Rückstellung für Altersfreizeit möglich

Altersfreizeitvereinbarungen wie z. B. die Gewährung zusätzlicher Urlaubstage ab Vollendung des 60. Lebensjahres sind weit verbreitet. Der BFH billigt hierfür grundsätzlich die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten und wendet sich damit gegen die bisherige Verwaltungsauffassung.

Grundsätzliches

Vermehrt werden von Arbeitgebern Angebote zur Altersfreizeit unterbreitet.

Unter Altersfreizeit versteht man die Arbeitszeitverkürzung bei Entgeltfortzahlung für Arbeitnehmer, die ein bestimmtes Lebensalter erreicht haben. Dabei kann unterschieden werden zwischen der Gewährung von Altersfreizeit durch

  • Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit (z. B. § 2a MTV Chemie) und
  • zusätzlichen Urlaub.

Nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind in der Handelsbilanz Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Das handelsrechtliche Passivierungsgebot für Rückstellungen für Verbindlichkeiten gehört zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und gilt nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für die Steuerbilanz.

Bei Anwendung der allgemeinen Grundsätze zur Bildung von Rückstellungen ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten nach Maßgabe von § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB zu bilden, wenn

  • das künftige Entstehen einer dem Grunde und/oder der Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit wahrscheinlich ist,
  • die Verbindlichkeit in der Zeit vor dem Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht ist und
  • der Schuldner ernsthaft mit einer Inanspruchnahme rechnen muss.

Bei Ansprüchen aus einem schwebenden Geschäft, insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen, liegt aber eine ungewisse Verbindlichkeit nur vor, wenn das Gleichgewicht der gegenseitigen Leistungsbeziehungen durch Vorleistungen eines – und daraus folgenden rückständigen Gegenleistungen des anderen – Vertragspartners gestört ist (sog. Erfüllungsrückstand). Der gesetzlich nicht definierte Erfüllungsrückstand ist gegeben, wenn

  • der Verpflichtete sich mit seinen Leistungen gegenüber seinem Vertragspartner im Rückstand befindet,
  • also weniger geleistet hat, als er nach dem Vertrag für die bis dahin vom Vertragspartner erbrachte Leistung insgesamt zu leisten hatte.

Die betreffende, auf einem Erfüllungsrückstand beruhende ungewisse Verbindlichkeit muss in der Zeit vor dem Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht worden sein.

Offene Frage

Der BFH hatte die Frage zu entscheiden, ob durch einen (tarifvertraglichen) Anspruch auf Altersfreizeit, der zwar noch von sich künftig zu realisierenden Bedingungen abhängig ist, sich ein Erfüllungsrückstand des Arbeitgebers aufbaut, der die Bildung einer Verbindlichkeitsrückstellung rechtfertigt.

Sachverhalt: Zusätzliche Altersfreizeit für verdiente ältere Mitarbeiter

Den Arbeitnehmern der Klägerin – einer Personengesellschaft in der Rechtsform der OHG – stand nach dem einheitlichen Manteltarifvertrag zusätzliche bezahlte Freizeit von zwei Arbeitstagen je vollem Jahr ihrer Betriebszugehörigkeit zu, soweit sie dem Betrieb mindestens zehn Jahre ununterbrochen zugehörig waren und das 60. Lebensjahr vollendet hatten.

Die Klägerin hat insoweit eine Rückstellung i.H.v. 337.900 EUR im Jahresabschluss zum 31.12.2016 (Steuerbilanz 2016) als Passivposten angesetzt.

Hingegen vertrat die Finanzverwaltung bei der steuerlichen Außenprüfung für die Jahre 2013 bis 2016 die Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten nicht erfüllt seien. Insbesondere liege kein Erfüllungsrückstand seitens der Klägerin gegenüber ihren Arbeitnehmern vor, da diese keine Mehrleistungen erbracht hätten, wie beispielsweise in der Ansparphase im Rahmen einer Altersteilzeitvereinbarung (vgl. auch Nds. FG v. 15.10.1987, VI 59/85 sowie BMF, Schreiben v. 11.11.1999, BStBl I 1999, 959 Rz. 5).

FG Köln: Rückstellungsbildung für Altersfreizeit zulässig

Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung ließ das FG Köln mit Urteil v. 10.11.2021 (12 K 2486/20) die gewinnmindernde Bildung einer Verbindlichkeitsrückstellung dem Grunde nach zu.

Entscheidung: Bildung einer Rückstellung für Altersfreizeit bestätigt

Der BFH hält die Revision für unbegründet. Das FG Köln habe zu Recht entschieden, dass für die Verpflichtung der Klägerin zur Gewährung von Altersfreizeit in der Steuerbilanz auf den 31.12.2016 eine – der Höhe nach unstreitige – Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu passivieren sei.

Dies begründete der BFH im Wesentlichen wie folgt:

  • Entstehung ist wahrscheinlich

Die Verbindlichkeit beruht auf der (bindenden) Regelung im Manteltarifvertrag; es besteht daher eine nur der Höhe nach ungewisse Verbindlichkeit auf Gewährung von Altersfreizeit.

  • Verbindlichkeit ist vor dem Bilanzstichtag verursacht

Auch für eine erst in der Zukunft entstehende Verbindlichkeit ist eine Rückstellung zu bilden (siehe auch BFH, Urteil v. 5.2.1987, IV R 81/84 (Arbeitnehmerjubiläum) und v. 29.11.2000, I R 31/00 (Firmenjubiläum). Der Erfüllungsrückstand wird sukzessive mit jedem abgelaufenen Betriebszugehörigkeitsjahr aufgebaut (Rz. 15). Die Rückstellungsbildung muss kontinuierlich aufgebaut werden.

  • Mit der Inanspruchnahme ist ernsthaft zu rechnen

Die Gewährung von Altersfreizeit ist dem Grunde nach hinreichend wahrscheinlich. Es sprechen lt. BFH mehr Gründe für als gegen das Entstehen der Verbindlichkeit. Der Fluktuation der Belegschaft wird bei Bestimmung der Rückstellungshöhe Rechnung getragen.

Praxisfolgen

Die BFH-Entscheidung ist in alle noch offenen Fälle zu berücksichtigen. Es muss aber in jedem Einzelfall geprüft werden, ob der jeweils zu beurteilende Sachverhalt mit dem BFH-Entscheidungsfall vergleichbar ist und eine Rückstellungsbildung dem Grunde nach rechtfertigt.

Bei der Differenzierung ist Folgendes zu beachten:

Das Nds. FG (Urt. v. 15.10.1987, VI 59/85) hatte über einen anders gelagerten Sachverhalt zu entscheiden. In diesem Entscheidungsfall wurde zusätzlicher bezahlter Urlaub gewährt, sofern der Mitarbeiter das 60. Lebensjahr vollendet hatte und in den letzten 10 Jahren ununterbrochen in Brauereibetrieben beschäftigt war. Durch die Anknüpfung an die Branchenzugehörigkeit wurde die Rückstellungsbildung abgelehnt; anders als bei einer Abstellung auf die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Betrieb. In letztgenanntem Fall besteht der erforderliche Konnex zwischen der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und der Leistungspflicht des Arbeitsgebers (Rz. 19).

Bei der Rückstellungsbildung der Höhe nach ist insbesondere die gebotene Abzinsung der Rückstellung (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e) EStG) und der erforderliche Fluktuationsabschlag (Rz. 21) zu berücksichtigen. Im Entscheidungsfall war die Rückstellungshöhe nicht im Streit; daher enthält die Rezensionsentscheidung nur allgemeine Hinweise auf die Bewertungsregelungen.

Fazit: Eine Anpassung des BMF-Schreibens v. 11.11.1999 (BStBl I 1999, 959) ist vor dem Hintergrund der aktuellen BFH-Rechtsprechung geboten. Um den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Buchhaltung zu entsprechen, muss die Entscheidung bereits jetzt bei der Passivierung Berücksichtigung finden.

BFH, Urteil v. 5.6.2024, IV R 22/22; veröffentlicht am 25.7.2024

Alle am 25.7.2024 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen