Haftung der Organgesellschaft für nach Beendigung der Organschaft entstandene Steuern
Hintergrund: Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers
Streitig war, ob eine (ehemalige) Organgesellschaft (X-GmbH) auch für die während des Bestehens der Organschaft zwar wirtschaftlich begründet, aber steuerrechtlich noch nicht entstandene USt des Organträgers (A-GmbH) nach § 73 AO in Haftung genommen werden kann.
Am 17.3.2014 wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter über das Vermögen der X-GmbH bestellt. Im Mai 2014 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der bisher vorläufige Verwalter zum Insolvenzverwalter bestellt. Im Juli 2014 wurde über das Vermögen der A-GmbH ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet.
Bei der A-GmbH bestanden im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung über ihr Vermögen USt-Rückstände aus den Voranmeldungen für März 2014.
Das FA meldete deswegen im Insolvenzverfahren der X-GmbH als Organgesellschaft eine Haftungsforderung nach § 73 AO wegen rückständiger USt der A-GmbH für März 2014 zur Insolvenztabelle an. Da der Insolvenzverwalter die Forderung bestritt, erließ das FA einen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO, gegen den der Insolvenzverwalter erfolglos Einspruch erhob.
Das FG gab der Klage statt. Es vertrat die Auffassung, eine Haftung nach § 73 AO für die USt des Voranmeldungszeitraums März 2014 bestehe nicht, da die USt für März 2014 bei Beendigung der Organschaft am 27.3.2014 (aufgrund des vorläufigen Insolvenzverfahrens) rechtlich noch nicht entstanden gewesen sei. Denn die Steuer für die Umsätze im Voranmeldungszeitraum März 2014 sei erst mit Ablauf des 31.3.2014 und damit nicht während des Bestehens der Organschaft entstanden. Auf eine wirtschaftliche oder insolvenzrechtliche Verursachung der Steuer komme es nicht an.
Entscheidung: Keine Haftungsbeschränkung auf während der Organschaft entstandene Steuern
Der BFH widerspricht dem FG. Die Haftung der Organgesellschaft ist nicht auf solche Steuern beschränkt, die während der Dauer der Organschaft entstanden sind. Das FG-Urteil wurde aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen.
Umsatzsteuerliche Organschaft
Nach § 73 Satz 1 AO haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers, "für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist". Ob eine Organschaft in diesem Sinne steuerlich von Bedeutung ist, richtet sich nach dem UStG. Danach wird die Organgesellschaft unselbstständiger Teil des Unternehmens des Organträgers, sodass beide Gesellschaften als ein Unternehmen zu behandeln sind (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG). Grundsätzlich werden damit alle Umsätze der Organgesellschaft dem Organträger zugerechnet. Dieser ist Schuldner der auf diese Umsätze entfallenden USt.
Umfang der Haftung
Steuern des Organträgers, "für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist", liegen demzufolge nach Wortlaut und Systematik von § 73 AO i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Sätze 1 und 3 UStG grundsätzlich dann vor, wenn der Organträger die Umsätze der Organgesellschaft zu versteuern hat und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungsbezüge der Organgesellschaft abziehen kann. Für diese Steuern haftet folglich die Organgesellschaft. Durch den Zugriff auf das Vermögen der Organgesellschaft sollen Steuerausfälle aufgrund von Vermögensverlagerungen innerhalb des Organkreises vermieden werden. Die Haftung rechtfertigt sich daraus, dass die vom Organträger zu zahlende Steuer auch die Beträge umfasst, die ohne Organschaft von der Organgesellschaft geschuldet wären (BFH v. 31.5.2017, I R 54/15, BStBl II 2018 S. 54, Rz. 9).
Ablehnung der Schrifttumsmeinung
Der BFH folgt damit nicht der im Schrifttum (ohne nähere Begründung) vertretenen Auffassung, dass die Haftung der Organgesellschaft nur solche Steueransprüche umfasst, die während der Dauer des Organschaftsverhältnisses entstanden sind (z.B. Boeker, in HHSp, § 73 AO Rz. 20). Die Haftung bezieht sich vielmehr auf die während der Organschaft getätigten Umsätze.
Aufteilung der USt-Forderung
Die Organschaft wurde mit der vorläufigen Insolvenzverwaltung am 27.3.2014 beendet. Die USt-Forderung gegen den (ehemaligen) Organträger (A-GmbH) für den Voranmeldungszeitraum März 2014 umfasst daher zwei Komplexe: die USt betreffend den Organkreis bis zum 27.3.2014 und die eigene USt der A-GmbH ab dem 28.3.2014. Die Forderung des FA ist entsprechend aufzuteilen.
Zurückverweisung an das FG
Das FG hat festzustellen, in welcher Höhe die USt für den Voranmeldungszeitraum März 2014 den Organkreis betrifft. Nur soweit Lieferungen und sonstige Leistungen während des Bestehens der Organschaft ausgeführt wurden, kommt eine Haftung der Organgesellschaft in Betracht. Auch soweit die Berichtigung von USt bzw. Vorsteuer erfolgen muss, kommt es darauf an, wann die Tatbestandsvoraussetzungen dafür vorgelegen haben.
Hinweis: Bestätigung der Verwaltungsregelung
Der BFH bestätigt mit der Entscheidung die Anweisung in AEAO zu § 73 Nr. 3.2. Danach müssen die Steuern während der zeitlichen Dauer der Organschaft verursacht worden sein.
Kein Widerspruch zu Art. 97 § 11 EGAO
Der Insolvenzverwalter hatte noch vorgetragen, aus der Neuregelung in Art. 97 § 11 Abs. 4 Satz 2 EGAO i.d.F. des JStG 2020 v. 21.12.2020 ergebe sich, dass haftungsbegründender Tatbestand des § 73 AO die Entstehung der Steuerschuld oder des Anspruchs auf Erstattung einer Steuervergütung sei. Der Verweis in 97 § 11 Abs. 4 Satz 2 EGAO bezieht sich jedoch auf den neu eingefügten § 73 Satz 2 AO (Gesetz v. 12.12.2019, BGBl I 2019 S. 2451). Diese Regelung betrifft nicht die umsatzsteuerliche Organschaft, weil es eine mehrstufige umsatzsteuerliche Organschaft in diesem Sinne nicht gibt.
BFH Urteil vom 05.04.2022 - VII R 18/21 (veröffentlicht am 08.09.2022)
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