Leitsatz (amtlich)
Veräußert ein Unternehmer im Laufe eines Voranmeldungszeitraumes sein Unternehmen, so ist er Schuldner der bis zum Zeitpunkt der Veräußerung bewirkten Umsätze einschließlich der aus der Geschäftsveräußerung resultierenden Umsätze mit der Folge, daß der Erwerber des Unternehmens für die Umsatzsteuer, die in bezug auf die vorbezeichneten Umsätze verwirkt worden ist, gemäß § 116 Abs. 1 Ziff. 1 AO als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden kann.
Normenkette
AO § 116 Abs. 1 Nr. 1; UStG 1967 § 13
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb aufgrund Kaufvertrags vom 23. Februar 1969 von der Alleininhaberin einer chemischen Reinigungsanstalt die gesamten Maschinen zum Preis von 40 000 DM zuzüglich 4 400 DM Umsatzsteuer. Der Verkauf erfolgte frei von Schulden und Lasten. Die Verkäuferin hatte für die Überleitung des Mietvertrages hinsichtlich der Betriebsräume Sorge zu tragen. Der Kläger und dessen Nachfolger waren berechtigt, den Betrieb unter dem bisherigen Namen weiterzuführen. Die Übergabe der Maschinen erfolgte Ende Februar. Der Kaufpreis wurde im März 1969 entrichtet. Unmittelbar nach dem Erwerb der Gegenstände hat der Kläger diese an einen Dritten zu demselben Preis übertragen, zu dem er sie erworben hatte.
Nach erfolglosem Versuch, Umsatzsteuerrückstände von der Verkäuferin einzuziehen, nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) durch Bescheid vom 9. Februar 1972 den Kläger wegen folgender Rückstände aus dem erworbenen Betrieb als Haftenden gemäß § 116 Abs. 1 Ziff. 1 AO in Anspruch:
Umsatzsteuer 1968 1 059,80 DM
Umsatzsteuervorauszahlungen Februar 1969 4 950,- DM
Von den rückständigen Vorauszahlungen für den Monat Februar 1969 entfallen 4 400 DM auf die Geschäftsveräußerung. Nach Durchführung der Umsatzsteuerveranlagung 1969 für die Verkäuferin erhöhte das FA durch Bescheid vom 15. Juni 1972 unter Beibehaltung des Haftungsbetrags für Umsatzsteuer 1968 die Haftungssumme wegen rückständiger Umsatzsteuer 1969 um 550 DM (Umsatzsteuer Januar 1969). Der Einspruch, der sich lediglich gegen die Heranziehung zur Haftung für Umsatzsteuer Februar 1969 richtete, hatte keinen Erfolg.
Mit der Klage begehrt der Kläger, unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung den Haftungsbetrag um 4 950 DM zu mindern. Zur Begründung führt der Kläger im wesentlichen aus, § 116 AO beschränke die Haftung auf die vor Betriebsübernahme entstandenen Steuern. Die Umsatzsteuer für die im Monat Februar 1969 getätigten Umsätze sei aber gemäß § 13 UStG 1967 erst mit Ablauf des Monats und damit nach Betriebsübereignung entstanden. Haftung für die aus der Geschäftsveräußerung selbst resultierende Umsatzsteuer komme nicht in Betracht, weil § 85 Abs. 5 UStDB 1951, der die entsprechende Anwendung des § 116 AO bestimmte, durch das UStG 1967 ersatzlos weggefallen sei. Außerdem trägt der Kläger vor, er habe nie beabsichtigt, das Unternehmen wirtschaftlich zu Eigentum zu erwerben und sei nur gewissermaßen als Treuhänder tätig geworden. Letztlich sei auch zweifelhaft, ob der Kläger für die Umsatzsteuer hafte, die auf das Entgelt für den allgemeinen Geschäftswert (4 300 DM) entfalle.
Das FG hat die Klage abgewiesen. Seine Entscheidung ist in EFG 1974, 233 veröffentlicht.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision begehrt der Kläger, unter Aufhebung der Vorentscheidung dem Klageantrag entsprechend zu erkennen. Gerügt wird die Verletzung materiellen Rechts. Unter Berufung auf das Urteil des BFH vom 29. September 1967 VI R 272/66 (BFHE 90, 316, BStBl II 1968, 87) trägt der Kläger vor, es komme allein darauf an, wann die Steuer entstanden sei. Da die Steuer für die Umsätze der Vorgängerin im Monat Februar einschließlich derjenigen auf die Geschäftsveräußerung erst nach Ablauf des Kalendermonats entstanden sei, komme eine Haftung für Umsatzsteuerschulden Februar 1969 nicht in Betracht, weil diese nicht auf die Zeit vor der Übereignung entfielen. Das gelte im besonderen Maße für die Steuer aus der Geschäftsveräußerung, die erst eine gedankliche Sekunde nach der Übereignung entstehen könne. Soweit der Kläger auch zur Haftung bezüglich derjenigen Umsatzsteuer herangezogen worden sei, die auf den Übergang des allgemeinen Geschäftswertes entfalle, liege ein echter Leistungsaustausch von Waren nicht vor.
Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Nach § 116 Abs. 1 Ziff. 1 AO haftet der Erwerber, dem ein Unternehmen oder ein in der Gliederung des Unternehmens gesondert geführter Betrieb im ganzen übereignet wird, neben dem früheren Unternehmer für Steuern, bei denen die Steuerpflicht sich auf den Betrieb des Unternehmens gründet. Voraussetzung der Haftung ist, daß die Steuern auf die Zeit seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Steuerabschnitts oder Kalenderjahres entfallen.
1. Zutreffend hat das FG im Ergebnis dem vom Kläger behaupteten Umstand, er sei gewissermaßen als Treuhänder desjenigen aufgetreten, auf den er das Unternehmen unverzüglich weiterübertragen hat, keine Bedeutung zugemessen. Entgegen der Ansicht des FG kommt es auf die umsatzsteuerrechtliche Frage der Zurechnung von Umsätzen an den nach außen Auftretenden nicht an; die Entscheidung hat sich allein an § 116 Abs. 1 AO zu orientieren. Anknüpfungspunkt für die Haftung ist die "Übereignung" des Unternehmens bzw. gesondert geführten Betriebs im ganzen. Als Erwerber ist damit derjenige anzusprechen, der zivilrechtlich Rechtsinhaber geworden ist, also auch der Treuhänder. Da es im Rahmen des § 116 Abs. 1 AO nicht darauf ankommt, zu welchem Zweck derjenige, dem ein "lebender" Betrieb im ganzen übereignet wurde, diesen erworben hat (Urteil des RFH vom 25. September 1942 V 17/42, RStBl 1942, 1012; Urteile des BFH vom 28. November 1973 I R 129/71, BFHE 111, 17, BStBl II 1974, 145, und vom 4. Februar 1974 IV R 172/70, BFHE 112, 110, BStBl II 1974, 434), schließt die auftragsgemäße Herausgabe des erworbenen Unternehmens oder Betriebs an den Treugeber die Haftung nicht aus. Etwaige Ersatzpflichten berühren nur das - hier nicht relevante - Innenverhältnis zwischen Treugeber und Treuhänder.
2. Das FG hat auch im Ergebnis zutreffend die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme des Klägers für die Umsatzsteuervorauszahlungsschuld Februar 1969 des Veräußerers bejaht.
a) Die Steuerpflicht gründet sich "auf den Betrieb des Unternehmens", wenn sie durch bestimmte, in den einzelnen Steuergesetzen selbst bezeichnete Tatbestände daran geknüpft ist (so schon RFH-Urteil vom 15. Juni 1927 IV A 192/27, RFHE 21, 217, ständige Rechtsprechung). Diese Voraussetzung ist bei der Umsatzsteuer gegeben (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 UStG 1967), und zwar nicht nur für die Steuer auf die "laufenden" Umsätze, sondern auch für die aus der Geschäftsveräußerung im ganzen resultierende Umsatzsteuer (so auch Eckhardt-Weiß, Umsatzsteuergesetz, § 13 Tz. 4; Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, § 116 Anm. 1 Abs. 4, Anm. 4 Abs. 3; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 116 A 7; anderer Ansicht Tipke-Kruse, Abgabenordnung, Kommentar, 8. Aufl., § 75 AO 1977 Tz. 11; Entscheidung des Niedersächsischen FG vom 24. August 1976, EFG 1977, 135). Die Veräußerung des Unternehmens im ganzen ist der letzte Akt der sich auf seinen Betrieb gründenden Tätigkeit des Unternehmers, der sich in mehreren Einzelleistungen vollzieht. § 85 Abs. 5 UStDB 1951 hat dies nur klargestellt und nicht etwa eine eigene Haftungsbestimmung enthalten, für die es auch an einer Ermächtigungsvorschrift gefehlt hätte (vgl. Heinemann, Umsatzsteuer-Rundschau 1964 S. 192 - UStR 1964, 192).
b) Zweck der Vorschrift des § 116 Abs. 1 AO ist es, die in dem Unternehmen als solche liegende Sicherung für die sich auf seinen Betrieb gründenden Steuern durch den Übergang des Unternehmens in andere Hände nicht verlorengehen zu lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt Entscheidung IV R 172/70).
Der Senat vermag der Auffassung des RFH im Urteil vom 16. Dezember 1932 V A 773/32 (RStBl 1933, 8) nicht zu folgen, daß diese Vorschrift der des § 25 HGB nachgebildet sei und folglich nur für die bei Geschäftsübergang bereits entstandenen Verbindlichkeiten, nicht aber für die durch ihn entstandene Steuer gehaftet werde. Die Zielrichtung der an den Übergang der Firma anknüpfenden (abdingbaren) Haftung nach § 25 HGB ist eine andere; sie bezweckt den Schutz der Gläubiger und ist im Grunde eine besondere Art der Rechtsscheinhaftung. Sie besteht neben § 116 AO und unabhängig von dieser.
c) § 116 Abs. 1 AO begründet in erster Linie die Haftung des Erwerbers, setzt jedoch für deren Umfang eine zeitliche Grenze in die Vergangenheit: Die Steuern, für die gehaftet wird, dürfen nicht auf Steuerabschnitte oder Kalenderjahre vor dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden entfallen. Nicht ausdrücklich angesprochen ist dagegen das Ende des Zeitraums, auf den sich die Haftung für fremde Steuerschuld (nämlich des oder der früheren Unternehmer) erstreckt, weil sich dieses aus der Natur der Sache ergibt. Die Haftung für auf den Betrieb des Unternehmens sich gründende Steuern hat ihr natürliches Ende in dem Zeitpunkt, in dem Steuerschuldnerschaft für diese Steuern eintritt, in dem also - umsatzsteuerrechtlich gesehen - dem Erwerber als Unternehmer die Umsätze zuzurechnen sind, er selbst Steuerschuldner für die auf den Betrieb des Unternehmens sich gründenden Steuern wird. Ohne Bedeutung ist, ob die Steuerschuld als solche vor oder nach der Übereignung entstanden ist (die Entstehung der Steuerschuld ist allerdings eine Voraussetzung, die bei der Inanspruchnahme des Haftenden erfüllt sein muß); maßgebend ist allein, daß der Grund für das Entstehen der Steuerschuld für die sich auf den Betrieb des Unternehmens gründenden Steuern in der Person des früheren Unternehmers gelegt war und dieser damit zum Steuerschuldner wurde. Die Festlegung eines Zeitpunkts für die Entstehung der Steuerschuld ist eine rein rechtstechnische, von praktischen Überlegungen getragene Maßnahme. Besonders deutlich wird dies bei der Umsatzsteuer: Obwohl die Tatbestandsverwirklichung mit der Ausführung der einzelnen Lieferung, der Bewirkung der sonstigen Leistung usw. erfolgt, faßt § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b, Nr. 2 UStG 1967 (wie früher § 3 Abs. 5 Nr. 4 StAnpG) die der Umsatzsteuer unterliegenden Vorgänge eines bestimmten Zeitraumes - nämlich des Voranmeldungszeitraumes - aus praktischen Erwägungen zusammen und verknüpft das Entstehen der Steuerschuld mit dessen Ende. Daraus ergibt sich die Folge, daß die Steuerschuld je nach der Höhe der Steuerschuld des vorangegangenen Kalenderjahres entweder monatlich oder vierteljährlich entsteht (§ 18 Abs. 2 Sätze 1 und 6 UStG 1967), ja sogar antragsgemäß vom FA fixiert werden kann (§ 18 Abs. 2 Satz 7 UStG 1967). Auf den solcherart Zufälligkeiten des Einzelfalls unterworfenen Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld abzustellen, würde dem der Vorschrift des § 116 Abs. 1 AO zugrunde liegenden Sicherungsgedanken (vgl. b) widersprechen und zu einem dem Sinn dieser Vorschrift, die primär die Erwerberhaftung begründet, nicht entsprechenden Haftungsvakuum führen.
Der im Schrifttum weit verbreiteten, meist ohne nähere Begründung vertretenen Auffassung, daß der Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld für den Haftungsumfang maßgeblich sei (so z. B. Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Tz. 11 zu § 116; Tipke-Kruse, a. a. O., 7. Aufl., § 116 AO A 9, 8. Aufl., § 75 AO 1977 Tz. 14; Eckhardt-Weiß, a. a. O.), die auch in der beiläufigen Erwähnung dieses Zeitpunkts in dem Urteil des BFH vom 29. September 1967 VI R 272/66 ihren Niederschlag gefunden hat, vermag sich der Senat deshalb nicht anzuschließen.
3. Soweit der Kläger die Steuerpflicht hinsichtlich der Übertragung des Firmenwerts gegen Entgelt verneint, irrt er. Auch der Firmenwert ist ein übertragbares Wirtschaftsgut mit der Folge, daß der darauf entfallende Mehrbetrag in die umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage (§ 10 Abs. 4 UStG 1967) eingeht.
Fundstellen
Haufe-Index 72683 |
BStBl II 1978, 241 |
BFHE 1978, 90 |