Leitsatz (amtlich)
Gewährt ein Angestellter einer Kreditgenossenschaft pflichtwidrig einem Nichtmitglied einen Kredit, so steht es der Genossenschaft zur Erhaltung der Inanspruchnahme des ermäßigten Steuersatzes frei, nachzuweisen, daß ihr das Vorliegen dieses Nichtmitgliedergeschäfts trotz Aufwendung der ihr obliegenden Sorgfalt nicht bekannt war und nach den Umständen auch nicht bekannt sein mußte.
Normenkette
KStG § 23; KStDV § 33
Tatbestand
Streitig ist, ob der Revisionsbeklagten (Steuerpflichtigen) für die Streitjahre 1958 und 1959 der ermäßigte Steuersatz aus § 23 KStG, § 33 KStDV zusteht.
Die Steuerpflichtige ist eine Kreditgenossenschaft, deren damaliger – inzwischen aus dem Dienst entlassener – Rendant St. nach den unbestrittenen Feststellungen im Steuerfahndungsbericht vom 5. Juli 1961 in den Jahren 1952 bis 1958 ohne Wissen des Vorstands und des Aufsichtsrats pflicht- und rechtswidrig unter Falschbzw. Nichtverbuchung aus Mitteln der Steuerpflichtigen an die Eheleute G. Zahlungen geleistet hat, aus denen diese der Steuerpflichtigen in den Streitjahren je etwa 25 000 DM schuldeten. St. ist durch Urteil des zuständigen Schöffengerichts vom 23. November 1961 wegen Untreue in sieben Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Unterschlagung, zu einer Gesamtstrafe von neun Monaten Gefängnis sowie zu Geldstrafen im Gesamtbetrag von 750 DM rechtskräftig verurteilt worden.
Der Revisionskläger (das FA) hat diese Zahlungen als eine Kreditgewährung an Nichtmitglieder angesehen und der Steuerpflichtigen den ermäßigten Steuersatz aus § 23 KStG, § 33 KStDV versagt. Demgegenüber gab das FG nach erfolglosem Einspruch der Berufung der Steuerpflichtigen mit seiner in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1966 S. 384 veröffentlichten Entscheidung statt.
Gegen diese Entscheidung wendet sich das FA mit der Revision, zu deren Begründung es im wesentlichen ausführt, daß nach dem Wortlaut und dem Sinngehalt des Gesetzes allein der objektive Sachverhalt entscheidend sei. Soweit sich aus dieser Bindung der steuerrechtlichen Beurteilung an den objektiven Sachverhalt für die Genossenschaft Schwierigkeiten ergeben könnten, habe die Finanzverwaltung dem durch besondere Anweisungen (wie in Abschn. 60 Abs. 4 und 5 KStR 1958, in Anl. 6 KStR 1964) Rechnung getragen. Ob im Einzelfall das tatsächliche Verhalten ihrer Angestellten den Vorstellungen der Organe der Genossenschaft entspreche, sei ohne Bedeutung, da es nicht darauf ankomme, wer die tatsächlichen Verhältnisse geschaffen habe, die für die Besteuerung entscheidend seien. Mit seiner Feststellung, daß das Festhalten an diesen Grundsätzen im Streitfall eine unbillige Härte für die Steuerpflichtige bedeute, habe das FG den Rahmen seiner Zuständigkeit nach Art. 20 Abs. 3 GG überschritten.
Die Steuerpflichtige hat demgegenüber darauf hingewiesen, daß es im Streitfall am objektiven Sachverhalt einer Kreditgewährung an Nichtmitglieder fehle. Ob eine Kreditgewährung vorliege, könne grundsätzlich allein objektiv nach Maßgabe des bestehenden Rechtsverhältnisses, d. h. des Kreditvertrages, beurteilt und entschieden werden. Im vorliegenden Streitfall fehle es aber an einem solchen Kreditvertrag. Der ungetreue Rendant sei weder im Innenverhältnis noch im Außenverhältnis berechtigt gewesen, für die Steuerpflichtige rechtsverbindlich zu handeln. Sowohl nach den Vorschriften des Genossenschaftsgesetzes (GenG) als auch nach den Bestimmungen der Satzung der Steuerpflichtigen könne ein Kreditverhältnis zwischen der Genossenschaft und einem Dritten nur zustande kommen unter Mitwirkung des Vorstandes der Genossenschaft, sei es durch förmliche Kreditbewilligung und Unterzeichnung eines Kreditvertrages, sei es durch nachträgliche Genehmigung durch Beschluß oder konkludente Handlung. Nichts dergleichen habe hier vorgelegen. Der Vorstand der Steuerpflichtigen habe von den rechtswidrigen Zahlungen des ehemaligen Rendanten an Nichtmitglieder nichts gewußt und auch nichts wissen können. Der ungetreue Rendant habe es verstanden, seine rechtswidrigen Auszahlungen durch Falschbuchungen zu kaschieren, die noch dazu so raffiniert gewesen seien, daß sie selbst anläßlich der gesetzlichen Prüfung durch den zuständigen Prüfungsverband jahrelang nicht entdeckt worden seien.
Das FA hält dieser Auffassung entgegen, daß der ehemalige Rendant der Steuerpflichtigen hinsichtlich der hier streitigen Zahlungen an die Eheleute G. wegen Untreue, nicht wegen Unterschlagung bestraft worden sei. Er habe die herausgelegten Mittel mithin nicht sich selbst zuvor angeeignet, sondern sie den Empfängern als Kredit zur Verfügung gestellt.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
1. Nach § 23 KStG, § 33 KStDV 1958 wird die Körperschaftsteuer auf 19 v. H. des Einkommens ermäßigt „bei Kreditgenossenschaften, die Kredite ausschließlich an ihre Mitglieder gewähren”.
Zutreffend weist das FA darauf hin, daß die Bestimmung des § 33 KStDV nicht als eine Begünstigung der Kreditgenossenschaften gedacht ist, sondern den Zweck hat, die Kreditgenossenschaften den in § 4 Abs. 1 Nr. 4 KStG 1958 persönlich von der Steuerpflicht befreiten öffentlichen und unter Staatsaufsicht stehenden Sparkassen gleichzustellen. Dem FA kann aber nicht auch darin gefolgt werden, daß mit dem Abstellen auf die Ausschließlichkeit der Kreditgewährung an Mitglieder in § 33 KStDV 1955 ff. gegenüber dem Rechtszustand nach den Vorschriften der §§ 4 Abs. 2 Buchst. b und 21 Nr. 3 Buchst. a KStG 1925 eine Änderung eingetreten sei, die zugleich ein neues Kriterium zur Abgrenzung der Mitgliedergeschäfte von den Nichtmitgliedergeschäften bei den Kreditgenossenschaften gebracht habe. Nach § 4 Abs. 2 Buchst. b KStG 1925 gehörten nicht zu den Erwerbsgesellschaften „die einem Revisionsverband angeschlossenen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, deren Geschäftsbetrieb sich auf den Kreis der Mitglieder beschränkt”. Zu diesen zählten auch die Kreditgenossenschaften. Ihre Besteuerung folgte auch nach dem Inkrafttreten des § 23 KStG 1934 gemäß § 36 der Ersten KStDV zunächst weiterhin den bis dahin geltenden Vorschriften. Nach wie vor war damit für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes entscheidend, daß die Genossenschaft sich mit ihrer Tätigkeit auf den Kreis ihrer Mitglieder beschränkte, mit anderen Worten – nach dem Erlaß des RdF vom 17. Juli 1943 (RStBl 1943, 805) – Kredite ausschließlich an ihre Mitglieder gewährte. Hieran hat sich auch durch die Fassung der Bestimmung des § 34 KStDV 1950 ff. und des § 33 KStDV 1955 ff. nichts geändert.
Was den Begriff der Kreditgewährung betrifft, so ist er – worauf es im Streitfall indes nicht entscheidend ankommt – nicht nur durch die darlehnsweise Überlassung von Geld, sondern auch durch die Gewährung von Vorschüssen, die Vornahme von Wechseldiskontierungen, die Übernahme von Bürgschaften, Garantien, der Haftung usw. erfüllt. Soweit es dabei auf den Zeitpunkt der Kreditbewilligung oder den der Kredithingabe ankommt, ist in der Regel der Zeitpunkt der Herauslegung der Darlehnsmittel entscheidend. Ebenso kommt es nach Auffassung des Senats im Streitfall nicht entscheidend darauf an, in welcher Form ein Kreditvertrag in der Regel geschlossen wird und in welchem Umfang die Angestellten der Steuerpflichtigen im Einzelfall berechtigt waren, im Auftrag des Vorstands für die Genossenschaft verbindlich zu handeln. Denn wie der Senat in seinen Urteilen I 197/58 U vom 24. Februar 1959 (BFH 68, 529, BStBl III 1959, 201) und I 37/59 U vom 29. September 1959 (BFH 69, 602, BStBl III 1959, 486) ausgeführt hat, ist es nicht Sache des FA, angesichts des Vorliegens eines Nichtmitgliedergeschäfts der Genossenschaft nachzuweisen, daß sie die Eigenschaft des Kreditnehmers als Nichtmitglied kannte. Andererseits muß es bei Vorliegen einer Kreditgewährung an ein Nichtmitglied der Genossenschaft überlassen bleiben, in einwandfreier Form den Nachweis dafür zu führen, daß sie den Kreditnehmer als Mitglied ansah und im Rahmen des Zumutbaren alles tat, um Irrtümer auszuschließen.
2. Der vorliegende Streitfall unterscheidet sich von den bisher entschiedenen dadurch, daß dem für die Steuerpflichtige – wenn auch pflichtwidrig – handelnden Angestellten die Eigenschaft der Eheleute G. als Nichtmitglieder bekannt war, er aber die pflichtwidrige Kreditgewährung an sie durch Falsch- und Nichtbuchungen so kaschierte, daß sie nicht nur den für die Geschäftsführung der Steuerpflichtigen verantwortlichen Organen (Vorstand und Aufsichtsrat) verborgen blieb, sondern auch dem zuständigen Verbandsprüfer Jahre hindurch nicht auffiel.
Der RFH hat im Urteil I A 260/26 vom 21. Dezember 1927 (RStBl 1928, 31) ausgeführt, daß eine Genossenschaft sich regelmäßig nicht darauf berufen könne, daß unzulässige Kredite ohne Wissen des Vorstands von ihren Kassenbeamten eingeräumt worden seien. Es müsse vielmehr verlangt werden, daß der Vorstand – wenn er die Geschäfte nicht selbst führe – den Angestellten die strengste Befolgung der Grundsätze über die Beschränkung der Geschäfte auf den Kreis der Mitglieder zur Pflicht mache und sich dauernd durch Überwachung der Geschäftsführung darüber unterrichtet halte, daß diese Anweisungen auch ausnahmslos befolgt würden. Seine Kontrollmaßnahmen müßten jedenfalls geeignet sein, zu verhindern, daß Nichtmitgliedergeschäfte in nennenswerter Zahl ohne Wissen des Vorstands gemacht würden, andernfalls die Genossenschaft die objektive Überschreitung des Kreises der erlaubten Geschäfte zu vertreten habe.
Hat der RFH damit – wie der BFH – der Genossenschaft zur Erhaltung der Inanspruchnahme des ermäßigten Steuersatzes die Möglichkeit eingeräumt, nachzuweisen, daß ihr die Eigenschaft eines bestimmten Kreditnehmers als Nichtmitglied nicht bekannt war noch bekannt sein mußte, so muß das erst recht gelten für den Nachweis, daß ihr das Vorliegen eines bestimmten Nichtmitgliedergeschäfts trotz Aufwendung der ihr obliegenden Sorgfalt (§ 34 GenG) nicht bekannt war und nach den Umständen auch nicht bekannt sein mußte. Dieser Nachweis erscheint dem Senat im vorliegenden Streitfall erbracht.
Fundstellen
Haufe-Index 557342 |
BStBl II 1969, 421 |
BFHE 1969, 317 |