Leitsatz (amtlich)
Eine an einer Grund- und Hauptschule vollbeschäftigte Lehrerin, die an einer anderen Grund- und Hauptschule freiwillig gegen eine besondere Vergütung zwei Stunden wöchentlich unterrichtet, übt insoweit eine nichtselbständige Tätigkeit aus.
Normenkette
EStG §§ 18-19, 46 Abs. 3; LStDV § 1 Abs. 2-3
Tatbestand
Streitig ist, ob die Bezüge einer Lehrerin, die an einer Grund- und Hauptschule tätig ist, aus der an einer anderen Grund- und Hauptschule zusätzlich ausgeübten Lehrtätigkeit Einkünfte aus selbständiger oder nichtselbständiger Arbeit sind.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau, die im finanzgerichtlichen Verfahren beigeladen worden ist (Beigeladene), wurden im Streitjahr 1967 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Die Beigeladene war im Jahr 1967 an der Grund- und Hauptschule M-A als Lehrerin tätig. Daneben erteilte sie auf Anregung der evangelischen Kirchengemeinde freiwillig zweimal wöchentlich je eine Stunde Religionsunterricht an der Volksschule M-B. Hierfür erhielt sie eine Vergütung von 10 DM pro Unterrichtsstunde, im Streitjahr insgesamt 620 DM, die von der Regierungshauptkasse M der Lohnsteuer unterworfen wurden.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) behandelte diese Nebeneinkünfte bei der Einkommensteuerveranlagung 1967 als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Kläger vertritt dagegen die Auffassung, daß es sich bei der zusätzlich übernommenen Unterrichtstätigkeit um eine selbständige Arbeit handle, so daß die Einkünfte hieraus nach § 46 Abs. 3 EStG bei der Einkommensteuerveranlagung außer Betracht zu bleiben hätten.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das FG führte unter Hinweis auf das Urteil des BFH vom 24. April 1959 VI 29/59 S (BFHE 68, 504, BStBl III 1959, 193) und auf Abschn. 4 Abs. 3 und 4 LStR aus, wegen der geringen Stundenzahl sei bei der freiwillig übernommenen Lehrtätigkeit, die einkommensteuerrechtlich unabhängig von der Haupttätigkeit zu beurteilen sei, ein Dienstverhältnis i. S. des § 1 Abs. 3 LStDV nicht anzunehmen. Die Bezüge seien daher den Einkünften aus selbständiger Arbeit zuzurechnen, die nach § 46 Abs. 3 EStG vom Einkommen abzuziehen seien.
Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung der §§ 18, 19 EStG und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Arbeitnehmer ist, wer in der Betätigung seines geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist (§ 1 Abs. 3 Satz 2 LStDV). Ob dies im Einzelfall zutrifft, muß nach dem Gesamtbild der Verhältnisse unter Abwägung aller Umstände entschieden werden.
Übt ein Arbeitnehmer eine Nebentätigkeit aus, so ist die Frage, zu welcher Einkunftsart die Einkünfte hieraus zu rechnen sind, grundsätzlich unabhängig von der Art der Haupttätigkeit zu beurteilen. Eine solche getrennte Betrachtungsweise ist aber dann nicht angebracht, wenn die Einkünfte aus der Nebentätigkeit - wie im Streitfall - ebenfalls vom Arbeitgeber der Haupttätigkeit stammen und beide Tätigkeiten unmittelbar zusammenhängen (BFH-Urteile vom 24. November 1961 VI 183/59 S, BFHE 74, 97, BStBl III 1962, 37, und vom 25. November 1971 IV R 126/70, BFHE 103, 570, BStBl II 1972, 212). Ein enger unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Haupttätigkeit und der Nebentätigkeit ist regelmäßig gegeben, wenn ein Lehrer neben seinem Pflichtunterricht an derselben Grund- und Hauptschule freiwillig zusätzliche Unterrichtsstunden übernimmt. Der freiwillig erteilte Unterricht unterscheidet sich in der Art der Betätigung nicht vom Pflichtunterricht des Lehrers. Die zusätzlich übernommenen Unterrichtsstunden gehören ebenso zum gesamten Stundenplan und Unterrichtsprogramm der Schule wie die Pflichtstunden. Auch werden Schüler unterrichtet, die nicht einer besonderen Gruppe angehören, sondern Teilnehmer am allgemeinen Schulbetrieb sind. Aus diesen Gründen lassen sich Pflichtunterricht und freiwilliger Unterricht nicht voneinander trennen. Der Lehrer ist daher bei der Ausübung seiner zusätzlichen Lehrtätigkeit genauso in die Organisation der Schule eingegliedert und weisungsgebunden wie bei seiner Haupttätigkeit.
Ähnlich verhält es sich, wenn der Lehrer den zusätzlichen Unterricht nicht an derselben Schule, sondern - wie im Streitfall - an einer anderen, benachbarten Schule gleicher Art, also ebenfalls an einer Grund- und Hauptschule, abhält. Auch hier unterscheidet sich die freiwillig übernommene Unterrichtstätigkeit nicht von der Tätigkeit an der Schule, an welcher der Lehrer seine Haupttätigkeit verrichtet. Unerheblich ist, daß beide Schulen in der Leitung und Organisation voneinander getrennt sind. Denn die Grund- und Hauptschulen gleichen organisationsmäßig einander; auch unterstehen sie derselben Schulbehörde. Daher ist anzunehmen, daß ein Lehrer, der an einer anderen Grund- und Hauptschule bei der Erteilung von Unterricht aushilft, zwangsläufig in die Organisation dieser Schule wie an seiner eigenen Schule eingegliedert wird. Auch wenn er den Unterricht freiwillig und gegen eine besondere Vergütung übernimmt, steht er bei der Ausübung seiner Unterrichtstätigkeit unter der Leitung der zuständigen Vorgesetzten und ist deren Weisungen zu folgen verpflichtet.
Der Streitfall ist mit dem Fall des BFH-Urteils IV R 126/70 nicht vergleichbar. Er unterscheidet sich in wesentlichen Punkten auch von dem im Urteil vom 13. August 1975 VI R 90/73 (BFHE 116, 568, BStBl II 1976, 3) entschiedenen Fall, in welchem der BFH die nebenberufliche Unterrichtstätigkeit eines Lehrers, der fünf bis sechs Wochenstunden an einer Polizeifortbildungsschule unterrichtete, insoweit als selbständige Tätigkeit angesehen hat. Zwar stammten die Nebeneinkünfte auch in diesem Falle vom Staat als dem Arbeitgeber der Haupttätigkeit; indessen fehlte dort - im Gegensatz zum Streitfall - zwischen der Haupttätigkeit und Nebentätigkeit der enge, unmittelbare Zusammenhang, da es sich bei den beiden Schulen, an denen der Lehrer unterrichtete, um zwei verschiedene Schultypen handelte, die unterschiedlich organisiert waren sowie verschiedenen Behörden und Ministerien unterstanden, die ferner unterschiedliche Ausbildungszwecke verfolgten und einen unterschiedlichen Schülerkreis betreuten, so daß auch die Art des Unterrichts in beiden Schulen unterschiedlich war. Derartige Unterschiede sind im Streitfall bei den beiden Grund- und Hauptschulen nicht gegeben.
Für den Streitfall folgt daraus, daß der von der Beigeladenen an der anderen Grund- und Hauptschule zusätzlich erteilte Religionsunterricht eine nichtselbständige Tätigkeit darstellt, so daß es sich bei den Bezügen hieraus um Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit handelt. Dementsprechend sind diese Bezüge weder nach § 46 Abs. 3 EStG von der Besteuerung ausgenommen noch nach § 34 Abs. 4 EStG - ohne daß es auf das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift ankommt - steuerrechtlich begünstigt. Das Urteil des FG, das hierzu eine andere Auffassung vertritt, ist somit aufzuheben; die Klage ist abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 71781 |
BStBl II 1976, 291 |
BFHE 1976, 547 |