Fahrten von Profisportlern im Mannschaftsbus als begünstigte Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit
Hintergrund: Verpflichtende Fahrt im Mannschaftsbus
Die X-GmbH nimmt mit angestellten Spielern und Betreuern am Spielbetrieb einer Profiliga teil. Die Spieler und Betreuer sind arbeitsvertraglich verpflichtet, zu Auswärtsspielen im Mannschaftsbus anzureisen. Für ihre Tätigkeit beziehen sie einen monatlichen Grundlohn. Zusätzlich erhalten sie – bezogen auf den aus dem Grundlohn errechneten Bruttostundenlohn – monatliche Zuschläge für tatsächlich geleistete und nachgewiesene Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit nach § 3b EStG.
Das FA vertrat die Auffassung, für die Beförderungszeiten könnten keine steuerfreien Zuschläge gezahlt werden. Denn es handele sich nicht um belastende Tätigkeiten, sondern um bloßen Zeitaufwand. Der auf die Fahrtzeiten entfallende Teil der Zuschläge sei daher nachzuversteuern.
Das FG widersprach dem FA und gab der Klage der GmbH gegen den LSt-Nachforderungsbescheid statt. Die "passive" Fahrzeit im Mannschaftsbus sei keine "arbeitsfreie" Reisezeit, sondern gehöre zur Arbeitszeit i.S.v. § 3b EStG.
Entscheidung: Steuerfreie Zuschläge auch für die Fahrten im Mannschaftsbus
Der BFH bestätigte die Auffassung des FG und wies die Revision des FA zurück. Bei den ausgezahlten Zuschlägen handelt es sich auch insoweit um nach § 3b EStG steuerfreien Arbeitslohn, als die Zuschläge auf Reisezeiten im Zusammenhang mit Hin- und Rückfahrten zu Auswärtsterminen entfallen.
Neben dem Grundlohn gezahlte Zuschläge
Steuerfreie Zuschläge nach § 3b EStG müssen neben dem Grundlohn geleistet werden. Das ist in Einzelaufstellungen der tatsächlich zu den ungünstigen Zeiten erbrachten Arbeitsstunden zu belegen. Die Zuschläge dürfen nicht Teil einer einheitlichen Entlohnung für die gesamte, auch an Sonn- und Feiertagen oder nachts geleistete Tätigkeit sein. Dazu ist regelmäßig erforderlich, dass im Arbeitsvertrag zwischen der Grundvergütung und den Erschwerniszuschlägen unterschieden wird und ein Bezug zwischen der Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit und der Lohnhöhe hergestellt ist (BFH v. 9.6.2021, VI R 16/19, BStBl II 2021, 936, Rz 20). Zuschläge können daher nur steuerfrei geleistet werden, soweit der Arbeitnehmer für die zuschlagsbewehrte Tätigkeit auch Anspruch auf Grundlohn hat. Denn es muss sich objektiv um ein zusätzliches Entgelt (neben dem Grundlohn) handeln (BFH v. 15.2.2017, VI R 30/16, BStBl II 2017, 644).
Tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit
Zur tatsächlich geleisteten begünstigten Tätigkeit zählt nicht nur die eigentliche, arbeitsvertraglich geschuldete (Berufs-)Tätigkeit des Arbeitnehmers, sondern auch jede vom Arbeitgeber zu den begünstigten Zeiten verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit des Arbeitnehmers oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit ist daher jede zu den begünstigten Zeiten tatsächlich im Arbeitgeberinteresse ausgeübte Tätigkeit des Arbeitnehmers, für die er einen Anspruch auf Grundlohn hat. Damit ist z.B. auch das bloße Bereithalten einer tatsächlichen Arbeitsleistung i.S. von § 3b EStG begünstigt, wenn gerade dieses arbeitsvertraglich geschuldet ist (BFH v. 27.8.2002, VI R 64/96, BStBl II 2002, 883).
Die arbeitszeitrechtliche Einordnung ist unerheblich
Ohne Bedeutung für die Auslegung des Begriffs der tatsächlich geleisteten Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit i.S. von § 3b Abs. 1 EStG ist die arbeitszeitrechtliche Einordnung der Tätigkeit nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Das ArbZG dient nach § 1 Nr. 1 ArbZG in erster Linie der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz. Die Herausnahme bestimmter Zeiten aus der Arbeitszeit im Sinne des gesetzlichen Arbeitszeitschutzrechts schließt es daher nicht aus, die zu diesen Zeiten vom Arbeitnehmer de facto erbrachten Arbeitsleistungen als tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit i.S. von § 3b Abs. 1 EStG zu qualifizieren. Anderenfalls würde sich der durch das ArbZG bezweckte Schutz der Arbeitnehmer geradezu in sein Gegenteil verkehren.
Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung sind im Streitfall erfüllt
Nach diesen Grundsätzen hat das FG die Steuerbefreiung zutreffend bejaht. Zu den "versprochenen Diensten" i.S. von § 611 Abs. 1 BGB (betr. Dienstvertrag) zählt nach den vorliegenden Arbeitsverträgen nicht nur die eigentliche berufliche Tätigkeit der Spieler und Betreuer (Spielbetrieb/Training/Betreuung), sondern jede vom Arbeitgeber verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit unmittelbar zusammenhängt. Das umfasst nach den Arbeitsverträgen insbesondere auch die Beteiligung an Reisen des Arbeitgebers, für die dieser das Verkehrsmittel bestimmt. Denn "Arbeit" als Leistung i.S. von § 611 Abs. 1 BGB ist jede Tätigkeit, die der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (Bundesarbeitsgericht – BAG v. 17.10.2018, 5 AZR 553/17, BAGE 164, 57, Rz 13). Folglich gehört auch die Fahrt (An- und Abreise) zu einer auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten, wenn der Arbeitnehmer seine (eigentliche) Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat. Derartige Reisen sind fremdnützig und damit jedenfalls dann (tatsächlich geleistete) Arbeit, wenn sie – wie im Streitfall – ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers erfolgen und in untrennbarem Zusammenhang mit der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung stehen.
Hinweis: Begünstigung "passiver" Tätigkeiten
Der BFH bestätigt damit die Auffassung des FG, dass auch die Zuschläge auf die "passiven" Fahrzeiten im Mannschaftsbus steuerfrei sind. Unerheblich ist, ob sich die Reisezeiten für die Spieler/Betreuer als individuell belastende Tätigkeit darstellen. Die Steuerbefreiung beruht - abstrakt-generell und typisierend – darauf, dass der Dienst zu den genannten Zeiten geleistet und dies als besonders belastend erachtet wird. Erforderlich (aber auch ausreichend) ist, dass eine grundlohnbewehrte Tätigkeit – hier die gesamte Reisetätigkeit - zu den begünstigten Zeiten tatsächlich ausgeübt wird. Ob die zu diesen Zeiten verrichtete Tätigkeit den einzelnen Arbeitnehmer besonders fordert oder ihm "leicht von der Hand" geht, ist nicht entscheidend. Eine dahingehende Unterscheidung wäre im Übrigen auch nicht praktikabel. Denn die Abgrenzung von individuell belastenden (steuerbegünstigten) und nicht belastenden (nicht begünstigten) Tätigkeiten des Arbeitnehmers während der zuschlagsfähigen Zeiten ist nicht objektivierbar und deshalb auch nicht justiziabel. Dementsprechend gelten z.B. nach R 3b Abs. 6 Satz 2 LStR auch Pausen als begünstigte Arbeitszeit.
BFH Urteil vom 16.12.2021 - VI R 28/19 (veröffentlicht am 03.02.2022)
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