Leitsatz (amtlich)
Eine Klage wird nicht "angebracht" im Sinne von § 47 Abs. 2 FGO, wenn die Klageschrift in einem verschlossenen, lediglich an das FG adressierten Umschlag in den Hausbriefkasten des FA eingeworfen wird. Geht der am Tage vor dem Ablauf der Klagefrist beim FA eingeworfene Brief einen Tag nach Ablauf der Klagefrist beim FG ein, so ist die Klage verspätet erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren.
Normenkette
FGO § 47 Abs. 2, §§ 64, 56
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klage, mit der sich die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gegen die Höhe des Wegen Nichtabgabe von Erklärungen geschätzten Gewinnes wandte, wirksam erhoben wurde.
Die Klägerin betreibt einen Großhandel mit Industriebedarf. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) schätzte, nachdem die Klägerin trotz Einzelaufforderung auch für 1967 keine Erklärungen abgegeben hatte, den Reingewinn nach § 217 AO. Den Einspruch gegen den gesonderten Gewinnfeststellungsbescheid, der trotz einer mit Fristsetzung verbundenen besonderen Aufforderung ohne Begründung blieb, wies das FA zurück. Die Einspruchsentscheidung wurde am 24. März 1969 der Klägerin zugestellt.
Die hiergegen gerichtete Klage, datiert vom 23. April 1969 und adressiert an das FG, ging am Freitag, dem 25. April 1969, bei diesem Gericht ein. Die Klägerin wandte sich gegen die Höhe der Schätzung und kündigte die Nachreichung der Gewinnermittlung 1967 an.
Bei der Untersuchung der Frage, ob die Klage vom 23. April 1969 rechtzeitig erhoben worden ist, stellte das FG - in Übereinstimmung mit den Einlassungen der Beteiligten - fest, daß die lediglich an das FG adressierte Klageschrift in einem verschlossenen, unbeschrifteten Fensterumschlag in den Hausbriefkasten des FA geworfen worden war, vom FA ungeöffnet der Dienstpost an das FG beigelegt wurde und auf diesem Wege am 25. April 1969 beim FG einging.
Das FG wies die Klage als unzuläsisg ab. Es führte aus, die Klage sei mit Eingang beim FG am 25. April 1969, also nach Ablauf der Klagefrist, erhoben worden. Sie sei auch nicht dadurch, daß sie in den Briefkasten des FA geworfen worden sei, rechtzeitig im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO "angebracht" worden; denn der Brief mit der Klageschrift habe in keiner Weise erkennen lassen, daß das FA sich mit dem Briefinhalt hätte befassen oder daß bei ihm eine Klage hätte angebracht werden sollen. Daß der Bevollmächtigte der Klägerin entgegen den Erfahrungen des täglichen Lebens angenommen habe, das FA werde den in seinen Briefkasten geworfenen, aber an einen anderen adressierten Brief gleichwohl als einen Brief an sich selbst behandeln, bedeute ein nicht entschuldbares Fehlverhalten und schließe eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus.
Gegenüber der angefochtenen Entscheidung wird mit der Revision vorgetragen, die Klage sei rechtzeitig bei einer nach § 47 Abs. 2 FGO zuständigen Stelle angebracht worden. Im übrigen könne der Umstand, daß im Anschriftenfeld der Klageschrift ein Zusatz wie etwa "über das Finanzamt" unterblieben sei, nicht als grobe Fahrlässigkeit gewertet werden, so daß jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision kann keinen Erfolg haben, weil das FG zu Recht davon ausging, daß weder die Klage nach § 47 Abs. 2 FGO rechtzeitig erhoben (angebracht) noch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO zu gewähren war.
Eine Klage ist grundsätzlich innerhalb der Klagefrist bei Gericht zu erheben (§ 47 Abs. 1, § 64 Abs. 1 Satz 1 FGO). Im finanzgerichtlichen Verfahren genügt es jedoch zur Wahrung der Klagefrist auch noch, wenn die Klage bei der sogenannten Ausgangsbehörde (in der Regel die Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat) "angebracht" oder zur Niederschrift gegeben wird. Die Frage, ob durch den Einwurf eines die Klageschrift enthaltenden, nur an das FG adressierten Briefes in den Briefkasten des FA die Klage bei diesem im Sinne von § 47 Abs. 2 FGO angebracht werden kann, ist bisher vom BFH noch nicht entschieden, von der Rechtsprechung der FG und von der Kommentar-Literatur aber - soweit ersichtlich - einhellig verneint worden (so außer von der Vorinstanz vom Hessischen FG im Urteil vom 14. Oktober 1971 VI 20/71, EFG 1972, 193, vom FG Münster im Urteil vom 30. April 1968 VII 2023-2024/67 E, EFG 1968, 364, von Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 6. Aufl., § 47 FGO, Anm. 5, und von Kühn/Kutter, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 47 FGO, Anm. 2). Der Senat verneint diese Frage ebenfalls. Wenn auch das Gesetz nicht erläutert, was "angebracht" im Sinne von § 47 Abs. 2 FGO heißen soll, so kann es bei verständiger Auslegung doch nur bedeuten, daß es genügt, wenn die Klage, statt, wie in der Regel, dem Gericht, hier innerhalb der Frist der Ausgangsbehörde zugeht. Zugegangen ist die Klage aber nur, wenn sie derart in den verfügungsbereich des Gerichts oder der Behörde gelangt ist, daß der für die Fristwahrung maßgebliche Empfänger davon Kenntnis nehmen kann. Das ist jedoch noch nicht der Fall, wenn die Klageschrift sich lediglich im räumlichen Machtbereich des FA befindet, die Behörde aber weder unmittelbar noch auch nur mittelbar ("über das FA") als Empfänger angesprochen ist, weil das Schriftstück ausschließlich an das FG adressiert ist. Wie die FG mit Recht betonen, darf das FA einen solchen für einen anderen bestimmten Brief nicht öffnen, sondern wird ihn allenfalls an den benannten Adressaten weiterleiten. Erst der Zugang beim FG ist dann entscheidend für die Frage, ob die Klagefrist gewahrt ist.
Im Streitfall ging die Klage beim FG um einen Tag verspätet ein. Da sie, wie betont, auch nicht im Sinne von § 47 Abs. 2 FGO bei der Behörde angebracht war, war sie unzulässig, es sei denn, es hätte der Klägerin nach § 56 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden müssen. Wiedereinsetzungsgründe waren jedoch nicht gegeben. Wenn der Bevollmächtigte der Klägerin, dessen Verschulden seiner Mandantin zuzurechnen ist, am 23. des Monats einen unfrankierten Brief an das FG in den Hausbriefkasten des FA steckte, so konnte er ohne eine Verletzung seiner Sorgfaltspflicht weder darauf vertrauen, daß dieser Brief fristgerecht am 24. des Monats beim FG eingehen würde, noch konnte er damit rechnen, daß das FA diesen nicht für die Behörde bestimmten Brief öffnen und von seinem Inhalt Kenntnis nehmen würde. Der Bevollmächtigte handelte damit grobfahrlässig, so daß die sich aus seinem Verhalten ergebende Fristversäumung nicht ohne sein Verschulden eintrat. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war damit ausgeschlossen.
Fundstellen
Haufe-Index 71295 |
BStBl II 1975, 337 |
BFHE 1975, 402 |