Leitsatz (amtlich)
Eine allgemeine Gehaltsabtretung ist im Regelfall dahin auszulegen, daß sie auch die Vorausabtretung etwa zu erwartender Lohnsteuererstattungsansprüche gegen das Finanzamt umfaßt, unabhängig davon, ob das im Abtretungsvertrag ausdrücklich gesagt ist oder nicht.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 387
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde als Komplementär der X-KG vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) mit rechtskräftigem Haftungsbescheid vom 21. Januar 1974 für Umsatzsteuerschulden der KG aus 1968 und 1970 gemäß §§ 128, 161 Abs. 2 HGB, § 421 BGB i. V. m. § 113 der Reichsabgabenordnung (AO) und § 7 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) in Höhe von 228 904,05 DM in Anspruch genommen. In Höhe von insgesamt 15 940 DM rechnete das FA mit Verfügungen vom 3. und 15. Oktober 1975 die dem Kläger zustehenden Erstattungsansprüche für Einkommensteuer, Ergänzungsabgabe, Arbeitnehmer-Sparzulage und Kirchensteuer aus 1973 und 1974 auf. Mit der Beschwerde machte der Kläger geltend, daß die Aufrechnung ins Leere gehe, weil er durch notariellen Vertrag vom 19. Juni 1971 den "pfändungsfreien Betrag" seines derzeitigen und künftigen Einkommens aus der Tätigkeit als Lehrer, einschließlich aller künftigen Gehaltserhöhungen, unwiderruflich an seine Ehefrau abgetreten habe und die Steuererstattungsansprüche seiner Ehefrau zuständen. Die Oberfinanzdirektion (OFD) hob die Aufrechnungsverfügung lediglich insoweit auf, als gegen den Anspruch auf Erstattung von Kirchensteuer aufgerechnet worden war.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es hielt den Finanzrechtsweg für gegeben, weil die von den Aufrechnungen betroffenen Steuererstattungsansprüche im öffentlichen Recht wurzelten. Es führte weiter aus: Für eine wirksame Aufrechnung fehle es an der nach § 387 BGB erforderlichen Aufrechnungslage. Die Erstattungsansprüche seien wirksam an die Ehefrau abgetreten worden, so daß sie im Zeitpunkt der Aufrechnung nicht mehr zum Vermögen des Klägers gehört hätten. Die Abtretung sei wirksam, weil sie der Finanzbehörde angezeigt worden sei (§ 159 AO). Zwar seien die zu erwartenden Erstattungsansprüche im Vertrag nicht ausdrücklich erwähnt worden. Nach der daher gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung (§ 157 BGB) unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der Regelung und des in den Vertragsbestimmungen zum Ausdruck kommenden Willens der Parteien hätten aber auch die Steuererstattungs-Ansprüche abgetreten werden sollen. Hintergrund der Vereinbarung sei der Zusammenbruch der KG mit der Folge gewesen, daß dem Kläger aus seiner Beteiligung keine Einnahmen mehr zugeflossen seien, ihm als persönlich haftenden Gesellschafter aber Inanspruchnahmen gedroht hätten. Sinn und Zweck des Vertrags sei ersichtlich gewesen, alle Vermögenswerte des Klägers - die offenbar lediglich in seinen Gehaltsansprüchen bestanden hätten - zur Sicherung seiner Familie dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen. Wenn ein Steuerpflichtiger bei dieser Sachlage den "pfändungsfreien Betrag" seines derzeitigen Einkommens aus der Tätigkeit als Lehrer unwiderruflich abtrete, so könne das vor dem erwähnten wirtschaftlichen Hintergrund nur dahin verstanden werden, daß sämtliche dem Gläubigerzugriff ausgesetzten, im Arbeitsverhältnis begründeten Ansprüche auf die Ehefrau hätten übertragen werden sollen. Das werde deutlich auch daran, daß künftige Gehaltserhöhungen noch besonders angesprochen worden seien. Die Erstattungsansprüche hätten auch ihren Ursprung im Arbeitsverhältnis gehabt, das dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf das Bruttogehalt gewähre. Wenngleich hinsichtlich der Steuerabzugsbeträge ein Auszahlungsanspruch nicht begründet werde, dürfe nicht übersehen werden, daß auch die einbehaltenen Gehaltsteile Entgelt für die Arbeitsleistung darstellten. Es könne indes keinen Unterschied machen, ob die an sich geschuldete Steuer vorweg durch Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte gekürzt werde und zugleich zur Auszahlung gelange oder (nach Einbehaltung) erst aufgrund späterer Veranlagung wieder zurückgezahlt werde. Der innere Zusammenhang mit der nichtselbständigen Tätigkeit werde ferner deutlich durch folgende Überlegung: Wäre der Kläger, wie seine Ehefrau, freiberuflich tätig gewesen, so müsse davon ausgegangen werden, daß er in den Jahren 1973 und 1974 Vorauszahlungen nicht geleistet hätte. Denn ausweislich der Einkommensteuerbescheide 1973 und 1974 seien von seiner Ehefrau Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer (offenbar unter Berücksichtigung der Verluste aus der KG-Beteiligung) nicht erbracht worden. Die Steuerüberzahlung sei daher nur darin begründet, daß der Kläger als unselbständig Tätiger dem Lohnsteuerabzug unterlegen habe, bei dem die Berücksichtigung eines Verlustvortrags nicht möglich gewesen sei. Daß der Wille der Vertragschließenden auch die zu erwartenden Steuererstattungen umfaßt habe, ergebe sich aus dem Umstand, daß ausweislich der Einkommensteuerakten bereits für 1968 eine Veranlagung nicht durchgeführt worden sei, weil sich infolge der Berücksichtigung des Verlustes aus der KG-Beteiligung für 1967 in Höhe von über 2,6 Mio. DM ein zu versteuerndes Einkommen nicht ergeben habe. Der mindestens seit September 1970 im öffentlichen Dienst tätige Kläger und seine Ehefrau hätten daher bei Abschluß des Vertrags vom 19. Juni 1971 damit rechnen müssen, daß die einbehaltenen Lohnsteuerabzugsbeträge später im Rahmen einer Veranlagung infolge des Ansatzes von Verlustvorträgen wieder erstattet werden würden. Wenn ein Steuerpflichtiger in dieser Erkenntnis seine (pfändbaren) Gehaltsansprüche abtrete, könne das bei vernünftiger Würdigung aller Umstände nur dahin verstanden werden, daß die von den Vertragsparteien erkannte Möglichkeit künftiger Steuererstattungen von der Abtretung habe erfaßt sein sollen. In der Vorlage des Vertrags an das FA am 30. Januar 1975 sei eine wirksame Anzeige i. S. des § 159 AO zu sehen. Das in dieser Vorschrift vorgesehene Erfordernis der Anzeige erweitere den in § 398 BGB geregelten Tatbestand der Forderungsübertragung für die öffentlich-rechtlichen Steuererstattungsansprüche. Schriftform oder gar öffentliche Beglaubigung sei bis zum 30. Juni 1975 nicht erforderlich gewesen.
Mit der Revision macht das FA geltend, die Einkommensteuer-Erstattungsansprüche aus 1973 und 1974 hätten ihre Grundlage nicht in dem bestehenden Dienstverhältnis des Klägers als Lehrer, sondern seien selbständige öffentlich-rechtliche Ansprüche aus dem zwischen ihm und dem FA bestehenden Steuerschuldverhältnis und stellten die Kehrseite des Anspruchs des FA auf Entrichtung der Steuern dar. Sie könnten nicht als Gegenleistung für geleistete Dienste angesehen werden, da der Anspruch auf Arbeitslohn im Dienstverhältnis zum Arbeitgeber, der Anspruch auf Erstattung dagegen ausschließlich im Steuerrecht seine Grundlage habe.
Der Kläger sei daher allein Erstattungsberechtigter der durch Anrechnung einbehaltenen Lohnsteuer auf die Einkommensteuerschuld von null DM für die Kalenderjahre 1973 und 1974 und der sich dadurch ergebenden Überzahlung geblieben, so daß das FA wirksam mit den bestehenden Umsatzsteuerrückständen gegenüber dem Kläger habe aufrechnen können.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Zutreffend hat das FG den Finanzrechtsweg für gegeben angesehen, weil es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit über Abgabenangelegenheiten handelt (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Für die Aufrechnung mit Steuerforderungen gelten nach allgemeiner Auffassung die Vorschriften des BGB sinngemäß (vgl. Entscheidung des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. November 1968 VII R 6/66, BFHE 94, 477, BStBl II 1969, 178). Das FG hat zu Recht die nach § 387 BGB erforderliche Gegenseitigkeit der sich gegenüberstehenden Forderungen deshalb verneint, weil der Kläger seine Steuererstattungsansprüche aufgrund des notariellen Vertrags vom 19. Juni 1971 an seine Ehefrau wirksam abgetreten hat und diese dadurch im Zeitpunkt der Aufrechnung bereits nicht mehr zu seinem Vermögen gehörten. Die nach § 159 Satz 1 AO a. F. erforderliche Anzeige war mit der Vorlage des Abtretungsvertrags am 30. Januar 1975 an das FA, also vor dem Wirksamwerden des § 159 Abs. 2 AO mit seinen strengeren Anforderungen am 1. Juli 1975 (Drittes Gesetz zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes vom 24. Juni 1975, BGBl I 1509), bewirkt.
Die Auslegung des Abtretungsvertrags durch das FG kann und muß der Senat daraufhin überprüfen, ob das FG die Grundsätze der §§ 133, 157 BGB beachtet und nicht gegen die Denkgesetze, allgemeine Auslegungsregein und Erfahrungssätze verstoßen hat (BFH-Urteil vom 16. November 1967 V 118/65, BFHE 91, 336, BStBl II 1968, 348; Soergel/Knopp, Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Aufl. 1978 § 157 Rdz. 126). Aufgabe der Tatsacheninstanz ist die Erforschung der für die Auslegung bedeutsamen Begleitumstände und der inneren Willensbildung der Vertragschließenden (s. Urteil des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 27. August 1970 2 AZR 519/69, Neue Juristische Wochenschrift 1971 S. 639 - NJW 1971, 639 -). Was Inhalt und Umfang des Vertrags ist, kann nur nach dem erkennbaren Willen der Vertragspartner beurteilt werden, wobei es darauf ankommt, was diese unter den gebrauchten Worten bei natürlicher Betrachtungsweise verstanden hatten, nicht aber darauf, wie diese als Rechtsbegriffe zu würdigen sind. Deshalb gehen die Ausführungen des FA über die vom Begriff des Arbeitseinkommens gelöste selbständige öffentlich-rechtliche Natur der Lohnsteuer-Erstattungsansprüche insoweit fehl. Auch wenn sie rechtlich zutreffen sollten, schließt dies nicht aus, daß die Vertragsparteien etwas anderes gewollt haben.
Das FG hat aus den Begleitumständen beim Zustandekommen des Abtretungsvertrags mit Recht geschlossen, daß die Eheleute B bei natürlicher Betrachtung unter den Worten "Einkommen aus der Tätigkeit als Lehrer" alle mit dem Arbeitsverhältnis des Klägers zusammenhängenden Ansprüche und damit auch etwaige Lohnsteuererstattungsansprüche verstanden haben. Dies hat es aus folgenden vom FA nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen und daher für den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen entnommen: Hintergrund der Vereinbarung war der Zusammenbruch der KG infolge eines Verlustes in Höhe von über 2,6 Mio. DM für 1967. Dies hatte zur Folge, daß der Kläger aus seiner KG-Beteiligung für absehbare Zeit keine Einnahmen mehr zu erwarten hatte und er mit seiner Inanspruchnahme als persönlich haftender Gesellschafter rechnen mußte. Zur Sicherung seiner Ehefrau und seiner Kinder wollte er sein pfändbares Vermögen, das sich offensichtlich nur aus seiner Tätigkeit als Lehrer ergab, nicht dem Zugriff der KG-Gläubiger eröffnen. Darin ist ersichtlich Sinn und Zweck des Abtretungsvertrags zu sehen. Demgegenüber sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß der Kläger die zu erwartenden Lohnsteuererstattungsansprüche davon ausnehmen wollte. Das würde bedeuten, daß der Kläger diese Ansprüche einerseits für die Pfändung der KG-Gläubiger freigeben und andererseits seiner Ehefrau im Rahmen der vereinbarten Schuldentilgung mit den Arbeitseinkünften entziehen wollte. Dies kann aber dem Abtretungsvertrag nicht entnommen werden. Wie das FG auch zutreffend ausführt, kann es aus der Sicht der Vertragspartner hinsichtlich des Umfangs des abgetretenen Arbeitseinkommens wirtschaftlich keinen Unterschied machen, ob die an sich geschuldete Lohnsteuer vorweg durch Eintragung eines Freibetrags aufgrund des Verlustes an der KG-Beteiligung gekürzt und der Freibetrag mit dem Gehalt ausgezahlt wird, damit also unmittelbar unter den Abtretungsvertrag fällt, oder ob die Lohnsteuer zunächst einbehalten und erst aufgrund der späteren Veranlagung wieder zurückgezahlt wird.
Fundstellen
Haufe-Index 73547 |
BStBl II 1980, 488 |
BFHE 1980, 226 |