Einkünfte aus Kapitalvermögen und deren Zufluss bei gespaltener Gewinnverwendung
Hintergrund: Keine Gewinnausschüttung an den Mehrheitsgesellschafter
X war geschäftsführender Mehrheitsgesellschafter verschiedener GmbH. Deren jeweilige Satzung sah vor, dass der einem Gesellschafter nicht ausgeschüttete Gewinn auf einem personenbezogenen Rücklagenkonto gutgeschrieben wird und zu einem späteren Zeitpunkt an diesen Gesellschafter ausgeschüttet werden kann.
Für mehrere dieser GmbH stellten die Gesellschafter in 2012 die Jahresabschlüsse fest und entschieden sodann über die Verwendung und Verteilung der Bilanzgewinne. Hierzu stellten sie zunächst die Höhe der jeweils ausschüttbaren Gewinne fest. Im Weiteren beschlossen sie, dass die der jeweiligen Beteiligungshöhe entsprechenden Gewinnanteile der Minderheitsgesellschafter an diese ausgeschüttet wurden. Die ebenfalls der Beteiligungshöhe entsprechenden Anteile des X am Gewinn wurden hingegen "nicht ausgeschüttet und den personenbezogenen Rücklagen zugeführt". In den Jahresabschlüssen wurden diese Rücklagen als Gewinnrücklagen im Eigenkapital der jeweiligen Gesellschaft ausgewiesen.
Das FA war der Meinung, dem X seien Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zugeflossen, und erhöhte die nach § 32d Abs. 1 EStG besteuerten Kapitalerträge.
Dem folgte das FG und wies die Klage ab. Die Anteile am Gewinn seien dem X als beherrschendem Gesellschafter bereits mit dem jeweiligen Beschluss über die Einstellung in das persönliche Rücklagenkonto zugeflossen.
Entscheidung: Kein Zufluss bei gespaltener Gewinnverwendung
Der BFH widerspricht dem FG. Das FG hat fehlerhaft angenommen, dass gesellschaftsrechtlich zulässige und steuerlich anzuerkennende Beschlüsse über gespaltene bzw. inkongruente Gewinnverwendungen zum Zufluss von Gewinnanteilen führen. Es hat insbesondere nicht berücksichtigt, dass es aufgrund der Gesellschafterbeschlüsse bereits nicht zu Gewinnausschüttungen an den X gekommen ist, so dass sich die Frage des Zuflusses von Gewinnanteilen gar nicht stellt.
Gewinnverwendung – Gewinnverteilung
Im Gewinnverwendungsbeschluss (§ 29 Abs. 2 GmbHG) entscheiden die Gesellschafter darüber, ob bzw. inwieweit der Gewinn der GmbH thesauriert oder ausgeschüttet wird. Der thesaurierte Gewinn kann in eine (allgemeine) Gewinnrücklage eingestellt oder als Gewinn vorgetragen werden. Im Rahmen der Gewinnverteilung (§ 29 Abs. 3 GmbHG) bestimmen sie darüber, ob der auszuschüttende Gewinn den Gesellschaftern entsprechend ihren Geschäftsanteilen zusteht oder ob er anteilsabweichend verteilt wird (sog. disquotale/inkongruente Gewinnverteilung). Für spätere Ausschüttungen aus einer solchen gesellschafterbezogenen Gewinnrücklage, die als Unterkonto der Gewinnrücklage geführt wird, ist erneut ein Beschluss über die Gewinnverwendung zu fassen.
Gespaltene/inkongruente Gewinnverwendung
Im Rahmen der Gewinnverwendung können die Gesellschafter beschließen, dass nur die Anteile bestimmter Gesellschafter am Gewinn ausgeschüttet werden, während die Anteile anderer Gesellschafter am Gewinn nicht ausgeschüttet, sondern in gesellschafterbezogene Gewinnrücklagen eingestellt werden (sog. gespaltene/inkongruente Gewinnverwendung). Derart gespaltene Gewinnverwendungen sind gesellschaftsrechtlich zulässig, wenn sie nach der Satzung möglich sind und die Gesellschafter wirksam einen entsprechenden Beschluss fassen. Ein zivilrechtlich wirksamer Beschluss über eine gespaltene Gewinnverwendung, wonach die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern ausgeschüttet werden, der auf den Mehrheitsgesellschafter nach seiner Beteiligung entfallende Anteil am Gewinn hingegen nicht ausgeschüttet, sondern in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, ist (ebenso wie eine inkongruente Gewinnverteilung) steuerlich anzuerkennen. Wie bei einer vollständigen Thesaurierung besteht kein Grund, den Beschluss über eine partielle, nach Gesellschaftern differenzierende Thesaurierung steuerlich nicht anzuerkennen.
Kein Zufluss bei gespaltener/inkongruenter Gewinnverwendung
Hiervon ausgehend führt ein gesellschaftsrechtlich zulässiger und steuerlich anzuerkennender Beschluss über die gespaltene/inkongruente Gewinnverwendung nicht zur Gewinnausschüttung an den Gesellschafter, dessen Anteil am Gewinn thesauriert wird, und insoweit auch nicht zum Zufluss eines Gewinnanteils i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG.
Aufhebung des FG-Urteils und der ESt-Erhöhung
Die Revision des X war somit erfolgreich. Soweit eine Thesaurierung im Wege der Einstellung in eine personenbezogene Gewinnrücklage erfolgt ist, ist der Gewinn im Eigenkapital der Gesellschaft verblieben. Die gespaltene Gewinnverwendung führt nicht zur Ausschüttung des thesaurierten Gewinnanteils. Die zivilrechtlich wirksamen Gesellschafterbeschlüsse sind steuerlich anzuerkennen. Dass X beherrschender Gesellschafter war, steht der Anerkennung nicht entgegen.
Hinweis: Kein Gestaltungsmissbrauch
Die Tatsache, dass Ausschüttungen an alle Gesellschafter möglich gewesen wären, genügt nicht, um den zivilrechtlich wirksamen Gesellschafterbeschlüssen die steuerliche Anerkennung zu versagen. Die partiellen Gewinnthesaurierungen dienen der Selbstfinanzierung und beruhen auf anzuerkennenden wirtschaftlichen Gründen. Es ist weder untypisch noch unangemessen, dass Gesellschafter unterschiedliche Interessen an der Ausschüttung von Gewinnen haben und die Gesellschafterversammlung demgemäß entscheidet, dass nur bestimmte Gesellschafter Ausschüttungen erhalten, während der Gewinn im Übrigen vorerst einbehalten wird.
Keine Ausschüttungsfiktion
Die Ausschüttung eines Gewinnanteils oder eines sonstigen Bezugs an X kann auch nicht fingiert werden. Für den dem Rücklagenkonto zugewiesenen Betrag ist bereits kein konkreter, auszahlbarer Gewinnanspruch des X entstanden. Der Auszahlungsanspruch entsteht erst, wenn ein (späterer) auf Ausschüttung gerichteter Gewinnverwendungsbeschluss gefasst wird. X hat keine Forderung erlangt, die er aufgrund seiner beherrschenden Stellung jederzeit hätte realisieren können.
BFH Urteil vom 28.09.2021 - VIII R 25/19 (veröffentlicht am 27.01.2022)
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