Entscheidungsstichwort (Thema)
§ 42 Satz 1 AO 1977 steht der Verfolgung außersteuer rechtlicher Zwecke der Gestaltung (z. B. der Vermeidung eines Vorkaufsrechts) nicht entgegen
Leitsatz (NV)
1. Eine mißbräuchliche Rechtsgestaltung zur Steuerumgehung liegt vor, wenn die Parteien unter Ausnutzung einer zivilrechtlichen Wahlmöglichkeit, also der Möglichkeit verschiedener Gestaltung (z. B. vollständiger Wechsel im Personenstand einer nur Grundbesitz haltenden Personengesellschaft anstelle eines auf die Übertragung des Grundstücks gerichteten Kaufvertrages), den vom Steuergesetz erfaßten -- "angemessenen Weg" -- vermeiden und statt dessen einen Weg beschreiten, der zwar nach der Wertung des Steuergesetzes ebenfalls besteuerungswürdig ist, aber als solcher keinen Steuertatbestand erfüllt.
2. Eine mit der gewählten Gestaltung verfolgte Vermeidung eines Vorkaufsrechts schließt den Gestaltungsmißbrauch i. S. des § 42 Satz 1 AO 1977 nicht aus; der Erreichung dieses Zwecks der Gestaltung steht § 42 Satz 1 AO 1977 nicht entgegen. Diese Vorschrift schließt nur aus, daß sich der Steuerpflichtige für steuerrechtliche Zwecke auf die von ihm gewählte Gestaltung beruft. § 42 Satz 1 AO 1977 stellt weder darauf ab, ob die von dem Steuerpflichtigen gewählte Gestaltung (zivil-)rechtlich Bestand hat, noch berührt diese Vorschrift die (zivil-)rechtliche Wirksamkeit der Gestaltung.
Normenkette
GrEStG (BY) § 1 Abs. 1 Nr. 1; GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 42 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
X, Y und Z waren Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), zu deren Vermögen das Grundstück A-Straße in ... gehörte. Am 11. Mai 1982 wurden nacheinander jeweils zu notarieller Urkunde folgende Verträge geschlossen:
1. Durch Vertrag mit der Urkundenrollennummer ... "gliederten" die Gesellschafter "aus der Gesellschaft einen Teil als gesonderte, selbständige Gesellschaft aus" und übertrugen auf diese neue Gesellschaft das Grundstück A-Straße. An der neuen -- als GbR B-Straße bezeichneten -- Gesellschaft waren X mit 60 v. H., Y und Z mit je 20 v. H. beteiligt; einziges Vermögen der Gesellschaft war das genannte Grundstück.
2. Mit Vertrag mit der Urkundenrollennummer ... trat die V-GmbH zum 1. Juli 1982 als Gesellschafter ein. Beteiligt waren nunmehr X mit 54 v. H., Y und Z mit je 18 v. H. sowie die V-GmbH mit 10 v. H. Für die Übertragung der Gesellschaftsanteile hatte die V- GmbH an die bisherigen Gesellschafter ... DM zu bezahlen.
3. Zur Urkundenrollennummer ... machte die W-GmbH den Gesellschaftern X, Y und Z das Angebot, deren Gesellschaftsanteile zum Preis von insgesamt ... DM zu übernehmen. Dieses Angebot nahmen die genannten Gesellschafter am 2. August 1982 an. Am Vermögen der GbR B-Straße waren nunmehr die V-GmbH mit 10 v. H. und die W- GmbH mit 90 v. H. beteiligt.
Durch Bescheid vom 24. April 1984 unterwarf der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) die Übertragung sämtlicher Anteile an der durch X, Y und Z gegründeten GbR B-Straße auf die V-GmbH und die W-GmbH als neue Gesellschafter der GbR B-Straße gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) des Landes Bayern i. V. m. § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) aus einer Gegenleistung von ... DM der Grunderwerbsteuer, die es (einschließlich Zuschlag) auf ... DM festsetzte. Der Grunderwerbsteuerbescheid war an die Rechtsnachfolgerin der GbR B- Straße, die W-GmbH & Co. KG gerichtet. Diese erhob unter ihrer (neuen) Firma als W-GmbH & Co. KG nach erfolglosem Einspruch Klage gegen die Festsetzung der Grunderwerbsteuer. Diese sei nicht gerechtfertigt, weil die vorgenommene Gestaltung erforderlich gewesen sei, um das Vorkaufsrecht der Stadt nach dem früheren Bundesbaugesetz zu umgehen; ein Fall des § 42 AO 1977 sei hierin nicht zu sehen.
Dem folgte das Finanzgericht (FG) nicht; es wies die Klage als unbegründet ab.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), mit der sie beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Grunderwerbsteuerbescheid vom 24. April 1985 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 1991 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet; die Vorentscheidung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Der Senat ist im Streitfall nicht gehindert, die Vorentscheidung dahin zu überprüfen, ob das FG landesrechtliche Vorschriften richtig angewendet hat.
Nach Auffassung des FG unterliegt der aufgrund der notariellen Urkunden vom 3. März bzw. 12. Mai 1982 vollzogene Gesellschafterwechsel bei der Klägerin nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes des Landes Bayern i. d. F. der Bekanntmachung vom 28. Juni 1977 -- GrEStG (BY) -- (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt -- GVBl BY -- S. 406) i. V. m. § 42 AO 1977 der Grunderwerbsteuer. Obwohl es sich -- auch soweit der Steueranspruch nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG (BY) im Streitfall nur i. V. m. § 42 AO 1977 gerechtfertigt werden kann -- dabei um die Anwendung von Landesrecht und nicht, wie § 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) voraussetzt, um die Anwendung von Bundesrecht handelt (s. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 26. April 1995 II R 6/94, BFHE 178, 222, BStBl II 1995, 738) unterliegt die Rechtsanwendung durch das FG der Überprüfung durch den BFH. Anders als im Fall des früheren GrEStG (NW), für das der Senat im zitierten Urteil die Revisibilität seit der Aufhebung des § 160 Abs. 2 FGO durch das FGO-Änderungsgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109) verneint hat, unterliegt die Anwendung des GrEStG (BY) weiterhin der Nachprüfung durch den BFH als Revisionsinstanz (§ 118 Abs. 1 Satz 2 FGO). Nach Art. 5 Satz 1 Nr. 1 des Bayerischen Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung (AGFGO) ist in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten, soweit diese Abgaben der Gesetzgebung des Bundes nicht unterliegen und durch Landesfinanzbehörden nach den Vorschriften der AO 1977 verwaltet werden, wozu die Grunderwerbsteuer rechnet, der Finanzrechtsweg gegeben. Nach Art. 5 Satz 2 AGFGO sind insoweit die Vorschriften der FGO über die Revision anzuwenden (§ 118 Abs. 1 Satz 2 FGO). Nach der Aufhebung des § 160 Abs. 2 FGO, der die Revisibilität des früheren Grunderwerbsteuerrechts der Länder bundesrechtlich angeordnet hatte, hat die Anordnung der Revisibilität durch Art. 5 AGFGO wieder Geltung erlangt (s. hierzu näher Sack, Deutsches Steuerrecht -- DStR -- 1995, 1615 unter 5.).
2. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 31. Juli 1991 II R 17/88, BFHE 165, 297, BStBl II 1991, 891, mit Nachweisen), daß die Übertragung sämtlicher Anteile an einer nur Grundbesitz haltenden Personengesellschaft gemäß § 42 AO 1977 i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG (BY) (= § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983) der Grunderwerbsteuer unterliegen kann, weil durch den vollständigen Wechsel im Personenstand einer Personengesellschaft, der als solcher nicht der Grunderwerbsteuer unterliegt, sich die Rechtszuständigkeit in Gestalt des Gesamthandseigentums der Gesellschafter an dem Grundstück ändert und damit mittels der Anteilsübertragung das gleiche Ergebnis erreicht wird wie durch den Abschluß eines auf die Übertragung des Grundstücks gerichteten Kaufvertrages zwischen Alt- und Neugesellschaftern in ihrer jeweiligen gesamthänderischen Verbundenheit, der den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfüllen würde.
§ 42 AO 1977 versagt die Berufung auf die auf der Grundlage der Privatautonomie gewählte zivilrechtliche Form dann, wenn die Prüfung der rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen, die formal nicht der in dem Steuergesetz bezeichneten typischen wirtschaftlichen Form entsprechen, ergibt, daß der zum Ausdruck kommende rechtsgeschäftliche Wille der im Steuergesetz umschriebenen typischen zivilrechtlichen Gestaltung entspricht. § 42 AO 1977 bewirkt so die Besteuerung entsprechend dem Zweck des Steuergesetzes, wenn dessen tatbestandsmäßig mit einem anderen Rechtstyp beschriebener wirtschaftlicher Zweck erreicht wird (BFH-Urteil vom 6. März 1990 II R 88/87, BFHE 160, 57, BStBl II 1990, 446). Eine mißbräuchliche Rechtsgestaltung zur Steuerumgehung liegt danach vor, wenn die Parteien unter Ausnützung einer zivilrechtlichen Wahlmöglichkeit, also der Möglichkeit verschiedener Gestaltung, den vom Steuergesetz erfaßten -- "angemessenen" -- Weg vermeiden und statt dessen einen Weg beschreiten, der zwar nach der Wertung des Steuergesetzes ebenfalls besteuerungswürdig ist, aber als solcher keinen Steuertatbestand erfüllt (vgl. Senatsurteil vom 1. März 1994 II R 82/91, BFH/NV 1994, 903).
Diese Voraussetzungen liegen, wie das FG richtig entschieden hat, im Streitfall vor, denn die Übertragung des (Gesamthands-) Eigentums von den Gesellschaftern X, Y und Z auf die Gesellschafter V-GmbH und W-GmbH hätte durch den Abschluß eines auf die Übereignung des Grundstücks gerichteten Kaufvertrages zwischen den Alt- und den Neugesellschaftern erreicht werden können. Dieser Beurteilung steht auch nicht entgegen, daß sich der Austausch aller Gesellschafter über einen Zeitraum von drei Monaten hingezogen hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 4. März 1987 II R 150/83, BFHE 149, 75, BStBl II 1987, 394). Wie das letztgenannte Urteil zeigt, ist die Rechtsprechung des erkennenden Senats zu § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG i. V. m. § 42 AO 1977 entgegen von der Revision geäußerten Zweifeln gerade und nur auf die Gesellschaften anwendbar, die ausschließlich Grundbesitz halten und verwalten. Denn hieraus ergibt sich, daß für die Auswechslung aller Gesellschafter kein anderer Grund als derjenige ersichtlich ist, mittels der Gesellschaftsanteile die Herrschaftsmacht an dem Grundstück zu übertragen.
3. Entgegen der Auffassung der Revision hat das FG zu Recht auch angenommen, daß die mit der gewählten Rechtsgestaltung verfolgte Vermeidung des Vorkaufsrechts der Stadt den Gestaltungsmißbrauch i. S. des § 42 Satz 1 AO 1977 nicht ausschließt. Für dieses Ergebnis bedurfte es allerdings nicht der vom FG vorgenommenen Wertung dieser Gestaltung als eine vom Gesetz mißbilligte Umgehung des gemeindlichen Vorkaufsrechts und des daraus gezogenen Schlusses, daß eine Anerkennung dieser Gestaltung im Rahmen der Besteuerung des streitigen Vorganges nicht in Frage komme, weil sonst, wie das FG sich ausdrückt, mit einer Gesetzesumgehung (gemeindliches Vorkaufsrecht) eine andere Gesetzesumgehung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG) gerecht fertigt und bestätigt würde. Diese Wertung erübrigt sich deshalb, weil es für die im Rahmen des § 42 AO 1977 vorzunehmende Prüfung grundsätzlich ohne Belang ist, wie die Rechtsgestaltung nach außensteuerrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen ist, denn § 42 Satz 1 AO 1977 stellt weder darauf ab, ob die von dem Steuerpflichtigen gewählte Gestaltung (zivil-)rechtlich Bestand hat, noch berührt § 42 Satz 1 AO 1977 die (zivil-)rechtliche Wirksamkeit der Gestaltung. Die Vorschrift schließt nur aus, daß der Steuerpflichtige sich für steuerrechtliche Zwecke auf die von ihm gewählte Gestaltung beruft (BFH-Urteile in BFH/NV 1994, 903; in BFHE 160, 57, BStBl II 1990, 446, und vom 14. Mai 1986 II R 22/84, BFHE 146, 480, BStBl II 1986, 620). Für die Prüfung, ob ein bestimmter zivilrechtlich verfolgter Weg i. S. des § 42 Satz 1 AO 1977 angemessen und deshalb -- entgegen der Wertung des Steuergesetzes -- der Besteuerung zugrunde zu legen ist, kommt es deshalb nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige sich auf die gewählte Gestaltung berufen könnte, weil sie als solche zu billigen oder zu mißbilligen wäre. Das FG brauchte daher auch nicht zu ermitteln, ob die Möglichkeit bestanden hatte, daß das Vorkaufsrecht ausgeübt worden wäre.
Eine bestimmte Gestaltung ist entgegen der Auffassung der Klägerin im übrigen nicht schon deshalb der steuerrechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen, weil es "legitimerweise verschiedene zivilrechtliche Alternativen für einen Rechtsvorgang" gebe und es dem Steuerpflichtigen freistehe, welche Gestaltung er wählt. Daran ist zwar richtig, daß die wirtschaftliche Gestaltungsfreiheit des Steuerpflichtigen durch § 42 Satz 1 AO 1977 nicht eingeschränkt wird. Diese wird durch § 42 AO 1977 nicht berührt, denn die zivilrechtlich gewählte Gestaltung bleibt mit ihren jeweiligen Folgen bestehen, auch wenn sie der im Steuergesetz vorgesehenen typischen Form nicht entspricht (BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 903). Unzutreffend ist jedoch, daß das Steuerrecht ungeprüft der zivilrechtlichen Gestaltungsfreiheit zu folgen habe. § 42 Satz 1 AO 1977 soll gerade dies verhindern. Die Vorschrift versagt es dem Steuerpflichtigen, sich bei der Anwendung des Steuergesetzes darauf zu berufen, daß die gewählte Gestaltung den gesetzlichen Tatbestand nicht erfülle, wenn die Besteuerungswürdigkeit entsprechend der im Steuergesetz umschriebenen typischen zivilrechtlichen Gestaltung gleichwohl bestehen bleibt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 146, 480, BStBl II 1986, 620).
Fundstellen
Haufe-Index 421344 |
BFH/NV 1996, 788 |