Bemessungsgrundlage für die Steuerfreiheit Nachzuschlägen

Die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Bereitschaftsdienste, die außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit erbracht und gesondert vergütet werden, bemisst sich nach dem Arbeitslohn für die regelmäßige Arbeitszeit und nicht nach dem Bereitschaftsdienstentgelt.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

Nach § 3b Abs. 1 EStG sind Zuschläge, die für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit neben dem Grundlohn gezahlt werden, steuerfrei, soweit sie die in § 3b Abs. 1 Nr. 1 bis 4 EStG genannten Grenzen des Grundlohns nicht übersteigen.

Sachverhalt: Maßstab für die Berechnung der in § 3b Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 EStG genannten prozentualen Höchstgrenzen bei Bereitschaftsdienst

Die Klägerin betreibt eine Förderschule mit angeschlossenem Internat für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen, die von den Mitarbeitern auch in der Nacht betreut werden.

Die wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit des Betreuungspersonals betrug im Streitzeitraum (Januar 2014 bis Dezember 2017) bei Vollzeitbeschäftigung durchschnittlich 39 Stunden. Die regelmäßigen monatlichen Dienstbezüge (Grundlohn) setzten sich aus der monatlichen Regelvergütung, der Kinderzulage und den sonstigen Zulagen zusammen. Die Zeit der nächtlichen Beaufsichtigung wurde gemäß den arbeitsvertraglichen Regelungen als Bereitschaftsdienst behandelt.

Nach den arbeitsvertraglichen Regelungen wurde die Bereitschaftsdienstzeit zum Zwecke der Entgeltberechnung faktorisiert und nur zu 25 % als Arbeitszeit entgolten. Daneben erhielten die Mitarbeiter für den Bereitschaftsdienst in den Nachtstunden je tatsächlich geleisteter Stunde einen Zeitzuschlag in Höhe von 15 % des auf eine Stunde umgerechneten individuellen Tabellenentgelts.

Das den Mitarbeitern danach zustehende Bereitschaftsdienstentgelt versteuerte die Klägerin, soweit die faktorisierte Arbeitszeit entgolten wurde, regulär. Den Zeitzuschlag für die Zeit von 0:00 Uhr bis 6:00 Uhr zahlte sie steuerfrei aus.

Das Finanzamt (FA) vertrat die Auffassung, dass die den Beschäftigten gezahlten Zuschläge über den in § 3b Abs. 1 EStG genannten Höchstgrenzen gelegen hätten. Sie seien insoweit zu Unrecht steuerfrei ausgezahlt worden. Als Bemessungsgrundlage für die Steuerfreiheit der Zuschläge und damit als Grundlohn im Sinne von § 3b Abs. 2 Satz 1 EStG sei lediglich das Entgelt für den Bereitschaftsdienst anzusetzen. Dies folge aus dem Senatsurteil vom 27.8.2002, VI R 64/96, BStBl II 2002, 883. Nach dieser Entscheidung seien Zuschläge zur Rufbereitschaftsentschädigung wegen der geringeren Beeinträchtigungen des Arbeitnehmers bei der Ableistung von Rufbereitschaften gegenüber den Erschwernissen bei einer vollen Arbeitserbringung in den begünstigten Zeiten nur insoweit steuerfrei, als sie die in § 3b Abs. 1 EStG vorgesehenen und an der Rufbereitschaftsentschädigung gemessenen Prozentsätze nicht überstiegen. Auf Grundlage dieser Rechtsauffassung erließ das FA einen Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnsteuerbeträge für den Streitzeitraum.

Das Finanzgericht (FG) folgte dieser Auffassung nicht und gab der erhobenen Klage statt.

Entscheidung: BFH bestätigt die Auffassung des FG

Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen und die Auffassung des FG bestätigt.

Grundlohn

Grundlohn ist der laufende Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum zusteht; er ist in einen Stundenlohn umzurechnen und mit höchstens 50 EUR anzusetzen (§ 3b Abs. 2 Satz 1 EStG). Grundlohn steht dem Arbeitnehmer zu, wenn er diesem bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung geschuldet wird.

Der Grundlohn ist von den sonstigen Bezügen abzugrenzen. Laufender Arbeitslohn ist danach das dem Arbeitnehmer regelmäßig zustehende Arbeitsentgelt und damit das Monatsgehalt, der Wochen- oder Tageslohn, Überstundenvergütungen, laufende Zulagen oder Zuschläge und geldwerte Vorteile aus regelmäßigen Sachbezügen.

Zuschläge neben dem Grundlohn

Voraussetzung für die Steuerbefreiung nach § 3b EStG ist weiter, dass die Zuschläge neben dem Grundlohn geleistet werden; sie dürfen nicht Teil einer einheitlichen Entlohnung für die gesamte geleistete Tätigkeit sein. Hierfür ist regelmäßig erforderlich, dass in dem Arbeitsvertrag zwischen der Grundvergütung und den Erschwerniszuschlägen unterschieden und ein Bezug zwischen der zu leistenden Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit und der Lohnhöhe hergestellt ist. Es muss sich bei den Zuschlägen objektiv um ein zusätzlich (zum Grundlohn) geschuldetes Arbeitsentgelt für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit handeln. Daher kommt es nicht darauf an, ob die zuschlagsbewehrte Tätigkeit neben den Erschwerniszuschlägen bereits durch den Grundlohn abgegolten oder zusätzlich durch besondere Bereitschaftsdienstentgelte vergütet wird.

Zahlung muss zweckbestimmt erfolgen

Darüber hinaus muss die Zahlung des Zuschlags zweckbestimmt erfolgen. Die Steuerbefreiung setzt dementsprechend voraus, dass die neben dem Grundlohn gewährten Zuschläge für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt worden sind. § 3b EStG begünstigt das (zusätzliche) Entgelt "für" die Arbeit zu besonders ungünstigen Zeiten.

Im Arbeitgeberinteresse ausgeübte Tätigkeit

Zur tatsächlich geleisteten Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit im Sinne von § 3b Abs. 1 EStG zählt jede arbeitsvertraglich geschuldete (Berufs-)Tätigkeit des Arbeitnehmers und damit auch jede vom Arbeitgeber zu den begünstigten Zeiten verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit des Arbeitnehmers oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit ist daher jede zu den begünstigten Zeiten tatsächlich im Arbeitgeberinteresse ausgeübte Tätigkeit des Arbeitnehmers. Dazu gehört auch das bloße Bereithalten einer tatsächlichen Arbeitsleistung im Sinne von § 3b EStG, wenn gerade dieses arbeitsvertraglich geschuldet ist.

Einordnung nach dem ArbZG nicht maßgeblich

Ohne Bedeutung für die Auslegung des Begriffs der tatsächlich geleisteten Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit im Sinne von § 3b Abs. 1 EStG ist die arbeitszeitrechtliche Einordnung der Tätigkeit nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG), das in erster Linie der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer dienen soll.

Ausreichend, dass Tätigkeit zu begünstigten Zeiten tatsächlich ausgeübt wird

Eine Beschränkung der Steuerbefreiung für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeitszuschläge auf tatsächlich belastende Tätigkeiten während der begünstigten Zeiten ist im Gesetz nicht angelegt. Das Gesetz schöpft den steuerlichen Entlastungsgrund abstrakt-generell und typisierend aus dem Umstand, dass der Dienst zu den dort genannten Zeiten geleistet und dies als in besonderer Weise belastend erachtet wird. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist daher, dass eine zuschlagsbewehrte Tätigkeit zu den begünstigten Zeiten tatsächlich ausgeübt wird. Ob die zu diesen Zeiten verrichtete Tätigkeit den einzelnen Arbeitnehmer in besonderer Weise fordert oder ihm "leicht von der Hand" geht, ist nicht entscheidend. Der BFH weist diesbezüglich darauf hin, dass, soweit sich aus der Entscheidung vom 27.8.2002, VI R 64/96, BStBl II 2002, 883 anderes entnehmen lässt, hieran nicht länger festgehalten wird.

Einzelaufstellungen erforderlich

Zudem erfordert die Steuerfreiheit der Zuschläge grundsätzlich Einzelaufstellungen der tatsächlich erbrachten Arbeitsstunden an Sonn- und Feiertagen oder zur Nachtzeit. Dadurch soll von vornherein gewährleistet werden, dass ausschließlich Zuschläge steuerfrei bleiben, bei denen betragsmäßig genau feststeht, dass sie nur für die Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt werden und keine allgemeinen Gegenleistungen für die Arbeitsleistung darstellen. Hieran fehlt es, wenn die Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit lediglich allgemein abgegolten wird, da hierdurch weder eine Zurechnung der Sache nach (tatsächlich geleistete Arbeit während begünstigter Zeiten) noch der Höhe nach (Steuerfreistellung nur nach Prozentsätzen des Grundlohns) möglich ist.

Entscheidung des FG nicht zu beanstanden

Danach war die Vorentscheidung nicht zu beanstanden.

Unstreitig ist, dass die Klägerin die streitigen Zuschläge nur insoweit steuerfrei belassen hat, als sie auf tatsächlich von den Mitarbeitern zu den in § 3b Abs. 1 EStG begünstigten Zeiten geleistete Arbeit entfielen und dass die geleisteten zuschlagsbewehrten Arbeitsstunden ordnungsgemäß aufgezeichnet wurden.

Die Klägerin hat die steuerfrei belassenen Nachtarbeitszuschläge auch neben dem Grundlohn (zusätzlich) geleistet.

Nach dem Inhalt der arbeitsvertraglichen Regelungen setzte sich das Arbeitsentgelt der Mitarbeiter der Klägerin unter anderem aus der Grundvergütung (Tabellenentgelt), dem faktorisierten Bereitschaftsdienstentgelt und den Zuschlägen für die Zeit des Bereitschaftsdienstes in den Nachtstunden zusammen. Die Zuschläge wurden zusätzlich zu dem Bereitschaftsdienstentgelt je (Nacht-)Stunde in Höhe von 15 % des auf eine Stunde umgerechneten individuellen Tabellenentgelts gezahlt. Die arbeitsvertraglichen Regelungen unterscheiden damit hinreichend zwischen der Grundvergütung (Tabellenentgelt), dem Bereitschaftsdienstentgelt und den streitbefangenen steuerfreien Zuschlägen. Letztere stellen sich daher nicht als Teil einer einheitlichen Entlohnung für die gesamte, zu den begünstigten Zeiten geleistete Tätigkeit bei der Klägerin dar.

Der Steuerfreiheit der Zuschläge steht nicht entgegen, dass die Mitarbeiter der Klägerin während ihrer Bereitschaftsdienste keinen Anspruch auf Grundlohn im Sinne von § 3b Abs. 2 Satz 1 EStG hatten, sondern diese Tätigkeit mit dem Bereitschaftsdienstentgelt "gesondert" vergütet wurde.

Nach den arbeitsvertraglichen Regelungen leisten Mitarbeiter Bereitschaftsdienst, die sich auf Anordnung des Dienstgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Dienstgeber bestimmten Stelle aufhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen.

Die regelmäßige Wochenarbeitszeit der vollzeitbeschäftigten Mitarbeiter der Klägerin betrug durchschnittlich 39 Stunden. Aus der Formulierung "außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit" in den arbeitsvertraglichen Regelungen folgt, dass der Bereitschaftsdienst unabhängig von der arbeitszeitrechtlichen Betrachtung von der regelmäßigen Arbeitszeit zu unterscheiden und zusätzlich zu dieser zu erbringen ist. Bezogen auf die regelmäßige Arbeitszeit ist der Bereitschaftsdienst somit eine zusätzliche Leistung. Er kann nicht anstatt der regelmäßigen Arbeitszeit angeordnet werden.

Mit dem Tabellenentgelt wird die durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit abgegolten. Leisten Mitarbeiter Bereitschaftsdienst, haben sie einen zusätzlichen Anspruch auf das Bereitschaftsdienstentgelt. Die Faktorisierung der Arbeitszeit des Bereitschaftsdienstes – im Streitfall 25 % – dient nur dem Zweck der Entgeltberechnung und begegnet auch arbeitsrechtlich keinen Bedenken.

Auch wenn das Bereitschaftsdienstentgelt nach diesen Grundsätzen nicht zum laufenden Arbeitslohn und damit nicht zum Grundlohn gemäß § 3b Abs. 2 Satz 1 EStG gehört, der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum zusteht, werden die während der Nachtbereitschaft erdienten Zuschläge nicht nur neben dem Bereitschaftsdienstentgelt, sondern jedenfalls auch neben dem – weil zusätzlich hierzu gewährten – Grundlohn geleistet.

Höhe der Steuerfreiheit ist nach dem Tabellenentgelt zu bemessen

Die Höhe der Steuerfreiheit der Nachtarbeitszuschläge ist nicht nach dem (anteilig) für den Bereitschaftsdienst gezahlten Bereitschaftsdienstentgelt, sondern nach dem vollen auf eine Stunde umgerechneten individuellen Tabellenentgelt zu bemessen. Denn nur das Tabellenentgelt ist der Grundlohn im Sinne von § 3b Abs. 2 Satz 1 EStG und damit die maßgebliche Größe, nach der die Steuerfreiheit der Zuschläge der Höhe nach zu berechnen ist. Eine andere "Bemessungsgrenze" kennt das Gesetz nicht. Dass der Bereitschaftsdienst nach den arbeitsvertraglichen Regelungen nur angeordnet werden durfte, wenn zu erwarten war, "dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt", steht dem nicht entgegen. Denn eine konkret (individuell) belastende Tätigkeit verlangt das Gesetz für die Steuerfreiheit von Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeitszuschlägen in § 3b EStG nicht.

Ausgehend hiervon überschritten die von der Klägerin steuerfrei gezahlten Zuschläge für die geleistete Nachtbereitschaft die nach § 3b Abs. 1 EStG höchstens steuerfrei anwendbaren Prozentsätze unstreitig nicht.

BFH, Urteil v. 11.4.2024, VI R 1/22; veröffentlicht am 20.6.2024

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