Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Bewertung von Anteilen einer GmbH, an der Eheleute zu 49 2/3 v. H. am Stammkapital beteiligt sind, ist in der Regel kein besonderer Abschlag wegen mangelnden Einflusses auf die Geschäftsführung zu gewähren.
2. In der Vergangenheit nicht ausgeschüttete, sondern bei der GmbH angereicherte Gewinne sind bei der Anteilsbewertung hinsichtlich des Ertragshundertsatzes nicht anders zu behandeln als ausgeschüttete Gewinne.
Normenkette
BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 13 Abs. 2; VStR 1963 Abschn. 76 ff.
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH mit einem Stammkapital in Höhe von 300 000 DM. An diesem Stammkapital waren am Stichtag der Anteilsbewertung zum 31. Dezember 1964 eine ausländische Firma zu 50 1/3 v. H., der beigeladene A zu 41 1/3 v. H. und dessen beigeladene Ehefrau zu 8 1/3 v. H. beteiligt. Geschäftsführer der Gesellschaft waren der Beigeladene und ein Nichtgesellschafter. Die Bestellung zum Geschäftsführer erfolgte bei dem Beigeladenen auf Grund des Gesellschaftsvertrages.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) hat durch Bescheid vom Mai 1966 den gemeinen Wert der GmbH-Anteile auf den 31. Dezember 1964 für je 100 DM Nennkapital für sämtliche Gesellschafter auf 171 DM festgestellt. Das Begehren der Klägerin, wegen fehlenden Einflusses der Gesellschafter A auf die Gewinnverwendung und tatsächlich jahrelanger nicht erfolgter Gewinnausschüttungen hinsichtlich dieser Anteile Abschläge nach Abschn. 77, 80 VStR zu gewähren, lehnte das FA ab.
Der gegen den Feststellungsbescheid eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Die Gesellschafter der Klägerin wurden im Einspruchsverfahren nicht zugezogen.
In dem anschließenden Klageverfahren hat das FG die Beiladung der von den Klageanträgen betroffenen Gesellschafter beschlossen. Die Klägerin begehrte erneut eine Sonderbewertung für die Gesellschafter A. Das FG hat den angefochtenen Feststellungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung antragsgemäß abgeändert und den gemeinen Wert der von den Eheleuten A gehaltenen Anteile auf 124,10 DM für 100 DM Nennkapital festgestellt. Das FG ging bei seiner Entscheidung im wesentlichen von folgenden Erwägungen aus: Aus dem Wortlaut des § 13 Abs. 2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes in der vor dem Bewertungsgesetz 1965 geltenden Fassung (im folgenden: BewG) ergäben sich keine Bedenken, in entsprechender Anwendung der in Abschn. 80 Abs. 1 VStR 1963 enthaltenen Regelung an Stelle der Ertragsaussichten die ausgeschütteten Dividenden zugrunde zu legen. Der Gesetzeswortlaut schließe die Berücksichtigung weiterer Umstände nicht aus. Der Gesellschafter A habe zwar als Geschäftsführer Einfluß auf die Geschäftsführung und seine satzungsgemäße Stellung könne auch nicht gegen seinen Willen aufgehoben werden, aber der mangelnde Einfluß auf die Gewinnverwendung rechtfertige den in Abschn. 80 Abs. 1 VStR vorgesehenen Abschlag in Höhe von 20 v. H. vom ermittelten Vermögen der Klägerin und außerdem bei der Errechnung des Ertragshundertsatzes das Ausgehen von der tatsächlich ausgeschütteten Dividende. Der Mehrheitsgesellschafter habe stets die ausschlaggebende Entscheidung gehabt, da die einfache Stimmenmehrheit für eine Beschlußfassung ausgereicht habe. Er habe auch die Minderheitsgesellschafter in sämtlichen Jahren vor dem Stichtag überstimmt. Daß die Verwaltungsanweisungen die Regelung in Abschn. 80 VStR 1963 auf Fälle fehlenden Einflusses auf die Geschäftsführung beschränken würden, stände weder mit dem Gesetzeswortlaut noch mit dem Sinn und Zweck des § 13 Abs. 2 BewG im Einklang. Der RFH habe in seinem Urteil vom 2. Oktober 1941 III 108/41 (RStBl 1941, 844) zum Streubesitz gerade den fehlenden Einfluß der Kleinaktionäre auf die Gewinnverwendung als den eigentlichen Grund angesehen, bei der Ermittlung des Ertragshundertsatzes von der ausgeschütteten Dividende auszugehen. Die Gesellschafter A könnten zwar eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln verhindern. Dies sei aber nicht entscheidend, da der Mehrheitsgesellschafter die thesaurierten Beträge auch der Rücklage zuweisen könnte. Ein hypothetischer Käufer würde im gewöhnlichen Geschäftsverkehr den mangelnden Einfluß auf die Gewinnausschüttung als Wertminderung ansehen.
Das FG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Mit der vom FA eingelegten Revision wird eine unrichtige Anwendung des § 13 Abs. 2 BewG in Verbindung mit § 10 Abs. 2 BewG gerügt. Es macht geltend: Das FG habe eine von der Rechtsprechung des BFH abweichende Auffassung vertreten, da es trotz des Einflusses auf die Geschäftsführung durch die Gesellschafter A zu Unrecht in analoger Anwendung von Abschn. 80 VStR eine entsprechende Wertminderung der von den Gesellschaftern A gehaltenen Anteile zugelassen habe. Dies widerspreche den einheitlich als Ganzes anzuwendenden Vermögensteuer-Richtlinien zur Ermittlung des gemeinen Wertes von nichtnotierten Anteilen (Stuttgarter Verfahren). Nach den Entscheidungen des BFH sei eine Anteilsbewertung nach Abschn. 80 VStR ausgeschlossen, wenn die Beteiligung mehr als 25 v. H. am Stammkapital betrage. Ein Fall der Streubesitzbewertung läge nicht vor, so daß das Urteil des RFH III 108/41 nicht maßgeblich sei. Bei der Ermittlung des gemeinen Wertes der Anteile könnten nur objektive Umstände berücksichtigt werden. Der tatsächlich ausgeschüttete Ertrag unterliege subjektiven Einflüssen und verändere nicht den Wert der Anteile, Wäre die Ansicht des FG richtig, käme es bei allen Beteiligungen unter 50 v. H. nicht auf die Ertragsaussichten, sondern auf die tatsächlich erfolgten Gewinnausschüttungen an, unabhängig, ob die Gesellschafter die Gewinnverteilung einverständlich vornähmen oder nicht. Eine weitere Folge wäre, daß in Fällen, in denen nach Abschn. 81 VStR die Ertragsaussichten wegen mangelnden Einflusses auf den Wert der Anteile außer Betracht blieben, ein höherer Wert ermittelt würde als im Streitfall. Da das FG von der typisierenden Betrachtungsweise des Stuttgarter Verfahrens abgewichen sei, habe es prüfen müssen, ob bei der Wertberechnung weitere Faktoren zu berücksichtigen seien. Eine GmbH-Beteiligung sei ihrer Natur nach keine mobile Kapitalanlage. Im Gegensatz zu Gesellschaften ohne Ertragsaussichten könne die Thesaurierung von Gewinnen nur zu einer Erhöhung des Wertes der Geschäftsanteile führen. Im übrigen müßte ein Paketzuschlag angesetzt werden, wenn die analoge Anwendung von Abschn. 80 VStR zugelassen würde.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den gemeinen Wert der von den Gesellschaftern A gehaltenen Anteile mit 171 DM für je 100 DM Nennkapital festzustellen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Das FA hat den Wert der Geschäftsanteile der Gesellschafter A zutreffend geschätzt. Der Antrag der Klägerin, ihr für diese Anteile bei der Ermittlung des Vermögenswertes an Stelle des gewährten Abschlags von 10 v. H. einen solchen von 20 v. H. einzuräumen, ist ebenso unbegründet wie ihr Verlangen, bei der Errechnung des Ertragshundertsatzes von dem tatsächlich ausgeschütteten Gewinn auszugehen und nicht von dem ausschüttungsfähigen Ertrag.
2. Geschäftsanteile, die das Mitgliedschaftsrecht an der GmbH darstellen, sind nach § 13 Abs. 2 BewG mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Da sich im Streitfall nach den Feststellungen des FG der gemeine Wert nicht aus Verkäufen ableiten läßt, ist er unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Klägerin zu schätzen. Die Finanzverwaltung hat das sogenannte Stuttgarter Verfahren zur Schätzung des gemeinen Wertes entwickelt. Dieses Verfahren geht vom Unternehmenswert aus und errechnet durch gewisse Korrekturen den Anteilswert. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die Verwaltungsanweisungen, die dieses Verfahren regeln, ein wertvolles und die Einheitlichkeit der Bewertung gewährleistendes Hilfsmittel sind, um den gemeinen Wert nichtnotierter Anteile zu ermitteln (zuletzt Urteil des Senats vom 6. August 1971 III R 88/68, BFHE 104, 1, BStBl II 1972, 109).
3. Das FG hat zu Unrecht die Anteile der Gesellschafter A mit Anteilen gleichgestellt, für die im Rahmen des Stuttgarter Verfahrens eine besondere Methode zur Ermittlung des gemeinen Wertes entwickelt worden ist (Abschn. 80 Abs. 1 VStR 1963). Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 12. März 1971 III R 82/69 (BFHE 101, 550, BStBl II 1971, 419) entschieden, daß ein Anteilsbesitz von mehr als 25 v. H. des Stammkapitals auf jeden Fall nicht mehr unter Abschn. 80 Abs. 1 und 2 VStR 1963 fallen kann. Damit hat der Senat unmißverständlich zum Ausdruck bringen wollen, daß zwar die Frage, unter welchen Voraussetzungen Aktien oder Anteile nur geringen Einfluß auf die Geschäftsführung gewähren, nach seiner Rechtsprechung (Urteil des Senats vom 5. Juli 1968 III R 12/67, BFHE 93, 243, BStBl II 1968, 734) nur nach den Verhältnissen im Einzelfall entschieden werden könne, aber eine Gleichbehandlung mit Zwerganteilen stets ausgeschlossen sei, wenn durch eine Beteiligung von mehr als 25 v. H. über eine Sperrminorität verfügt werde (§ 53 Abs. 2 GmbHG).
4. Das Urteil des RFH III 108/41 betrifft einen tatsächlich anders gelagerten Fall, der auch nicht aus der unklaren Bezugnahme in Abschn. 80 Abs. 1 VStR mit dem Streitfall verglichen werden kann. Dort hatte der RFH bei freier Beurteilung der Beteiligungsverhältnisse lediglich entschieden, daß der Aktienbesitz des damaligen Beschwerdeführers nach den Verhältnissen zu bemessen sei, der für Kleinaktionäre gelten würde. Das Urteil ist des weiteren schon deshalb nicht mehr anzuwenden, da die dortige Bewertung auf dem inzwischen überholten sogenannten "Berliner Verfahren" beruhte, worauf auch im Rechtssatz und in den Urteilsgründen hingewiesen ist, und dieses Verfahren gleichermaßen Vermögenswert und Ertragswert zur Schätzung heranzog, während das jetzige "Stuttgarter Verfahren" den Ertragshundertsatz nur zur Korrektur des überwiegend maßgeblichen Vermögenswertes verwertet. Abgesehen davon hat derselbe Senat des RFH in einem früheren Urteil vom 24. Februar 1938 III 257/37 (RStBl 1938, 539) zur Ermittlung des Ertragswerts ausgeführt, daß der erzielbare Gewinn für die Ertragsaussichten maßgebend sei, unabhängig davon, ob eine Ausschüttung erfolgt ist oder nicht.
5. Zur Ermittlung der Ertragsaussichten geht das Stuttgarter Verfahren von dem Durchschnittsertrag mehrerer Jahre aus. Dies mußte geschehen, da bei der Ermittlung des gemeinen Wertes der Anteile nach § 13 Abs. 2 Satz 2 BewG unter anderem die Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft als Schätzungsgrundlage zu berücksichtigen sind. Die Ertragsaussichten bestimmen sich aber nach dem ausschüttungsfähigen Gewinn, den die Klägerin erzielt hat. Der Unternehmenswert der Gesellschaft wird von den Gewinnerwartungen beeinflußt, nicht aber von der Höhe der tatsächlich ausgeschütteten Gewinne. Nach dem Gesetzeswortlaut des § 13 Abs. 2 Satz 2 BewG sind für die Schätzung des Wertes der Anteile die "Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft", nicht aber die zu erwartenden Ausschüttungen an die Gesellschafter maßgeblich. Die thesaurierten Erlöse können nicht anders behandelt werden als tatsächlich verteilte Gewinne. Die Fragen der Gewinnverwendung sind von vielschichtigen subjektiven Überlegungen abhängig und haben im Regelfall keine Minderung des gemeinen Wertes von Anteilen zur Folge. Der gemeine Wert stellt einen objektiven Wert dar. Daß der Mehrheitsgesellschafter durch seine Stimmabgabe jahrelang eine Gewinnausschüttung verhindert hat, ist ein Ausfluß des Mehrheitsprinzips im GmbH-Recht und liegt im subjektiven Bereich. Als besonderer Umstand, der im Rahmen des Stuttgarter Verfahrens nicht hinreichend zum Ausdruck gekommen wäre, könnte im Streitfall objektiv nur berücksichtigt werden, wenn der Mehrheitsgesellschafter durch Ausübung seines Stimmrechts gesellschaftsfremde Vorteile verfolgt hätte oder die Gesellschafter A in sittenwidriger Weise hätte entrechten wollen. Hierfür liegen aber nach den Feststellungen des FG und nach Aktenlage keine Anhaltspunkte vor.
6. Der von dem FG festgestellte Anteilswert entspricht auch in keiner Weise der Wirklichkeit. Da bei seiner Auffassung die ausschüttungsfähigen Gewinne im Werte der Anteile keinen Niederschlag gefunden haben, andererseits aber die Klägerin keine Gewinne ausgeschüttet hat, sind die Anteile der Gesellschafter A so bewertet worden, als sei die GmbH eine ertragslose Gesellschaft. Tatsächlich hat sie aber in den Handelsbilanzen folgende Gewinne ausgewiesen: 1961 34 888 DM, 1962 99 188 DM, 1963 56 464 DM, 1964 104 742 DM, 1965 28 072 DM. Das FG hätte im übrigen aus seiner Sicht die Frage eines Paketzuschlages prüfen müssen (§ 13 Abs. 3 BewG), weil es die Schätzungsmethode in einer Weise verändert hat, wie sie dem Stuttgarter Verfahren nicht mehr entspricht. Nur wenn sich die zu einem Paketzuschlag führenden Umstände bereits bei der Ermittlung des gemeinen Wertes ausgewirkt haben, kann die Frage eines Paketzuschlages unberücksichtigt bleiben.
7. Der Senat bewertet die Anteile der beiden Gesellschafter Eheleute A gleichermaßen als vollwertig. Er sieht in der Zusammenrechnung der Anteile der Eheleute auf insgesamt 49 2/3 v. H. Beteiligung keinen Verstoß gegen Art. 6 GG. Die beiden Gesellschafter nahmen am Stichtag aus der Entstehung der GmbH heraus eine einheitliche wirtschaftliche Stellung gegenüber dem dritten ausländischen Gesellschafter mit 50 1/3 v. H. ein; es ist daher ein gemeinschaftlicher Einfluß auf die Geschäftsführung zu bejahen.
8. Die Entscheidung des Senats steht nicht im Widerspruch zu dem in der Körperschaftsteuersache gegenüber der Klägerin ergangenen Urteil vom 8. Januar 1969 I R 91/66 (BFHE 95, 215, BStBl II 1969, 347). Die Rechtsprechung des BFH über die steuerrechtliche Unbeachtlichkeit rückwirkender Gehaltserhöhungen beruht auf ertragsteuerlichen Erwägungen, die in erster Linie Fragen der verdeckten Gewinnausschüttung betreffen. Die vom Stichtagsprinzip geprägte Anteilsbewertung hat andere wertbestimmende Faktoren, nach denen das Vorhandensein eines Mehrheitsgesellschafters nicht den Wert der Anteile der Minderheitsgesellschafter beeinflussen muß.
9. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Senat ist der. Auffassung, daß das FA die Anteile der Gesellschafter A nach Abschn. 79 VStR 1963 richtig bewertet hat. Der Wert der Anteile war, auch soweit sie sich in den Händen der Gesellschafter A befunden haben, zum 31. Dezember 1964 auf 171 DM je 100 DM Nennkapital festzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 70712 |
BStBl II 1974, 77 |
BFHE 1974, 567 |