Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückstellungen für Prozeßzinsen: nicht für am Bilanzstichtag noch nicht anhängige Verfahren - Prozeßkostenrückstellung: Verbindlichkeitsrückstellung, Erfordernis der Rechtsmitteleinlegung vor oder nach Bilanzstichtag - Rückstellung für Resturlaubsverpflichtung: kein Ansatz der Vollkosten, Geldleistungsanspruch, kein allgemeiner Zwang zur Verlustantizipation, keine entsprechende Anwendung des § 253 Abs. 3 HGB - Rückstellung für betriebliche Altersvorsorge nach § 16 BetrAVG und künftige Beitragsverpflichtungen gegenüber Pensionssicherungsverein
Leitsatz (amtlich)
1. Künftige Prozeßkosten für ein am Bilanzstichtag noch nicht anhängiges Berufungsverfahren oder Revisionsverfahren können grundsätzlich nicht zurückgestellt werden.
2. Prozeßzinsen, die für die Dauer eines am Bilanzstichtag noch nicht anhängigen Rechtsmittelverfahrens künftig entstehen können, können zu diesem Stichtag noch nicht zurückgestellt werden.
3. Rückständige Urlaubsverpflichtungen sind in Höhe des Urlaubsentgelts zu passivieren, das der Arbeitgeber hätte aufwenden müssen, wenn er seine Zahlungsverpflichtung bereits am Bilanzstichtag erfüllt hätte (Bestätigung der BFH-Urteile vom 8. Juli 1992 XI R 50/89, BFHE 168, 329, BStBl II 1992, 910, und vom 10. März 1993 I R 70/91, BFHE 170, 433, BStBl II 1993, 446).
4. Eine sich aus § 16 BetrAVG ergebende künftige Rentenanpassungspflicht kann die Pensionsrückstellung nicht erhöhen.
5. Für künftige Beiträge an den Pensionssicherungsverein darf keine Rückstellung gebildet werden (Bestätigung des BFH-Urteils vom 13. November 1991 I R 102/88, BFHE 166, 222, BStBl II 1992, 336).
Orientierungssatz
1. Der Senat hält an der BFH-Rechtsprechung, wonach bei einem schwebenden Zivilprozeß eine Rückstellung für Prozeßkosten zu bilden ist, die sich der Höhe nach nach den entstandenen und noch zu erwartenden Kosten der jeweils angerufenen Instanz richtet, im Grundsatz fest. Der Senat sieht jedoch in Abweichung vom BFH-Urteil vom 27.5.1964 IV 352/62 U die Prozeßkostenrückstellung als Verbindlichkeitsrückstellung und nicht als Rückstellung wegen drohender Verluste an.
2. Unabdingbares und damit wesentliches Tatbestandsmerkmal für das Entstehen von Prozeßkostenverpflichtungen für eine spätere Instanz ist die Einlegung des Rechtsmittels (Ausführungen zur gegenteiligen Meinung im Schrifttum). Für die Entstehung von Rechtsmittelkosten kann keinesfalls nach Aktivprozessen oder Passivprozessen unterschieden werden. Andererseits könnte erwogen werden, von einer wirtschaftlichen Erfüllung der wesentlichen Tatbestandsmerkmale bereits dann auszugehen, wenn sich unter Würdigung der Gesamtumstände die tatsächliche Rechtsmitteleinlegung am Bilanzstichtag nur noch als selbstverständliche, rein formale Handlung darstellt. Dies kann nur dann der Fall sein, wenn die das Verfahren abschließende Entscheidung zum Bilanzstichtag bereits vorliegt; die tatsächliche Rechtsmitteleinlegung nach dem Bilanzstichtag kann insoweit als sog. werterhellender Faktor berücksichtigt werden. Für sog. Musterprozesse gilt nichts anderes.
3. Bei der Berechnung der Urlaubsrückstellung ist es ausgeschlossen, Lohnerhöhungen im Folgejahr bzw. Kostenüberlegungen je geleisteter Arbeitszeiteinheit im Folgejahr bereits am Bilanzstichtag zu berücksichtigen. Anderes kann nur gelten, wenn aus dem Arbeitsverhältnis im Folgejahr insgesamt ein Verlust droht. Bei der Pflicht zur Gewährung von Urlaub steht bilanzrechtlich die Geldleistungsverpflichtung und nicht die Sachleistungsverpflichtung im Vordergrund. Ein Ansatz der Vollkosten ist somit nicht möglich.
4. Es besteht kein allgemeiner Zwang zur Verlustantizipation. Einer solchen Annahme steht das Bilanzstichtagsprinzip entgegen. Soweit die Notwendigkeit einer Verlustantizipation für die Berechnung einer Urlaubsrückstellung aus § 253 Abs. 3 HGB abgeleitet wird (vgl. Schrifttum), bleibt darauf hinzuweisen, daß diese Vorschrift nur für Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens gilt (vgl. BFH-Urteil vom 9.11.1994 I R 68/ 92).
5. Der Auffassung, die Verpflichtung zur Anpass
Normenkette
BetrAVG §§ 7, 10, 16; BGB § 284 Abs. 1, §§ 288, 291; EStG § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1, § 6a Abs. 3 S. 2 Nr. 1 S. 4; HGB §§ 249, 253 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. 1. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine AG, bildete zum 31. Dezember 1985 Rückstellungen für Prozeßrisiken, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) nur teilweise anerkannte:
a) Prozeß A:
Die Firma A hatte die Klägerin in dritter Instanz erfolgreich u.a. auf Unterlassung des Vertriebs von ... verklagt. A erhob anschließend Klage auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von ursprünglich 8,4 Mio DM, die in erster Instanz in Höhe von 270 000 DM und in zweiter Instanz in Höhe von 2,15 Mio DM (Berufungsbegehren noch 3 Mio DM) Erfolg hatte. Zum 31. Dezember 1985 war der Rechtsstreit in erster Instanz anhängig. Das FA erkannte weder die für die zweite und dritte Instanz zurückgestellten Prozeßkosten noch die nach den Berechnungen der Klägerin für die zweite und dritte Instanz sich ergebenden Prozeßzinsen an.
b) Prozeß B:
Die Klägerin bildete Prozeßkostenrückstellungen für die erste, zweite und dritte Instanz. Das FA erkannte die Rückstellung für die dritte Instanz nicht an. Tatsächlich wurde der Rechtsstreit bis zum Bundesgerichtshof (BGH) geführt, der das klagestattgebende Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) aufhob und die Sache zurückverwies. 1989 wurde die Klage von B unter Übernahme der Kosten und einer Ersatzleistung in Höhe von 100 000 DM zurückgenommen.
c) Prozeß C:
Dieser Rechtsstreit war am 31. Dezember 1985 in zweiter Instanz anhängig. Die Klägerin stellte wiederum die voraussichtlichen Prozeßkosten für die dritte Instanz zurück, was das FA nicht anerkannte. Der BGH ließ 1987 die Revision der Klägerin nicht zu. Letztlich verpflichtete sich die Klägerin zur Zahlung von 100 000 DM im Vergleichsweg.
d) Prozeß D:
Dieser Prozeß war am 31. Dezember 1985 in erster Instanz anhängig. Die von der Klägerin zurückgestellten Prozeßkosten für die zweite und dritte Instanz erkannte das FA nicht an. Der Rechtsstreit wurde nach Berufung durch Vergleich zugunsten der Klägerin beendet.
e) Prozeß E: (Klage und Widerklage)
Auch dieser Prozeß befand sich am Bilanzstichtag in erster Instanz. Die für die zweite und dritte Instanz zurückgestellten Prozeßkosten erkannte das FA nicht an. Der Prozeß ging 1987 in zweiter Instanz zugunsten der Klägerin aus.
2. Die Klägerin bildete ferner zum 31. Dezember 1985 eine Rückstellung wegen Urlaubsverpflichtung, die das FA nur teilweise anerkannte. Die Beteiligten einigten sich zwar auf eine anteilige Berücksichtigung des 13. Monatsgehalts, der Zuführung zur Pensionsrückstellung und für Mitarbeiterjubiläen und die durchschnittlichen Basisarbeitstage. Die Klägerin begehrte jedoch, den Ansatz des FA um 133 000 DM zu erhöhen, weil im Folgejahr, bezogen auf die tatsächlichen Arbeitstage, ein relativ höherer Aufwand anfalle.
3. Die Klägerin war Mitglied des Pensionssicherungsvereins (PSV). Die Klägerin hatte bereits in früheren Wirtschaftsjahren Rückstellungen wegen der sich aus § 16 des Gesetzes über die Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) ergebenden Anpassungsverpflichtung gebildet. Dieser Rückstellung führte sie im Streitjahr 1985 einen Betrag von 313 563 DM zu. Außerdem stellte sie 28 215 DM für zu erwartende Beitragsumlagen des PSV anläßlich der bis zum 31. Dezember 1985 eingetretenen Insolvenzfälle zurück. Das FA erkannte diese Rückstellungszuführungen nicht an.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1995, 558).
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts und beantragt sinngemäß, unter Änderung des Gewerbesteuer-Meßbetragsbescheids für 1985 den einheitlichen Steuermeßbetrag für 1985 entsprechend der Revisionsbegründung festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Prozeßkosten
Mit Urteilen vom 27. Mai 1964 IV 352/62 U (BFHE 80, 8, BStBl III 1964, 478) und vom 24. Juni 1970 I R 6/68 (BFHE 100, 20, BStBl II 1970, 802) hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, daß bei einem schwebenden Zivilprozeß eine Rückstellung für Prozeßkosten zu bilden sei, die sich der Höhe nach nach den entstandenen und noch zu erwartenden Kosten der jeweils angerufenen Instanz richtet. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung im Grundsatz fest (zustimmend auch Schmidt/ Weber-Grellet, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., § 5 Rdnr.550 "Prozeßkosten"; Blümich/Schreiber, Einkommensteuergesetz, § 5 Rdnr.920 "Prozeßkosten"; Littmann/Bitz/Hellwig, Einkommensteuerrecht, §§ 4, 5 EStG Rdnr.949 "Rückstellung für Prozeßkosten"; Lambrecht in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 5 D 400 "Prozeßkosten"; Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, 4. Aufl., § 249 HGB Rdnr.350 --20--). Er sieht allerdings in Abweichung zur Entscheidung in BFHE 80, 8, BStBl III 1964, 478 die Prozeßkostenrückstellung als Verbindlichkeitsrückstellung und nicht als Rückstellung wegen drohender Verluste an.
Rückstellungen für dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewisse Verbindlichkeiten sind im allgemeinen zu bilden, wenn sie gegenüber einem Dritten bestehen bzw. entstehen werden, im abgelaufenen Jahr entweder rechtlich entstanden oder zumindest wirtschaftlich verursacht sind und wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, daß der Steuerpflichtige hieraus in Anspruch genommen wird. Wahrscheinlich ist die Inanspruchnahme, wenn hierfür mehr Gründe dafür als dagegen sprechen (so ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH-Urteile vom 28. Juni 1989 I R 86/85, BFHE 157, 416, BStBl II 1990, 550; vom 1. August 1984 I R 88/80, BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44 m.w.N.; vom 19. Oktober 1993 VIII R 14/92, BFHE 172, 456 m.w.N.; vom 30. Juni 1983 IV R 41/81, BFHE 140, 30, BStBl II 1984, 263; vom 2. Oktober 1992 III R 54/91, BFHE 169, 423, BStBl II 1993, 153). Die genannten Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.
Künftige Prozeßkosten für ein am Bilanzstichtag noch nicht anhängiges Verfahren können grundsätzlich nicht zurückgestellt werden, weil die Pflicht zur Kostentragung --mangels entsprechenden Kostenausspruchs-- noch nicht rechtlich entstanden und auch ihr (künftiges) Entstehen nicht im abgelaufenen Wirtschaftsjahr wirtschaftlich verursacht ist. Eine wirtschaftliche Verursachung setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH voraus, daß die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale für das Entstehen der Verbindlichkeit bereits am Bilanzstichtag erfüllt sind und das zivilrechtliche Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 13. November 1991 I R 102/88, BFHE 166, 222, BStBl II 1992, 336; vom 19. Mai 1987 VIII R 327/83, BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848; in BFHE 142, 226, BStBl II 1985, 44 m.w.N.; vom 25. März 1992 I R 69/91, BFHE 168, 527, BStBl II 1992, 1010; vom 25. August 1989 III R 95/87, BFHE 158, 58, BStBl II 1989, 893). Unabdingbares und damit wesentliches Tatbestandsmerkmal für das Entstehen von Prozeßkostenverpflichtungen für eine spätere Instanz ist die Einlegung des Rechtsmittels. Nach dem Grundsatz der Einzelbewertung ist zu unterscheiden zwischen der Passivierung einer (ungewissen) Leistungs- oder Schadensersatzverpflichtung, für die der Rechtsgrund im abgelaufenen Wirtschaftsjahr gelegt wurde und der ungewissen Verpflichtung zur Tragung von Prozeßkosten. Die einen Schadensersatz begründende Handlung ist zwar wesentliches Tatbestandsmerkmal für die Entstehung einer Schadensersatzverpflichtung (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteil in BFHE 169, 423, BStBl II 1993, 153 m.w.N.). Sie allein läßt aber noch keine wirtschaftliche Verpflichtung zur Tragung künftiger Prozeßkosten entstehen. Hierzu bedarf es grundsätzlich erst der Erhebung der Klage oder der Einlegung eines Rechtsmittels, sei es durch den Steuerpflichtigen oder den Prozeßgegner.
In der Literatur wird die Auffassung des BFH unter Hinweis auf das Vorsichtsprinzip überwiegend als zu eng abgelehnt. Es müsse ausreichen, wenn am Bilanzstichtag bereits ein Streit erkennbar sei und nach den Umständen des Falles damit gerechnet werden müsse, daß die Streitfrage in einem gerichtlichen Verfahren ausgetragen werde. Dabei wird teilweise auch zwischen Aktiv- und Passivprozessen unterschieden (vgl. z.B. Lempenau, Steuerberater-Jahrbuch --StbJb-- 1978/79, 149, 175; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 5 EStG Rdnr.719; Glade, Rechnungslegung und Prüfung nach dem Bilanzrichtliniengesetz 1986, § 253 Rdnr.752; Stengel, Betriebs-Berater --BB-- 1993, 1403; Schuhmann, Die Information über Steuer und Wirtschaft --Inf-- 1980, 175; Clemm/Nonnenmacher in Beck'scher Bilanzkommentar, 3. Aufl., § 249 HGB Rdnr.100). Da in der ständigen Rechtsprechung des BFH die wesentliche wirtschaftliche Verursachung der Verbindlichkeit im abgelaufenen Jahr und die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme kumulativ für die Bildung einer Rückstellung vorausgesetzt werden, kann der Senat der Kritik, soweit sie beide Merkmale vermengt oder im Ergebnis nur noch auf die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme abstellt, nicht zustimmen. Andererseits könnte erwogen werden, von einer wirtschaftlichen Erfüllung der wesentlichen Tatbestandsmerkmale für das Entstehen der Prozeßkostenpflicht bereits dann auszugehen, wenn sich unter Würdigung der Gesamtumstände die tatsächliche Einlegung des Rechtsmittels am Bilanzstichtag nur noch als selbstverständliche und daher rein formale Handlung darstellt. Solange die das anhängige Verfahren abschließende Entscheidung aber noch nicht ergangen ist, ist das nicht der Fall. Liegt sie allerdings zum Bilanzstichtag vor, so kann die tatsächliche Rechtsmitteleinlegung nach dem Bilanzstichtag als sog. werterhellender Faktor berücksichtigt werden.
Für sog. Musterprozesse gilt nichts anderes. Die Frage, ob ein Verfahren durch sämtliche Instanzen läuft, hängt von einer Vielzahl tatsächlicher und rechtlicher Faktoren ab: Unterliegen im anhängigen Verfahren bzw. Obsiegen und tatsächliches Einlegen von Rechtsmitteln durch den Prozeßgegner; Überzeugungskraft des erst- oder zweitinstanzlichen Urteils; Vergleichsbereitschaft der Prozeßbeteiligten; Vergleichsbemühungen des Gerichts; Ergehen einer einschlägigen höchstrichterlichen Entscheidung u.ä. Insbesondere wird auch ein Musterprozeß nicht ohne Einschätzung des Prozeßrisikos durch die jeweiligen Prozeßbeteiligten durchgezogen. Ferner hat sich die Einschätzung des Prozeßrisikos nach Ergehen einer die Instanz abschließenden Entscheidung jeweils neu zu orientieren (vgl. auch Blümich/Schreiber, a.a.O., § 5 Rdnr.920 "Prozeßkosten"). Keinesfalls kann für die Frage nach dem Entstehen von Rechtsmittelkosten nach Aktiv- und Passivprozessen unterschieden werden, da --solange das Verfahren der unteren Instanz noch nicht entschieden ist-- nicht festzustellen ist, ob der Steuerpflichtige in der nächsten Instanz Rechtsmittelkläger oder -beklagter sein wird. Soweit im Urteil des FG Feststellungen zum jeweiligen Verfahrensausgang vorliegen (Prozesse B, C, D), ist in Übereinstimmung mit den aufgezeigten Grundsätzen festzustellen, daß letztlich drei der fünf streitigen Prozesse vergleichsweise bereinigt wurden und keineswegs --trotz Rückstellung der Kosten für die dritte Instanz-- jeweils der volle Instanzenzug ausgeschöpft wurde (vgl. Prozesse D, E).
Die weiteren Fragen, inwieweit die Klägerin nur ungewisse Verbindlichkeiten gegenüber Dritten oder eigenen Aufwand zurückstellte und ob es wahrscheinlich ist, daß sie letztlich die (gesamten) Prozeßkosten zu tragen hat (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 11. November 1964 I 406, 421/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1965, 178), können unbeantwortet bleiben.
2. Prozeßzinsen
Die Prozeßzinsen, die für die Dauer eines am Bilanzstichtag noch nicht anhängigen Rechtsmittelverfahrens entstehen, können aus entsprechenden Erwägungen nicht zurückgestellt werden.
Gemäß § 291 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) bzw. § 288 i.V.m. § 284 Abs. 1 Satz 2 BGB hat ein Schuldner eine Geldschuld vom Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen. Wesentliches wirtschaftliches Tatbestandsmerkmal für die Höhe der Zinsschuld ist der Zeitablauf seit Rechtshängigkeit (§ 291 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB). Unterstellt, die Klägerin schuldete den von A eingeklagten Schadensersatz, so wären die Prozeßzinsen nur insoweit wirtschaftlich im abgelaufenen Jahr verursacht, als Zeit seit Klageerhebung abgelaufen ist. Weitere Zinsen, die bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluß anfallen, sind erst durch den Zeitablauf nach dem Bilanzstichtag veranlaßt. Insoweit gilt nichts anderes als für jede andere Zinsverbindlichkeit auch (vgl. z.B. Darlehenszinsen; BFH-Urteil vom 24. Mai 1984 I R 166/78, BFHE 141, 176, BStBl II 1984, 747 unter 2.8.).
3. Urlaubsrückstellung
Mit Urteilen vom 8. Juli 1992 XI R 50/89 (BFHE 168, 329, BStBl II 1992, 910 m.w.N.) und vom 10. März 1993 I R 70/91 (BFHE 170, 433, BStBl II 1993, 446 m.w.N.) hat der BFH entschieden, daß rückständige Urlaubsverpflichtungen als sog. Erfüllungsrückstand zurückzustellen ist und daß die Höhe der Rückstellung sich nach dem Urlaubsentgelt bestimmt, das der Arbeitgeber hätte aufwenden müssen, wenn er seine Zahlungsverpflichtung bereits am Bilanzstichtag erfüllt hätte. Danach ist es ausgeschlossen, Lohnerhöhungen im Folgejahr bzw. Kostenüberlegungen je geleisteter Arbeitszeiteinheit im Folgejahr bereits am Bilanzstichtag zu berücksichtigen. Anderes kann nur gelten, wenn aus dem Arbeitsverhältnis im Folgejahr insgesamt ein Verlust droht. Daß letzteres der Fall sein könnte, hat die Klägerin nicht vorgetragen.
Diese Rechtsprechung hat Kritik erfahren. Insbesondere mit dem Hinweis, daß die Gewährung von Urlaub eine Sachleistungsverpflichtung sei, wird der Ansatz der Vollkosten begründet (vgl. aus jüngster Zeit: z.B. Müller, Der Betrieb --DB-- 1993, 1581 m.w.N.). Der Senat hält dieses Argument nicht für durchschlagend. Die Pflicht zur Urlaubsgewährung beinhaltet die Pflicht zur Gewährung arbeitsfreier Tage und zur Zahlung des Lohns trotz fehlender Arbeitsleistung. Sie enthält damit sowohl Merkmale einer Sach- als auch einer Geldleistungsschuld. Die Gewährung arbeitsfreier Tage als solche stellt sich nicht als wirtschaftliche Belastung dar. Eine solche wird sie erst durch die Pflicht zur Lohnfortzahlung. Da nur die wirtschaftliche Belastung rückstellungsfähig ist, steht bilanzrechtlich die Geldleistungsverpflichtung im Vordergrund.
Es besteht auch kein allgemeiner Zwang zur Verlustantizipation. Einer solchen Annahme stünde schon das Bilanzstichtagsprinzip entgegen. Soweit die Notwendigkeit einer Verlustantizipation für den Streitfall aus § 253 Abs. 3 des Handelsgesetzbuches (HGB) abgeleitet wird (so Körner, Buchführung, Bilanz und Kostenrechnung, Fach 17, 1492), bleibt darauf hinzuweisen, daß diese Vorschrift nur für Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens gilt (vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom 9. November 1994 I R 68/92, BFHE 176, 239, BStBl II 1995, 336 m.w.N.).
4. Rückstellung wegen Rentenanpassungsverpflichtung gemäß § 16 BetrAVG
Eine sich aus § 16 BetrAVG ergebende künftige Rentenanpassungspflicht kann nicht die Pensionsrückstellung erhöhen.
Gemäß § 6a Abs. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) darf eine Pensionsrückstellung höchstens mit dem Teilwert i.S. des Abs. 3 Nr. 1 angesetzt werden. Erhöhungen oder Verminderungen der Pensionsleistungen nach dem Schluß des Wirtschaftsjahres, die hinsichtlich des Zeitpunkts ihres Wirksamwerdens oder ihres Umfangs ungewiß sind, sind bei der Berechnung des Barwertes der künftigen Pensionsleistungen und der Jahresbeträge erst zu berücksichtigen, wenn sie eingetreten sind (§ 6a Abs. 3 Nr. 1 Satz 4 EStG). Die gesetzlich vorgeschriebenen künftigen Rentenanpassungen sind zumindest ihrem Umfang nach ungewiß.
Gemäß § 16 BetrAVG hat der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden; dabei sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Schon die Formulierung "nach billigem Ermessen" verdeutlicht die Ungewißheit künftiger Rentenerhöhungen. Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ergibt sich nichts anderes. Danach hat der (frühere) Arbeitnehmer einen Anspruch auf Anpassung seiner Rente, die sich der Höhe nach am Lebenshaltungskostenindex bzw. Kaufkraftschwund richtet, aber durch die Einkommenssteigerungen, die vergleichbare Arbeitnehmer während des Betrachtungszeitraums erzielen, begrenzt ist (vgl. BAG-Urteile vom 16. Dezember 1976 3 AZR 795/75, BAGE 28, 279, DB 1976, 1435; vom 14. Februar 1989 3 AZR 313/87, BAGE 61, 102, DB 1989, 1422; weitere Nachweise bei Höfer/Reiners/Wüst, Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, § 16 Fn. 118). Sowohl die Höhe des künftigen Kaufkraftschwundes als auch die Steigerung der Reallöhne stehen am Bilanzstichtag noch nicht fest. Schon allein deswegen ist die künftige Rentensteigerung ungewiß i.S. des § 6a Abs. 3 Nr. 1 Satz 4 EStG. Ob nicht auch die wirtschaftliche Entwicklung des Arbeitgebers selbst bei positiver Ertragsprognose ungewiß im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung ist, kann offenbleiben.
Diese von der Vorinstanz schon im --rechtskräftigen-- Urteil vom 26. Februar 1988 II 224/85 (EFG 1988, 407) vertretene Auffassung hat --soweit ersichtlich-- in der Literatur im Ergebnis Zustimmung gefunden (vgl. Beck/Oser/Pfitzer/ Wollmert, DB 1994, 2557; Cramer, BB 1994, 755; Dernberger/ Förster, BB 1993, 70; Höfer, StbJb 1993/94, 123, 138; Hauptfachausschuß des Instituts der Wirtschaftsprüfer, Stellungnahme 3/1993, Die Wirtschaftsprüfung 1994, 24; Blümich/Ahrend/Förster/Rößler, Einkommensteuergesetz, § 6a Rdnr.362 m.w.N.; Stuhrmann in Hartmann/Böttcher/Nissen/ Bordewin, Einkommensteuergesetz, § 6a Rdnr.213).
Der Senat teilt auch nicht die Auffassung der Klägerin, die Verpflichtung zur Anpassung der laufenden Renten sei keine Pensionsverpflichtung i.S. des § 6a EStG. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich aus allgemeinen Bilanzierungsgrundsätzen überhaupt eine Passivierungspflicht ergeben würde. Die Erhöhungsverpflichtung ist, unabhängig, ob sie gesetzlich vorgeschrieben oder vertraglich vereinbart ist, Teil der Pensionsverpflichtung, für die nur eine Rückstellung zu bilden ist (vgl. auch BFH-Beschluß vom 3. Februar 1993 I B 50/92, BFH/NV 1993, 541). Aus dem Argument der Klägerin, § 6a EStG gelte nur für schriftlich erteilte und damit nicht für gesetzlich vorgeschriebene Pensionserhöhungen, ließe sich allenfalls schließen, daß sich mangels schriftlicher Vereinbarung der Rentenanpassung eine Erhöhung der Rückstellung schon nach § 6a Abs. 1 Nr. 3 EStG verbietet.
Auch der Hinweis der Klägerin auf Art und Weise der Entstehung des § 16 BetrAVG einerseits und des § 6a EStG andererseits kann sich nicht in ihrem Sinne auswirken. Beide Bestimmungen wurden in der heutigen Fassung durch das BetrAVG erlassen bzw. neu gefaßt. Daraus darf geschlossen werden, daß die Regelungen auch sachlich aufeinander abgestimmt sein sollten.
5. Rückstellung für Insolvenzsicherungsbeiträge gemäß § 10 BetrAVG
Mit Urteil in BFHE 166, 222, BStBl II 1992, 336 hat der Senat entschieden, daß Rückstellungen für künftige Beiträge an den PSV nicht gebildet werden dürfen. Dieser Auffassung haben sich mittlerweile der II.Senat des BFH (Urteil vom 3. Juni 1992 II R 141/88, BFHE 168, 375, BStBl II 1992, 792: für das Bewertungsrecht) und der X.Senat des BFH (Beschluß vom 12. Oktober 1993 X B 21/93, BFH/NV 1994, 238) angeschlossen. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest. Auch hat die Klägerin im Revisionsverfahren keine neuen rechtlichen Gesichtspunkte vorgetragen.
Fundstellen
Haufe-Index 65500 |
BFH/NV 1996, 232 |
BFH/NV 1996, 232-235 (LT) |
BStBl II 1996, 406 |
BFHE 180, 258 |
BFHE 1997, 258 |
BB 1996, 1495 |
BB 1996, 1495-1497 (LT) |
DB 1996, 1499-1501 (LT) |
DStR 1996, 1197-1199 (KT) |
DStZ 1996, 598-599 (KT) |
HFR 1996, 568-570 (L) |
StE 1996, 462-463 (K) |