Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorbehalt der Nachprüfung muss eindeutig erkennbar sein
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Steuerbescheid ist nur dann wirksam unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt, wenn die Kennzeichnung des Vorbehalts für den Steuerpflichtigen eindeutig erkennbar ist.
2. Der kraft Gesetzes für eine Steueranmeldung geltende Vorbehalt der Nachprüfung entfällt, wenn das FA nach Eingang der Steuererklärung erstmals einen Steuerbescheid ohne Nachprüfungsvorbehalt erlässt.
Normenkette
AO 1977 § 150 Abs. 1 S. 2, § 164 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 168 S. 1; UStG 1980 § 18 Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Dok.-Nr. 0550793; EFG 1999, 533) |
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Gegenstand ihres Unternehmens waren die Errichtung und der Verkauf von Einfamilienhäusern. Unter anderem errichtete und verkaufte die Klägerin im Rahmen des Bauvorhabens X insgesamt sechs Reihen-Einfamilienhäuser.
In ihrer Umsatzsteuer-Jahreserklärung 1980 (Streitjahr) erklärte die Klägerin eine Steuer von 11 296,81 DM. Das seinerzeit für die Besteuerung der Klägerin zuständige Finanzamt A folgte der Steueranmeldung zunächst.
Im Jahr 1982 führte das Finanzamt A bei der Klägerin eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch. Hinsichtlich des Bauvorhabens X ging der Prüfer davon aus, dass die Klägerin ―entsprechend ihrer Umsatzsteuer-Erklärung 1980― von den sechs errichteten Reihenhäusern nur eines steuerpflichtig veräußert habe (Tz. 12 des Umsatzsteuer-Sonderprüfungsberichtes vom 2. Juli 1982). In Tz. 15 des Berichtes heißt es unter "Auswertungsvorschlag": "Die Prüfungsfeststellung zu Tz. 12 dieses Berichtes wird in einer gem. § 164 Abs. 2 AO zu berichtigenden USt-Festsetzung für 1980 berücksichtigt. Die Festsetzung erfolgt weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Weitergehende Feststellungen bleiben einer evtl. künftigen Außenprüfung vorbehalten."
Am 6. Oktober 1982 erließ das Finanzamt A einen gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) berichtigten Umsatzsteuerbescheid 1980. Unter "Bemerkungen" heißt es: "Der o.a. Steuerfestsetzung liegen die Feststellungen der USt-SoPr. (vgl. Bericht vom 2.7.1982) zugrunde."
Eine (ausdrückliche) Kennzeichnung als Vorbehaltsfestsetzung enthält der ―bestandskräftig gewordene― Bescheid nicht.
Im Jahre 1985 fand bei der Klägerin eine ebenfalls das Streitjahr 1980 betreffende Betriebsprüfung statt. Der Prüfer gelangte zu der Auffassung, die Lieferung eines weiteren Reihenhauses des Bauvorhabens X sei steuerpflichtig. Unter Berücksichtigung der insoweit abziehbaren Vorsteuerbeträge erhöhte sich die Umsatzsteuer dadurch um 7 469 DM.
Am 8. August 1986 erließ der inzwischen zuständig gewordene Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) einen dementsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheid 1980. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein und erhob nach dessen Zurückweisung Klage.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte zur Begründung aus, das FA sei verfahrensrechtlich daran gehindert, mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. August 1986 den vorangegangenen Umsatzsteuerbescheid 1980 vom 6. Oktober 1982 zu ändern.
Eine Änderungsbefugnis ergebe sich nicht aus § 164 Abs. 2 AO 1977. Der Bescheid vom 6. Oktober 1982 enthalte keinen ausdrücklichen Vorbehaltsvermerk. Er habe auch nicht deshalb unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden, weil er eine gemäß § 168 Satz 1 AO 1977 kraft Gesetzes einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehende Steueranmeldung geändert habe (Hinweis auf Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 29. Oktober 1987 V B 61/87, BFHE 151, 251, BStBl II 1988, 45). Der Umstand, dass in der Begründung des Bescheides vom 6. Oktober 1982 auf den Umsatzsteuer-Sonderprüfungsbericht Bezug genommen und dort ausgeführt werde, die Festsetzung erfolge weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, reiche zur Annahme einer wirksamen Vorbehaltsfestsetzung nicht aus.
Das FA sei ferner nicht gemäß § 173 Abs. 1 AO 1977 zur Änderung befugt gewesen. Denn dafür, dass erst im Rahmen der 1985 durchgeführten Betriebsprüfung im Hinblick auf das Bauvorhaben X neue Tatsachen bekanntgeworden seien, gebe es keine Anhaltspunkte.
Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 533 teilweise veröffentlicht.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung von § 164 Abs. 2 und § 168 Satz 1 AO 1977 und macht zur Begründung im wesentlichen geltend: Der BFH habe in seinem Urteil vom 14. September 1993 VIII R 9/93 (BFHE 175, 391, BStBl II 1995, 2) ausgeführt, dass ein Änderungsbescheid den Regelungsgehalt des ursprünglichen Bescheides in sich aufnehme, was zur Folge habe, dass der Vorbehalt der Nachprüfung auch ohne ausdrückliche Wiederholung zum Gegenstand der Neuregelung werde. Der vorliegende Fall unterscheide sich von dem durch den BFH entschiedenen Fall allein dadurch, dass der "Ausgangsbescheid" kein Steuerbescheid gewesen sei, der kraft einer vom Bearbeiter gesetzten Nebenbestimmung unter Vorbehalt gestanden habe, sondern dass es sich um eine Steueranmeldung gehandelt habe, die gemäß § 168 Satz 1 AO 1977 einer Vorbehaltsfestsetzung gleichgestanden habe. Allein dieser Umstand rechtfertige allerdings keine andere rechtliche Beurteilung.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin tritt dem Revisionsvorbringen entgegen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der angefochtene Umsatzsteuer-Änderungsbescheid vom 8. August 1986 rechtswidrig ist, weil das FA den vorangegangenen ―bestandskräftigen― Umsatzsteuerbescheid vom 6. Oktober 1982 aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht ändern durfte.
1. Das FA war nicht nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 zur Änderung befugt.
a) Nach § 164 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 können die Steuern, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass dies einer Begründung bedarf. Solange der Vorbehalt wirksam ist, kann die Steuerfestsetzung gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 aufgehoben oder geändert werden. Nach § 164 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 kann der Vorbehalt der Nachprüfung jederzeit aufgehoben werden. Die Aufhebung steht einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich; § 157 Abs. 1 Satz 1 und 3 AO 1977 gilt sinngemäß (§ 164 Abs. 3 Satz 2 AO 1977).
b) Im Streitfall stand der ―durch den angefochtenen Bescheid geänderte― Umsatzsteuerbescheid 1980 vom 6. Oktober 1982 nicht unter ausdrücklichem Vorbehalt der Nachprüfung. Es liegt auch keine konkludente Vorbehaltsfestsetzung vor.
Soweit in der Begründung des Bescheides ausgeführt wird, der Steuerfestsetzung lägen die Feststellungen der Umsatzsteuer- Sonderprüfung im Bericht vom 2. Juli 1982 zugrunde, und in diesem Bericht vorgeschlagen wird, die Steuer weiterhin unter Vorbehalt der Nachprüfung festzusetzen, reicht dies zur Annahme einer wirksamen Vorbehaltsfestsetzung nicht aus. Denn ein Steuerbescheid ist nur dann wirksam unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt, wenn die Kennzeichnung des Vorbehalts für den Steuerpflichtigen eindeutig erkennbar ist. Eine Bezugnahme in einem Steuerbescheid auf sonstige Unterlagen bewirkt keinen Vorbehalt, solange sich hieraus für den Steuerpflichtigen nicht eindeutig eine entsprechende Ermessensentscheidung des zuständigen Veranlagungsbeamten ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 2. März 1993 IX R 93/89, BFH/NV 1993, 704, unter 1.).
So liegt es hier. Auch wenn sich aus Tz. 15 des Berichts über die Umsatzsteuer-Sonderprüfung die Absicht des Prüfers ergab, dass seine Feststellungen in einer Vorbehaltsfestsetzung umgesetzt werden sollten, hat diese Absicht in dem bekanntgegebenen Inhalt des Steuerbescheides (§ 124 Abs. 1 Satz 2 AO 1977) keinen hinreichend eindeutigen Niederschlag gefunden.
c) Der Bescheid vom 6. Oktober 1982 stand auch nicht kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Die Umsatzsteuererklärung der Klägerin für 1980 stand als Steueranmeldung (§ 18 Abs. 3 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes ―UStG― 1980, § 150 Abs. 1 Satz 2 AO 1977) gemäß § 168 Satz 1 AO 1977 zwar einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Der dieser Steueranmeldung anhaftende Nachprüfungsvorbehalt entfällt aber, wenn das FA auf die Steuererklärung hin erstmals einen Steuerbescheid ohne einen derartigen Vorbehalt erlässt (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 151, 251, BStBl II 1988, 45, unter 1. b; FG München, Urteil vom 18. September 1991 3 K 3601/90, EFG 1992, 245; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 168 AO Tz. 5; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 6. Aufl., § 168 Anm. 2). Denn der Verwaltungsakt (§ 118 Satz 1 AO 1977) wird gemäß § 124 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekanntgegeben wird. Dabei ist die Regelung des konkreten Einzelfalls entscheidend, so, wie der Empfänger des Verwaltungsakts nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Inhalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte; Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 151, 251, BStBl II 1988, 45, unter 1. b).
Allerdings bleibt nach ständiger Rechtsprechung des BFH der Vorbehalt der Nachprüfung auch dann bestehen, wenn er im Falle einer Änderung des ursprünglichen Bescheides durch einen weiteren Bescheid nicht ―was aus Gründen der Klarstellung zweckmäßig wäre― ausdrücklich wiederholt wird (vgl. BFH-Urteil in BFHE 175, 391, BStBl II 1995, 2, unter II. 1. b, m.w.N.). Dies gilt ―wie der Senat bereits im Beschluss in BFHE 151, 251, BStBl II 1988, 45, unter 1. b in einem summarischen Verfahren ausgeführt hat― indes nur für Sachverhalte, in denen das FA den Vorbehalt der Nachprüfung ausdrücklich in einen Steuerbescheid aufgenommen hatte; sie trifft auf den dem Streitfall zugrunde liegenden Sachverhalt nicht zu. Denn die Gleichsetzung einer Steueranmeldung mit einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung durch § 168 Satz 1 AO 1977 soll (lediglich) der Beschleunigung des Steuerfestsetzungsverfahrens dienen und sicherstellen, dass schon mit Eingang der Steuererklärung, die eine Selbstberechnung der Steuer enthalten muss, die entsprechende Steuer entrichtet wird (vgl. Rüsken, a.a.O., § 168 Anm. 1). Der Senat vermag deshalb der Revisionsbegründung des FA nicht zu folgen, dass die beiden dargelegten Fallgruppen gleich behandelt werden müssten.
2. Dass der angefochtene Änderungsbescheid nicht gemäß § 173 Abs. 1 AO 1977 geändert werden konnte, weil im Streitfall nicht Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntgeworden sind, hat das FG ebenfalls zutreffend dargelegt. Dagegen hat das FA mit der Revision auch nichts vorgebracht.
Fundstellen
Haufe-Index 424842 |
BFH/NV 2000, 769 |
BStBl II 2000, 284 |
BFHE 2000, 288 |
BB 2000, 1182 |
BB 2000, 658 |
DB 2000, 704 |
DStRE 2000, 441 |
HFR 2000, 407 |
StE 2000, 183 |
UR 2000, 214 |