Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der rückwirkenden Versagung des Umsatzsteuerdurchschnittsatzes für Bäcker.
Normenkette
UStG § 7; UStDB § 16; AO § 96
Tatbestand
Die Bfin. ist Inhaberin einer Grob- und Feinbäckerei. Mit Schreiben vom 7. Mai 1952 beantragte sie beim Finanzamt, ihr die Anwendung des Umsatzsteuer-Durchschnittsatzes für Bäckereien von 2,3 v. H. gemäß dem Erlaß des Bundesministers der Finanzen IV S 4214 -- 2/52 vom 30. Januar 1952 (Umsatzsteuer-Kartei S 4214 Karte 52) zu genehmigen, weil der Anteil der begünstigten Backwaren (Brot, Brötchen und Zwieback) 60 v. H. ihres Bäckereiumsatzes übersteige. Dem Antrage wurde stillschweigend stattgegeben. Die Bfin. sah in den nachfolgenden Jahren entsprechend der ihr nach dem Erlaß erteilten Erlaubnis von der getrennten Aufzeichnung der Entgelte nach den verschiedenen Steuersätzen des § 7 UStG ab und legte ihren Umsatzsteuer-Erklärungen für 1953 bis 1955 und ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen für 1956 und 1957 den Umsatzsteuer-Durchschnittsatz von 2,3 v. H. zugrunde. Das Finanzamt veranlagte sie für 1953 bis 1955 nach ihren Umsatzsteuer-Erklärungen.
Im Mai 1958 fand bei der Bfin. eine Betriebsprüfung statt. Hierbei kam der Betriebsprüfer auf Grund einer Kalkulation an Hand des Wareneingangsbuches zu dem Ergebnis, daß sich in den Jahren nach 1952 im Betriebe der Bfin. ein Strukturwandel vollzogen habe. Schon im Jahre 1953 habe die im Erlaß vom 30. Januar 1952 enthaltene Bedingung, daß der Anteil der begünstigten Backwaren 60 v. H. des Bäckereiumsatzes überschreitet, nicht mehr vorgelegen.
Daraufhin berichtigte das Finanzamt die Umsatzsteuerbescheide für 1953 bis 1955 gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO, indem es unter Versagung des Umsatzsteuer-Durchschnittsatzes von 2,3 v. H. den (unveränderten) Gesamtbetrag der vereinnahmten Entgelte nach dem Vorschlag des Betriebsprüfers ausgehend vom Wareneinsatz schätzungsweise auf die Steuersätze von 1,5 v. H. (§ 7 Abs. 2 Ziff. 2b UStG), 3 v. H. (§ 7 Abs. 2 Ziff. 1 UStG) und 4 v. H. (§ 1 Abs. 1 UStG) aufteilte und die Umsatzsteuerschuld entsprechend höher festsetzte. In derselben Weise verfuhr das Finanzamt bei der erstmaligen Umsatzsteuer-Veranlagung für 1956 und 1957.
Nach erfolglos gebliebenem Einspruch wandte sich die Bfin. im Berufungsverfahren in erster Linie gegen die rückwirkende Versagung des Umsatzsteuer-Durchschnittsatzes durch das Finanzamt. Außerdem bestritt sie, daß eine grundlegende Veränderung in der Struktur ihres Betriebes eingetreten sei. Der Anteil der selbst hergestellten begünstigten Backwaren am Bäckereiumsatz habe nach einer groben Übersicht 1953 61 v. H., 1954 56 v. H., 1955 59 v. H., 1956 53 v. H. und 1957 45 v. H. betragen. Hinzu kämen noch die unter den Handelswaren aufgeführten Zukäufe von begünstigten Backwaren, die wahrscheinlich den Hundertsatz der begünstigten Backwaren näher an die 60-v.H.-Grenze oder darüber bringen würden. Über die tatsächliche bzw. wahrscheinliche Aufteilung seien aber noch keine genauen Ermittlungen angestellt worden, weil die sehr kostspielige Untersuchung zurückgestellt werden solle, bis über die Rechtsfrage entschieden sei.
Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück: Der Erlaß vom 30. Januar 1952 sei für die Steuergerichte nicht bindend. Die Genehmigung des Umsatzsteuer-Durchschnittsatzes sei auch keine begünstigende Verfügung im Sinne des § 96 AO, die rückwirkend nur unter den besonderen Voraussetzungen des Abs. 2 dieser Vorschrift widerrufen werden dürfe. Es habe nicht das Finanzamt durch die Versagung des Durchschnittsatzes, sondern die Bfin. durch Verschweigen der Strukturänderung gegen Treu und Glauben verstoßen. Gegen die schätzungsweise Aufteilung des Umsatzes nach den einzelnen Steuersätzen des § 7 UStG, wie sie das Finanzamt nach dem Vorschlage des Betriebsprüfers vorgenommen habe, bestünden keine Bedenken.
Mit der Rb. wendet sich die Bfin.
I. gegen die rückwirkende Versagung des Umsatzsteuer-Durchschnittsatzes für Bäcker,
II. gegen die vom Finanzamt durchgeführte Aufteilung ihrer Umsätze nach den verschiedenen Steuersätzen des § 7 UStG.
Zum zweiten Punkt macht die Bfin. eine ausführliche Gegenrechnung auf. Sie wirft dem Finanzgericht unzureichende Sachaufklärung vor. Zwischen den Parteien sei vereinbart gewesen, zunächst eine Entscheidung über die Rechtsfrage herbeizuführen. Das Finanzgericht habe jedoch über beide Punkte abschließend entschieden, ohne ihr, der Bfin., Gelegenheit zu geben, ihre Einwände gegen die Aufteilung des Umsatzes durch das Finanzamt im einzelnen darzulegen.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:
I.
1. Das Finanzgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Bfin. ihr Verlangen nach Anwendung des Umsatzsteuer-Durchschnittsatzes für Bäcker im Rechtsmittelverfahren nicht allein auf den Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 30. Januar 1952 stützen kann. Verwaltungsanordnungen sind für die Steuergerichte nur bindend, wenn es sich um Milderungserlasse handelt und sie vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes -- GG -- (d. h. vor dem 24. Mai 1949) ergangen sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 556/55 U vom 15. November 1956, BStBl 1957 III S. 148, Slg. Bd. 64 S. 396). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Der Erlaß vom 30. Januar 1952, der seinem Inhalt nach einer Schätzung des Steuerbetrages im Sinne des § 217 AO gleichkommt, dient, da die Aufzeichnung der vereinnahmten Entgelte nach den verschiedenen Steuersätzen des § 7 UStG bel Bäckereien auf erhebliche technische Schwierigkeiten stoßen kann, der verwaltungsmäßigen Vereinfachung bei der Ermittlung und Berechnung der Umsatzsteuer im gemeinsamen Interesse der Steuerpflichtigen und der Finanzämter. Die Verwaltung ist gehalten, solche seit Jahren mit Zustimmung der Steuerpflichtigen angewandte Vereinfachungserlasse in ihrem Geltungsbereich gleichmäßig zu handhaben. Aus dem Gesichtspunkt einer ungleichmäßigen Behandlung kann aber die Bfin. nichts für sich herleiten, weil die Finanzämter in den Fällen, in denen der Anteil der begünstigten Backwaren unter die 60-v.H.-Grenze absinkt, die Anwendung des Umsatzsteuer-Durchschnittsatzes mit rückwirkender Kraft gleichmäßig ablehnen.
2. Die Unzulässigkeit einer rückwirkenden Versagung des Umsatzsteuer-Durchschnittsatzes für Bäcker kann auch nicht mit § 96 Abs. 2 AO (Rückwirkung nur bei Veranlassung der Verfügung durch unlautere Mittel) begründet werden. § 96 AO erfaßt nur Anerkennungen, Genehmigungen, Bewilligungen und Erlaubnisse im Rechtssinne, d. h. nur Erleichterungen, die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen als besondere Verwaltungsakte vorgesehen sind (vgl. Amtliche Begründung zu § 78 AO a. F.; Urteile des Reichsfinanzhofs II A 583/21 vom 24. Januar 1922, Slg. Bd. 8 S. 115; VI A 1024/31 vom 16. Dezember 1931, Steuer und Wirtschaft 1932 Teil II Band I Nr. 246). Wie oben (zu 1.) ausgeführt, besitzt der Umsatzsteuer-Durchschnittsatz für Bäcker keine solche gesetzliche oder gesetzesgleiche Grundlage. Es ist weiter zu beachten, daß -- wie ebenfalls oben ausgeführt -- der Erlaß des Bundesministers der Finanzen eine Verwaltungsvereinfachung bezweckt und daher einen Verzicht auf die buchmäßige Trennung der vereinnahmten Entgelte gemäß § 16 UStDB ausspricht. Die Versteuerung des Bäckereiumsatzes zum Durchschnittsatz von 2,3 v. H. ist nach dem Wortlaut des Erlasses nicht Gegenstand, sondern Voraussetzung der behördlichen Genehmigung.
3. Der Erlaß des Bundesministers der Finanzen verzichtet auf die Trennung der Entgelte im Falle ihrer Versteuerung mit 2,3 v. H. nicht uneingeschränkt, sondern nur unter der Bedingung, daß der Anteil der begünstigten Backwaren 60 v. H. des Bäckereiumsatzes überschreitet. Das Finanzamt spricht die Genehmigung auf Antrag aus, ohne zu prüfen, ob diese Bedingung erfüllt ist. Die Prüfung obliegt im Zeitpunkt der Antragstellung und in der Folgezeit dem Steuerpflichtigen in eigener Verantwortung. Er ist verpflichtet, das Verhältnis der Umsätze der begünstigten Waren zum Bäckereiumsatz zu beobachten und die buchmäßige Trennung der Entgelte sowie ihre Versteuerung zu den einzelnen Steuersätzen des § 7 UStG unverzüglich wieder aufzunehmen, sobald er auf Grund seines Überblicks über den Betrieb oder seines Verkaufsprogramms oder einer Kalkulation auf der Basis des Wareneinsatzes zu dem Ergebnis gelangt, daß der Umsatz an begünstigten Waren auf die Dauer hinter der 60-v.H.-Grenze zurückbleibt. Versäumt er diese Pflicht, so kann er sich nicht auf eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben berufen, wenn das Finanzamt wegen Nichterfüllung der gestellten Bedingung zur Versteuerung nach den gesetzlichen Steuersätzen schreitet. Dem Finanzamt kann nicht zugemutet werden, die Einhaltung der 60-v.H.-Grenze bei allen Bäckern, die den Erlaß in Anspruch nehmen, ständig zu überwachen. Mit der Nichterfüllung der Bedingung treten die Vorschriften über die Trennung der Entgelte (§ 16 UStDB) und über die Steuersätze (§ 7 UStG) automatisch wieder in Kraft
4. Da bei Genehmigung des Antrages auf Anwendung des Erlasses des Bundesministers der Finanzen vom 30. Januar 1952 der Steuerpflichtige von der buchmäßigen Trennung der vereinnahmten Entgelte nach den einzelnen Steuersätzen des § 7 UStG befreit ist und eine solche Trennung nicht vornimmt, bereitet es oft Schwierigkeiten, den Zeitpunkt, von dem ab die 60-v.H.-Grenze auf die Dauer überschritten wurde, genau zu bestimmen. Der Senat hält es daher für angebracht, die Versteuerung nach den gesetzlichen Steuersätzen erst vom Beginn des Jahres an wieder aufzunehmen, das auf den Zeitpunkt des Unterschreitens der 60-v.H.-Grenze folgt. Im Streitfall trat nach dem Betriebsprüfungsbericht die Strukturänderung im Bäckereibetrieb der Bfin. im Laufe des Jahres 1953 ein. Es erscheint daher billig, der Bfin. für dieses Jahr den Umsatzsteuer-Durchschnittsatz noch zu gewähren. Für 1953 waren daher auf die Rb. der Bfin. die Vorentscheidungen und der ihnen zugrunde liegende Berichtigungsbescheid aufzuheben und die ursprüngliche Veranlagung wieder in Kraft zu setzen.
II.
Für die Veranlagungszeiträume 1954 bis 1957 vermag der Senat eine endgültige Entscheidung nicht zu treffen. Denn der Einwand der Bfin., daß das Finanzgericht den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt habe, ist begründet. Wie sich aus der Berufungsbegründung ergibt, ging die Bfin. davon aus, daß im Berufungsverfahren zunächst nur über die Rechtsfrage entschieden werden würde, ob eine rückwirkende Versagung des Umsatzsteuer-Durchschnittsatzes für Bäcker zulässig sei. Das Finanzgericht hätte, wenn es anders verfahren und ohne Vorentscheidung (§ 284 Abs. 2 AO) gleich abschließend erkennen wollte, der Bfin. dies mitteilen und sie unter Setzung einer angemessenen Frist auffordern müssen, die für später in Aussicht genommenen Feststellungen alsbald zu treffen und ihr Ergebnis dem Gericht bekanntzugeben. Da die Bfin. in der Berufungsbegründung zum Ausdruck gebracht hatte, daß sich die Berufung auch gegen die vom Betriebsprüfer vorgenommene Aufteilung ihres Umsatzes auf die einzelnen Steuersätze des § 7 UStG richte, durfte sich das Finanzgericht nicht auf die Bemerkung beschränken, die Schätzungen des Finanzamts seien nicht zu beanstanden.
Die Sache war daher, soweit die Veranlagungszeiträume 1954 bis 1957 in Betracht kommen, zur weiteren Aufklärung an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Das Finanzgericht hat hierbei Gelegenheit, die von der Bfin. in der Rb. gemachten Ausführungen zu berücksichtigen.
Fundstellen
Haufe-Index 410545 |
BStBl III 1962, 456 |
BFHE 1963, 521 |