Leitsatz (amtlich)
Zahlt im Falle der Abschöpfungsaussetzung nach Art. 14 Abs. 3 Buchst. a VO Nr. 805/68 der begünstigte Importeur, um einer entsprechenden Inanspruchnahme der von ihm als Kaution gestellten Bürgschaft zuvorzukommen, so kann er die Erstattung dieses Betrages als rechtsgrundlos geleistet nur verlangen, wenn er fristgerecht den Nachweis der zweckgerechten Verwendung der eingeführten Ware geführt hat.
Normenkette
EWGV 805/68 Art. 14 Abs. 1, 3 Buchst. a; EWGV 888/68 Art. 1
Tatbestand
Die Klägerin, Revisionsklägerin und Anschlußrevisionsbeklagte (Klägerin) beantragte am 1. Juli 1970 beim Hauptzollamt (HZA) A mit Bezug auf Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 (VO Nr. 805/68) des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch vom 27. Juni 1968 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. L 148/24 vom 28. Juni 1968, Bundeszollblatt 1968 S. 793 – BZBl 1968, 793 –) die Bewilligung eines Abschöpfungsgutverwendungsverkehrs mit Rindergefrierfleisch zur Herstellung von Rindfleischkonserven im eigenen Betrieb und zur Verteilung an andere Verwender. Zu diesem Antrag gab die Klägerin mit Schreiben vom 28. Juli 1970 zwei ergänzende Erklärungen entsprechend der Regelung in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und c der VO Nr. 888/68 des Rates zur Festlegung der Grundregeln für die besondere Einfuhrregelung bei zur Verarbeitung bestimmtem Gefrierfleisch vom 28. Juni 1968 (ABlEG Nr. L 156/7 vom 4. Juli 1968, 1000) und ferner folgende Erklärung ab:
„Wir verpflichten uns, für eine etwa nach der Abgabe des Gefrierfleisches an einen anderen Verwender entstehende Abschöpfungsschuld (§ 55 Abs. 8 ZG) einzustehen und zu dulden, daß die etwaigen Abgabenschulden durch Inanspruchnahme der von uns zu leistenden Sicherheit gedeckt wird.”
Auf Veranlassung der Klägerin übersandte ihre Bank am 1. Juli 1970 dem Beklagten, Revisionsbeklagten und Anschlußrevisionskläger, dem HZA E, zugunsten der Klägerin zwei Bürgschaftsurkunden wegen Sicherheitsleistung für Eingangsabgaben bei der vorzeitigen Freigabe von Zollgut; sie sollten auch für die Abschöpfung bei der Einfuhr von Rindergefriergulasch zur Herstellung von Konserven in der Bundesrepublik Deutschland Gültigkeit haben. Das HZA A bewilligte die beantragte Abschöpfungsgutverwendung mit Schreiben vom 6. August 1970 und erteilte einen entsprechenden Erlaubnisschein.
Mit drei Zollanmeldungen vom 16. und 29. September sowie vom 24. Oktober 1970 fertigte das Zollamt (ZA) H – das dem HZA E untersteht – auf Antrag der Klägerin insgesamt 50 775 kg Rindergefrierfleisch zur bleibenden Abschöpfungsgutverwendung ab. Die Klägerin lieferte diese Partien mit Übergabebestätigung vom 15./18. September 1970 (vgl. § 129 der Allgemeinen Zollordnung – AZO –) an die ebenfalls zur Verwendung berechtigte Fa. F in X weiter. Nachdem dort durch eine Betriebsprüfung festgestellt worden war, daß von mehreren an die Fa. F gelieferten Fleischpartien nur 2,25 % zweckgerecht verwendet worden waren und nachdem auf den gegen diese Firma am 30. Dezember 1970 erlassenen Abschöpfungsbescheid – der nach Angaben des HZA E unter anderem den hier streitigen Betrag betraf – keine Zahlungen eingegangen waren, bat das ZA die Klägerin um Äußerung, ob sie die auf die beim ZA abgefertigte und nicht zweckgerecht verwendete Menge entfallende Abschöpfungsschuld in Höhe von 47 915,73 DM ohne Einschaltung des Bürgen entrichten wolle. Mit Schreiben vom 22. Juli 1971 wies die Klägerin die Zahlungsaufforderung mit der Begründung zurück, daß ihre Verpflichtungserklärung, für fremde Abschöpfungsschulden einzustehen, unwirksam sei. Mit Schreiben vom 23. August 1971 forderte das ZA die Bank unter Hinweis auf die Bürgschaftsurkunde auf, die Abschöpfungsbeträge zu zahlen. Nachdem diese sich dazu bereit erklärt hatte, zahlte zur Abwehr der Zahlung durch die Bank die Klägerin den Betrag am 30. August 1971 selbst unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Rückforderung.
Mit Schreiben vom 13. Dezember 1973 beantragte die Klägerin beim HZA E die Rückzahlung des Betrages. Das HZA E lehnte dies mit Schreiben vom 13. Februar 1974 ab. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, den das HZA als unbegründet zurückwies. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Aufhebung der die Erstattung ablehnenden Verwaltungsentscheidung sowie die Verpflichtung des HZA E zur Erstattung des genannten Betrages.
Das Finanzgericht (FG) Hamburg verpflichtete das HZAE durch Urteil vom 8. März 1977 IV 18/76 H (Entscheidungen der Finanzgerichte 1977 S. 334 u. 335 – EFG – 1977, 334, 335 –), an die Klägerin 4 153,15 DM zu zahlen, und wies im übrigen die Klage ab.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts, insbesondere der Art. 13 Abs. 1, 14 VO Nr. 805/68 und Art. 1 VO Nr. 888/68. Zur Begründung führt sie aus:
Ihre Zahlungen seien immer auf eine etwaige Hauptschuld erfolgt. Sie seien zurückzuzahlen, wenn diese Hauptschuld nicht bestanden habe. Das sei hier der Fall. Eine Hauptschuld ergebe sich weder aus Gemeinschaftsrecht noch aus nationalem Recht noch aus der Verpflichtungserklärung vom 28. Juli 1970.
Die VO Nr. 805/68 und die VO Nr. 888/68 hätten die Bestimmung des Abschöpfungsschuldners dem nationalen Gesetzgeber überlassen. Abschöpfungsschuldner habe nach den nationalen Vorschriften nur die Fa. F. werden können (§ 2 Abg, § 55 Abs. 8 Satz 2 ZG, § 129 AZO). Eine gesetzliche Möglichkeit, sie, die Klägerin, in Anspruch zu nehmen, habe infolgedessen nicht bestanden.
Ihre Erklärung, sie verpflichte sich, für fremde Abschöpfungsschulden einzustehen, sei unwirksam Weder die VO Nr. 805/68 noch die VO Nr. 888/68 sähen die Abgabe einer solchen Verpflichtungserklärung vor. Der EWG-Verordnungsgeber habe in den VO Nr. 805/68 und Nr. 888/68 die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Abschöpfungsvergünstigung abschließend geregelt. Die nationalen Behörden hätten daher die Importeure keinen zusätzlichen aus nationalem Recht abgeleiteten Voraussetzungen unterwerfen dürfen (vgl. Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften – EGH – vom 11. Februar 1971 Rs. 39/70, EGHE 1971, 49).
Gegen die Nichtigkeit der Verpflichtungserklärung spreche nicht, daß es ihr, der Klägerin, freigestanden habe, die Verpflichtungserklärung abzugeben. Das Verbot, zusätzliche Voraussetzungen für den Zugang zur Abschöpfungsvergünstigung aufzustellen, sei ein absolutes Verbot. Das folge aus Art. 189 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) und dem Rechtssystem der EWG. Darüber hinaus sei sie auch tatsächlich gezwungen gewesen, die von ihr verlangte Verpflichtungserklärung abzugeben, wenn sie die Abschöpfungsvergünstigung überhaupt in Anspruch habe nehmen wollen. Das aber habe sie tun müssen, wenn sie gegenüber den anderen Importeuren konkurrenzfähig habe bleiben wollen.
Darauf, ob eine Abschöpfungsschuld der Fa. F. entstanden sei, komme es nicht an. Die VO Nr. 888/68 sehe eine Haftung des Importeurs für fremde Abschöpfungsschulden nicht vor. Sie sehe auch nicht vor, daß diese fremden Abschöpfungsschulden durch Inanspruchnahme der nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. b VO Nr. 888/68 zu leistenden Sicherheit gedeckt werden könnten. Diese Verordnung enthalte einerseits keinerlei Verfallsregelungen. Sie lasse es andererseits zu, daß die Kaution in Form einer Bürgschaft gestellt werde, und mache damit deutlich, daß die Inanspruchnahme der Kaution vom Entstehen einer Hauptschuld abhängig sei. Das bestätigte der Erlaß des Bundesministers der Finanzen (BdF) vom 13. September 1968 (BZBl 1968, 1009).
Der Rückforderungsanspruch bestehe aber auch dann, wenn man der Meinung des FG folge, sie, die Klägerin, habe zur Ablösung der Bürgschaft gezahlt. Die Bank habe ihre Bürgschaft lediglich „für diejenigen Beträge an Eingangsabgaben, die der Hauptschuldner der Bundeskasse schuldig ist oder künftig schuldig werden wird”, abgegeben. Sie, die Klägerin, schulde aber der Bundeskasse keinerlei Eingangsabgaben.
Wenn die Bürgschaft wirksam auch für Abschöpfungsschulden der Fa. F. gegeben worden sein sollte, komme es entgegen der Auffassung des FG darauf an, ob die Abschöpfungsschulden der Fa. F. materiellrechtlich entstanden seien. Die Bank sei Bürge der Klägerin gewesen, und ihre Haftung für fremde Abschöpfungsschulden habe allenfalls über die Verpflichtungserklärung erreicht werden können. Das FG habe die Klage nicht ohne Beweisaufnahme und Prüfung, ob die Fa. F. die Fleischpartien tatsächlich zweckwidrig verwendet habe, abweisen dürfen.
Die Klägerin beantragt, in Abänderung der Vorentscheidung den Bescheid vom 13. Februar 1974 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben sowie das HZA E zu verpflichten, ihr den Betrag von 47 915,73 DM zu zahlen, hilfsweise, den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.
Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Gleichzeitig legt es Anschlußrevision mit dem Antrag ein, die Vorentscheidung insoweit aufzuheben, als das FG der Klage stattgegeben hat, und die Klage auch insoweit abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Revision und Anschlußrevision führen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Als Rechtsgrundlage für einen etwaigen Erstattungsanspruch der Klägerin kommen abgabenrechtliche Vorschriften nicht in Betracht. Insbesondere scheidet die Anwendung der §§ 150 ff. der Reichsabgaben (AO) aus. Der Klägerin gegenüber ist eine Steuerfestsetzung, die eines Steuerbescheides bedurft hätte, nicht vorgenommen worden.
Fehlt es an einer ausdrücklichen Vorschrift zur Frage der Rückforderung ohne Rechtsgrund gezahlter Beträge, so greift der allgemeine Erstattungsanspruch ein, der auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts die Aufgaben erfüllt, die auf dem Gebiet des Privatrechts der Anspruch auf Rückgewähr einer ungerechtfertigten Bereicherung nach den §§ 812 ff. BGB hat. Dieser öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist ein Rechtsinstitut des allgemeinen Verwaltungsrechts (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – vom 21. September 1966 V C 155.65, BVerwGE 25, 72, 81, m. w. N.; Urteil des Bundessozialgerichts – BSG – vom 30. Januar 1962 2 RU 219/56, BSGE 16, 151, 156). Er ist gegeben, wenn eine öffentlich-rechtliche Leistung ohne rechtlichen Grund erbracht worden oder der rechtliche Grund später weggefallen ist; er dient der Herstellung des Ausgleichs der mit der Rechtslage nicht oder nicht mehr übereinstimmenden Vermögenslage (vgl. Urteil des Oberverwaltungsgerichts – OVG – Münster vom 5. August 1970 III A 1417/68, Die Öffentliche Verwaltung 1971 S. 350 – DÖV 1971, 350 –). Für die Entscheidung der Frage, ob die Klägerin zu Recht den von ihr geleisteten Betrag vom HZA E zurückfordert, kommt es also darauf an, ob für ihre Leistung ein Rechtsgrund vorlag. Entgegen der Auffassung des FG kann dabei nicht darauf abgestellt werden, welche Motive die Klägerin zur Zahlung des Betrages veranlaßt haben. Allein maßgebend ist, ob objektiv die Leistung mit rechtlichem Grund erbracht worden und dieser nicht inzwischen weggefallen ist.
Die Klägerin war hinsichtlich des von ihr eingeführten Gefrierfleisches in den Genuß einer vollständigen Abschöpfungsaussetzung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst. a VO Nr. 805/68 gelangt Art. 1 VO Nr. 888/68 knüpfte diese Aussetzung an bestimmte Voraussetzungen, u. a. an die Stellung einer Kaution in Höhe der ausgesetzten Abschöpfung zur Gewährleistung der begünstigten Herstellung (Art. 1 Abs. 1 Buchst. b a. a. O.) und die Übernahme der Verpflichtung, einen bestimmten zusätzlichen Betrag gegebenenfalls zu zahlen (Art. 1 Abs. 1 Buchst. c a. a. O.). Ferner sah die VO Nr. 888/68 vor, daß die Kaution in Form einer Bürgschaft gestellt werden konnte (Abs. 2 a. a. O.) und die Kaution nur dann freigegeben werden würde, wenn binnen sechs Monaten nach dem Monat der Einfuhr der Nachweis erbracht wird, daß das eingeführte Gefrierfleisch auf dem Hoheitsgebiet des einführenden Mitgliedstaats zu Konserven verarbeitet worden war (Abs. 3 a. a. O.).
Diese Regelung macht die Gewährung der Abschöpfungsaussetzung vom Vorliegen bestimmter Voraussetzungen abhängig. Sie ist dahin zu verstehen, daß – falls diese nicht vorliegen oder später entfallen – der begünstigte Importeur die ausgesetzte Abschöpfung (und einen etwaigen zusätzlichen Betrag im Sinne des Art. 1 Abs. 5 VO Nr. 888/68) zu zahlen hat. Zwar enthält die VO Nr. 888/68 eine ausdrückliche Zahlungspflicht des begünstigten Importeurs nur hinsichtlich des genannten zusätzlichen Betrages (Art. 1 Abs. 1 Nr. 3). Ihre Auslegung nach Sinn und Zweck ergibt jedoch, daß darüber hinaus bei Eintritt der Voraussetzungen für die Nichtfreigabe der Kaution auch grundsätzlich eine Pflicht des begünstigten Importeurs zur Zahlung der ausgesetzten Abschöpfung entsteht. Dafür sprechen die folgenden Überlegungen.
Art. 14 Abs. 1 und 3 VO Nr. 805/68 und Art. 1 VO Nr. 888/68 regeln den Grundsatz, daß die Abschöpfungsaussetzung für die Verwendung von Gefrierfleisch zur Herstellung von Konserven nur unter bestimmten Voraussetzungen gewährt wird. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die Regelung des Art. 1 Abs. 3 VO Nr. 888/68 zu sehen. Zwar enthält sie ausdrücklich nur eine Bestimmung für die Nichtfreigabe (Verfall) der gestellten Kaution, falls der entsprechende Nachweis nicht innerhalb der genannten Frist erbracht wird. Eine vom begünstigten Importeur in Höhe der Abschöpfung gestellte Kaution wird also zugunsten des Staates einbehalten, wenn der Nachweis der zweckgerechten Verwendung nicht rechtzeitig geführt wird, die Voraussetzungen also nicht eingetreten sind, an die die Abschöpfungsvergünstigungen geknüpft ist. Es ist daher folgerichtig, diese Bestimmung dahin auszulegen, daß sie eine entsprechende ebenfalls an den Verfallstatbestand für die Kaution geknüpfte eigene Zahlungspflicht des begünstigten Importeurs in Höhe der ausgesetzten Abschöpfung vorsieht, die dieser ja auch gehabt hätte, wenn die Voraussetzung für die Aussetzung bereits von Anfang an nicht gegeben gewesen wären. Diese eigene Zahlungspflicht aktualisiert sich freilich für den Regelfall nicht, weil sie durch den Kautionsverfall überlagert wird.
Diese Auffassung wird durch folgende Erwägungen gestützt: Es erscheint wenig sinnvoll anzunehmen, daß die VO Nr. 888/68 zwar von einer persönlichen Zahlungspflicht des begünstigten Importeurs im Hinblick auf den Zusatzbetrag (Art. 1 Abs. 1 Buchst. c) ausgeht, aber hinsichtlich der ausgesetzten Abschöpfung selbst sich nur mit dem Verfall der Kaution begnügt, falls eine solche rechtswirksam gestellt wurde. Eine andere Auffassung führte zum nicht sinnvollen Ergebnis, daß der Importeur, der seine Pflicht zur Kautionsleistung gewissenhaft erfüllt hat, bei Eintritt des Verfallstatbestandes durch Heranziehung seiner Kaution die ausgesetzte Abschöpfung zu zahlen gezwungen wird, während der Importeur, der eine oder eine nicht wirksame Kaution gestellt hat, freigestellt bliebe. Darüber hinaus ist auch zu berücksichtigen, daß Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 888/68 ausdrücklich die Stellung der Kaution in Form einer Bürgschaft vorsieht, diese aber wegen ihrer Abhängigkeit vom Bestehen einer Hauptschuld auch bei Eintritt des Verfallstatbestandes des Art. 1 Abs. 3 VO Nr. 888/68 nicht in Anspruch genommen werden (verfallen) könnte, wenn man nicht auch von einer entsprechenden Zahlungspflicht desjenigen ausginge, für dessen Schuld gebürgt worden ist.
Art. 1 Abs. 3 VO Nr. 888/68 sieht also für den Fall, daß der rechtzeitige Nachweis der zweckgerechten Verwendung der Ware nicht geführt wird, eine Rechtsfolge eigener Art vor. Es entsteht eine Verpflichtung des begünstigten Importeurs zur Zahlung der ausgesetzten Abschöpfung und des Zusatzbetrages, die hinsichtlich der Abschöpfung im Regelfall durch Verfall der geleisteten Kaution realisiert wird. Dabei kommt es nicht darauf an, wer das Fleisch verarbeitet hat oder verarbeiten sollte. Der begünstigte Importeur ist also nicht gehindert, das Fleisch an andere zur Verarbeitung abzugeben. Er selbst bleibt aber nach wie vor verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Ware dem begünstigten Zweck zugeführt wird. Diese Verpflichtung ist gesichert durch die genannte Regelung des Art. 1 Abs. 3 VO Nr. 888/68. Die Entstehung der Zahlungspflicht, und der etwaige Verfall der Kaution sind allein an die Voraussetzung geknüpft, die in dieser Bestimmung genannt ist.
Diese Regelung ist in sich folgerichtig und erschöpfend (vgl. auch EGH-Urteil Rs. 39/70). Daß die genannten Vorschriften keine Regelung über eine etwaige Entstehung einer Abschöpfungsschuld enthalten, mag dogmatische Schwierigkeiten bei ihrer Einordnung in das System des innerstaatlichen Rechts bereiten. Es kann aber nicht die Rede davon sein, daß die Regelung des Gemeinschaftsrechts, wie das FG und die Klägerin meinen, zwangsläufig der Ergänzung durch die innerstaatlichen Vorschriften über die Entstehung einer Abschöpfungsschuld im Rahmen der bleibenden Abschöpfungsgutverwendung (§ 2 Abs. 1 AbG in Verbindung mit § 55 ZG) bedarf. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat sich damit begnügt, an die nicht zweckgerechte Verwendung allein die sich aus Art. 1 Abs. 3 VO Nr. 888/68 ergebenden Rechtsfolgen zu knüpfen. Er konnte das tun und brauchte nicht als Sanktion anstatt dessen oder darüber hinaus die Entstehung einer Abschöpfungsschuld im Sinne der deutschen Vorschriften über die bleibende Abschöpfungsgutverwendung vorzusehen. Die Regelung der VO Nr. 805/68 und Nr. 888/68 hat überdies den Vorteil der Einfachheit insbesondere bei Abgabe der begünstigten Warenpartien an andere Verwender; sie vermeidet die komplizierten Regelungen, die das vergleichbare nationale Recht dafür vorsieht.
Die Klägerin beruft sich auf die Ausführungen der Verwaltung in mehreren Schreiben an sie und insbesondere auf den Inhalt des BdF-Erlasses vom 13. September 1968 (BZBl 1968, 1009). Es kann hier dahinstehen, ob die Auslegung dieser Verwaltungsäußerungen durch die Klägerin zutreffend ist. Jedenfalls handelt es sich dabei nicht um verbindliche Rechtsnormen, die für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts herangezogen werden könnten. Überdies scheidet ihre Anwendung auch deswegen aus, weil dem Gemeinschaftsrecht Vorrang zukommt.
Nicht zu folgen ist der Auffassung der Klägerin, Art. 1 Abs. 3 VO Nr. 888/68 enthalte keine Verfallsregelung, da nur davon die Rede sei, daß die Kautionen unter bestimmten Voraussetzungen nicht „freigegeben” werde. Nach Sinn und Zweck dieser Regelung kann die Nichtfreigabe nichts anderes als den Verfall der Kaution bedeuten. Das belegt schon der Umstand, daß die Nichtfreigabe an die Bedingung geknüpft ist, daß ein bestimmter Nachweis nicht innerhalb von sechs Monaten erbracht wird. Ist diese Frist ohne den Nachweis verstrichen, so ist eine Freigabe der Kaution endgültig nicht mehr möglich. Eine Nichtfreigabe auf Dauer kann aber nur bedeuten, daß die Kaution verfällt. Die Richtigkeit dieser Auffassung wird durch die Nachfolge-Verordnung der VO Nr. 888/68 bestätigt Art. 1 Abs. 3 VO Nr. 597/77 der Kommission vom 18. März 1977 (ABlEG Nr. L 76/1 vom 24. März 1977) entspricht fast wörtlich der entsprechenden Vorschrift der VO Nr. 888/68, enthält aber noch folgenden Zusatz: „Der nicht freigegebene Betrag der Kaution wird als Abschöpfung einbehalten.” Damit hat der Verordnungsgeber der EWG klargestellt, daß es sich um eine Verfallsregelung handelt.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß es für die Entscheidung des vorliegenden Falles entgegen der Auffassung des FG nicht darauf ankommt, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die von der Klägerin als Kaution gestellte Bürgschaft wirksam war, ob und in welcher Person nach innerstaatlichem Recht eine Abschöpfungsschuld entstanden ist, welche Partei gegebenenfalls die Beweislast hinsichtlich der Erfüllung der Tatbestandsmerkmale für die Entstehung einer solchen Schuld trägt und welche Bedeutung die Verpflichtungserklärung der Klägerin hat, für fremde Abschöpfungsschulden einstehen zu wollen. Allein maßgebend ist vielmehr, ob und inwieweit die Klägerin den Nachweis im Sinne des Art. 1 Abs. 3 VO Nr. 888/68 erbracht hat. Insoweit, als sie das nicht getan hat, hat sie den Betrag, dessen Erstattung sie begehrt, nicht ohne Rechtsgrund geleistet, steht ihr also auch kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu.
Infolge seines falschen rechtlichen Ausgangspunktes hat das FG Feststellungen in dieser Richtung nicht getroffen. Dem Senat ist es daher nicht möglich, in der Sache selbst zu entscheiden. Die Vorentscheidung war somit aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
Für den Senat ergaben sich keine Zweifel bei der Auslegung gemeinschaftlicher Bestimmungen im Sinne seiner Entscheidungen vom 22. Oktober 1975 VII R 105/73 (BFHE 117, 313). Er war daher nicht verpflichtet, den EGH nach Art. 177 Abs. 3 EWGV anzurufen.
Fundstellen
Haufe-Index 510554 |
BFHE 1981, 139 |