Leitsatz
1. Die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Bereitschaftsdienste, die außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit erbracht und gesondert vergütet werden, bemisst sich nach dem Arbeitslohn für die regelmäßige Arbeitszeit und nicht nach dem Bereitschaftsdienstentgelt (entgegen Senatsurteil vom 27.08.2002 – VI R 64/96, BFHE 200, 240, BStBl II 2002, 883).
2. Nicht erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer für die zuschlagsbewehrte Tätigkeit neben den Erschwerniszuschlägen einen Anspruch auf Grundlohn hat.
Normenkette
§ 3b EStG
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt eine Förderschule mit Internat. Die in Wohngruppen lebenden Kinder und Jugendlichen werden von den Mitarbeitern auch in der Nacht betreut. Die regelmäßigen monatlichen Dienstbezüge des Betreuungspersonals setzten sich aus der monatlichen Regelvergütung, dem sog. Tabellenentgelt, der Kinderzulage und den sonstigen Zulagen zusammen. Die Zeit der nächtlichen Beaufsichtigung wurde gemäß den arbeitsvertraglichen Regelungen als Bereitschaftsdienst behandelt. Die Bereitschaftsdienstzeit wurde zum Zwecke der Entgeltberechnung faktorisiert und nur zu 25 % als Arbeitszeit entgolten. Daneben erhielten die Mitarbeiter für den Bereitschaftsdienst in den Nachtstunden je tatsächlich geleisteter Stunde einen Zeitzuschlag i.H.v. 15 % des auf eine Stunde umgerechneten individuellen Tabellenentgelts. Das Bereitschaftsdienstentgelt lohnversteuerte die Klägerin regulär. Den Zeitzuschlag zahlte sie steuerfrei aus.
Nach einer LSt-Außenprüfung vertrat das FA die Auffassung, die Nachtarbeitszuschläge hätten über den in § 3b Abs. 1 EStG genannten Höchstgrenzen gelegen und seien insoweit zu Unrecht steuerfrei ausgezahlt worden. Als Bemessungsgrundlage für die Steuerfreiheit der Zuschläge und damit als Grundlohn i.S.v. § 3b Abs. 2 Satz 1 EStG sei nicht das Tabellenentgelt, sondern lediglich das Entgelt für den Bereitschaftsdienst anzusetzen. Dies folge aus BFH, Urteil vom 27.8.2002, VI R 64/96, BFH/NV 2002, 1669). Nach dieser Entscheidung seien Zuschläge zur Rufbereitschaftsentschädigung wegen der geringeren Beeinträchtigungen des Arbeitnehmers bei der Ableistung von Rufbereitschaften gegenüber den Erschwernissen bei einer vollen Arbeitserbringung in den begünstigten Zeiten nur insoweit steuerfrei, als sie die in § 3b Abs. 1 EStG vorgesehenen und an der Rufbereitschaftsentschädigung gemessenen Prozentsätze nicht überstiegen. Die Entscheidung sei wegen der vergleichbar geringeren Beeinträchtigungen auf Bereitschaftsdienste entsprechend anzuwenden. Auf Grundlage dieser Rechtsauffassung erließ das FA einen Nachforderungsbescheid über LSt und sonstige LSt-Beträge für den Streitzeitraum.
Der dagegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das FG statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 15.12.2021, 14 K 268/18, EFG 2022, 742, Haufe-Index 15127358).
Entscheidung
Die Revision des FA hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1. Nach § 3b Abs. 1 EStG sind Zuschläge, die für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit neben dem Grundlohn gezahlt werden, steuerfrei, soweit sie die in § 3b Abs. 1 Nr. 1 bis 4 EStG genannten Grenzen des Grundlohns nicht übersteigen.
2. Grundlohn ist der laufende Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum zusteht; er ist in einen Stundenlohn umzurechnen und mit höchstens 50 EUR anzusetzen (§ 3b Abs. 2 Satz 1 EStG).
3. Zur tatsächlich geleisteten Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit i.S.v. § 3b Abs. 1 EStG zählt jede zu den begünstigten Zeiten tatsächlich im Arbeitgeberinteresse ausgeübte Tätigkeit des Arbeitnehmers. Dazu gehört damit beispielsweise auch das bloße Bereithalten einer tatsächlichen Arbeitsleistung i.S.v. § 3b EStG, wenn gerade dieses arbeitsvertraglich geschuldet ist (vgl. BFH, Urteil vom 16.12.2021, VI R 28/19, BFH/NV 2022, 383, m.w.N. sowie bereits BFH, Urteil vom 27.8.2002, VI R 64/96, BFH/NV 2002, 1669).
4. Eine Beschränkung der Steuerbefreiung für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeitszuschläge auf tatsächlich belastende Tätigkeiten während der begünstigten Zeiten ist – anders als vom FA noch im Vorverfahren vertreten – im Gesetz nicht angelegt. Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der Vorschrift lassen dahin Gehendes erkennen. Vielmehr schöpft das Gesetz den steuerlichen Entlastungsgrund – den Ausgleich für die besonderen Erschwernisse und Belastungen (Störung des biologischen und kulturellen Lebensrhythmus) der mit Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit verbundenen Arbeitszeiten – abstrakt-generell und typisierend aus dem Umstand, dass der Dienst zu den dort genannten Zeiten geleistet und dies als in besonderer Weise belastend erachtet wird. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist daher, dass eine zuschlagsbewehrte Tätigkeit – hier die Bereitschaftsdienste – zu den begünstigten Zeiten tatsächlich ausgeübt wird. Ob die zu diesen Zeiten verrichtete Tätigkeit den einzelnen Arbeitnehmer in besonderer Weise fordert oder ihm "leicht v...