Leitsatz (amtlich)
Bei der Steuervergünstigung für Nebeneinkünfte aus selbständiger wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit sind die nach § 3 Nr. 41 EStG 1969 wegen eines Doppelbesteuerungsabkommens steuerbefreiten Einkünfte des Steuerpflichtigen in die Berechnung nach § 34 Abs. 4 Nr. 1 EStG 1969, wonach die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder aus Berufstätigkeit die übrigen Einkünfte überwiegen müssen, einzubeziehen.
Normenkette
EStG 1969 § 34 Abs. 4, § 3 Nr. 41
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1970 ordentlicher Professor an der inländischen Universität X. Von Mai 1970 bis Anfang Dezember 1970 hatte er eine Gastprofessur in Kanada. Er war ferner im Jahre 1970 bei inländischen Institutionen als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Gutachter und Autor tätig. Er bezog folgende Einkünfte:
Aus selbständiger Arbeit 20 000 DM
aus nichtselbständiger Arbeit
Universität X 19 000 DM
Universität in Kanada - umgerechnet - 30 000 DM
aus Kapitalvermögen 500 DM
Der Kläger beantragte für seine Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit die Steuervergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG. Er ist der Ansicht, daß bei der Berechnung des Überwiegens der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit die in Kanada erzielten Einkünfte mitberücksichtigt werden müssen.
Bei der Veranlagung 1970 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Einkünfte des Klägers aus Kanada nicht an; bei der Steuerberechnung wurde dem Progressionsvorbehalt It. Art. 16 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen vom 4. Juni 1956 - DBA-Kanada - (BGBl II 1957, 187, BStBl I 1957, 254) Rechnung getragen; insoweit besteht kein Streit zwischen den Beteiligten.
Die beantragte Steuervergünstigung für Nebeneinkünfte aus selbständiger wissenschaftlicher Tätigkeit versagte das FA. Es ist der Ansicht, daß die Einkünfte des Klägers aus Kanada bei der Prüfung nach § 34 Abs. 4 Nr. 1 EStG außer Ansatz bleiben müssen.
Nach erfolglosem Einspruch hatte die Klage Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gewährte für die Nebeneinkünfte aus selbständiger wissenschaftlicher Tätigkeit die Steuervergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG, weil - nach Einbeziehung der in Kanada erzielten Einkünfte - die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit die übrigen Einkünfte überwögen. Das FG führte zur Begründung seiner in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1976 S. 130 (EFG 1976, 130) veröffentlichten Entscheidung u. a. aus:
Es müsse berücksichtigt werden, daß der durch Art. 16 Abs. 2 DBA-Kanada geschaffene Progressionsvorbehalt eine Tarifvorschrift sei, die durch Ratifikationsgesetz innerstaatliches Recht geworden sei. Wenn damit der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) das Recht vorbehalten sei, bei der Festsetzung des anzuwendenden Steuersatzes die steuerfreien Einkünfte mit zu berücksichtigen, so müsse auch bei der Besteuerung der außerordentlichen Einkünfte ein "anwendbarer Steuersatz" gefunden werden. Es sei daher kein Grund ersichtlich, den Progressionsvorbehalt bei der Besteuerung nichtbegünstigter Einkünfte zu berücksichtigen und bei der Ermittlung des Steuersatzes für außerordentliche Einkünfte als nicht vorhanden zu übergehen. Bei der Prüfung, ob die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit die übrigen Einkünfte überwögen, müßten deshalb auch die steuerfreien Einkünfte des Klägers aus Kanada miteinbezogen werden.
Die wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision begründet das FA u. a. wie folgt:
Das FG-Urteil verletze § 34 Abs. 4 Nr. 1 EStG. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung würden "Einkünfte" i. S. des § 2 Abs. 3 EStG miteinander verglichen. Steuerfreie Einnahmen, auch solche nach § 3 Nr. 41 EStG, ließen keine Einkünfte entstehen; dafür aufgebrachte Betriebsausgaben oder Werbungskosten seien nach § 3c EStG auch nicht abzugsfähig. Daraus ergebe sich, daß steuerfreie Einnahmen nicht in den Vergleich nach § 34 Abs. 4 Nr. 1 EStG einbezogen werden könnten. - Diese Auslegung sei auch praktikabel. Bei Einbeziehung der nach § 3 Nr. 41 EStG steuerfreien Einnahmen in die Überwiegensprüfung müßte in jedem Fall geprüft werden, ob die ausländischen Gewinnermittlungsvorschriften den deutschen Vorschriften entsprächen und ob die Einkünfte als Einkünfte aus nichtselbständiger oder aus freiberuflicher Tätigkeit zu qualifizieren seien.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er meint, auch bei Einkünften aus ausländischen Quellen, die zwar nach einem Doppelbesteuerungsabkommen steuerfrei, aber nach dem sogenannten Progressionsvorbehalt bei der Ermittlung des Steuersatzes des unbeschränkt Steuerpflichtigen zu berücksichtigen seien, könnten Ausgaben abgezogen werden. Ferner wendet er sich gegen das Argument des FA, die im Ausland erzielten Einkünfte seien nach der entsprechenden Einkunftsart nicht genau zu qualifizieren. Ein Professor, der an einer Universität lehre, werde auch in Kanada nur Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit haben. Außerdem liege im allgemeinen ein ausländischer Steuerbescheid vor, aus dem die entsprechende Einkunftsart ersehen werden könne. Der Einbeziehung steuerfreier Einkünfte nach § 3 Nr. 41 EStG in die Überwiegensprüfung nach § 34 Abs. 4 Nr. 1 EStG stehe daher nichts im Wege.
Entscheidungsgründe
Die Revision kann keinen Erfolg haben. Das FG hat mit Recht die in Kanada erzielten Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit in die Überwiegensprüfung nach § 34 Abs. 4 Nr. 1 EStG miteinbezogen.
Die Beantwortung der Frage, ob Einkommensteile, die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen steuerbefreit sind, auch bei der Anwendung des § 34 Abs. 4 Nr. 1 EStG außer Betracht zu bleiben haben, kann nicht allein aus § 3 Nr. 41 EStG entnommen werden; sie muß vielmehr nach § 34 Abs. 4 EStG und dessen Sinn und Zweck beurteilt werden. Diese Bestimmung nennt als Voraussetzung für die Tarifvergünstigung der Nebeneinkünfte aus selbständiger wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit das Überwiegen der "Haupt"-Einkünfte - hier also derjenigen aus nichtselbständiger Arbeit - über die übrigen Einkünfte. Darin kommt der Wille des Gesetzes zum Ausdruck, nicht alle zusätzlichen Einkünfte aus selbständiger wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit zu begünstigen, sondern nur diejenigen der Bezieher bestimmter "Haupt"-Einkünfte, bei denen außerdem diese "Haupt"-Einkünfte höher sind als alle übrigen Einkünfte insgesamt. Stellt das Gesetz somit darauf ab, daß der nach § 34 Abs. 4 EStG zu begünstigende Steuerpflichtige Einkünfte bestimmter Art und bestimmten Umfangs beziehen muß, es also ersichtlich sein muß, daß die die einkommensteuerrechtliche Besteuerung auslösende Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen überwiegend auf den genannten "Haupt"-Einkünften beruht, so ist es folgerichtig, in die Beurteilung dieser Leistungsfähigkeit des unbeschränkt Steuerpflichtigen alle seine Einkünfte einzubeziehen, also auch solche, die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen im Inland nicht zu besteuern sind.
Davon bleibt die Regelung in Abschn. 5 Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) u. f., nach der steuerfreie Einnahmen (z. B. §§ 3 und 3a EStG) dort außer Betracht bleiben sollen, wo im Einkommensteuergesetz bestimmte Einkunftsgrenzen oder Einkommensgrenzen von Bedeutung sind, unberührt. Das gleiche gilt von der Regelung in Abschn. 186 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 EStR 1975, entsprechend dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. September 1977 VI R 105/75 (BFHE 123, 335, BStBl II 1978, 9), nach der aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens steuerfreie Einkünfte bei der Ermittlung der zumutbaren Eigenbelastung (als bestimmter Anteil des Einkommens i. S. der § 33 Abs. 1 EStG und § 64 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV - 1969 bzw. des Gesamtbetrages der Einkünfte i. S. des § 33 Abs. 1 und 3 EStG 1975) außer Ansatz bleiben. Denn im Streitfall handelt es sich nicht um Einkunfts- oder Einkommensgrenzen, sondern um die aus Sinn und Zweck des Gesetzes folgenden Voraussetzungen für die Anwendung der Steuervergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG, wobei mit dem Überwiegen der "Haupt"-Einkünfte die Beschränkung der Steuervergünstigung auf wirkliche "Neben"-Einkünfte gesichert sein muß.
Diese Forderung, bei der Überwiegensberechnung des § 34 Abs. 4 Nr. 1 EStG die nach § 3 Nr. 41 EStG steuerfreien Einkünfte einzubeziehen, führt dazu, die Voraussetzungen der Steuervergünstigung unabhängig von dem Vorhandensein oder der Ausgestaltung eines Doppelbesteuerungsabkommens zu beurteilen. Damit ergibt sich eine klare und dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gerechter werdende Anwendung der Steuervergünstigung als nach dem Revisionsbegehren des FA. Kann nicht zweifelhaft sein, daß die Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus einem ausländischen Staat, mit dem kein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen ist, in die Überwiegensberechnung des § 34 Abs. 4 Nr. 1 EStG einzubeziehen sind, so ist kein Grund ersichtlich, weshalb durch den Abschluß eines Doppelbesteuerungsabkommens und die dadurch bedingte Zuweisung der Besteuerung von Einkünften an den ausländischen Staat die für die Steuervergünstigung wichtige Relation zwischen "Haupt"-Einkünften und Nebeneinkünften verschoben werden oder auch von der Vereinbarung oder Nichtvereinbarung eines Progressionsvorbehalts abhängig sein sollte.
Das FG hat somit zu Recht die Voraussetzungen des § 34 Abs. 4 Nr. 1 EStG für die begünstigte Besteuerung der Nebeneinkünfte des Klägers aus selbständiger wissenschaftlicher Tätigkeit bejaht.
Fundstellen
Haufe-Index 73442 |
BStBl II 1980, 237 |
BFHE 1980, 471 |