Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (NV)
Ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß den gesetzlichen Vertreter eines Steuerpflichtigen ein Verschulden an der Versäumnis der Einspruchsfrist trifft, so ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren, wenn es an der Glaubhaftmachung eines schuldlosen Verhaltens fehlt.
Normenkette
AO 1977 § 110 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA -) erließ gegenüber der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH, nach einer Außenprüfung geänderte Körperschaftsteuerbescheide, die am 5. August 1980 gegenüber der Klägerin zur Post gegeben wurden. Die Klägerin erhob gegen die Bescheide erst am 27. Oktober 1980 Einspruch und beantragte wegen der Versäumnis der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil die Bescheide durch das Versehen einer Mitarbeiterin verlegt worden seien. Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig. Das FG wies die Klage nach Zeugenvernehmung ab. Mit der Revision rügt die Klägerin eine unzureichende Sachverhaltsaufklärung und die fehlerhafte Würdigung der erhobenen Beweise.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Gegen die von einer Finanzbehörde erlassenen Steuerbescheide (§ 155 der Abgabenordnung - AO 1977 -) steht dem betroffenen Steuerpflichtigen als Rechtsbehelf der Einspruch zu (§ 348 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977). Der Einspruch ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheides (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) bei der Finanzbehörde schriftlich einzulegen oder zur Niederschrift zu erklären, die den anzufechtenden Steuerbescheid erlassen hat (§ 357 Abs. 1 und 2 AO 1977). Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die den erkennenden Senat binden (§ 118 Abs. 2 FGO), wurden die angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide vom FA am 5. August 1980 zur Post gegeben. Gemäß § 122 Abs. 2 AO 1977 galten sie mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post - also mit dem 8. August 1980 - als bekanntgegeben. Folglich begann die Frist für die Einlegung des Einspruchs am 9. August 1980 0 Uhr (§ 108 Abs. 2 AO 1977) und lief am Montag, dem 8. September 1980, um 24.00 Uhr ab (§ 108 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Innerhalb dieser Frist legte die Klägerin gegen die angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide 1977 und 1978 keinen Einspruch ein. Der am 27. Oktober 1980 eingelegte Einspruch war verspätet.
b) War jemand ohne eigenes Verschulden gehindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so besteht grundsätzlich gemäß § 110 Abs. 1 AO 1977 die Möglichkeit, ihm wegen der Fristversäumnis auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dies setzt jedoch die Glaubhaftmachung voraus, daß den Steuerpflichtigen an der Fristversäumnis kein Verschulden trifft. Dabei muß sich jeder Steuerpflichtige das Verschulden seines (gesetzlichen) Vertreters zurechnen lassen (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).
Den tatsächlichen Feststellungen des FG, die den erkennenden Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO binden, weil die Klägerin insoweit keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen geltend gemacht hat, ist nicht zu entnehmen, daß die Klägerin ein schuldloses Handeln ihrer gesetzlichen Vertreterin glaubhaft gemacht hätte. Das FG ist nach Beweiserhebung zu der tatsächlichen Feststellung gelangt, es könne nicht ausgeschlossen werden, daß die Geschäftsführerin der Klägerin die Bescheide selbst verlegt habe. Diese tatsächliche Würdigung war schon deshalb möglich, weil es an der Glaubhaftmachung des Gegenteils fehlt. War aber die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß die Geschäftsführerin der Klägerin die Bescheide selbst verlegt hatte, so durfte das FG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewähren. § 110 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 enthält auch eine Regelung der sog. objektiven Beweis- oder Feststellungslast dahin, daß immer dann, wenn ein schuldhaftes Gehindertsein des Steuerpflichtigen nicht ausgeschlossen werden kann, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden darf. Aus dem Wortlaut der Bestimmung folgt mit anderen Worten, daß der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragende Steuerpflichtige den Nachteil zu tragen hat, wenn er die Tatbestandsvoraussetzungen des § 110 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nicht glaubhaft machen kann bzw. macht. Bei dieser Sachlage kommt es für die Entscheidung über den Streitfall rechtlich nicht darauf an, ob die Zeugin S über ihre Pflichten bei der ihr aushilfsweise übertragenen Postannahme belehrt oder überwacht worden ist.
c) Ist nicht glaubhaft gemacht worden, daß die Klägerin ohne Verschulden gehindert war, gegen die Körperschaftsteuerbescheide fristgerecht Einspruch einzulegen, so war die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Folge abzulehnen, daß der am 27. Oktober 1980 eingelegte Einspruch verspätet und damit unzulässig war.
Fundstellen
Haufe-Index 414691 |
BFH/NV 1987, 77 |