Entscheidungsstichwort (Thema)
Mietverhältnis unter nahen Angehörigen bei gemeinsamem Zugang
Leitsatz (NV)
Für die Anerkennung eines Mietverhältnisses unter nahen Angehörigen kommt es nicht allein auf die Art des Zugangs zur vermieteten Wohnung an. Ist die vermietete Wohnung nur durch die Küche zugänglich, so ist dies aber ein bedeutsames Beweisanzeichen für ein gemeinsames Wohnen der Eltern als Vermieter und ihrer erwachsenen Kinder als Mieter im Rahmen einer familiären Haushaltsgemeinschaft.
Normenkette
EStG §§ 12, 21 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind als zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute Miteigentümer eines mit einem Wohngebäude bebauten Grundstücks. Sie vermieteten ab 1992 im Dachgeschoss Wohnräume an ihren Sohn. Die Erdgeschosswohnung der Kläger und die vermietete Dachgeschosswohnung werden durch eine gemeinsame Hauseingangstür erreicht. Der Zugang zur Dachgeschosswohnung (Flur mit Treppenaufgang zum Dachgeschoss) befindet sich hinter der Küche des Erdgeschosses. Im Dachgeschoss ―also am Ende der Treppe― befinden sich Schlaf- und Wohnräume, sowie Koch- und Essräume und ein Bad. Die Wohnfläche der Dachgeschosswohnung beträgt rund 86 qm, die der Erdgeschosswohnung der Eltern rund 149 qm.
Im Rahmen der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (1996) machten die Kläger vergeblich negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) erkannte das Mietverhältnis nicht an, weil es einem Fremdvergleich nicht Stand halte. Die Bereiche der Vermieter einerseits und der Mieter andererseits seien nicht hinreichend deutlich voneinander abgegrenzt. Die Wohnräume im Dachgeschoss seien wegen des Zugangs durch die Küche der Erdgeschosswohnung nicht abgeschlossen.
Die Klage blieb erfolglos. Den Rechtsstreit beschränkte das Finanzgericht (FG) ausschließlich auf die Frage, ob das Mietverhältnis im Hinblick auf den Zugang zur Dachgeschosswohnung einem Fremdvergleich Stand halte oder nicht. Nach Auffassung des FG weiche der Zugang zur Dachgeschosswohnung derart gravierend vom Üblichen ab, dass es auf andere in die Gesamtbetrachtung einzubeziehende Beweisanzeichen nicht ankomme. Die Dachgeschosswohnung sei mit dem vorhandenen Zugang an fremde Dritte praktisch unvermietbar.
Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger, die sie auf die Verletzung materiellen Rechts stützen. Das FG lege seinem Urteil fehlerhaft zugrunde, dass es zwischen Fremden immer üblich sei, Wohnräume vollständig voneinander örtlich abzugrenzen. Dies sei aber nicht der Fall; denn es würden auch Einraum-Appartements innerhalb der Wohnung des Vermieters vermietet. Überdies widerspreche es der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), die eine Gesamtbetrachtung fordere, wenn das FG für den Fremdvergleich ausschließlich auf die Frage des Wohnungszugangs abstelle und weitere Indizien unberücksichtigt lasse.
Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die im Einkommensteuerbescheid vom 5. November 1998 festgesetzte Einkommensteuer für das Streitjahr in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. April 1999 auf 34 316 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Zu Unrecht hat das FG lediglich den Wohnungszugang im Rahmen seines Fremdvergleichs berücksichtigt.
1. Mietverträge unter nahen Angehörigen sind daraufhin zu untersuchen, ob sie durch die Einkünfteerzielung (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes ―EStG―) oder den steuerrechtlich unbeachtlichen privaten Bereich (§ 12 EStG) veranlasst sind. Sie sind in der Regel der Besteuerung nicht zugrunde zu legen, wenn die Gestaltung oder die tatsächliche Durchführung auf Grund der Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten nicht dem zwischen Fremden Üblichen entsprechen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 28. Juni 2002 IX R 68/99, BFHE 199, 380, BStBl II 2002, 699, und vom 7. Mai 1996 IX R 69/94, BFHE 180, 377, BStBl II 1997, 196). Der Fremdvergleich ermöglicht auf Grund einer Würdigung von Beweisanzeichen den Schluss, aus welchen Gründen ein Leistungsaustausch unter Angehörigen stattgefunden hat, ob auf Grund eines den Tatbestand einer Einkunftsart erfüllenden Vertrages oder aus privaten, familiären Gründen (so BFH-Urteil in BFHE 199, 380, BStBl II 2002, 699, m.w.N.).
2. Vollzieht sich die Nutzungsüberlassung im Rahmen der familiären Haushaltsgemeinschaft , so ist sie grundsätzlich der nicht steuerbaren Privatssphäre zuzuordnen (§ 12 EStG) und kann auch nicht durch einen Mietvertrag in den Bereich der Einkünfteerzielung (§ 2 EStG) verlagert werden (BFH-Beschluss vom 16. Januar 2003 IX B 172/02, BFHE 201, 254, BStBl II 2003, 301, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist in diesen Fällen nicht der zivilrechtliche Vertrag, sondern die persönliche Beziehung der Partner Grundlage des gemeinsamen Wohnens (vgl. BFH-Beschluss vom 16. November 2001 IX B 55/01, BFH/NV 2002, 345, und BFH-Urteil vom 30. Januar 1996 IX R 100/93, BFHE 180, 74, BStBl II 1996, 359, m.w.N.).
a) Vor diesem Hintergrund müssen die Sphären der Vermieter einerseits und der Mieter andererseits hinreichend deutlich voneinander abgegrenzt sein. So ist es zwischen einander fremden Vertragspartnern eines Mietvertrages nicht üblich, dass der Vermieter die vermietete Wohnung in nicht unerheblichem Umfang selbst benutzt (BFH-Urteil vom 7. Juni 1994 IX R 121/92, BFH/NV 1995, 112). Gleichermaßen können Zweifel an der hinreichenden Abgrenzung der Sphären bestehen, wenn die vermietete Wohnung ―wie im Streitfall nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG― zwar räumlich als geschlossene Einheit gegenüber der Wohnung des Vermieters abgegrenzt und folglich objektiv ohne dessen Mitgebrauch nutzbar ist, aber nur unter nicht unerheblicher Mitnutzung der Vermieterwohnung bewohnt werden kann.
b) Entgegen der Ansicht des FG können solche Zweifel allerdings nicht ausnahmslos nur auf Grund der Tatsache angenommen werden, dass die vermietete Wohnung nur über Wohnräume ―wie hier die Küche― der Wohnung des Vermieters zugänglich ist.
Diese Art des Zugangs ist zwar ein bedeutsames Beweisanzeichen für das gemeinsame Wohnen, betrifft als Indiz aber lediglich einen Erfahrungssatz, der sich nicht zu einem Tatbestandsmerkmal verselbständigen darf (vgl. zu dieser Grenze für die Heranziehung von Erfahrungssätzen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 1995 2 BvR 802/90, BStBl II 1996, 34) und der zusammen mit anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen ist, um den Schluss zu rechtfertigen, zwischen Mieter und Vermieter bestehe eine familiäre Haushaltsgemeinschaft. In die Gesamtwürdigung ist aber auch die ―im Streitfall unterbliebene― Prüfung einzubeziehen, ob nicht (wirtschaftliche oder sonstige nichtfamiliäre) Gründe in der Person des Vermieters vorliegen, die ihrer Art nach auch bei einer Vermietung an fremde Dritte die Hinnahme eines (Mieter-) Zugangs zur vermieteten Wohnung durch die Wohnung des Vermieters als nicht unüblich erscheinen lassen, z.B. wenn die Vermietung zur Sicherung des Lebensunterhalts erforderlich ist oder der Vermieter wegen Pflegebedürftigkeit ein besonderes Interesse an der Vermietung an eine ―ständig erreichbare― Pflegeperson hat.
Danach kann es entgegen der Auffassung des FG nicht von vornherein als unüblich angesehen werden, wenn der gemietete Wohnraum Teil der Wohnung des Vermieters ist oder innerhalb dieser Wohnung liegt. Denn auch das Zivilrecht kennt solche Mietverhältnisse, regelt aber besondere Kündigungsfristen (vgl. dazu Palandt/Weidenkaff, Bürgerliches Gesetzbuch, 62. Aufl., § 549 Rz. 16 ff., und Staudinger/Sonnenschein in Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Bearbeitung, § 565 Rn. 76, m.w.N. aus der zivilrechtlichen Rechtsprechung).
3. Nach diesen Maßstäben ist das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben; denn es hat einzig auf die besondere Art des Zugangs abgestellt. Es hat damit ein Indiz wie ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal behandelt, ohne ―wie geboten― eine Gesamtwürdigung aller Beweisanzeichen vorzunehmen.
Die Sache ist nicht spruchreif. Der Senat kann die Würdigung der Beweisanzeichen nicht selbst vornehmen. Zwar hat das FG die Tatsachen umfassend festgestellt, die mit der baulichen Situation der Wohnungen zusammenhängen. Indes hat das FG den Rechtsstreit lediglich auf die Frage des Zugangs verkürzt und alle weiteren Umstände, die in einen Fremdvergleich einzubeziehen sind (vertragliche Vereinbarungen, Zahlungsmodalitäten, Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft zwischen Vermietern und Mieter u.a.), weder festgestellt noch geprüft. Dies wird es in einer neuen Verhandlung und Entscheidung nachzuholen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1053842 |
BFH/NV 2004, 38 |
HFR 2004, 23 |