Entscheidungsstichwort (Thema)
Klage auf Stundung einer verrechneten Steuerforderung
Leitsatz (NV)
1. Die Klage auf Stundung einer erloschenen Steuerforderung ist unzulässig.
2. Hat das FA mit einer Steuerforderung gegen den Erstattungsanspruch eines Dritten aufgrund eines Verrechnungsvertrags aufgerechnet, wirkt die Aufrechnung mangels abweichender Vereinbarung in entsprechender Anwendung des § 389 BGB zurück.
Normenkette
AO 1977 § 226; BGB § 389
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) begehrt die Stundung von Umsatzsteuer 1979 für die Zeit vom 11. Januar bis 6. April 1981.
Er betrieb bis Ende 1979 ein Einzelunternehmen, das er zum 31. Dezember 1979 in eine GmbH einbrachte, an der er zu 90 % und seine Ehefrau zu 10 % beteiligt waren.
In seiner beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) am 11. Dezember 1980 eingegangenen Umsatzsteuererklärung für 1979 behandelte der Kläger die Veräußerung des Einzelunternehmens als steuerpflichtigen Umsatz und beantragte, die - am 11. Januar 1981 fällig gewordene - Umsatzsteuer in Höhe von . . . DM zu stunden bis zur Verrechnung mit dem aus der Umsatzsteuer-Veranlagung 1980 der GmbH zu erwartenden Überschuß von . . . DM (Vorsteueranspruch). Im Februar 1981 beantragte der Kläger erneut die Verrechnung seiner Umsatzsteuerschuld mit dem Erstattungsanspruch. Das FA lehnte die Stundung zunächst ab, da die Steuererklärung der GmbH und eine Abtretungserklärung nicht vorlägen. Nachdem am 7. April 1981 die Umsatzsteuererklärung der GmbH für 1980 beim FA eingegangen war, stundete das FA von diesem Zeitpunkt an die vom Kläger geschuldete Umsatzsteuer für 1979 (Bescheid vom 15. September 1981). Die Stundung enthielt weder eine Begründung noch eine Rechtsbehelfsbelehrung.
Nachdem das FA für die Zeit ab 11. Januar 1981 . . . DM Säumniszuschläge angefordert hatte, legte der Kläger gegen den Stundungsbescheid vom 15. September 1981 Beschwerde und nach Zurückweisung der Beschwerde durch die Oberfinanzdirektion (OFD) Klage ein. Diese hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) sah in der Stundungsverfügung vom 15. September 1981 eine ermessenswidrige Ablehnung der Stundung der Umsatzsteuer 1979 für die Zeit vom 11. Januar bis 6. April 1981. Eine erhebliche Härte im Sinne der Stundungsvorschrift des § 222 der Abgabenordnung (AO 1977) liege dann vor, wenn in Kürze mit der Erstattung einer Steuer zu rechnen sei. Zu diesem Grundsatz der sog. Verrechnungsstundung enthalte die Beschwerdeentscheidung nichts. Das FG hat deshalb die Beschwerdeentscheidung der OFD aufgehoben.
Mit der Revision rügt das FA in erster Linie Verletzung des § 222 AO 1977. Die Voraussetzungen für eine Stundung nach dieser Vorschrift hätten bei Fälligkeit der Steuer am 11. Januar 1981 noch nicht vorgelegen, da die Einziehung zum damaligen Zeitpunkt keine erhebliche Härte bedeutet habe. Eine Stundung im Hinblick auf einen behaupteten Steuererstattungsanspruch sei immer nur von dem Zeitpunkt an auszusprechen, zu dem das Bestehen eines solchen Gegenanspruchs bereits schlüssig, d. h. grundsätzlich durch eine entsprechende formalisierte Steuererklärung belegt erscheine.
Im übrigen entspreche der Tenor des angefochtenen FG-Urteils nicht den Erfordernissen des § 101 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Es fehlten sowohl die Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidung als auch ein Hinweis zur Verpflichtung der Finanzbehörde, eine bestimmte Entscheidung zu treffen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage als unzulässig (vgl. § 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
Der Kläger hat seinen in der Vorinstanz gestellten Sachantrag im Revisionsverfahren aufrechterhalten. Er begehrt weiterhin, das FA zu verpflichten, die Umsatzsteuer 1979 schon ab 11. Januar 1981 zu stunden. Für dieses Klagebegehren ist das Rechtsschutzinteresse weggefallen, so daß die Klage unzulässig ist. Das mit der Revision angefochtene Urteil ist unrichtig, da es der unzulässigen Klage stattgegeben hat (vgl. Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. März 1979 GrS 3/78, BFHE 127, 155, BStBl II 1979, 378, und BFH-Urteil vom 29. Mai 1990 VII R 67/87, BFH / NV 1991, 175).
Das Rechtsschutzinteresse für das Klagebegehren ist dadurch entfallen, daß das FA mit der streitbefangenen Umsatzsteuerforderung gegen den Umsatzsteuererstattungsanspruch der GmbH aufgerechnet hat. Aufgrund der Antwort des FA auf die Anfrage der Geschäftsstelle vom 27. Februar 1991 muß der Senat davon ausgehen, daß die Aufrechnung auf einem Verrechnungsvertrag beruhte.
Durch Aufrechnungs- oder Verrechnungsvertrag können die Voraussetzungen der einseitigen Aufrechnung weitgehend abbedungen werden (vgl. z. B. Esser / Schmidt, Schuldrecht, Bd. I Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 1984, S. 274). Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem obligatorischen Verrechnungsvertrag, aufgrund dessen das FA einseitig verrechnen darf, und dem verfügenden Verrechnungsvertrag, durch den die Verrechnung unmittelbar erfolgt (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1984 VIII R 283/82, BFHE 143, 1, BStBl II 1985, 278). Im Streitfall kann dahinstehen, ob ein obligatorischer oder ein verfügender Verrechnungsvertrag vorlag. In beiden Fällen können mit Zustimmung aller Beteiligten Steuerschulden mit Steuererstattungsansprüchen eines Dritten verrechnet werden (vgl. BFH-Urteile vom 21. März 1978 VIII R 60/73, BFHE 125, 326, BStBl II 1978, 606; vom 11. Dezember 1984 VIII R 263/82, BFHE 143, 1, BStBl II 1985, 278, und vom 18. März 1986 VII R 104/82, BFH /NV 1986, 581).
Nach § 389 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - (§ 226 AO 1977) bewirkt die Aufrechnung, daß die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenüberstehen. Die Vorschrift des § 389 BGB findet im öffentlichen Recht Anwendung (vgl. § 226 AO 1977 und von Feldmann in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., § 389 Rz. 4, m. w. N.).
Der Senat wendet die Vorschrift entsprechend auch für die Wirkung der Verrechnung an. Sie ist von den Parteien - weder ausdrücklich noch stillschweigend - abbedungen worden.
Bezogen auf die Erklärung des FA standen die Forderungen am 11. Januar 1981 zur Verrechnung geeignet einander gegenüber. Zu diesem Zeitpunkt konnte das FA gemäß § 387 BGB, § 226 AO 1977 die ihm gebührende Umsatzsteuer vom Kläger fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken. Der Aufrechnende kann die ihm obliegende Leistung bewirken, wenn seine Schuld existiert. Auf den Zeitpunkt der Festsetzung oder Fälligkeit kommt es nicht an (vgl. BFH-Urteil vom 10. November 1953 I 108/52 S, BFHE 58, 294, BStBl III 1954, 26; Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 226 Tz. 13). Da der Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch der GmbH am 31. Dezember 1980 entstanden ist (vgl. § 38 AO 1977), konnte das FA ihn am 11. Januar 1981, als die Umsatzsteuerschuld des Klägers fällig geworden war, erfüllen.
Eine ausdrückliche Abbedingung kann im vorliegenden Fall ausgeschlossen werden. Eine stillschweigende Abbedingung scheitert daran, daß ihr das erkennbare Interesse des Klägers an einer möglichst weitgehenden Rückwirkung der Aufrechnung entgegenstand.
Die Rechtslage ist nicht anders, als wenn der Kläger sich den Erstattungsanspruch der GmbH hätte abtreten lassen und dies dem FA bei Abgabe der Umsatzsteuer-Erklärung für 1979 mit der Bitte um Aufrechnung mitgeteilt hätte. Auch dann wäre die Umsatzsteuerschuld des Klägers und der Umsatzsteuererstattungsanspruch der GmbH durch die Aufrechnung des FA rückwirkend zum 11. Januar 1981 erloschen.
Da die Umsatzsteuerschuld des Klägers rückwirkend zum 11. Januar 1981 erloschen ist, kann sie von diesem Zeitpunkt an nicht mehr gestundet werden. Mit dem rückwirkenden Wegfall der Umsatzsteuerschuld ist das Rechtsschutzinteresse für das Stundungsbegehren des Klägers entfallen.
Fundstellen
Haufe-Index 417791 |
BFH/NV 1992, 77 |