Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung eines wertlosen GmbH-Anteils ohne Gegenleistung als Veräußerung
Leitsatz (amtlich)
Die Übertragung eines wertlosen GmbH-Anteils ohne Gegenleistung kann eine Veräußerung i.S. des § 17 Abs.1 EStG sein. Ob in diesem Fall eine Veräußerung oder Schenkung gegeben ist, richtet sich nach den gesamten Umständen, insbesondere nach dem erkennbaren Willen und den Vorstellungen der Parteien.
Normenkette
EStG § 17
Tatbestand
Am Stammkapital der X-GmbH (GmbH) in Höhe von 120 000 DM waren seit Juli 1979 der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) mit 110 000 DM und seine Mutter, Frau E, mit 10 000 DM beteiligt. Das Kapital wurde voll einbezahlt.
Mit Vertrag vom 24.Mai 1982 übertrug der Kläger von seiner GmbH-Beteiligung Anteile von je 40 000 DM auf Herrn B und Frau L. Die Gegenleistung sollte "außeramtlich geregelt" werden. Auf Anfrage des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt ―FA―) teilte Herr B mit, daß weder er noch Frau L für den Erwerb der Anteile eine Gegenleistung erbracht hätten, da bei Vorlage der Bilanz durch den Kläger festgestellt worden sei, daß die GmbH völlig überschuldet gewesen sei.
Am 3.Juni 1983 lehnte das Amtsgericht Nürnberg die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH mangels Masse ab.
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1982 machte der Kläger einen Veräußerungsverlust in Höhe von 80 000 DM gemäß § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend, den das FA nicht anerkannte; das FA ging davon aus, die Anteile seien verschenkt worden.
Nach vergeblichem Einspruch erhoben die Kläger Klage. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Durch die Übertragung der Anteile im Nominalwert von 80 000 DM zu ihrem tatsächlichen Wert von null DM sei der Wert der Anteile aufgedeckt und ein Verlust in Höhe von 80 000 DM realisiert worden. Anhaltspunkte für einen Verzicht auf die Gegenleistung aus privaten Gründen gebe es nicht. Eine Gegenleistung, die der Kläger haben wollte, sei nicht gezahlt worden, weil die übertragenen Anteile unstreitig keinen Wert gehabt hätten. Im Streitfall sei daher die Übertragung einer entgeltlichen Veräußerung i.S. des § 17 Abs.1 EStG gleichzustellen. Nur diese Behandlung entspreche dem Sinn des § 17 EStG. Anderenfalls würden die Erwerber der Anteile später einen Verlust geltend machen können, obwohl sie ihn nicht erwirtschaftet hätten.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 17 EStG.
Es sei zwar richtig, daß es nicht zu einer Gegenleistung gekommen sei, weil die Anteile bereits bei Abschluß des Vertrags wertlos gewesen seien. Gleichwohl sei der Tatbestand der Veräußerung i.S. des § 17 EStG nicht erfüllt. Die Auslegung dieser Vorschrift durch das FG sei weder durch deren Wortlaut noch durch die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ―BFH― (Urteile vom 21.Oktober 1976 IV R 210/72, BFHE 120, 239, BStBl II 1977, 145, und vom 17.Juli 1980 IV R 15/76, BFHE 131, 329, BStBl II 1981, 11) gestützt. § 17 EStG erfasse nur die Veräußerung gegen Entgelt; sie sei nicht gegeben, wenn die Übertragung ohne Gegenleistung erfolge. Die vereinbarte Stundung sei eine Leistung gegenüber der GmbH und nicht gegenüber dem Kläger.
Das FA beantragt sinngemäß, das Urteil des FG Nürnberg vom 21.November 1985 VI 134/85 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger im Streitjahr 1982 einen gewerblichen Verlust in Höhe von 80 000 DM gemäß § 17 EStG erlitten hat.
Es ist zwar richtig, daß die Erwerber der Anteile keine Gegenleistung erbracht haben. Die Parteien des Vertrags vom 24.Mai 1982 haben auch keine Gegenleistung bestimmt. Laut Vertragsurkunde sollte "die Gegenleistung" zwar "außeramtlich geregelt" werden. Nach den Feststellungen des FG hatte der Kläger jedoch lediglich den Wunsch, eine Gegenleistung zu erhalten; dem stand aber bereits bei Abschluß des Vertrages entgegen, daß die übertragenen Anteile nichts wert waren. Angesichts dessen kann nicht einmal davon ausgegangen werden, daß am 24.Mai 1982 ein Entgelt vereinbart wurde.
Das FA wendet auch zu Recht ein, daß der BFH unter Veräußerung i.S. des § 17 Abs.1 Satz 1 EStG die entgeltliche Veräußerung versteht (z.B. Urteil in BFHE 120, 239, BStBl II 1977, 145; ferner Urteil vom 27.Juli 1988 I R 147/83, BFHE 155, 52, BStBl II 1989, 271; Urteil vom 8.August 1984 I R 32/82, nicht veröffentlicht ―NV―) und daß die "Veräußerung" zum Preise von null DM eine unentgeltliche Anteilsübertragung ist (Urteil in BFHE 131, 329, 332, BStBl II 1981, 11). Wie das FG aber zu Recht einwendet, geht es in den vom FA zitierten Entscheidungen des BFH um die Übertragung von Anteilen, die einen Verkehrswert von mehr als null DM hatten. Bei einem Anteil, dessen Verkehrswert null DM beträgt, gibt es keine Grundlage für eine Gegenleistung; sie müßte, wenn die Beteiligten die Vorstellung haben, einander gleichwertige Leistungen zu erbringen (dazu Herrmann/Heuer/ Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19.Aufl., § 16 EStG Rdnr.55), null DM betragen. Die Übertragung eines solchen Anteils entsprechend seinem Verkehrswert müßte mithin immer eine unentgeltliche Übertragung sein. Dieses Ergebnis entspricht jedoch nicht dem Zweck des § 17 EStG.
Wenn der Steuerpflichtige eine Beteiligung, die er für 1 000 DM erworben hat, für 500 DM veräußert, dann hat er nicht ohne weiteres die Hälfte der Beteiligung verschenkt. War sie nur noch 500 DM wert, hat er in Höhe der Differenz zwischen Anschaffungskosten und Veräußerungspreis einen Verlust erwirtschaftet. Entsprechendes gilt, wenn der Steuerpflichtige die Beteiligung für 100, 10 oder weniger als 10 veräußert, sofern der Veräußerungspreis dem gesunkenen Wert des Anteils entspricht. Der vorliegende Fall ist der Grenzfall in dieser Kette. Ist der Anteil ohne Entgelt übertragen worden, weil die Parteien ihm keinen Wert mehr zugemessen haben, dann wird der Verlust des Anteils in gleicher Weise realisiert wie in den übrigen Fällen. Insbesondere nimmt die Anteilsübertragung in diesem Fall nicht sprunghaft den Charakter einer Schenkung an; ihrem Wesen nach hat die Schenkung nämlich die Bereicherung des Beschenkten zum Inhalt (vgl. § 516 Abs.1 des Bürgerlichen Gesetzbuches ―BGB―), davon kann aber bei wertlosen Anteilen allenfalls in formaler Hinsicht die Rede sein.
Verneint man bei fehlender Gegenleistung ohne Rücksicht auf den übertragenen Wert immer eine Veräußerung i.S. des § 17 Abs.1 EStG, führt dies auch beim Empfänger zu unbefriedigenden Ergebnissen. Erwirbt er einen Anteil, den der Veräußerer für 1 000 DM erworben hat, zu dem seinem Wert entsprechenden Preis von 10 oder weniger, hat er Anschaffungskosten i.S. des § 17 Abs.2 EStG in Höhe von 10 (oder weniger); erwirbt er ihn seinem Verkehrswert entsprechend für null DM, könnte er die Anschaffungskosten des Vorgängers (1 000 DM) zugrunde legen (§ 17 Abs.2 Satz 2 EStG).
Andererseits ist zu berücksichtigen, daß das Gesetz einen derartigen Sprung in Kauf nimmt und keine Regelung für einen fließenden Übergang getroffen hat. Wird nämlich der Anteil unentgeltlich i.S. des § 17 Abs.2 Satz 2 EStG übertragen, gelten für den Erwerber auch dann die Anschaffungskosten des Rechtsvorgängers, wenn der Verkehrswert des übertragenen Anteils gegen null geht.
Daraus folgt aber nicht notwendig, daß in einem Grenzfall, wie dem vorliegenden, die Zuordnung allein davon abhängt, ob noch ein Kaufpreis ―äußerstenfalls in Höhe von 1 DM― oder kein Preis festgelegt wurde. Wegen der wirtschaftlichen Nähe der Alternativen im Streitfall ―"Veräußerung" ohne Entgelt, "Schenkung" ohne Bereicherung― muß sich die Entscheidung nach dem Gesamtbild der Umstände richten (vgl. auch BFH-Urteil vom 31.Mai 1972 I R 49/69, BFHE 106, 71, BStBl II 1972, 696, betr. § 16 EStG). Danach ist die Übertragung der sowohl in den Augen der Parteien als auch objektiv wertlosen Anteile ohne Entgelt hier noch als Grenzfall der Veräußerung i.S. des § 17 Abs.1 EStG zuzurechnen.
Ausschlaggebend ist dabei der Wille und die Vorstellung der Parteien, wie sie nach den Feststellungen des FG in Erscheinung getreten sind. Die Auslegung durch das FG läßt insofern keinen Rechtsfehler erkennen. Der Kläger wollte den Erwerbern erklärtermaßen nichts schenken; die Gegenleistung kam vielmehr hier nur wegen der Wertlosigkeit der Anteile nicht zustande.
In Anbetracht dessen kann der Senat offenlassen, ob sich für den Kläger im Streitfall nicht gemäß § 17 Abs.4 EStG ein Verlust ergeben hätte. Nachdem etwa ein Jahr später das Konkursverfahren mangels Masse nicht eröffnet worden ist, könnte die Wertminderung der GmbH-Anteile bereits 1982 zu berücksichtigen sein (vgl. BFH-Urteile vom 2.Oktober 1984 VIII R 20/84, BFHE 143, 304, BStBl II 1985, 428, und vom 19.Oktober 1978 VIII R 182/77, NV, zitiert bei Döllerer, Steuerberater-Jahrbuch, 1981/82, 195, 219).
Fundstellen
Haufe-Index 63857 |
BFH/NV 1991, 50 |
BStBl II 1991, 630 |
BFHE 164, 50 |
BFHE 1992, 50 |
BB 1991, 1396 |
BB 1991, 1396-1397 (LT) |
DB 1991, 1426-1427 (LT) |
DStR 1991, 840 (KT) |
HFR 1991, 532 (LT) |
StE 1991, 222 (K) |