Zuge mit dem Abriß und dem Neubau begonnen. Ihr ging es darum, das neue Bauprojekt zu verwirklichen. Sie hat die Abfindung gezahlt, um ohne entgegenstehende Rechte Dritter nach ihren Plänen und Vorstellungen ein neues Gebäude errichten zu können. Damit ist der enge wirtschaftliche Zusammenhang mit der Errichtung des neuen Gebäudes gegeben, so daß der Abfindungsbetrag nicht für ein selbständiges immaterielles Einzelwirtschaftsgut aufgewendet wurde, sondern in den Herstellungskosten des Gebäudes aufging. Die AfA auf diesen Betrag können daher nur im Rahmen der Herstellungskosten des neuen Gebäudes vorgenommen werden (§ 7 EStG). Mit den AfA kann spätestens im Jahr der Fertigstellung des Gebäudes begonnen werden. Nach den Feststellungen des FG ist das Gebäude aber erst 1967 fertiggestellt worden. AfA auf den streitigen Betrag sind daher im Streitjahr 1966 nicht zulässig.
Die Kläger können auch nicht mit ihrer Auffassung durchdringen, daß die in den Aufwendungen von 24 443,57 DM enthaltenen Schmiergelder von 3 200 DM für sich gesondert beurteilt werden müßten. Dieser Betrag ist, ebenso wie die anderen Posten des Gesamtbetrags von 24 443,57 DM, im Interesse des Wohnberechtigten K und im Zusammenhang damit gezahlt worden, daß dieser sein dingliches Wohnrecht aufgibt und das Grundstück räumt. Sie gehören daher wirtschaftlich zu den Aufwendungen, die Frau P gemacht hat, um den oben näher umrissenen wirtschaftlichen Vorteil, der in den Herstellungskosten des neuen Gebäudes aufgeht, zu erlangen.
Nach alledem können die Kläger ihr Ziel, den Betrag von 24 443,57 DM im Streitjahr in voller Höhe als Betriebsausgaben abzusetzen, nicht erreichen.
Auf die Anschlußrevision des FA ist die Vorentscheidung einschließlich der getroffenen Kostenentscheidungen aufzuheben, weil das FG zu Unrecht den genannten Betrag als selbständiges immaterielles Wirtschaftsgut angesehen hat, auf das es im Streitjahr AfA unter Zugrundelegung einer 10jährigen Nutzungsdauer zugelassen hat. Es muß daher bei dem einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag, wie ihn das FA in der Einspruchsentscheidung festgesetzt hat, verbleiben. Die Klage ist daher abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 71737 |
BStBl II 1976, 184 |
BFHE 1976, 153 |