Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Tarifierung von Dispersionsfarbstoffen

 

Leitsatz (NV)

1. Die Art. 3 und 5 des Freihandelszonenabkommens EWG/Schweiz wahren nicht den Besitzstand von Personen, die vor dem 1. Januar 1972 Vorteile aus einer unrichtigen Tarifierung gezogen haben.

2. Zur Heranziehung anderssprachiger Fassungen bei der Auslegung des Gemeinsamen Zolltarifs.

3. Unter die Tarifst. 32.05 B GZT fallen Zubereitungen von synthetischen organischen Farbstoffen, die nach ihrer Beschaffenheit geeignet sind, zum Färben von Kunststoffen, Kautschuk und ähnlichen Stoffen in der Masse oder zum Herstellen von Zubereitungen für den Textildruck verwendet zu werden.

 

Normenkette

GZT Vorschrift 3 zu Kap. 32; GZT Tarifnr. 32.05; Freihandelszonenabkommen EWG/Schweiz vom 22. Juli 1972

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) führte vom 21. Januar 1975 bis 29. Juni 1977 mehrere Sendungen der organischen Dispersionsfarbstoffe A und B aus der Schweiz in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ein. Die eingeführten Waren enthielten neben anderen Zusatzstoffen synthetische organische Farbstoffe. Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA -) fertigte die Waren auf Antrag der Klägerin zum freien Verkehr ab und wies sie der Tarifst. 32.05 B des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu. Dagegen legte die Klägerin Einspruch mit dem Begehren ein, die Waren in die Tarifst. 32.05 A GZT einzuordnen. Das HZA wies den Einspruch im wesentlichen mit der Begründung zurück, die zum Färben im Auszieh- oder Thermosolverfahren in der Textilindustrie bestimmten Farbstoffe seien Zubereitungen aus Farbpigmenten, Dispergatoren (grenzflächenaktiven Stoffen), Trägerstoffen und anderen Hilfsmitteln und gehörten aufgrund des hohen Gehalts an grenzflächenaktiven Stoffen unabhängig vom Verwendungszweck zur Tarifst. 32.05 B GZT.

Die Klage, mit der die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen Zollbescheide und der Einspruchsentscheidung vom 20. Juli 1981 sowie die Verpflichtung des HZA zur Anwendung der Tarifst. 32.05 A GZT begehrte, hatte Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) aus:

Die Ware sei der Tarifst. 32.05 A GZT zuzuordnen. Von der Tarifst. 32.05 B GZT werde sie nicht erfaßt. Genannt seien hier nur Zubereitungen i.S. der Vorschrift 3 zu Kap. 32 GZT. Die eingeführten Waren erfüllten die Kriterien dieser Vorschrift nicht. Sie würden nicht zum Färben von Kunststoffen, Kautschuk oder ähnlichen Stoffen, sondern zum Färben von Textilfasern verwendet. Das Färben erfolge im Wege der Diffusion und nicht in der Masse. Die Waren seien auch nicht als Zubereitungen zur Herstellung von Zubereitungen für den Textildruck i.S. der Vorschrift 3 zu Kap. 32 GZT anzusehen. Sie würden nicht im Textildruck eingesetzt. Überdies komme es jedenfalls auf den Hauptverwendungszweck an. Wegen der untergeordneten Bedeutung eines vielleicht möglichen Einsatzes im Textildruck ändere sich an der Zuweisung zur Tarifst. 32.05 A GZT nichts. Entscheidend sei nicht die theoretische Verwendungsmöglichkeit, sondern die tatsächliche Verwendung.

Der vom HZA angewandte Zollsatz würde auch gegen Art. 5 des Freihandelszonenabkommens zwischen der EWG und der Schweiz vom 22. Juli 1972 - im folgenden: Abkommen - (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - 1972, L 300/189) verstoßen. Danach gelte der am 1. Januar 1972 tatsächlich angewandte Zollsatz. Für Dispersionsfarbstoffe der eingeführten Art sei tatsächlich am Stichtag der für Waren der Tarifst. 32.05 A GZT geltende Zollsatz von 10 v.H. angewandt worden. Abzustellen sei auf die Handhabung, die den amtlichen Weisungen entspreche (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 27. Februar 1962 Rs. 10/61, EuGHE 1962, 1). Eine unzulässige Erhöhung des Zollsatzes könne sich sowohl aus einer Neugliederung des Tarifs als auch aus der Erhöhung des Zollsatzes im eigentlichen Sinne ergeben (vgl. EuGH-Urteil vom 5. Februar 1963 Rs. 26/62, EuGHE 1963, 1). Eine EWGeinheitliche Fehltarifierung könne die Beibehaltung eines falschen Ausgangszollsatzes auch nach der Richtigstellung der Tarifierung rechtfertigen. Die Anwendung des Zollsatzes von 10 v. H. habe am Stichtag der allgemein als zutreffend angesehenen Rechtsauffassung entsprochen. Die Dispersionsfarbstoffe der Klägerin seien auch in anderen Mitgliedstaaten der EWG der Tarifst. 32.05 A GZT zugeordnet worden, wie die Klägerin überzeugend anhand von Einzelfällen nachgewiesen habe. Das HZA habe dagegen keine konkreten Fälle benennen können, aus denen auf eine gegenteilige oder allgemein uneinheitliche Verwaltungsübung hätte geschlossen werden können.

Mit seiner Revision macht das HZA im wesentlichen folgendes geltend:

Nach Auffassung des FG würden von der Vorschrift 3 zu Kap. 32 GZT nur Waren erfaßt, die tatsächlich zu den in dieser Vorschrift genannten Zwecken verwendet würden. Diese Auffassung treffe nicht zu. Hier seien beispielhaft Erzeugnisse aufgeführt worden, die zu bestimmten Zwecken verwendbar seien, wie sich aus der französischen und englischen Fassung des GZT ergebe. In diesem Sinne seien auch die Erläuterungen zur Tarifst. 32.05 B GZT zu verstehen. Hätte der Gesetzgeber die in der Vorschrift 3 zu Kap. 32 GZT aufgeführten Verwendungszwecke als zwingend ansehen wollen, so wäre es im übrigen unumgänglich gewesen, die tatsächliche Verwendung der Waren auch zollamtlich zu überwachen. Das sei aber nicht vorgesehen. Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14. Februar 1978 VII K 7-8/75 (BFHE 124, 457) betreffe eine andere Ware, die einer anderen Tarifnummer zuzuweisen sei.

Ein Verstoß gegen Art. 3 und 5 des Abkommens liege hier nicht vor. Es handle sich nicht um eine unzulässige Einführung neuer Einfuhrzölle, sondern lediglich um die Berichtigung eines ursprünglich zu niedrig festgesetzten Zollbetrages. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob auch einzelne Zollstellen anderer Mitgliedstaaten der EG die Dispersionsfarbstoffe falsch tarifiert hätten. Die Erläuterungen zum GZT entsprächen der bereits vorher nach der Vorschrift 3 zu Kap. 32 GZT geübten Tarifierungspraxis mehrerer Mitgliedsländer.

Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie führt u. a. aus:

Das HZA habe sich nicht mit der Rechtsprechung des EuGH und des BFH auseinandergesetzt. Zu Recht habe sich das FG auf die EuGH-Urteile in EuGHE 1962, 1, und in EuGHE 1963, 1 gestützt. Zu Unrecht meine das HZA, das Urteil in BFHE 124, 457 betreffe eine andere Ware. Dort sei es ebenfalls um die Auslegung der Vorschrift 3 zu Kap. 32 GZT gegangen.Die Einordnung der Dispersionsfarbstoffe unter Tarifst. 32.05 B GZT durch den Ausschuß für das Schema des GZT im Juni 1974 habe konstitutive Wirkung. Sie sei daher eine Umtarifierung im Sinne des Urteils in EuGHE 1963, 1 und deshalb unzulässig. Es stehe fest, daß die X-Dispersionsfarbstoffe, die im fraglichen Zeitraum (1. Januar 1975 bis 30. Juni 1977) in die Bundesrepublik importiert worden seien, vor dem 1. Januar 1972 in alle EG-Staaten unter der Tarifst. 32.05 A GZT verzollt worden seien. Der tatsächlich angewandte Zollsatz i. S. von Art. 5 des Abkommens entspreche daher dem der Tarifst. 32.05 A GZT. Das genannte Abkommen begründe auch einen Vertrauensschutz, d. h., der einzelne könne darauf vertrauen, daß der tatsächlich angewandte Zollsatz nicht nach Inkrafttreten des Abkommens erhöht werde, weil die Verwaltung sich vor Inkrafttreten des Abkommens im Zollbetrag geirrt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Das FG hat die Tarifst. 32.05 B GZT und Art. 5 des Abkommens unrichtig ausgelegt. Die Feststellungen des FG ermöglichen es dem Senat jedoch nicht, in der Sache selbst endgültig zu entscheiden.

1. Unter die Tarifnr. 32.05 GZT fallen u. a. synthetische organische Farbstoffe. Diese werden in der Position A namentlich genannt. Es kann dahingestellt bleiben, ob auch Zubereitungen solcher Farbstoffe von dieser Position erfaßt werden (dafür sprechen die Grundsätze des Senats-Urteils in BFHE 124, 457, 460). Jedenfalls geht auch bei der Bestimmung der Tarifstelle innerhalb einer Tarifnummer die Tarifstelle mit der genaueren Warenbezeichnung vor (Allgemeine Tarifierungsvorschriften - ATV - 3a, 5). Die Position B enthält eine genauere Warenbezeichnung.

Die Tarifst. 32.05 B GZT erfaßt ,,Zubereitungen im Sinne der Vorschrift 3 zu Kap. 32". Diese Vorschrift kann nur dahin ausgelegt werden, daß nicht alle Zubereitungen unter diese Position fallen, sondern nur die in der Vorschrift 3 zu Kap. 32 GZT näher bezeichneten. Denn anderenfalls hätte die Tarifst. 32.05 B GZT lauten müssen: ,,Zubereitungen auf der Grundlage von synthetischen organischen Farbstoffen". Für die Entscheidung kommt es also darauf an, wie die genannte Vorschrift auszulegen ist.

2. Die Vorschrift 3 zu Kap. 32 GZT umfaßt solche Zubereitungen auf der Grundlage von synthetischen organischen Farbstoffen, die nach ihrer Beschaffenheit geeignet sind, zum Färben von Kunststoffen, Kautschuk und ähnlichen Stoffen in der Masse oder zum Herstellen von Zubereitungen für den Textildruck verwendet zu werden. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen.

Die deutsche Fassung der Vorschrift lautete im hier maßgebenden Zeitraum: ,,. . . Zubereitungen . . ., die zum . . . verwendet werden." Diese Fassung ist durch die Verordnung (EWG) Nr. 3000/79 (VO Nr. 3000/79) des Rates vom 20. Dezember 1979 (ABlEG L 342/l) geändert worden und lautet seit 1. Januar 1980: ,,. . . Zubereitungen . . ., wie sie zum . . . verwendet werden". Die englische Fassung der Vorschrift lautet seit der ersten Fassung des GZT: ,,. . . preparations . . . of a kind used . . .", die entsprechende französische Fassung: ,,. . . préparations . . . du genre utilisé . . .". Diese Fassungen entsprechen wörtlich dem Brüsseler Zolltarifschema, wie es z. B. im Berichtigungsprotokoll zum Abkommen über das Zolltarifschema für die Einreihung der Waren in die Zolltarife vom 1. Juli 1955 abgedruckt ist (BGBl II 1960, 470, 540); die deutsche Übersetzung des Brüsseler Tarifschemas weist aber noch die Fassung auf, die im GZT bis 31. Dezember 1979 übernommen wurde (BGBl II 1960, 541).

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind bei der Auslegung des GZT im Zweifelsfall auch die Fassungen in den anderen Sprachen der Gemeinschaft heranzuziehen; es ist diejenige Auslegung zu wählen, die sich eindeutig aus einer der sprachlichen Fassungen ergibt, wenn nicht eine andere sprachliche Fassung für das Gegenteil spricht (vgl. z. B. Urteil vom 16. Oktober 1980 Rs. 824 u. 825/79, EuGHE 1980, 3053, 3062). Eindeutig ist aufgrund der englischen und französischen Fassung, daß die Vorschrift 3 zu Kap. 32 GZT entgegen der Auffassung des FG nicht auf die tatsächliche Verwendung der zu tarifierenden Ware abstellt. Die deutsche Fassung beruht offenbar auf einem Fehler bei der Herstellung der deutschen Übersetzung des amtlich nur in englischer und französischer Fassung vereinbarten Brüsseler Zolltarifschemas. Dieser Fehler ist erst durch die VO Nr. 3000/79 berichtigt worden.

Die Richtigkeit dieser Auffassung bestätigt der Umstand, daß der GZT nur ganz ausnahmsweise eine bestimmte Tarifierung von einer bestimmten Verwendung der zu tarifierenden Ware abhängig macht und in diesem Fall regelmäßig die tatsächliche Zuführung der Ware zu dieser Verwendung auch einer Kontrolle unterzieht (vgl. die Beispiele bei Lux in Bail/Schädel/Hutter, Zollgesetz, Kommentar, F II 1 Anm. 86 bis 91). In der Regel richtet sich die Tarifierung dagegen nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des Senats nach den objektiven Merkmalen und Eigenschaften der zu tarifierenden Waren. Es spricht alles dafür, daß die Vorschrift 3 zu Kap. 32 GZT davon keine Ausnahme machen wollte.

Wie ausgeführt, fallen unter die Tarifst. 32.05 B GZT nicht Zubereitungen der genannten Produkte schlechthin, sondern nur bestimmte Zubereitungen. Es muß sich dabei um Zubereitungen ,,von der Art, wie" sie zu den besonders genannten Zwecken verwendet werden, handeln. Damit stellt die Vorschrift auf eine bestimmte Beschaffenheit der Zubereitungen ab. Sie muß im wesentlichen der Beschaffenheit jener Zubereitungen entsprechen, die zu den genannten Zwecken verwendet werden. Die Vorschrift enthält keinen Hinweis darauf, daß die zum Vergleich heranzuziehenden Zubereitungen ausschließlich oder auch nur hauptsächlich oder vorwiegend zu den genannten Zwecken verwendet werden müssen (im Gegensatz zu zahlreichen entsprechenden Vorschriften des GZT, vgl. z. B. Vorschrift 2b zu Abschn. XVI). Ein entsprechender Sinn kann der Vorschrift auch nicht unterstellt werden. Ihr geht es offensichtlich allein darum, die Beschaffenheit der von ihr umfaßten Zubereitungen mittelbar durch Hinweis auf die Beschaffenheit von Produkten festzulegen, die diese erhalten haben, um sie zur Verwendung zu bestimmten Zwecken zu befähigen. Dafür ist aber ohne Bedeutung, in welchem Umfang diese Produkte jeweils zu diesem Zweck verwendet werden. Auch wenn dies nur in wenigen Fällen geschieht, muß das Produkt seiner Beschaffenheit nach für diese Verwendung geeignet sein. Das belegt, daß die Vorschrift 3 zu Kap. 32 GZT jene Zubereitungen von synthetischen organischen Farbstoffen umfaßt, die nach ihrer Beschaffenheit geeignet sind, zum Färben von Kunststoffen, Kautschuk und ähnlichen Stoffen in der Masse oder zum Herstellen von Zubereitungen für den Textildruck verwendet zu werden.

In seinen Urteilen in BFHE 124, 457, und vom 29. November 1977 VII R 5/75 (BFHE 123, 572) hat der Senat keine andere Auffassung vertreten; er hatte bei der Art der Sachverhalte auch keinen Anlaß, auf die Frage einzugehen, ob bei der Auslegung der Vorschrift 3 zu Kap. 32 GZT die tatsächliche Verwendung der zu tarifierenden Waren von ausschlaggebender Bedeutung ist. Aber auch wenn diese Entscheidungen anders zu verstehen wären, könnten sie im vorliegenden Fall als Präjudizien nicht herangezogen werden; denn da sie auf der unrichtigen deutschen Fassung der Vorschrift beruhen, hielte der Senat an ihnen nicht mehr fest.

3. Den Feststellungen des FG läßt sich nicht entnehmen, ob die eingeführten Waren die genannte Beschaffenheit aufweisen. Nach den Erläuterungen zum GZT (ErlZT zur Tarifnr. 32.05 Teil II Rdnr. 4) gehören Dispersionsfarbstoffe unabhängig von ihrer tatsächlichen Verwendung zur Tarifst. 32.05 B GZT. Das spricht dafür, daß Dispersionsfarbstoffe und damit die eingeführten Waren - die nach den Feststellungen des FG solche sind - von der in der Vorschrift 3 zu Kap. 32 GZT vorausgesetzten Beschaffenheit sind. Der Senat vermag aber nicht völlig auszuschließen, daß diese Erläuterungen auf einer unzutreffenden Auslegung der Vorschrift 3 zu Kap. 32 GZT beruhen. Sollte das der Fall sein, müßten sie hier außer Betracht bleiben. Es bedarf also der Feststellung, ob die eingeführten Dispersionsfarbstoffe nach ihrer Beschaffenheit geeignet sind, zu einem der in der Vorschrift genannten Zwecke verwendet zu werden.

4. Einer Zurückverweisung an das FG bedürfte es allerdings nicht, wenn dem FG zu folgen wäre, daß die angefochtenen Bescheide zumindest wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 und 5 des Abkommens unrechtmäßig sind. Der Senat folgt aber der Auffassung des FG nicht.

Die Tarifierung der eingeführten Waren nach Tarifst. 32.05 B ergibt sich aus dem GZT, also dem Gemeinschaftsrecht. Nur wenn dieses Recht - soweit hier relevant - wegen Verstoßes gegen vorrangiges Recht unwirksam wäre und dieses vorrangige Recht die Einordnung der eingeführten Waren unter die Tarifst. 32.05 A GZT anordnete, könnte also die Klage Erfolg haben. Vom Bestehen einer solchen Gesetzeskollision zweier gemeinschaftsrechtlicher Rechtsnormen, die zu Lasten der Bestimmungen des GZT zu lösen ist, ging das FG aus, indem es ausführt, die Anwendung des Zollsatzes der Tarifst. 32.05 B GZT auf die eingeführten Waren verstieße gegen Art. 3 und 5 des Abkommens. Diese Auffassung hält jedoch einer näheren Prüfung nicht stand.

Das FG ist auf eine Reihe von Rechtsfragen nicht eingegangen, die sich in diesem Zusammenhang stellen. Es ist fraglich, ob Art. 3 und 5 des Abkommens unmittelbare Wirksamkeit entfalten und ob sich der Einzelne auf diese Vorschriften berufen kann. Falls diese Fragen zugunsten der Klägerin zu entscheiden wären, stellte sich ferner die Frage, ob die dann bestehende Gesetzeskonkurrenz zwischen Art. 3 und 5 des Abkommens und der Tarifnr. 32.05 GZT zu Lasten der letzteren Rechtsnorm zu lösen ist, obwohl auch in bezug auf das Schema des GZT völkerrechtliche Verpflichtungen der Gemeinschaft bzw. von deren Mitgliedstaaten aufgrund des Brüsseler Abkommens über das Zolltarifschema bestehen. Insbesondere ist auch fraglich, ob die Art. 3 und 5 des Abkommens in der Auslegung des FG (Klausel zur Besitzstandswahrung für Personen, die am oder vor dem Stichtag durch eine falsche Anwendung des GZT begünstigt worden sind) noch den Anforderungen entsprächen, die nach der Rechtsprechung des EuGH erfüllt sein müssen, damit die Bestimmungen eines Freihandelsabkommens der EWG mit Drittstaaten unmittelbare Geltung beanspruchen und den einzelnen Rechte vermitteln können. Der Senat braucht jedoch über diese Fragen (vgl. dazu insbesondere Bebr, Gemeinschaftsabkommen und ihre mögliche unmittelbare Wirksamkeit, Europarecht 1983, 128 ff.) im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden (und daher auch keine entsprechende Vorabentscheidung des EuGH einzuholen), da bereits die Auslegung der Art. 3 und 5 des Abkommens eindeutig ergibt, daß diese Vorschriften der Klägerin die von ihr behaupteten Rechte nicht zu vermitteln vermögen.

Art. 3 des Abkommens enthält das Verbot der Einführung neuer Einfuhrzölle und legt fest, wie ,,jeder Zollsatz" schrittweise gesenkt wird. Art. 5 des Abkommens bestimmt den ,,Ausgangszollsatz" für diese Senkung. Er ist ,,für jede Ware . . . der am 1. Januar 1972 tatsächlich angewandte Zollsatz". Diese Vorschrift betrifft nicht das Schema der Zolltarife der Vertragspartner, sondern die den jeweiligen Tarifpositionen zugeordneten Zollsätze. Sie trägt dem Umstand Rechnung, daß zu einer bestimmten Tarifposition mehrere Zollsätze gehören können (z. B. autonome, vertragsmäßige oder zeitlich ausgesetzte Zollsätze). Es bedurfte daher einer Auswahl aus diesen Zollsätzen. Es soll der für jede Ware, d. h. für jede Zolltarifposition, tatsächlich angewandte Zollsatz maßgebend sein. Das belegt z. B. auch die Liste in Anhang II des Abkommens. Diese bestimmt den Fiskalanteil bestimmter Zölle, den die Schweiz vorübergehend beibehalten darf, ebenfalls im Bezug auf durch Zolltarifpositionen definierte Waren.

Dagegen ist auszuschließen, daß die Art. 3 und 5 des Abkommens den Besitzstand von Personen wahren wollten, die vor oder am Stichtag Vorteile aus einer unrichtigen Anwendung des Zolltarifschemas durch die Behörden der Vertragstaaten des Abkommens gezogen haben. Es fehlt jeder Hinweis darauf, daß die vertragschließenden Parteien eine - einem Freihandelszonenabkommen grundsätzlich fremde - Vorschrift zum Vertrauensschutz schaffen wollten. Schon die Nennung des Stichtags ,,1. Januar 1972" in Art. 5 des Abkommens spricht dagegen, da, wenn schon das Vertrauen in unrichtige Tarifierungen geschützt werden sollte, der Zeitraum davon nicht ungenannt hätte bleiben können.

Insbesondere aber praktische Gründe sprechen gegen das Bestehen einer solchen Besitzstandswahrungsklausel. Anderenfalls hätte es nämlich für die Festlegung der für jede Ware in der Freihandelszone anwendbaren Zollsätze nicht genügt, das jeweilige Tarifschema mit dem zugehörigen tatsächlich angewandten Zollsatz zu berücksichtigen, sondern es hätte jeweils der Feststellung der (etwa abweichenden) Tarifierungspraxis in der Schweiz und der gesamten Gemeinschaft bedurft. Es erscheint ausgeschlossen, daß die vertragschließenden Parteien einen Vertrag mit einem solchen unpraktikablen Inhalt haben abschließen wollen nur mit dem Ziel, in den - sicherlich nur wenigen - Fällen, in denen bisher Fehltarifierungen vorgekommen sind, die Begünstigten im Genuß dieser Fehltarifierungen zu belassen.

Es kann unentschieden bleiben, ob der Auffassung des FG in Fällen gefolgt werden könnte, in denen die einheitliche Fehltarifierung auf generelle Tarifierungsvorschriften (etwa auch nichtnormativer Art) zurückzuführen ist (vgl. auch Urteil des Senats vom 30. September 1968 VII 82/65, BFHE 94, 1, zu einer ähnlichen Frage bei der Auslegung des Art. 12 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft - EWGV -; Wurzinger, ,,Angewandter Zollsatz" und ,,tatsächlich angewandter Zollsatz" im Sinne des EWGV, der Beitrittsakte und der Freihandelsabkommen mit den Rest-EFTA-Staaten, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern - ZfZ - 1976, 110). So jedenfalls liegt der Fall hier nicht. Es gab vor dem Erlaß der Erläuterungen zu den Dispersionsfarbstoffen im März 1974 durch die EWG keine EWG-einheitlichen generellen Erläuterungen, aus denen sich hätte entnehmen lassen, daß Waren wie die eingeführten zur Tarifst. 32.05 A - und nicht, wie dem Tarifschema zu entnehmen ist, zur Tarifst. 32.05 B - GZT gehören. Die frühere tatsächliche Behandlung solcher Waren kann auch dann keinen Einfluß auf die während der Übergangszeit in der Freihandelszone anwendbaren Zollsätze haben, wenn diese in der Gemeinschaft wirklich einheitlich gewesen sein sollten, wie das FG festgestellt hat. Es braucht daher auch auf die Frage nicht eingegangen zu werden, ob diese schlichte Feststellung des FG ohne jede Begründung dem Begründungserfordernis des § 96 Abs. 1 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht.

Zu Unrecht beruft sich die Klägerin für ihre Gegenauffassung auf die Urteile in EuGHE 1962, 1, und in EuGHE 1963, 1. Diese Urteile sind zu den Art. 12 und 14 EWGV ergangen. Bei dem verfassungsgleichen Charakter, der dem EWGV zukommt, kann die Auslegung einer Vorschrift des EWGV nicht automatisch für die Auslegung einer ähnlich lautenden Vorschrift eines Freihandelsabkommens der EWG mit dritten Staaten gelten. Hinzu kommt, daß der EuGH gerade nicht entschieden hat, bei der Anwendung der Art. 12, 14 EWGV sei davon auszugehen, wie der jeweilige Mitgliedstaat seinen Zolltarif vorher angewendet hat, auch wenn sich diese Anwendung als fehlerhaft erweist. Beide Urteile betrafen keine solchen Fälle. Im ersten Fall (EuGHE 1962, 1) ging es allein um die Frage, welcher von zwei Zollsätzen, die in Italien für eine bestimmte Tarifposition wahlweise tatsächlich angewendet worden sind, i. S. der Art. 12 und 14 EWGV zugrunde zu legen ist. Im zweiten Fall (EuGHE 1963, 1) war allein streitig, ob es eine i. S. des Art. 12 EWGV unerlaubte Erhöhung eines Zollsatzes darstellt, wenn dieser nicht eigentlich erhöht worden, sondern Folge einer Neugliederung des nationalen Zolltarifs ist. Aus diesen Urteilen kann daher für den vorliegenden Fall nichts Sachdienliches entnommen werden.

5. Der Senat ist zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 177 Abs. 1 und 3 EWGV nicht verpflichtet (vgl. auch EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415). Er hält unter Berücksichtigung der zitierten Rechtsprechung des EuGH die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts für derart offenkundig, daß keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Fragen bleibt; er ist ferner davon überzeugt, daß auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den EuGH die gleiche Gewißheit bestünde (vgl. das letztzitierte Urteil in EuGHE 1982, 3415, Abs. 16 der Gründe).

 

Fundstellen

Haufe-Index 414899

BFH/NV 1987, 675

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