Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur zeitlichen Begrenzung der Beschlußfassung über die Gewinnverteilung
Leitsatz (NV)
1. Ob Gewinnausschüttungen auf einem gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluß beruhen, ist nach handelsrechtlichen Vorschriften zu beurteilen.
2. Eine GmbH ist nicht deshalb an der Ausschüttung des Gewinns eines Wirtschaftsjahres gehindert, weil dieser bereits als Gewinnvortrag in der Bilanz des folgenden Wirtschaftsjahres seinen Niederschlag gefunden hat.
Normenkette
GmbHG § 30 Abs. 1, § 46; KStG § 19 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
An dem Stammkapital der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) waren bis zum 31. Dezember 1973 Frau R und ihre Söhne beteiligt, danach die Z-AG, deren Hauptgesellschafterin Frau R ist.
Die Körperschaftsteuerveranlagungen 1972 und 1973 führte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) entsprechend den eingereichten Steuererklärungen nach § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) vorläufig durch. Weil im Zeitpunkt der vorläufigen Veranlagungen keine Gewinnverteilungsbeschlüsse vorlagen, wurde das Einkommen der Klägerin gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 des Körperschaftssteuergesetzes a. F. (KStG a. F.) mit 51 v. H. versteuert. In den Erläuterungen zur Bilanz zum 31. Januar 1972 war bezüglich der ausgewiesenen Körperschaftsteuerrückstellung vermerkt, die Rückstellung sei in der Annahme berechnet worden, daß der Bilanzgewinn im wesentlichen ausgeschüttet werde. In dem Bericht zur Bilanz auf den 31. Januar 1
973 heißt es, daß die Körperschaftsteuerrückstellung in der Annahme einer Thesaurierung des Gewinns ermittelt worden sei.
Am 30. Juni 1977 reichte die Klägerin beim FA erstmals Kapitalertragsteueranmeldungen für 1971/72 und 1972/73 ein. Der Anmeldung waren beigefügt: Beschlüsse der ehemaligen Gesellschafter der Klägerin vom 10. Februar 1977 über die Genehmigung der dem FA bereits eingereichten Bilanzen zum 31. Januar 1972 und zum 31. Januar 1973 und über die Verteilung des Gewinns sowie ein Beschluß der Z-AG vom 22. Februar 1977 über die Genehmigung der Beschlüsse der früheren Gesellschafter. Das FA sah in den Steueranmeldungen einen Antrag auf Änderung der vorläufigen Körperschaftsteuerveranlagungen 1972 und 1973 und auf Gewährung des Steuersatzes von 15 v. H. für Gewinnausschüttungen. Es lehnte den Antrag ab. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.
Die gegen die Einspruchsentscheidung eingelegte Klage sah das Finanzgericht (FG) als begründet an. Seine Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 365 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt das FA die unzutreffende Anwendung des § 19 Abs. 3 KStG a. F.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat der Klage zu Recht stattgegeben. Das Einkommen der Klägerin unterliegt in den Streitjahren in Höhe der für die Wirtschaftsjahre 1971/72 und 1972/73 beschlossenen Gewinnausschüttungen gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 KStG a. F. einem Steuersatz von 15 v. H. Bei den beschlossenen Gewinnausschüttungen handelt es sich um berücksichtigungsfähige Ausschüttungen (§ 19 Abs. 3 Satz 1 KStG a. F.). Sie sind für Wirtschaftsjahre vorgenommen, deren Ergebnisse bei der Veranlagung der Streitjahre berücksichtigt sind (§ 5 Abs. 2 Satz 2 KStG a. F.). Die Gewinnverteilungsbeschlüsse entsprechen den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften. Für die Entscheidung der Frage, ob die Gewinnausschüttungen auf den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlüssen beruhen, sind die handelsrechtlichen Vorschriften, hier das Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), maßgebend (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Juli 1969 I R 92/67, BFHE 96, 310, BStBl II 1969, 634).
Gesellschaftsrechtlichen Vorschriften steht nicht entgegen, daß die Gewinnverteilungsbeschlüsse von den früheren Gesellschaftern der Klägerin gefaßt wurden. Denn die jetzige Gesellschafterin der Klägerin hat die Beschlüsse genehmigt.
Dadurch, daß die Gewinnausschüttungen erst im Februar 1977, also fünf bzw. vier Jahre nach dem Ende der Wirtschaftsjahre beschlossen wurden, auf die sie sich bezogen, sind handelsrechtliche Vorschriften nicht verletzt. In § 46 GmbHG, wonach die Gesellschafter über die Verteilung des Reingewinns beschließen, ist eine zeitliche Begrenzung für die Beschlußfassung nicht vorgesehen. In der Rechtsprechung des BFH wurde - nicht entscheidungserheblich - darauf hingewiesen, daß Gewinnausschüttungsbeschlüsse, die eine unbegründet lange Zeit nach Abschluß des Wirtschaftsjahres erfolgen, den handelsrechtlichen Erfordernissen nach einem zutreffenden Vermögensausweis widersprächen (Urteile vom 1. Juli 1964 I 5/63 U, BFHE 80, 162, BStBl III 1964, 533; BFHE 96, 310, BStBl II 1969, 634; in dem Urteil vom 31. Oktober 1984 I R 95/80, BFHE 142, 446, BStBl II 1985, 225 wurde jedenfalls ein Zeitraum von 16 Monaten nach dem Ende des Wirtschaftsjahres, dessen Gewinn ausgeschüttet wird, als dem GmbHG entsprechend angesehen). Daran kann in dieser Allgemeinheit nicht festgehalten werden. Durch den Gewinnverteilungsbeschluß verwandelt sich das allgemeine Bezugsrecht des Gesellschafters in ein selbständiges Gläubigerrecht (Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 24. Januar 1957 II ZR 208/55, BGHZ 23, 150, 154, und vom 3. November 1975 II ZR 67/73, BGHZ 65, 230, 235). Bezieht sich der Gewinnverteilungsbeschluß auf ein Wirtschaftsjahr, das vor dem Wirtschaftsjahr liegt, das der Fassung des Beschlusses vorangeht, wird die Vermögenslage der Gesellschaft nicht unzutreffend dargestellt.
Die Gläubiger konnten im Streitfall nicht darauf vertrauen, daß die Gewinne der Streitjahre nicht Gegenstand von Ausschüttungen werden. Der Gewinn des Wirtschaftsjahres 1971/72 ging als Gewinnvortrag in den Gewinn des Wirtschaftsjahres 1972/73 ein. Der Gewinn des Wirtschaftsjahres 1972/73, der sich aus dem laufenden Jahresüberschuß und dem Gewinnvortrag aus dem Wirtschaftsjahr 1971/72 zusammensetzte, ging grundsätzlich als Gewinnvortrag in den Gewinn der folgenden Wirtschaftsjahre ein. Die Gesellschafter der Klägerin hatten damit grundsätzlich die Möglichkeit, den Gewinn der Streitjahre jeweils als Bestandteil des Gewinns der folgenden Wirtschaftsjahre auszuschütten, ohne daß sie daran von den Gläubigern hätten gehindert werden können. Wählen die Gesellschafter diese Möglichkeit nicht, sondern beschließen sie eine Ausschüttung des Gewinns der Wirtschaftsjahre, die in den Streitjahren enden, führt die Ausschüttung zu einer Minderung des Gewinnvortrags und damit zu einer Ermäßigung des Gewinns des folgenden Wirtschaftsjahres (vgl. Urteil des Oberlandesgerichts - OLG - Düsseldorf vom 6. Dezember 1972 6 U 126/62, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1963, 2080).
Der Senat ist nicht der Ansicht, daß es einer Gesellschaft nicht mehr möglich sei, den Gewinn eines Wirtschaftsjahres auszuschütten, sobald dieser als Gewinnvortrag in der Bilanz des folgenden Wirtschaftsjahres seinen Niederschlag gefunden hat (so aber Stockmeyer, GmbH-Rundschau - GmbHR - 1980, 59, 63). Aus den handelsrechtlichen Vorschriften ergibt sich eine derartige Folge nicht. Soweit sie mit dem Hinweis begründet wird, daß ein nach dem Folgewirtschaftsjahr gefaßter Gewinnverteilungsbeschluß zu einer Änderung des Jahresabschlusses des Folgewirtschaftsjahres führe und die Änderung nur bei Vorliegen wirtschaftlicher Gründe möglich sei (vgl. Stockmeyer, GmbHR 1980, 59, 63), kann dem nicht beigetreten werden. Der nachträglich gefaßte Gewinnverteilungsbeschluß ermäßigt - wie dargestellt - den Gewinnvortrag in dem Wirtschaftsjahr, das auf das Wirtschaftsjahr folgt, dessen Gewinn ausgeschüttet wird. War die Bilanz des Folgewirtschaftsjahres von dem Gewinnverteilungsbeschluß bereits aufgestellt, wird sie u. U. unrichtig, so daß eine Bilanzberichtigung geboten ist. Es kommt daher nicht darauf an, inwieweit die Voraussetzungen einer Bilanzänderung vorliegen, d. h. inwieweit es möglich ist, einen zulässigen Bilanzansatz durch einen anderen (zulässigen) Bilanzansatz zu ersetzen.
Für den Streitfall ist es unerheblich, ob die Gewinne der nach dem Wirtschaftsjahr 1972/73 liegenden Wirtschaftsjahre vor den strittigen Gewinnverteilungsbeschlüssen ausgeschüttet worden sind (die Frage blieb im Urteil in BFHE 142, 446, BStBl II 1985, 225 noch dahingestellt).
Die Ansicht des erkennenden Senats wird durch die Rechtsprechung gestützt, die die Änderung bereits gefaßter Gewinnverteilungsbeschlüsse betrifft. Die Rechtsprechung behandelt die Änderung als den handelsrechtlichen Vorschriften entsprechend, wenn sie nicht willkürlich ist (BFH-Urteil vom 30. März 1983 I R 178/79, BFHE 138, 236, BStBl II 1983, 512, wobei in dem entschiedenen Fall bei Vorliegen dieser Voraussetzung eine Änderung der beschlossenen Gewinnausschüttungen mehr als vier Jahre nach dem Ende des Wirtschaftsjahres, dessen Gewinn ausgeschüttet wurde, als den handelsrechtlichen Vorschriften entsprechend angesehen wurde). Daß die Ansicht des erkennenden Senats eine folgerichtige Weiterentwicklung dieser Rechtsprechung ist, ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Hätten die Gesellschafter zunächst nach dem Ende der Wirtschaftsjahre 1971/72 und 1972/73 nur einen geringen Teil des Gewinns ausgeschüttet, wären die in 1977 beschlossenen Gewinnausschüttungen Änderungen früherer Gewinnausschüttungen. Sie wären nach der angeführten Rechtsprechung zulässig. Die Änderung wäre nicht willkürlich gewesen; sie wäre jedenfalls durch die Einführung des Körperschaftsteueranrechnungsverfahrens bedingt. Gemäß § 30 Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 KStG 1977 sind Vermögensmehrungen, die das Eigenkapital bis zum Ende des letzten vor dem 1. Januar 1977 abgelaufenen Wirtschaftsjahres erhöht haben, in der Gliederung des verwendbaren Eigenkapitals getrennt auszuweisen (sog. EK 03). Soweit diese Eigenkapitalanteile für die Ausschüttung als verwendet gelten (vgl. § 28 Abs. 3 KStG 1977 in der heutigen gültigen Fassung), führt dies zur Herstellung der Ausschüttungsbelastung. Handelt es sich bei den Eigenkapitalanteilen um solche, die nach dem vor Einführung des Körperschaftsteueranrechnungsverfahrens gültigen KStG mit 51 v. H. Körperschaftsteuer belastet waren, käme es zu einer sehr hohen Belastung. Sie beliefe sich bei einem Einkommen vor Körperschaftsteuer von 100 auf 78,56. Zu der Körperschaftsteuer von 51 v. H. nach altem KStG käme im Falle der Ausschüttung des verbliebenen verwendbaren Eigenkapitals von 49 eine Körperschaftsteuer von 27,56 (36/64 aus 49). Die Einführung des Körperschaftsteueranrechnungsverfahrens ist daher ein berechtigter Anlaß, die Körperschaftsteuerbelastung dadurch abzumildern, bereits beschlossene Gewinnverteilungsbeschlüsse zu ändern, um den Ausschüttungssteuersatz von 15 v. H. (§ 19 Abs, 1 Nr. 1 KStG a. F.) zur Anwendung zu bringen (vgl. auch Urteil in BFHE 138, 236, BStBl II 1983, 512; dort wurde die Einführung des Verlustrücktrags als berechtigter Anlaß angesehen, beschlossene Gewinnverteilungsbeschlüsse zu ändern). Wäre nach diesen Grundsätzen eine Änderung eines Gewinnverteilungsbeschlusses zulässig, ist um so mehr ein erstmaliger Gewinnverteilungsbeschluß nach Einführung eines Körperschaftsteueranrechnungsverfahrens möglich; denn in diesem Fall haben die Gesellschafter die Gewinnverteilung noch nicht in Form eines Beschlusses anderweitig dokumentiert.
Die Höhe der von der Klägerin in den Bilanzen zum 31. Januar 1972 und zum 31. Januar 1973 gebildeten Körperschaftsteuerrückstellung ist auf die Frage der berücksichtigungsfähigen Ausschüttung ohne Einfluß. Wenn die Klägerin dabei von einer Thesaurierung ausgegangen ist, können daraus keine Folgerungen gezogen werden. Die Klägerin kann bei der Bildung der Rückstellung nur die Erkenntnisse zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung verwerten. Anhaltspunkte dafür, daß in diesem Zeitpunkt bereits eine Gewinnausschüttung geplant war, liegen nicht vor.
Ein Gewinnverteilungsbeschluß entspricht dann nicht den handelsrechtlichen Vorschriften, wenn er zu einer Rückzahlung des Vermögens führen würde, das zur Erhaltung des Stammkapitals der Klägerin notwendig ist (vgl. § 30 Abs. 1 GmbHG). Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn und soweit der Gewinn, der ausgeschüttet werden soll, zwischenzeitlich durch Jahresfehlbeträge und durch Gewinnausschüttungen aufgezehrt worden ist (vgl. auch BFH-Urteil vom 4. Juli 1973 I R 216/71, BFHE 110, 37, BStBl II 1973, 742). Nach den vom FG getroffenen Feststellungen liegen diese Voraussetzungen nicht vor.
Auf den Streitfall findet § 19 KStG a. F. Anwendung, obwohl die Gewinnausschüttungen erst nach dem 1. Januar 1977 beschlossen wurden (vgl. hierzu BFHE 142, 446, BStBl II 1985, 225).
Fundstellen
Haufe-Index 413991 |
BFH/NV 1987, 61 |