Leitsatz (amtlich)
Die durch die Schwellenpreisverordnung vom 30. Juli 1962 für Hartweizen festgesetzten Schwellenpreise sind gültig.
Normenkette
EWGV 19/62 Art. 11 Abs. 4; Schwellenpreisverordnung vom 30. Juli 1962; Schwellenpreisverordnung vom 2. November 1971
Tatbestand
Die Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel (EVSt) als Rechtsvorgängerin der Beklagten und Revisionsbeklagten, der Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung (BALM), erteilte der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) am 3. September 1962 eine Einfuhrlizenz für ein Termingeschäft im Dezember 1962 für 20 000 t Hartweizen, in der die bei der Einfuhr zu erhebende Abschöpfung vorausfixiert war. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Senkung des vorausfixierten Abschöpfungssatzes um 4 DM/t mit der Begründung, die Bundesrepublik Deutschland habe den Schwellenpreis für Hartweizen durch die Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 (Getreide) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaften (Schwellenpreise) vom 30. Juli 1962 – 2. DV – (BGBl I 1962, 473) zunächst um 24 DM/t höher als den für Weichweizen festgesetzt, durch Verordnung zur Änderung des Schwellenpreises für Getreide für die Monate Juli bis Dezember 1962 vom 2. November 1971 (Bundesanzeiger – BAnz – Nr. 209 vom 9. November 1971) aber den Schwellenpreis für Weichweizen rückwirkend für 1962 um 4 DM/t gesenkt, ohne auch den Schwellenpreis für Hartweizen um diesen Betrag herabzusetzen. Das widerspreche dem zuvor von der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten Ermessen; denn sie habe ihr Ermessen dahin festgelegt, daß eine Differenz von 24 DM/t angemessen und ausreichend sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Mit ihrer Revision beantragt die Klägerin, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Abschöpfungsvorausfixierung in Höhe von 4 DM/t aufzuheben und insoweit die Sache zur anderweitigen Abschöpfungsvorausfixierung an die BALM zurückzuverweisen, hilfsweise, den Abschöpfungssatz um 4 DM/t zu senken. Sie rügt Verletzung der Art. 39 Abs. 1 Buchst. e, 40 Abs. 3 Unterabsatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag – BWGV –), Art. 11 Abs. 4 der VO Nr. 19/62, Art. 2, 12 des Grundgesetzes (GG), §§ 76 Abs. 1, 96 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Nach Art. 10 Abs. 2 der VO Nr. 19/62 entspricht der Abschöpfungsbetrag gegenüber Drittländern dem Unterschied zwischen dem Schwellenpreis, den der einführende Mitgliedstaat entsprechend den Art. 4 und 8 der VO Nr. 19/62 festgesetzt hat, und dem unter Zugrundelegung der günstigsten Einkaufsmöglichkeiten auf dem Weltmarkt ermittelten cif-Preis. Durch § 5 des deutschen Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 (Getreide) des Rates der EWG vom 26. Juli 1962 – DurchfG EWG-Getr – wurde der BML ermächtigt, die Schwellenpreise für die der Marktordnung unterliegenden Erzeugnisse festzusetzen. Mit der Errechnung der Abschöpfungssätze beauftragte § 6 DurchfG EWG-Getr die EVSt (vgl. auch Art. 15 Abs. 1 der VO Nr. 19/62), die danach verpflichtet war, die Sätze durch Aushang bekanntzugeben. Wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, entsprach der in der streitbefangenen Einfuhrlizenz nach Art. 17 Abs. 2 Unterabsatz 1 der VO Nr. 19/62 vorausfixierte Abschöpfungssatz dem von der EVSt errechneten Satz, der wiederum auf dem durch die Verordnung vom 30. Juli 1962 vom BML für Dezember 1962 festgesetzten Schwellenpreis für Hartweizen (526 DM/t) beruhte.
Die Klägerin ist der Auffassung, daß der Verordnungsgeber verpflichtet gewesen sei, die sich aus der Verordnung vom 30. Juli 1962 ergebende Preisdifferenz zwischen Weichweizen und Hartweizen von 24 DM/t weiter beizubehalten, nachdem er durch die Verordnung vom 2. November 1971 den Schwellenpreis für Weichweizen für Dezember 1962 um 4 DM von 502 DM/t auf 498 DM/t gesenkt hatte. Sie beruft sich also darauf, daß der Verordungsgeber in seiner Verordnung vom 2. November 1971 auch den Schwellenpreis für Hartweizen für den fraglichen Zeitraum um 4 DM/t hätte senken müssen. Wäre das geschehen, so wäre auch der von der EVSt zu errechnende Abschöpfungssatz um diesen Betrag niedriger gewesen. Die Klägerin erstrebt also, so gestellt zu werden, als sei die Festsetzung des Schwellenpreises für Hartweizen aus Drittländern durch die Verordnung vom 30. Juli 1962 durch Erlaß der Änderungsverordnung vom 2. November 1971 ungültig geworden und als habe der Verordnungsgeber 1971 den Schwellenpreis neu auf einen Betrag von 522 DM/t festgesetzt.
Im Ergebnis rügt die Klägerin damit ein Unterlassen des Verordnungsgebers. Es braucht hier auf die Frage nicht eingegangen zu werden, ob diese Rüge, wäre sie begründet, überhaupt zu dem von der Klägerin begehrten Ergebnis führen (vgl. zu dieser Problematik Leibholz/Rinck, Grundgesetz, Kommentar, 5. Aufl., Art. 3 Anm. 16, mit Hinwelsen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG –). Denn jedenfalls wäre Voraussetzung, daß die Regelung der Verordnung vom 30. Juli 1962, auf der die Festsetzung der Abschöpfungssätze in der Einfuhrlizenz beruht, nicht gültig ist. Dieser Meinung ist die Klägerin offenbar mit der Begründung, die Festsetzung der Schwellenpreise für Hartweizen durch die Verordnung vom 30. Juli 1962 verstoße jedenfalls seit Erlaß der Änderungsverordnung vom 2. November 1971 gegen höherrangiges Recht, nämlich gegen das Recht des Grundgesetzes und gegen Gemeinschaftsrecht, weil der Schwellenpreis für Hartweizen nicht höher hätte sein dürfen als 522 DM/t. Diese Auffassung trifft jedoch nicht zu.
Nach Auffassung der Klägerin liegt eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) vor. Dieser Grundsatz ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) und hat Verfassungsrang (vgl. z. B. BVerfG-Beschluß vom 5. März 1968 1 BvR 579/67, BVerfGE 23, 127, 133). Er besagt, daß das gewählte Mittel und der gewollte Zweck in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen müssen (vgl. BVerfG-Urteil vom 29. Juli 1959 1 BvR 394/58, BVerfGE 10, 89, 117). Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß es sich im vorliegenden Fall um eine wirtschaftsordnende Maßnahme handelt; hinsichtlich der Auswahl und der technischen Gestaltung einer solchen Maßnahmen muß dem Verordnungsgeber ein weiter Bereich des Ermessens zugestanden werden (vgl. BVerfG-Entscheidungen vom 18. Dezember 1968 1 BvL 5, 14/64 usw., BVerfGE 25, 1, 19, und vom 8. Februar 1977 1 BvF 1/76 usw., BVerfGE 43, 291, 347). Es ist nicht Sache des Gerichts, die vom Gesetzgeber gewählte Lösung auf ihre Zweckmäßigkeit zu prüfen oder zu untersuchen, ob sie vom Standpunkt einer beteiligten Interessentengruppe die gerechteste denkbare Lösung darstellt; es kann daher nur darauf ankommen zu prüfen, ob der Gesetzgeber gewisse äußerste Grenzen überschritten hat, ob also für die fragliche Regelung sachlich einleuchtende Gründe schlechterdings nicht mehr erkennbar sind (BVerfG-Entscheidungen vom 17. Dezember 1953 1 BvR 147/52, BVerfGE 3, 58, 135, und vom 16. Juni 1959 2 BvL 10/59, BVerfGE 9, 334, 337); diese Entscheidungen sind zwar zum Gleichheitssatz des Art. 3 GG ergangen, ihre Grundsätze sind jedoch entsprechend anwendbar bei der Frage, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt worden ist. Diese Grenzen hat der Verordnungsgeber im vorliedenden Fall nicht überschritten.
Zu Recht ging das FG davon aus, daß eine zwangsläufige Verknüpfung der Schwellenpreise von Weich- und Hartweizen in dem Sinne, daß die Differenz zwischen beiden grundsätzlich 5 % zu betragen hätte, nicht bestand. Selbst wenn man aber vom Vorliegen einer solchen Verknüpfung auszugehen hätte, an die sich der Verordnungsgeber hätte halten müssen, sind durchaus einleuchtende Gründe für die fragliche Regelung erkennbar. Der Umstand, daß der Verordnungsgeber im Jahre 1971 nicht auch die Schwellenpreise für Hartweizen änderte, läßt sich z. B. wie folgt begründen: Zur Änderung der Sätze für Weichweizen, Roggen, Gerste, Hafer, Mais, Buchweizen und Hirse war er durch die Rechtsprechung des EGH hinsichtlich der Berücksichtigung der Ausgleichsteuer bei der Errechnung der Abschöpfung gehalten (vgl. BGH-Urteil vom 12. Mai 1971 Rs. 76/70, EGHE 1971, 393), soweit nicht die Abschöpfung bereits unanfechtbar festgesetzt worden war (vgl. § 1 Abs. 2 der Verordnung vom 2. November 1971), obwohl damit die unbillige Folge verknüpft war, daß die Einführer leer ausgingen, die die betreffenden Abgabenbescheide nicht angefochten hatten. Eine entsprechende rechtliche Verpflichtung bestand hinsichtlich der Schwellenpreise für Hartweizen nicht, wie sich aus der EGH-Entscheidung vom 5. Dezember 1973 Rs. 119/73 (EGHE 1973, 1369) ergibt. Daß der Verordnungsgeber daher davon abgesehen hat, auch insoweit eine Änderung nur deswegen vorzunehmen, um den alten Abstand zwischen den Schwellenpreisen von Hart- und Weichweizen wieder herzustellen, ist einleuchtend. Denn es hätte zu dem gleichen unbilligen Ergebnis geführt, ohne daß insoweit rechtlich zwingende Gründe vorlagen, dieses Ergebnis in Kauf zu nehmen. Es lag also im Rahmen seines gesetzgeberischen Ermessens, wenn sich der Verordnungsgeber entschloß, die Änderung zu unterlassen.
Die Verordnung verstößt auch nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zwar auch der Gemeinschaftsrechtsordnung eigen (vgl. EGH-Urteile vom 5. Juli 1977 Rs. 119 und 120/76, EGHE 1977, 1269, 1286, und vom 20. Februar 1979 Rs. 122/78, noch nicht veröffentlicht; Pescatore, Bestand und Bedeutung der Grundrechte im Recht der Europäischen Gemeinschaften, Europarecht 1979, S. 1, 3). Er ist aber aus den oben dargelegten Gründen nicht als verletzt anzusehen.
Die Klägerin kann sich für das Gegenteil nicht auf Art. 11 Abs. 4 der VO Nr. 19/62 berufen. Der Wortlaut dieser Bestimmung ist eindeutig. Es heißt dort, daß der Schwellenpreis für Hartweizen von den Mitgliedstaaten um mindestens 5 % höher als für Weichweizen festgesetzt wird. Die Verwendung des Wortes „mindestens” macht klar, daß hier lediglich eine untere Grenze dieses Schwellenpreises gegenüber dem Schwellenpreis für Weichweizen festgesetzt worden ist (vgl. Absatz 3 der Entscheidungsgründe des EGH-Urteils Rs. 119/73). Demgegenüber kann sich die Klägerin nicht auf Sinn und Zweck des Art. 11 Abs. 4 der VO Nr. 19/62 berufen. Es spricht nichts dafür, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber entgegen dem Wortlaut dieser Bestimmung die Ermächtigung der Mitgliedstaaten zur Festsetzung des Schwellenpreises für Hartweizen dahin habe einschränken wollen, daß diese gehindert waren, den Schwellenpreis für Hartweizen gegenüber dem Preis für Weichweizen um mehr als 5 % höher festzusetzen.
Aus Art. 39 Abs. 1 Buchst. e EWGV ergibt sich nichts anderes. Danach ist Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik, für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen. Diese Bestimmung ist nicht als verletzt anzusehen. Denn bei ihrer Ausfüllung steht dem Verordnungsgeber auch nach Gemeinschaftsrecht ein weiter Ermessensspielraum aus den gleichen Gründen zu, die in der oben zitierten Rechtsprechung des BVerfG für die weitgehende Ermessensfreiheit des nationalen Gesetzgebers bei wirtschaftsordnenden Gesetzen geltend gemacht worden sind (vgl. die Rechtsprechung des EGH zu dem vergleichbaren Problem der Festsetzung von Währungsausgleichsbeträgen durch die Kommission, wonach diese, da es sich um die Beurteilung eines komplexen wirtschaftlichen Sachverhalts handelt, über einen weiten Ermessensspielraum verfügt, dessen Einhaltung gerichtlich nur dahin überprüfbar sei, ob der Behörde kein offensichtlicher Irrtum oder Ermessensmißbrauch unterlaufen sei oder ob sie die Grenzen ihres Ermessensspielraums nicht offensichtlich überschritten habe; vgl. z. B. EGH-Urteil vom 20. Oktober 1977 Rs. 29/77, EGHE 1977, 1835).
Auch Art. 40 EWGV ist nicht verletzt. Aus der Revisionsbegründung ist nicht erkennbar, welche Bestimmung dieser Vorschrift die Klägerin für verletzt hält. Möglicherweise ist sie der Meinung, daß eine Diskriminierung zwischen Erzeugern und Verbrauchern innerhalb der Gemeinschaft vorliegt (Art. 40 Abs. 3 Unterabsatz 2 EWGV). Es fehlt aber insoweit an jeder Substantiierung. Eine solche Diskriminierung ist auch nicht ersichtlich.
Zu Unrecht beruft sich die Klägerin darauf, durch Erlaß der Verordnung vom 30. Juli 1962 habe der BML das ihm eingeräumte Ermessen hinsichtlich des Abstands zwischen den Schwellenpreisen von Weich- und Hartweizen zumindest für ein Getreidewirtschaftsjahr, nämlich das Jahr 1962/1963, gebunden. Die Klägerin übersieht, daß es sich im vorliegenden Fall nicht um einen Verwaltungsakt handelt, sondern um einen Akt der Rechtsetzung. Es gibt aber keine Rechtsnorm, die den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber verpflichtet, unter allen Umständen an einem von ihm einmal durch Rechtsnorm festgelegten Rechtsinhalt auch für die Zukunft festzuhalten. Der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung an das einmal von ihr ausgeübte Ermessen gilt nur im Rahmen des Verwaltungshandelns.
Fundstellen
Haufe-Index 510576 |
BFHE 1979, 563 |