Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Bewertung bestimmter Gruppen von Geschäftsgrundstücken nach dem Sachwertverfahren.
Normenkette
BewG 1965 §§ 75, 76 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2; BewRGr Abschn. 16 Abs. 7
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Eigentümerin eines Grundstücks, das der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) bei der Hauptfeststellung auf den 1. Januar 1964 durch den Bescheid vom 14. Januar 1970 als Geschäftsgrundstück bewertet hat und für das es nach dem Sachwertverfahren einen Einheitswert von 652 100 DM festgestellt hat. Der Einspruch, mit dem sich die Klägerin in erster Linie gegen die Bewertung des Grundstücks nach dem Sachwertverfahren wandte, hatte keinen Erfolg. Das FG gab der Klage nur zum Teil statt; es setzte den Einheitswert auf 636 900 DM herab und wies im übrigen die Klage ab.
Die Klägerin beantragt mit der Revision, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung des FA den Einheitswert für das Streitgrundstück auf den 1. Januar 1964 auf 471 700 DM festzustellen. Es wird Verletzung des materiellen Rechts gerügt. Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet: Das Grundstück sei zu Unrecht nach dem Sachwertverfahren bewertet worden. Dieses sei nur ausnahmsweise anzuwenden bei solchen Gruppen von Geschäftsgrundstükken, für die weder eine Jahresrohmiete ermittelt noch die übliche Miete nach § 79 Abs. 2 BewG geschätzt werden könne. Der vom Gericht bestellte Sachverständige habe den Bruttomietwert mit 52 992 DM ermittelt. Dieser Wert sei als übliche Miete im Sinne des § 79 BewG anzusehen. Diesen Standpunkt habe das zuständige FA bei einem anderen Grundstück vertreten, bei dem es sich um ein typisches Lagerhaus gehandelt habe. Die Klägerin habe selbst in verschiedenen Städten seit 1957 Lagerhäuser und Teile von Lagerhäusern angemietet. Der Mietpreis habe damals bei 3 DM pro qm gelegen. Nach Auskunft einer Firma am Belegenheitsort des Streitgrundstücks gäbe es auch dort genügend Objekte, die entsprechend vermietet worden seien. Die Unrichtigkeit der Anwendung des Sachwertverfahrens ergebe sich auch daraus, daß der vom FG errechnete Wert um über 100 000 DM über dem vom Gutachter ermittelten Verkehrswert liege. Die für den Belegenheitsort des Streitgrundstücks zuständige Industrie- und Handelskammer habe sich bereit erklärt, über die ortsübliche Miete im Jahre 1964 ein Gutachten zu erstellen.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, weil die Revisionsbegründung nicht fristgerecht vorgelegt worden sei und die Revision keinen bestimmten Antrag enthalte. Hilfsweise beantragt das FA, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Die Revision ist entgegen der Auffassung des FA zulässig. Sie genügt den in § 120 Abs. 2 FGO bezeichneten Mindestanforderungen. Das angefochtene Urteil ist schon in der Revisionsschrift vom 24. August 1972 angegeben. Diese Schrift bezeichnet auch die verletzte Rechtsnorm. Sie enthält allerdings keinen formellen Revisionsantrag. Aus ihr ist jedoch ersichtlich, daß die Klägerin die Aufhebung des FG-Urteils begehrt, weil das FG die Bewertung nach dem Sachwertverfahren gebilligt hat. Sie läßt außerdem erkennen, daß die Klägerin - wie mit der Klage - auch im Revisionsverfahren bei der Bewertung nach dem Ertragswertverfahren den Ansatz des vom Gutachter geschätzten Bruttomietwerts als übliche Miete im Sinne des § 79 BewG erreichen will. Diese Angaben sind nach der Rechtsprechung ausreichend, weil sich aus ihnen das Begehren der Klägerin eindeutig ergibt (vgl. Beschluß des BFH vom 23. August 1966 IV R 168/66, BFHE 86, 567, BStBl III 1966, 596).
2. Das Grundstück der Klägerin, um dessen Bewertung bei der Hauptfeststellung auf den 1. Januar 1964 im vorliegenden Verfahren gestritten wird, ist ein Geschäftsgrundstück im Sinne des § 75 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 BewG. Der Wert von Geschäftsgrundstücken ist nach § 76 Abs. 1 Nr. 2 BewG grundsätzlich im Wege des Ertragswertverfahrens zu ermitteln. Eine Bewertung im Wege des Sachwertverfahrens kommt für Geschäftsgrundstücke nach § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG nur in Betracht, wenn bei einer Gruppe von Geschäftsgrundstükken oder in Einzelfällen weder die Jahresrohmiete ermittelt noch die übliche Miete nach § 79 Abs. 2 BewG geschätzt werden kann. Das FG hat seine Auffassung, daß im vorliegenden Fall das Sachwertverfahren anzuwenden sei, auf die erste Alternative des § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG gestützt. Es meint, das Grundstück der Klägerin gehöre "nach der baulichen Gestaltung und nach der tatsächlichen Nutzung zum 1.1.64 zu einer Gruppe von Geschäftsgrundstücken, auf die das Ertragswertverfahren nicht anzuwenden ist". Die vom FG dafür angegebenen Gründe lassen jedoch nach Auffassung des Senats eine solche Folgerung nicht zwingend erscheinen. Das FG weist darauf hin, daß in Abschn. 16 Abs. 7 BewRGr "Lagerhausgrundstücke" als solche Grundstücke genannt sind, die im Sachwertverfahren bewertet werden. Es hat aber wegen gewisser Einzelheiten der baulichen Gestaltung selbst Zweifel, ob das Grundstück der Klägerin in die Gruppe der Lagerhäuser eingestuft werden kann. Wenn das FG das Grundstück trotzdem zu einer unter § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG fallenden Gruppe von Geschäftsgrundstücken rechnet, so deshalb, weil es die Aufzählung dieser Gruppe in Abschn. 16 Abs. 6 und 7 BewRGr nicht für abschließend hält und sich im übrigen auch nicht an die Verwaltungsrichtlinen gebunden fühlt. Dagegen bestehen zwar keine Bedenken. Das FG hat aber, wie schon oben bemerkt wurde, keine Gründe angeführt, aus denen sich eine Anwendung des Sachwertverfahrens zwingend ergeben würde. Es stützt seine Auffassung auf die in der mündlichen Verhandlung gegebene Erklärung des FA, daß Vergleichsmieten für Geschäftsgrundstücke von der Art des Anwesens der Klägerin nicht vorhanden seien, und darauf, daß diese Behauptung unwidersprochen geblieben sei. Es mag sein, daß die Klägerin in der mündlichen Verhandlung dieser Behauptung des FA nicht ausdrücklich widersprochen hat. Die Klägerin hat aber während des ganzen Verfahrens darauf hingewiesen, daß sie selbst mehrere Lagerhäuser gemietet habe. Auch aus der Aussage des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung ergibt sich entgegen der Auffassung des FG nicht eindeutig, daß er die von ihm geschätzten Mietpreise nicht aus Vergleichsmieten abgeleitet habe. Er hat lt. dem Protokoll über die mündliche Verhandlung erklärt: "Es handelt sich dabei um solche Mieten, die nach meinen Erfahrungen als Sachverständiger zur damaligen Zeit (1.1.64) in dieser Lage bezahlt worden sind." Schließlich reicht auch der Hinweis des FG, es sei gerichtsbekannt, daß derartige Grundstükke mit überwiegender Lagerhausfunktion eigengenutzt zu werden pflegen, nicht aus. Es handelt sich dabei nicht um eine offenkundige Tatsache im Sinne des § 291 ZPO, die keines Beweises bedürfte. Wenn es sich um eine Tatsache handeln würde, die den Richtern des FG kraft ihres Amtes z. B. aus früheren Prozessen oder aus Sachverständigengutachten bekannt war, so hätte, da diese Frage ja gerade unter den Parteien streitig war, darauf spätestens in der mündlichen Verhandlung hingewiesen werden müssen. Der Senat würde in der Unterlassung eines solchen Hinweises eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sehen. Die Begründung des FG dafür, daß nach seiner Auffassung die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG vorliegen, schließt nach Meinung des Senats nicht aus, daß das FG möglicherweise von der Rechtsauffassung ausgegangen ist, es genüge für eine solche Anwendung, daß bei der Mehrheit einer Gruppe "Schwierigkeiten wegen der Mietermittlung" bestehen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das FG insoweit von einer entsprechenden Bemerkung von Gürsching-Stenger (Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 1.-5. Aufl., Anm. 13 zu § 76 BewG) beeinflußt gewesen ist. Diese Auffassung wird jedoch durch den Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt, die ausdrücklich fordert, daß weder eine Jahresrohmiete ermittelt noch die übliche Miete nach § 79 Abs. 2 BewG geschätzt "werden kann". Dieser Wortlaut bedeutet eine Verschärfung gegenüber dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung (Bundestags-Drucksache IV/1488), wonach das Sachwertverfahren schon dann angewendet werden sollte, wenn die Jahresrohmiete "schwer" zu ermitteln oder "schwer" zu schätzen ist (so auch Rössler-Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 9. Aufl., Anm. 11 zu § 76 BewG).
Die Vorentscheidung unterliegt aus diesen Gründen der Aufhebung. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie wird deshalb an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Dieses wird noch Feststellungen darüber zu treffen haben, ob für Geschäftsgrundstücke von der Art des Grundstücks der Klägerin die übliche Miete nicht geschätzt werden kann, so daß nach § 76 Abs. 3 Nr. 2 BewG das Sachwertverfahren anzuwenden sein würde. Dabei wird das FG auch das Vorbringen der Klägerin im Revisionsverfahren zu berücksichtigen und zu beachten haben, daß es nach dem Urteil des Senats vom 23. Juli 1971 III R 86/69 (BFHE 103, 213, BStBl II 1971, 797) nicht unbedingt erforderlich ist, daß die übliche Miete aus einer größeren Zahl von Vergleichsobjekten abgeleitet wird, daß jedoch die Zahl der vergleichbaren vermieteten Grundstücke immerhin so groß sein muß, daß die daraus abgeleitete Miete als üblich gesichert erscheint.
Fundstellen
Haufe-Index 70720 |
BStBl II 1974, 98 |
BFHE 1974, 116 |