Entscheidungsstichwort (Thema)
Zweifel an der Wirksamkeit einer vorgelegten Vollmachtsurkunde
Leitsatz (NV)
Der konkrete Bezug einer dem FG vorgelegten Vollmacht zur Durchführung eines Klageverfahrens kann auch durch außerhalb des streitigen Verfahrens liegende Umstände in Zweifel gezogen werden.
Normenkette
FGO § 62 Abs. 3 S. 1
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wandten sich im Rahmen ihres Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 1988 (Streitjahr) u.a. gegen den Ansatz eines ihrer Ansicht nach zu geringen, verfassungsrechtliche Vorgaben missachtenden Grundfreibetrages.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) erließ unter dem 8. August 1990 eine Einspruchsentscheidung, mit der der Einspruch der Kläger als unbegründet zurückgewiesen wurde. Hiergegen erhob der Prozessvertreter der Kläger, der bereits im Einspruchsverfahren als Bevollmächtigter aufgetreten war, Klage. Dem Klageschriftsatz war eine allgemein gehaltene, undatierte, das Klageverfahren nicht bezeichnende, jedoch den Prozessvertreter namentlich ausweisende und von den Klägern unterzeichnete Formularvollmacht beigefügt; im Klageschriftsatz hatte der Prozessvertreter zudem auf die beigefügte Vollmacht verwiesen.
Nachdem im Zuge des finanzgerichtlichen Verfahrens Zweifel an der Wirksamkeit der von dem Prozessvertreter vorgelegten Vollmacht entstanden waren, hat das Gericht die Kläger mehrfach schriftlich aufgefordert mitzuteilen, ob sie den im Verfahren aufgetretenen Prozessvertreter mit der Führung des Rechtsstreits beauftragt hätten. Die Kläger haben sich hierzu nicht geäußert, obwohl das Finanzgericht (FG) in seinem Schreiben vom 17. Juli 1998 die Kläger darauf hingewiesen hat, dass das Gericht im Falle der Nichtäußerung davon ausgehen werde, dass kein Auftragsverhältnis zwischen den Klägern und dem Prozessvertreter und daher auch keine Bevollmächtigung bestehe.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab und legte die Kosten des Verfahrens dem als Bevollmächtigten aufgetretenen Prozessvertreter der Kläger auf. Der Prozessvertreter habe zwar eine Vollmachtsurkunde eingereicht, jedoch sei diese nicht geeignet, seine Bevollmächtigung zweifelsfrei nachzuweisen. Im Streitfall gründeten sich die Zweifel an der Bevollmächtigung des Klägervertreters auf die Tatsache, dass dieser in einer beträchtlichen Anzahl von gleichgelagerten Verfahren als Vertreter ohne Vertretungsmacht aufgetreten sei. Diese Zweifel an der Wirksamkeit der vorgelegten Vollmachtsurkunde seien im Verfahren nicht ausgeräumt worden.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung von Steuer- und Verfassungsrecht. Die im finanzgerichtlichen Verfahren von dem Prozessvertreter vorgelegte Vollmacht lasse im Wege der Auslegung erkennen, wer wen wozu bevollmächtigt habe. Ferner weise die Vollmacht einen hinreichend konkreten Bezug zu dem erstinstanzlichen Klageverfahren und dem nunmehr betriebenen Revisionsverfahren auf. Daher habe für das FG kein Anlass bestanden, an der Berechtigung des Prozessvertreters zur Prozessführung zu zweifeln. Der Prozessvertreter der Kläger hat für das Revisionsverfahren keine neue Prozessvollmacht vorgelegt.
Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Revision ist zulässig. Der Senat hat über die Frage zu entscheiden, ob im Verfahren erster Instanz eine wirksame Prozessvollmacht vorgelegen hat. Da die ordnungsgemäße Bevollmächtigung sowohl die Zulässigkeit der Klage als auch die Zulässigkeit der Revision betrifft, muss im Streitfall zunächst von einer wirksamen Bevollmächtigung des Prozessvertreters ausgegangen werden, damit das Revisionsgericht die Frage der Zulässigkeit der Klage prüfen kann.
2. Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen; es ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Bevollmächtigung im Streitfall nicht gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nachgewiesen worden ist.
a) Lässt sich ein Beteiligter vor dem FG durch einen Bevollmächtigten vertreten, ist dessen Bevollmächtigung durch Vorlage einer schriftlichen Vollmacht nachzuweisen (§ 62 Abs. 3 Satz 1 FGO); aus dieser muss hervorgehen, wer bevollmächtigt hat, wer bevollmächtigt ist und wozu er bevollmächtigt wurde (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 27. Februar 1998 VI R 88/97, BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445, m.w.N., ständige Rechtsprechung).
b) Aus der im Klageverfahren vorgelegten Vollmachtsurkunde ist zu entnehmen, dass sie von den Klägern ausgestellt worden ist. Ferner ist der Prozessvertreter der Kläger namentlich als Bevollmächtigter genannt. Seine Bevollmächtigung zur Führung des Verfahrens ergibt sich zwar nicht aus der Vollmachtsurkunde; die Bevollmächtigung kann sich jedoch in der Regel auch aus dem Umstand ergeben, dass die Vollmacht einem Klageschriftsatz beigeheftet ist und in der Klage auf die beigefügte Vollmacht verwiesen wird. Auch im Streitfall kann hierdurch der vorgelegten Vollmacht dem Grunde nach ein hinreichend konkreter Bezug zum vorliegenden Rechtsstreit zugemessen werden (vgl. BFH-Urteil vom 15. März 1991 III R 112/89, BFHE 164, 210, BStBl II 1991, 726).
c) Den konkreten Bezug zur Durchführung des Klageverfahrens sah das FG jedoch dadurch in Zweifel gezogen, dass der Prozessvertreter in anderen finanzgerichtlichen Verfahren unter Vorlage von Blankovollmachten als vorgeblich Bevollmächtigter aufgetreten war, ohne im Innenverhältnis von den Beteiligten zur Prozessführung ermächtigt gewesen zu sein. Derartige Erfahrungen sind grundsätzlich geeignet, die Legitimation eines Prozessvertreters in Zweifel zu ziehen und das Gericht zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen zu veranlassen (BFH-Urteil in BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445, m.w.N.). Dementsprechend hat das FG zu Recht Anfragen an die Kläger persönlich gerichtet, um den entstandenen Zweifeln an der Bevollmächtigung des Prozessvertreters nachzugehen. Diese Anfragen sind seitens der Kläger nicht beantwortet worden, obwohl das FG sie darauf hingewiesen hat, dass das Gericht im Falle der Nichtbeantwortung davon ausgehen werde, dass kein Auftragsverhältnis zwischen den Klägern und dem Prozessvertreter und daher auch keine Bevollmächtigung bestehe.
Vor diesem Hintergrund ist die Folgerung des FG, die erheblichen Zweifel an der Wirksamkeit der vorgelegten Vollmacht seien nicht ausgeräumt worden, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere lässt der Schluss, die fehlende Äußerung der Kläger könne nicht als stillschweigende Genehmigung der Prozessführung im streitgegenständlichen Verfahren ausgelegt werden, keinen Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze erkennen. Die Annahme, dass ein Beteiligter eine vollmachtlose Prozessführung durch einen Dritten nicht stillschweigend genehmigt, entspricht allgemeinen Erfahrungssätzen; sie entspricht ferner dem Erklärungswert, dem Schweigen im Rechtsverkehr üblicherweise beigemessen wird.
3. Die Beteiligten haben nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet. Dem Senat erscheint es sachgerecht, ohne eine solche durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§§ 121, 90a Abs. 1 FGO).
4. Die Kosten des Revisionsverfahrens waren dem Prozessvertreter der Kläger aufzuerlegen, da er die erfolglose Prozessführung veranlasst hat (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 22. Februar 2000 IX B 99/99, BFH/NV 2000, 977). Aufgrund der Entscheidung im Revisionsverfahren steht fest, dass ―für das gesamte Verfahren― keine wirksame Prozessvollmacht vorgelegen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 603691 |
BFH/NV 2001, 1273 |