Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Urlaubsabwesenheit?
Leitsatz (NV)
Wird dem Steuerpflichtigen wegen Urlaubsabwesenheit ein Steuerbescheid gemäß § 182 ZPO durch Niederlegung bei der Post zugestellt und versäumt er die Einspruchsfrist, so kann ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden, wenn er die schriftliche Mitteilung über die Zustellung bei seiner Rückkehr fünf Tage vor Ablauf der Einspruchsfrist in seiner Wohnung vorgefunden hat.
Normenkette
AO 1977 § 110
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Lehrerin. Nach erfolglosen Aufforderungen des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) zur Abgabe der Einkommensteuererklärung für das Jahr 1979 wurde im Einkommensteuerbescheid vom 20. Juli 1981 die Einkommensteuer 1979 unter Schätzung der Besteuerungsgrundlagen festgesetzt. Dieser Bescheid wurde am folgenden Tage unter Aufnahme einer Postzustellungsurkunde beim Postamt Berlin 45 niedergelegt, da die Klägerin nicht angetroffen wurde.
Mit Schreiben vom 14. September 1981, das am 15. September beim FA einging, legte die Klägerin unter Beifügung der Einkommensteuererklärung 1979 gegen den Bescheid vom 20. Juli 1981 Einspruch ein mit dem Begehren, die Einkommensteuer entsprechend den Angaben in der Einkommensteuererklärung niedriger festzusetzen. Die Klägerin führte ergänzend aus, sie habe den Bescheid vom 20. Juli 1981 wegen eines bis zum 16. August 1981 andauernden Auslandsaufenthalts erst am 17. August 1981 erhalten.
Das FA hat den Einspruch zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 20. Juli 1981 sei seit dem 21. August 1981 bestandskräftig. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 der Abgabenordnung (AO 1977) seien nicht ersichtlich.
Das Finanzgericht (FG) hat entsprechend dem Antrag der Klägerin die Einspruchsentscheidung vom 14. Dezember 1981 aufgehoben. Das FA hätte der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren müssen, da sie infolge Auslandsaufenthalts während der Schulferien vorübergehend abwesend und daher ohne Verschulden an der Fristeinhaltung verhindert gewesen sei. In Anbetracht der bis zum 15. August 1981 laufenden Sommerferien sei der Wiedereinsetzungsgrund auch glaubhaft gemacht.
Das FG hat der auf § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützten Beschwerde des FA wegen Nichtzulassung der Revision mit der Begründung stattgegeben, das Gericht habe übersehen, daß die Klägerin noch innerhalb der Einspruchsfrist nach Berlin zurückgekehrt sei.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 110 Abs. 1 AO 1977 und beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das FG habe bei seiner Entscheidung übersehen, daß die Klägerin bereits innerhalb der Rechtsbehelfsfrist des am 21. Juli 1981 zugestellten Einkommensteuerbescheids 1979 von dessen Zustellung Kenntnis erlangt habe. Bis zum Fristablauf am 21. August 1981 hätten der Klägerin noch fünf Tage zur Vornahme fristwahrender Handlungen zur Verfügung gestanden. Der erst am 15. September 1981 beim FA eingegangene Einspruch sei wegen Fristüberschreitung unzulässig.
Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision. Es sei von ihr weder dargetan noch vom FG festgestellt, daß sie bereits am 17. August 1981 den angefochtenen Bescheid ausgehändigt erhalten habe. Der Umstand, daß sie bei Rückkehr aus dem Urlaub die Benachrichtigung der Post über die Niederlegung des Einkommensteuerbescheids in ihrer Wohnung vorgefunden habe, besage noch nicht, daß sie rechtzeitig vom Inhalt des angefochtenen Bescheids Kenntnis bekommen habe. Es sei ihr nicht zuzumuten gewesen, unmittelbar nach Urlaubsrückkehr innerhalb von drei Tagen, also ohne Überlegungsfrist, Einspruch einzulegen. Die vom FG zugebilligten Wiedereinsetzungsgründe seien deshalb zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
1. Die Klägerin hat die Einspruchsfrist versäumt. Der gegen die Einkommensteuerfestsetzung gegebene Rechtsbehelf des Einspruchs ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides schriftlich einzulegen (§§ 348, 355, 357 AO 1977). Im Streitfall hat das FA gemäß § 122 Abs. 5 AO 1977 die Bekanntgabe im Wege des § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes, also unter Zustellung durch die Post mit Postzustellungsurkunde, angeordnet. Der Einkommensteuerbescheid sollte der Klägerin am 21. Juli 1981 persönlich übergeben werden. Da der Postbeamte die Klägerin nicht in ihrer Wohnung antraf, hat er gemäß § 182 der Zivilprozeßordnung die Zustellung durch Niederlegung beim Postamt Berlin 45 bewirkt und hierüber bei der Klägerin eine schriftliche Mitteilung hinterlassen, welche die Klägerin bei Urlaubsrückkehr vorgefunden hat. Die Einspruchsfrist endete aufgrund dieses Zustellungsvorgangs am 21. August 1981 (einem Freitag). Das Einspruchsschreiben vom 14. September 1981 ging beim FA am darauffolgenden Tage, also verspätet, ein. Der Einspruch ist damit unzulässig, wovon auch das FG ausgegangen ist.
2. Das FG hat jedoch aus den von ihm im Beschluß vom 16. Juli 1984 (Zulassung der Revision) selbst angeführten Gründen in nicht zutreffender Weise die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO 1977 bejaht. Bei Rückkehr aus dem Urlaub war die Klägerin jedenfalls ab Montag, den 17. August 1981, bis zum Ablauf der Einspruchsfrist am Freitag, den 21. August 1981, in der Lage, den beim Postamt Berlin 45 niedergelegten Einkommensteuerbescheid abzuholen, denselben zumindest in summarischer Weise auf seine Richtigkeit zu überprüfen und den Einspruch beim FA anzubringen. Dies war ihr zuzumuten, weil die sachliche Prüfung zumindest vorerst sich auf die wichtigsten Punkte beschränken konnte, nämlich auf die Nachprüfung der geschätzten Einkünfte aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit sowie der Sonderausgaben. Jedenfalls war der zur Verfügung stehende Zeitraum von fünf Tagen ausreichend genug, um die Annahme einer Verhinderung i. S. des § 110 Abs. 1 AO 1977 zu verneinen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 11. Dezember 1986 IV R 184/84, BFHE 148, 422, BStBl II 1987, 303). Daß die Klägerin den Einkommensteuerbescheid 1979 seit dem 17. August 1981 vorliegen hatte, steht nach ihrer eigenen Einlassung im Einspruchsschreiben vom 14. September 1981 außer Frage.
Bei dieser Sachlage war das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 415416 |
BFH/NV 1988, 614 |