Entscheidungsstichwort (Thema)
Gestaltungsmissbrauch durch Übertragung von Mitgliedschaftsrechten an einer grundbesitzenden GbR
Leitsatz (NV)
- Durch besondere gesellschaftsvertragliche Regelungen kann die Mitgliedschaft an einer grundbesitzenden GbR so gestaltet werden, dass sie im rechtlichen und wirtschaftlichen Ergebnis einem Wohnungs- bzw. Teileigentum gleichkommt. Die Übertragung eines so ausgestalteten Mitgliedschaftsrechts an einer GbR kann als Gestaltungsmissbrauch angesehen werden mit der Folge, dass der Vorgang nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 i.V.m. § 42 AO 1977der Grunderwerbsteuer unterliegt.
- Von einem Gestaltungsmissbrauch kann insbesondere dann gesprochen werden, wenn die Beteiligung an einer Personengesellschaft mit einer besonderen Berechtigung an einem der Gesellschaft gehörenden Grundstück (Eigentumswohnung) verbunden ist und der Gesellschafter ggf. durch einseitige Erklärung (z.B. Kündigung oder Auflösung der Gesellschaft) seine Gesellschafterstellung ohne weiteres in einen Anspruch auf Übertragung des Eigentums an diesem Grundstück "umwandeln" kann.
- Kein Gestaltungsmissbrauch liegt vor, wenn dem Gesellschafter zwar bei Auflösung der Gesellschaft ein Anspruch auf Eigentumsübertragung des ihm bisher nur schuldrechtlich zugeordneten Grundstücks zusteht, er allein die Auflösung der Gesellschaft aber nicht herbeiführen kann und er auch ansonsten (z.B. durch Kündigung) seine Beteiligung nicht unmittelbar selbst in einen Anspruch auf Eigentumsübertragung umwandeln kann.
- Eine bereits mit Eintritt in die Gesellschaft entstehende Rechtsposition, die einem Anspruch auf Übereignung eines Grundstücks im wirtschaftlichen und rechtlichen Ergebnis gleichkommt, muss sich nicht notwendigerweise aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben. Eine solche Rechtsposition könnte sich insbesondere aus einer entsprechenden außergesellschaftsvertraglichen Zusage der Gesellschaft oder einer entsprechenden rechtlichen Bindung aller Gesellschafter ergeben.
Normenkette
AO 1977 § 42; GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
Verfahrensgang
FG Berlin (EFG 1999, 619) |
Tatbestand
I. Durch notariell beurkundete Erklärungen trat der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) Ende 1996/Anfang 1997 einer grundbesitzenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) bei. Nach der Beitrittserklärung wurde dem Kläger eine bestimmte (durch Neuausbau eines Dachgeschosses) noch zu schaffende Wohnung in dem Gebäude auf dem Grundstück der Gesellschaft "schuldrechtlich" zugeordnet. Zu diesem Zeitpunkt war das Objekt noch nicht in Wohnungseigentum aufgeteilt.
Die GbR war durch notariell beurkundete Erklärungen vom November 1996 durch die A-GmbH und Frau B als Gründungsgesellschafter gegründet worden. Zweck der Gesellschaft war es, ein bestimmtes Grundstück zu erwerben und zu verwalten, sowie das darauf stehende Gebäude in Stand zu setzen, zu modernisieren und im Dachgeschoss auszubauen. Das notwendige Gesellschaftskapital sollte in Form eines geschlossenen Immobilienfonds von neu eintretenden Gesellschaftern gezeichnet werden.
Im Gesellschaftsvertrag war vereinbart, dass die "schuldrechtliche" Zuordnung lediglich Rechtswirkung für den Fall der Auflösung der Gesellschaft und der Liquidation durch Aufteilung nach § 19 Nr. 8 des Gesellschaftsvertrages habe. Für den Fall einer Liquidation der Gesellschaft enthielt der Gesellschaftsvertrag die Regelung, dass ―"soweit schuldrechtliche Wohnungszuordnungen stattgefunden haben"― dem jeweiligen Gesellschafter auf Verlangen als Liquidationserlös die betreffenden Wohn- bzw. Teileigentumsrechte zu Alleineigentum zu übertragen seien. Die Auflösung der Gesellschaft war durch Beschluss der Gesellschafterversammlung möglich, der betreffende Beschluss bedurfte einer Mehrheit von 3/4 der abgegebenen, mindestens aber von 51 % aller Gesellschafterstimmen. Für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters sah der Gesellschaftsvertrag vor, dass diesem ein aufgrund einer Auseinandersetzungsbilanz zu berechnender Geldanspruch (Auseinandersetzungsguthaben) zustand. Für den Fall eines Ausscheidens durch Kündigung enthielt § 19 des Gesellschaftsvertrags darüber hinaus folgende Regelung:
"8. Kündigt ein Gesellschafter die Gesellschaft ordentlich gemäß § 18 des Vertrags oder beschließt die Gesellschafterversammlung mit Mehrheit die Auflösung der Gesellschaft, so sind der Geschäftsbesorger und jeder Gesellschafter berechtigt, anstelle der Auseinandersetzung gemäß den vorstehenden Vereinbarungen eine Abstimmung über eine Aufteilung des Gesellschaftsvermögens zu verlangen. Das gesellschaftseigene Bauvorhaben (Miethaus) wird bei entsprechender Beschlussfassung in Wohnungs- und Teileigentumseinheiten aufgeteilt.
Jeder Gesellschafter, dessen Anteil einer Wohnung schuldrechtlich zugeordnet worden ist, hat einen Anspruch darauf, dass ihm im Rahmen der Auseinandersetzung diese noch zu bildende Einheit zu Alleineigentum zugewiesen und übertragen wird."
Am Ergebnis der Gesellschaft waren die Gesellschafter im Verhältnis ihrer Beteiligung am Gesellschaftsvermögen beteiligt. Die Veräußerung oder Abtretung der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung im Ganzen war grundsätzlich zulässig, bedurfte jedoch der Zustimmung des Geschäftsbesorgers. Dieser durfte die Zustimmung nur aus wichtigem Grunde verweigern.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) sah den Beitritt des Klägers zur GbR als der Grunderwerbsteuer unterliegenden Vorgang an und setzte hierfür Grunderwerbsteuer fest. Der Erwerb des Gesellschaftsanteils unterliege nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 i.V.m. § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) der Steuer. Hinsichtlich der Bemessungsgrundlage ging das FA davon aus, dass der Kläger ein bereits ausgebautes Dachgeschoss in einem modernisierten und in Stand gesetzten Gebäude erworben habe.
Mit der Klage wandte sich der Kläger gegen die Besteuerung dem Grunde nach und beantragte, den Grunderwerbsteuerbescheid vom 17. Juni 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 i.V.m. § 42 AO 1977 lägen nicht vor. Das FA übersehe, dass der Kläger keinen jederzeit und unmittelbar durchsetzbaren Anspruch auf Aufteilung sowie auf Übertragung des Sondereigentums an der ihm zugeordneten Wohnung zu Alleineigentum erworben habe. Die Sachverhaltskonstellation in seinem Fall sei mit den Fällen, die nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) Steuerbarkeit auslöse, nicht vergleichbar.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufgehoben. Nach dem Gesellschaftsvertrag habe es der Kläger nicht in der Hand gehabt, seine Gesellschafterstellung "ohne weiteres" ―d.h. nur aufgrund eigenen Willens und unabhängig von den übrigen Gesellschaftern― in einen Anspruch auf Übertragung des Eigentums "umzuwandeln". Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 619 veröffentlicht.
Mit der Revision macht das FA Verletzung materiellen Rechts geltend.
Es beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Der Regelung des Gesellschaftsvertrags über die Abstimmung über eine Aufteilung des Gesellschaftsvermögens komme nur deklaratorische, aber keine rechtsbegründende Bedeutung zu, weil ein Beitritt zur Grundstücksgesellschaft die Anerkennung des Gesellschaftsvertrags voraussetze, also alle Gesellschafter anerkannt hätten, dass die einzelnen Wohnungen bestimmten Gesellschaftsanteilen zugeordnet seien, dass der Geschäftsbesorger alle Erklärungen zur rechtlichen Zuordnung der einzelnen Wohnungen abgeben konnte und dass jeder Gesellschafter die Zusage erhalten habe, die gezeichnete Wohnung zu Alleineigentum zu erhalten.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist unbegründet.
Zutreffend hat das FG die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids angenommen und diesen sowie die Einspruchsentscheidung aufgehoben.
1. Die Übertragung des Mitgliedschaftsrechts an der Gesellschaft auf den Kläger unterliegt nicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 i.V.m. § 42 AO 1977 der Grunderwerbsteuer.
Durch den Eintritt des Klägers in die Gesellschaft wurde der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 nicht erfüllt. Der Erwerb einer Beteiligung an einer grundbesitzenden Personengesellschaft begründet keinen Anspruch des Gesellschafters auf Übereignung von Gesellschaftsgrundstücken.
Durch besondere gesellschaftsvertragliche Regelungen kann jedoch die Mitgliedschaft an einer grundbesitzenden GbR so gestaltet werden, dass sie im rechtlichen und wirtschaftlichen Ergebnis einem Wohnungs- bzw. Teileigentum gleichkommt. Dies ist dann der Fall, wenn zum Vermögen der Gesellschaft Wohnungs- oder Teileigentumsrechte gehören und der einzelne Gesellschaftsanteil aufgrund der besonderen Gestaltung des Gesellschaftsvertrags jeweils untrennbar mit einem bestimmten Wohnungseigentum verknüpft ist. Die Übertragung eines so ausgestalteten Mitgliedschaftsrechts an einer GbR kann als Gestaltungsmissbrauch angesehen werden mit der Folge, dass der Vorgang nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 i.V.m. § 42 AO 1977 der Grunderwerbsteuer unterliegt (vgl. BFH-Urteile vom 10. Mai 1989 II R 86/86, BFHE 156, 523, BStBl I 1989, 628; vom 27. März 1991 II R 82/87, BFHE 164, 473, BStBl II 1991, 731; vom 25. März 1992 II R 46/89, BFHE 167, 448, BStBl II 1992, 680; vom 18. August 1993 II R 51/91, BFHE 172, 125, BStBl II 1993, 879, und vom 2. Februar 1994 II R 84/90, BFH/NV 1994, 824). Davon kann insbesondere dann gesprochen werden, wenn die Beteiligung an einer Personengesellschaft mit einer besonderen Berechtigung an einem der Gesellschaft gehörenden Grundstück (Eigentumswohnung) verbunden ist und der Gesellschafter ggf. durch einseitige Erklärung (z.B. Kündigung oder Auflösung der Gesellschaft) seine Gesellschafterstellung ohne weiteres in einen Anspruch auf Übertragung des Eigentums an diesem Grundstück "umwandeln" kann, sich demnach ein konkreter Übereignungsanspruch ―für den Fall des Ausscheidens oder der Auflösung der Gesellschaft― bereits im Zeitpunkt des Erwerbs des Gesellschaftsanteils aus dem Gesellschaftsvertrag ergibt (vgl. BFH in BFH/NV 1994, 824, m.w.N.).
Diese Voraussetzung ist im Streitfall jedoch nicht erfüllt. Zwar kann die Auflösung der Gesellschaft dazu führen, dass dem Kläger das ihm bisher nur schuldrechtlich zugeordnete Wohnungseigentum zu Alleineigentum zu übertragen ist, er allein kann jedoch die Auflösung der Gesellschaft ―und damit das Entstehen eines Anspruchs auf Eigentumsübertragung― nicht herbeiführen, dazu bedarf es eines Gesellschafterbeschlusses mit qualifizierter Mehrheit. Auch durch Kündigung kann er nicht unmittelbar eine Umwandlung seiner Beteiligung in einen Anspruch auf Übertragung des Wohnungseigentums herbeiführen. Die Auslegung des Gesellschaftsvertrags durch das FG hinsichtlich der Folgen einer Kündigung sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Danach gibt die gesellschaftsvertragliche Regelung dem Kläger nach einer Kündigung nicht unmittelbar das Recht auf Übereignung des ihm bisher schuldrechtlich zugeordneten Wohnungseigentums, vielmehr hat er nur einen Anspruch darauf, dass die Gesellschafterversammlung über diesen Gegenstand beschließt. Die gesellschaftsvertragliche Regelung gibt dem Kläger daher keine gesicherte Position im Hinblick auf die Übertragung des Wohnungseigentums. Die im Streitfall vorliegende gesellschaftsvertragliche Regelung, im Falle der Kündigung eine entsprechende Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung herbeizuführen, ist vergleichbar einer Regelung, die dem kündigenden Gesellschafter das Recht gibt, mit den anderen Gesellschaftern über die Übertragung des Eigentums der ihm zugeordneten Wohneinheit "zu verhandeln". Der Senat hat bereits entschieden, dass letztere Gestaltung nicht ausreicht, um einen Gestaltungsmissbrauch i.S. von § 42 AO 1977 anzunehmen (BFH in BFHE 172, 125, BStBl II 1993, 879).
Eine bereits mit Eintritt in die Gesellschaft entstehende Rechtsposition, die einem Anspruch auf Übereignung eines Grundstücks im wirtschaftlichen und rechtlichen Ergebnis gleichkommt, muss sich allerdings nicht notwendigerweise aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben. Eine solche Rechtsposition könnte sich insbesondere aus einer entsprechenden außergesellschaftsvertraglichen Zusage der Gesellschaft oder einer entsprechenden rechtlichen Bindung aller Gesellschafter ergeben. Derartige Abreden wurden vom FG jedoch nicht festgestellt.
Das FA kann sich im Streitfall auch nicht mit Erfolg auf das BFH-Urteil vom 20. Dezember 1989 II R 31/88 (BFHE 159, 260, BStBl II 1990, 234) berufen, das zu einem anderen Sachverhalt und einer anderen Rechtsfrage erging.
2. Eine Steuerpflicht folgt im Streitfall auch nicht aus § 1 Abs. 2 GrEStG 1983. Der Senat vertritt in nunmehr ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass Sachverhaltskonstellationen wie im Streitfall jeweils an § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 i.V.m. § 42 AO 1977 zu messen sind, eine Anwendung des § 1 Abs. 2 GrEStG 1983 jedoch nicht in Betracht kommt (BFH-Urteil in BFHE 172, 125, BStBl II 1993, 879).
Fundstellen
Haufe-Index 601530 |
BFH/NV 2001, 1144 |