Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Wird dem Finanzamt durch einen Lohnsteuerprüfungsbericht bekannt, daß ein Arbeitgeber die Sachbezüge seiner Arbeitnehmer für die Lohnsteuerberechnung fehlerhaft bewertet, so muß es in der Regel den Arbeitgeber auf den Fehler hinweisen. Unterläßt es dies, so kann es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn das Finanzamt erst auf Grund der nächsten Lohnsteuerprüfung für die seit der früheren Prüfung verstrichene Zeit Lohnsteuer wegen der unrichtigen Bewertung der Sachbezüge nachfordert.
Normenkette
EStG § 8 Abs. 2, § 38/3; StAnpG § 1 Abs. 2, § 1/3; LStDV § 46/1
Tatbestand
Die Bgin., ein Werk der chemischen Industrie, hat in den Jahren 1954 bis 1956, wie schon früher, ihren Arbeitnehmern gewährte Sachbezüge in Form von Wohnung, Brand und Licht bei der Berechnung der Lohnsteuer nicht mit den ortsüblichen Mittelpreisen zugrunde gelegt, sondern mit den niedrigeren Werten, die von der Finanzverwaltung für die Lohnsteuerberechnung im Ruhrbergbau festgesetzt waren. Dem Finanzamt war dies spätestens bei einer Lohnsteuerprüfung im Oktober 1954 bekanntgeworden, bei der die Zeit von 1952 bis zum 31. Oktober 1954 geprüft worden war. Das Finanzamt hat aber weder in dem Grund dieser Prüfung ergangenen Haftungsbescheid vom 7. Dezember 1954 wegen der zu geringen Bewertung der Sachbezüge von der Bgin. Lohnsteuer nachgefordert, noch hat es sie aufgefordert, die Sachbezüge künftig bei der Lohnsteuerberechnung höher anzusetzen. Nachforderungen wegen unzulässiger Anwendung der für den Bergbau getroffenen Sonderregelung hat das Finanzamt erst nach der nächsten turnusmäßigen Lohnsteuerprüfung für die Jahre 1954 bis 1956 im Lohnsteuerhaftungsbescheid vom 7. Februar 1958 erhoben. Die Bgin. hielt dies für unvereinbar mit dem Grundsatz von Treu und Glauben. Ihr Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Die dagegen eingelegte Berufung hatte jedoch Erfolg. Das Finanzgericht führte aus: Einschränkungen der Arbeitgeberhaftung ergäben sich nach Recht und Billigkeit, wenn das Finanzamt dem Arbeitgeber über die Lohnsteuerberechnung eine unrichtige Auskunft gemäß § 56 LStDV erteilt habe. Dem stehe nicht ohne weiteres gleich, wenn es eine unrichtige Anwendung der Lohnsteuervorschriften nicht beanstande. Wenn ein Lohnsteuerprüfer jedoch zu einem ihm unterbreiteten Sachverhalt Stellung nehme und das Finanzamt dann in Kenntnis des Sachverhalts die vom Prüfer vertretene Auffassung unbeanstandet hinnehme, entstehe dadurch bei dem geprüften Arbeitgeber der Eindruck, daß das Finanzamt die Richtigkeit der Ausführungen des Prüfers anerkenne. Der Arbeitgeber habe dann keine Veranlassung, wegen der nicht beanstandeten Handhabung noch eine Auskunft des Finanzamts einzuholen. Insoweit komme einer vom Finanzamt nicht beanstandeten Prüfungsfeststellung für die Zukunft dieselbe Bedeutung zu wie einer Lohnsteueranrufungsauskunft. Im Streitfall habe der Lohnsteuerprüfer aber in seinem Bericht keine Ausführungen gemacht, die als Billigung der von der Bgin. vorgenommenen Bewertung der Sachbezüge aufgefaßt werden könnten. Der Prüfer habe die Streitfrage zwar erwähnt, ihre Entscheidung aber offengelassen. Der am 7. Dezember 1954 ergangene Haftungsbescheid habe weder eine Lohnsteuernachforderung wegen unrichtiger Bewertung der Sachbezüge enthalten, noch einen Hinweis, daß eine Nachforderung hinsichtlich dieses Punktes vorbehalten bleibe. Die Bgin. habe daraus eine Billigung ihres bisherigen Bewertungsverfahrens entnehmen können, zumal das Finanzamt auch für die Folgezeit dieses Verfahren nicht beanstandet habe. Es sei nicht ausgeschlossen, daß das Finanzamt die Bewertung der Sachbezüge nach der Bergbauregelung damals selbst für richtig gehalten habe. Jedenfalls habe die Bgin. aus dem Schreiben des Finanzamts eine stillschweigende Billigung ihrer Sachbezugsbewertung entnehmen und darauf vertrauen können, daß das Finanzamt bis zur Prüfung im Jahre 1957 sie nicht wegen einer zu niedrigen Bewertung der Sachbezüge ihrer Arbeitnehmer in Anspruch nehmen werde. Unter diesen Umständen sei es nach Treu und Glauben nicht vertretbar, von der Bgin. im Haftungsbescheid Lohnsteuer nachzufordern.
Der Vorsteher des Finanzamts weist in seiner Rb. darauf hin, daß die Bestimmungen über die Bewertung der Sachbezüge bei Bergbauunternehmen im Streitfall nicht anwendbar seien. Die unrichtige Behandlung bei der Bgin. hätte daher nach der Prüfung im Jahre 1954 richtiggestellt werden müssen. Wenn dies damals unterblieben sei, so stehe das der richtigen rechtlichen Beurteilung nach der im Jahre 1957 durchgeführten Prüfung nicht entgegen. Das Finanzamt habe bei dieser Entscheidung keinen Ermessensspielraum gehabt. Selbst wenn man die stillschweigende Billigung der Rechtsansicht der Bgin. unterstelle, könne keine Bindung des Finanzamts an eine falsche Rechtsauffassung angenommen werden. Da die Bgin. durch den Haftungsbescheid nicht schlechtergestellt werde, als es bei richtiger Lohnsteuerberechnung der Fall gewesen wäre, widerspreche ihre Haftbarmachung nicht Treu und Glauben. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs rechtfertige übrigens nur ein positives Verhalten des Finanzamts die Anwendung dieses Grundsatzes. Ein solches liege aber nicht vor, sondern nur ein rechtlich unerhebliches Unterlassen. Schließlich sei das Urteil des Finanzgerichts auch deshalb fehlerhaft, weil es bei der Neuberechnung der Lohnsteuer der Vorstandsmitglieder für 1956 überhaupt keinen Betrag für Sachbezüge angesetzt habe, also nicht einmal die von der Bgin. nach den Bergbaugrundsätzen berücksichtigten Beträge.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führte zur Aufhebung der Vorentscheidungen.
Die von der Finanzverwaltung für den Kohlenbergbau vorgesehenen Pauschwerte der Sachbezüge kommen für die Lohnsteuerberechnung der Arbeitnehmer der Bgin. nicht in Betracht, da diese ein Unternehmen der chemischen Industrie ist. Die Sachbezüge der Arbeitnehmer mußten vielmehr nach § 8 Abs. 2 EStG mit den Mittelwerten des Verbrauchsortes bewertet werden. Dies wird von der Bgin. auch nicht bestritten.
Streitig ist aber, ob das Finanzamt berechtigt war, die von der Bgin. vorgenommene unrichtige Bewertung der Sachbezüge für die Jahre 1954 bis 1956 noch zu beanstanden, nachdem es bereits durch die vorhergehende Lohnsteuerprüfung im Oktober 1954 von der zu niedrigen Bewertung der Sachbezüge Kenntnis erhalten und hieraus keine Folgerungen gezogen hatte. Das Finanzgericht hat untersucht, ob die Haltbarmachung der Bgin. unter diesen Umständen Recht und Billigkeit entspricht und hat dies verneint. Der Senat tritt dieser Beurteilung und auch im wesentlichen der Begründung des Finanzgerichts bei, die im allgemeinen den Rechtsgrundsätzen der Entscheidung des Senats VI 167/61 U vom 20. Juli 1962 (BStBl 1963 III S. 23, Slg. Bd. 76 S. 64) entspricht. Bei der Lohnsteuerprüfung im Jahr 1954 hatte der Prüfer in dem der Bgin. übersandten Prüfungsbericht die Frage aufgeworfen, ob die Bewertung der Sachbezüge der Arbeitnehmer der Bgin. nach den Grundsätzen für den Ruhrkohlenbergbau richtig sei. Geprüft wurde damals die Zeit bis zum 31. Oktober 1954. Wenn das Finanzamt in dem auf Grund dieser Prüfung ergangenen Haftungsbescheid keine Nachforderung wegen der Bewertung der Sachbezüge erhob und der Bgin., obwohl die Frage bei der Prüfung erörtert worden war, auch keine Mitteilung mehr darüber zukommen ließ, so ist die Lohnsteuernachforderung im Haftungsbescheid vom 7. Dezember 1954 für die ersten zehn Monate des Jahres 1954 nicht berechtigt, weil die Bgin. diesen Zeitraum als endgültig geprüft und abgeschlossen ansehen konnte.
Dem Finanzgericht ist auch zuzustimmen, soweit es die Inanspruchnahme der Bgin. für 1955 und 1956 ablehnt. Nachdem die Bgin. bereits seit dem Jahr 1937 die Fachbezüge ihrer Arbeitnehmer nach den für den Kohlenbergbau geltenden Grundsätzen bewertet und ein Lohnsteuerprüfer die Anwendbarkeit dieser Regelung in seinem Prüfungsbericht vom Oktober 1954 bezweifelt hatte, konnte die Bgin. erwarten, daß das Finanzamt diese Frage im Anschluß an die Prüfung im Jahr 1954 klären und sie über das Ergebnis unterrichten würde. Wenn das Finanzamt diese Zweifelsfrage erst im Zuge der nächsten Lohnsteuerprüfung und nach Rückfrage bei der Oberfinanzdirektion zuungunsten der Bgin. entschied, so ist dem Finanzgericht zuzustimmen, daß die Bgin. bis zur Prüfung im Jahr 1957 im Verhalten des Finanzamts eine stillschweigende Billigung ihrer Bewertung erblicken konnte. Die Bgin. hätte zwar auch selbst auf eine Klärung dieser Frage dringen können. Da das Finanzamt eine änderung der langjährigen Praxis der Bgin. anstrebte, wäre es in erster Linie seine Sache gewesen, für eine änderung zu sorgen, nachdem die Frage bei der Lohnsteuerprüfung Ende 1954 aufgeworfen worden war. Die Bgin. brauchte nach Lage der Verhältnisse ihre Bewertung erst zu ändern, nachdem sie vom Finanzamt durch eine eindeutige Weisung hierzu aufgefordert worden war.
Wenn demnach die rechtliche Beurteilung des Finanzgerichts in der eigentlichen Streitfrage auch zu billigen ist, so muß die Vorentscheidung gleichwohl wegen der in der Rb. gerügten Berechnung des verbleibenden Haftungsbetrags aufgehoben werden. Das Finanzgericht hat die der Lohnsteuer unterliegenden Bezüge der beiden Vorstandsmitglieder X. und Y. um den Wert der freien Wohnung (4.800 DM bzw. 3.000 DM) gekürzt. Da das Finanzamt diese Beträge anstelle des von der Bgin. zugrunde gelegten Wertes von 1.500 DM angesetzt hatte, das Finanzgericht aber die von der Bgin. selbst berücksichtigten Mietwerte der Dienstwohnungen nicht wieder zugerechnet hat, geht die Berechnung des Finanzgerichts von lohnsteuerpflichtigen Bezügen der beiden Vorstandsmitglieder aus, die niedriger sind als die von der Bgin. selbst zugrunde gelegten. Da sich hierdurch eine nicht gerechtfertigte Herabsetzung des unstreitigen Teils des Haftungsbescheids ergibt, führt die Rb. des Vorstehers des Finanzamts zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung der Streitsache an das Finanzamt zur erneuten Entscheidung.
Ob die Haftbarmachung der Bgin. für die Lohnsteuer der beiden Vorstandsmitglieder nicht auch deshalb aufzuheben gewesen wäre, weil es richtiger wäre, die auf die unrichtige Bewertung der Sachbezüge beider Herren entfallende Steuer im Wege der Einkommensteuerveranlagung zu erheben, braucht nicht entschieden zu werden. Nachdem der Lohnsteuerprüfer bei Herrn X. für 1955 und bei Herrn Y. für 1954 und 1955 die Erfassung der richtigen Werte der Sachzuwendungen bei der Einkommensteuerveranlagung vorgeschlagen hat, hätte es nämlich nahegelegen, für 1956 die Steuer für diese Sachbezüge ebenfalls sogleich bei den eigentlichen Steuerschuldnern durch Veranlagung zu erheben. Jedenfalls berührt dieses Urteil nicht die Einkommensteuer der beiden Vorstandsmitglieder, bei denen die Zulässigkeit einer etwaigen Berichtigung der bisherigen Veranlagung nach den allgemeinen Vorschriften zu beurteilen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 410945 |
BStBl III 1963, 574 |
BFHE 1964, 697 |
BFHE 77, 697 |