Begrenzung der rückwirkenden Auszahlung festgesetzten Kindergeldes auf sechs Monate
Vorbemerkung
Kindergeld kann unter Beachtung der Festsetzungsverjährung festgesetzt werden. Durch das Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch (SozialMissbrG) v. 11.7.2019 (BGBl I 2019, 1066) hat der Gesetzgeber in § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG eine zeitliche Auszahlungsbeschränkung aufgenommen.
Die Auszahlung von festgesetztem Kindergeld erfolgt danach rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist. Der Anspruch auf Kindergeld (§ 62 EStG) bleibt von dieser Auszahlungsbeschränkung unberührt.
Diese Regelung ist auf Anträge anzuwenden, die nach dem 18.7.2019 eingehen (§ 52 Abs. 50 Satz 1 EStG).
Offene Frage
In dem vom BFH nunmehr zu entscheidenden Sachverhalt stellte sich die Frage, ob die Auszahlungsbeschränkung beim Kindergeld für nach dem 18.7.2019 gestellte Anträge selbst dann gilt, wenn die Kindergeldzeiträume vor dem 18.7.2019 liegen.
Sachverhalt
Der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt verhielt sich wie folgt:
- Der Kläger beantragte am 5.8.2019 die Festsetzung und Auszahlung des Kindergeldes für die Zeit vom August 2018 bis Oktober 2019 für das Kind A.
- Mit Bescheid vom 7.5.2020 setzte die Familienkasse das Kindergeld für das Kind A für den beantragten Zeitraum August 2018 bis einschließlich Oktober 2019 fest.
- Jedoch wurde die Auszahlung auf den Zeitraum Februar 2019 bis Oktober 2019 begrenzt – für den Zeitraum August 2018 bis einschließlich Januar 2019 wurde unter Hinweis auf § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG keine Auszahlung verfügt.
- Hiergegen wandte sich der Kläger und begehrte, die 6- Monatsfrist für Kindergeldzeiträume vor dem 18.7.2019 nicht anzuwenden, wenngleich er den Kindergeldantrag nach diesem Stichtag gestellt hatte.
Dem folgte die Familienkasse nicht.
FG Schleswig-Holstein: Anwendung der 6-Monatsfrist auf Anträge nach dem 18.7.2019 rechtmäßig
Das FG Schleswig-Holstein schloss sich der Auffassung des Klägers nicht an (Urteil v. 17.5.2022, 4 K 110/21). Die zeitliche Begrenzung der Kindergeldauszahlung für Anträge, die nach dem 18.7.2019 eingingen, sei rechtmäßig.
Entscheidung des BFH: Zeitpunkt der Antragstellung ist für die 6-Monatsfrist maßgeblich
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Seine Entscheidung hat der BFH im Wesentlichen wie folgt begründet:
- Für Kindergeldanträge, die nach dem 18.7.2019 eingehen (§ 52 Abs. 50 Satz 1 EStG), kommt die Regelung des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG zur Anwendung. Danach erfolgt die Auszahlung von festgesetztem Kindergeld nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist (Ausschlussfrist).
- Für die Anwendung der Ausschlussfrist kommt es nur auf den Zeitpunkt des Antragseingangs („nach dem 18.7.2019“) und nicht auf die Entstehung des Kindergeldanspruchs an.
- Nach Auffassung des BFH ist diese zeitliche Grenze nicht willkürlich; vielmehr lässt sie sich sachlich rechtfertigen (Rz. 16). Hierdurch sollen realisierbare Kindergeldansprüche vor Festsetzungsverjährung verhindert werden, die sich aus Änderungen der Rechtsprechung ergeben.
- Die Ausschlussfrist liegt innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers und ist verfassungsrechtlich unbedenklich (BFH, Beschluss v. 22.9.2022, III R 21/21, BStBl II 2023, 249 m.w.N.). Der Kindergeldberechtigte wird durch diese Regelung nicht daran gehindert, einen Kindergeldantrag zeitnah zu stellen.
Praxisanmerkungen
Die Anwendung der 6-Monatsfrist spielt in der Praxis weiterhin eine Rolle. Geklärt sein dürfte die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung. In den Urteilsgründen der BFH-Entscheidung in der Rs. III R 27/22 befindet sich der interessante Hinweis, dass es bei Anwendung der 6-Monatsfrist nach § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG allein auf die Antragstellung ankomme. Eine Beibringung von z. B. Ausbildungsnachweisen könne später erfolgen (Rz. 21).
Kommt festgesetztes Kindergeld wegen der Ausschlussfrist nicht zur Auszahlung, gilt es zu beachten, dass Freibeträge für Kinder für diese Zeiträume ohne Gegenrechnung von Kindergeld gleichwohl gewährt werden (§ 31 Satz 5 EStG). In der Anlage Kind ist für Zeiträume, für die die Auszahlungsbeschränkung gilt, kein Kindergeldanspruch einzutragen. Hierauf weisen auch die Erläuterungen zur Anlage Kind ausdrücklich hin (Erläuterungen zu Zeile 4 bis 9).
Aus dem Erklärungsvordruck ergibt sich dies nicht eindeutig. Genauer wäre, wenn in der Zeile 6 der Anlage Kind vermerkt wäre, dass der Anspruch auf Kindergeld, der ausgezahlt wurde, einzutragen ist. Es bleibt zu hoffen, dass sich dies mit den Erklärungsvordrucken 2024 ändert.
Blick in die Anlage Kind 2023
BFH, Urteil v. 25.4.2024, III R 27/22; veröffentlicht am 27.6.2024
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