Leitsatz (amtlich)
1. Die Formel in einem Organ- und Ergebnisabführungsvertrag, das Organ habe sein Unternehmen für Rechnung des Organträgers zu führen, verpflichtet die Tochtergesellschaft, das gesamte Ergebnis ihrer unternehmerischen Betätigung an die herrschende Gesellschaft abzuführen (Abweichung vom Urteil II 105/59 U vom 8. Juli 1964, BFH 80, 94, BStBl III 1964, 507).
2. Bildet die Organgesellschaft freie Rücklagen, so ist der Tatbestand des § 2 Nr. 3 Buchst. b KVStG 1934 und 1955 - freiwillige Leistung durch Forderungsverzicht - nicht erfüllt, wenn die Zuführungen zu den freien Rücklagen dem Grunde und der Höhe nach darauf beruhen, daß dem Organ durch den Ergebnisabführungsvertrag oder eine besondere Vereinbarung das Recht vorbehalten wurde, einen Teil des Geschäftsergebnisses einzubehalten, um freie Rücklagen zu bilden.
Normenkette
KVStG 1934 und 1955 § 2 Nr. 3 Buchst. b
Tatbestand
Zwischen der Klägerin - einer GmbH - und dem Organträger bestand ein Organ- und Ergebnisabführungsvertrag (EAV). Nach diesem Vertrag war das Geschäftsergebnis der Klägerin (Gewinn oder Verlust) an den Organträger abzuführen. Die Klägerin führte die um die Zuführungen an die freien Rücklagen verminderten Geschäftsergebnisse an den Organträger ab. Das FA wertete die Nichtabführung der Beträge, die in die freie Rücklage eingestellt wurden, als Verzicht des Organträgers auf die ihm nach dem Vertrag zustehenden Gewinnansprüche (§ 2 Nr. 3 Buchst. b KVStG 1934 und 1955) und setzte Gesellschaftsteuer fest.
Die Einsprüche blieben erfolglos. Im Berufungsverfahren stellte sich das FA auf den Standpunkt, Geschäftsergebnis sei der Gewinn, der sich ohne Berücksichtigung der Zuführung zu den freien Rücklagen ergebe. Die Klägerin berief sich demgegenüber auf die Urteile des BFH II 114/56 U vom 25. Juli 1956 (BFH 63, 149, BStBl III 1956, 254) und II 105/59 U vom 8. Juli 1964 (BFH 80, 94, BStBl III 1964, 507).
Das FG hob die Einspruchsentscheidung, die sich auf die Rücklagenbildung zum 20. Juni 1948 bis zum 30. September 1954 bezog, auf. Hinsichtlich der Rücklagen zum 20. Juni 1948 bis 30. September 1951 stellte es die Klägerin von der Steuer frei. Die Rücklage zum 30. September 1952 unterwarf es in Höhe von ... DM, die zum 30. September 1953 und 1954 in voller Höhe der Gesellschaftsteuer. Die Berufung, die sich auf die zum 30. September 1955 bis 30. September 1957 gebildeten Rücklagen bezog, wies das FG als unbegründet zurück. Soweit das FG die Steuerpflicht bejahte, wertete es die Zuführungen zu den freien Rücklagen als freiwillige Leistungen des Organträgers im Sinne des § 2 Nr. 3 Buchst. b KVStG 1934 und 1955. Diese Rücklagen seien sachlich nicht gerechtfertigt gewesen.
In den - zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen - Revisionsverfahren beanstandete die Klägerin, daß das FG die Rücklagen nicht in voller Höhe als vertretbar anerkannt habe.
In der mündlichen Verhandlung war die Klägerin nicht vertreten. Der gesetzliche Vertreter der Klägerin teilte in einem am Tage vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Telegramm mit, deren Bevollmächtigter sei verhindert, die Verhandlung wahrzunehmen; er bat, gleichwohl zu verhandeln und zu entscheiden. Die schriftlich gestellten Anträge, die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klägerin von der Gesellschaftsteuer in vollem Umfange freizustellen, wurden aufrechterhalten. Das beklagte FA beantragte, die Revisionen als unbegründet zurückzuweisen. Im Gegensatz zum schriftlichen Vorbringen hielt der Vertreter des FA die Bildung freier Rücklagen ohne gesellschaftsteuerrechtliche Folgen insoweit für statthaft, als eine nicht organschaftlich gebundene Kapitalgesellschaft im Rahmen vernünftiger Übung sie bilden würde. Im schriftlichen Vortrag - den der Bevollmächtigte des beklagten FA hilfsweise aufrecht erhielt - hatte die Behörde die Ansicht vertreten, der EAV habe die Klägerin verpflichtet, den um die Zuführungen an die freien Rücklagen erhöhten Handelsbilanzgewinn an den Organträger abzuführen; jede aus dem Betriebsüberschuß bewirkte Mehrung des Rücklagenkontos sei ein der Gesellschaftsteuer unterliegender Vorgang.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revisionen führen zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
§ 2 Nr. 3 Buchst. b KVStG 1934 und 1955 unterwirft freiwillige Leistungen eines Gesellschafters an eine inländische Kapitalgesellschaft der Gesellschaftsteuer, wenn die Leistungen geeignet sind, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen; als Beispiel für solche Leistungen nennt das Gesetz den Verzicht auf Forderungen. Eine Leistung durch Verzicht setzt voraus, daß der Leistende etwas aufgibt, auf das er einen Anspruch hat (BFH-Urteile II 114/56 U, a. a. O.; II 105/59 U, a. a. O.). Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es - hiervon ist das FG mit Recht ausgegangen - allein darauf an, ob der Gesellschafter auf eine Forderung verzichtet, wenn er gegenüber der von ihm beherrschten und mit ihm durch einen EAV verbundenen Tochtergesellschaft einwilligt, daß diese einen Teil des Jahresüberschusses (§ 58 des Aktiengesetzes - AktG - 1965) den freien Rücklagen (§ 131 Abs. 1, B, II Nr. 2, § 132 Abs. 2, I Nr. 17 Buchst. b AktG 1937; § 151 Abs. 1 - Passivseite - II Nr. 2, § 157 Abs. 1 Nr. 31 Buchst. b AktG 1965) zuweist.
1. Für die gesellschaftsteuerrechtliche Betrachtung ist es unerheblich, ob es mit dem Wesen des auf einem Organverhältnis beruhenden EAV, nach dem das Organ sein Unternehmen für Rechnung des Organträgers zu führen hat, vereinbar ist, daß der beherrschten Gesellschaft vertraglich gestattet wird, Teile des erwirtschafteten Geschäftsergebnisses einzubehalten, die ihr nicht ohnehin kraft gesetzlicher Vorschrift verbleiben müssen (Teilgewinnabführung). Entscheidungserheblich ist allein, ob der Organträger dadurch eine Leistung erbringt, daß er auf einen Teil des ihm vertraglich zustehenden Anspruches auf Abführung des Geschäftsergebnisses verzichtet. Eine ausdrückliche Vereinbarung des Inhalts, die Tochtergesellschaft führe ihr Unternehmen für Rechnung des Organträgers, liegt Organverhältnissen mit Ergebnisabführung üblicherweise zugrunde. Im Verfahren II R 49/66 hat das FG festgestellt, der Betrieb der Klägerin sei seit Abschluß des EAV für Rechnung des herrschenden Gesellschafters geführt worden, der das Geschäftsergebnis (Gewinn oder Verlust) am Jahresende habe übernehmen müssen; im Verfahren II 32/62, dem derselbe EAV zugrunde liegt, hat die Vorinstanz nicht besonders festgestellt, es sei vereinbart gewesen, die Klägerin habe ihr Unternehmen für Rechnung des Organträgers zu führen.
Die Verpflichtung des als Kapitalgesellschaft im Außenverhältnis selbständig wirtschaftenden Organs, sein Unternehmen für Rechnung des Organträgers zu führen, hat zur Folge, daß die Organgesellschaft im Verhältnis zum Organträger weder Gewinne erzielen noch Verluste erleiden kann (vgl. Urteil des BFH II 176/61 vom 8. November 1967, BFH 91, 172, BStBl II 1968, 213, unter Nr. 5 Buchst. a). Die Ertraglosigkeit ist jedoch nur indirekt erreichbar. Da die Tochtergesellschaft kraft der für ihre Gesellschaftsart geltenden Rechtsregeln Gewinne erzielen und Verluste erleiden kann, wird sie durch den EAV verpflichtet, das von ihr als Rechtsperson erwirtschaftete Ergebnis an den Organträger abzuführen; andererseits ist die Obergesellschaft verpflichtet, die Verluste des Organs zu übernehmen (Urteil II 176/61, a. a. O.). Durch die Gewinn- und die Verlustübernahme soll die im Außenverhältnis nicht erreichbare Ertraglosigkeit des Organs im Verhältnis zur Muttergesellschaft bewirkt werden.
2. Für die Beurteilung der Frage, ob der Organträger auf einen Teil des ihm zustehenden Gewinnanspruches verzichtet hat, indem er es zuließ, daß die Tochtergesellschaft einen Teil des Geschäftsergebnisses der freien Rücklage zuwies, sind nach dem Urteil II 114/56 U, a. a. O., die vertraglichen Abmachungen zwischen der Organgesellschaft und dem sie beherrschenden Gesellschafter entscheidend; weil Feststellungen über den Umfang des vertraglichen Gewinnabführungsanspruches fehlten, wurde das Urteil des FG aufgehoben. Im Urteil II 105/59 U, a. a. O., hielt der Senat an dieser Rechtsauffassung fest; im entschiedenen Fall kam er zu dem Ergebnis, in der Regel sei davon auszugehen, daß in einem von Kaufleuten abgeschlossenen Vertrag unter dem abzuführenden "Geschäftsergebnis" allein das Ergebnis der Handelsbilanz gemeint sei, wenn sich aus der Formulierung des EAV nicht eindeutig ergebe, welches Geschäftsergebnis nach dem Willen der Vertragsparteien übernommen werden solle.
Der Senat verbleibt bei der Rechtsprechung, daß für die Bemessung des vom Organträger abzuführenden Gewinns allein die rechtsgeschäftlichen Abmachungen maßgebend sind. Diese sind für die Tochtergesellschaft und den Organträger verbindlich, soweit nicht gesetzliche Gebote oder Verbote entgegenstehen. Die im Körperschaftsteuerrecht (vgl. statt vieler Gutachten des BFH I D 1/56 S vom 27. November 1956, BFH 64, 368, BStBl III 1957, 139; Grieger, Die Aktiengesellschaft 1956 S. 68, 69; gemeinsame Ländererlasse betreffend körperschaftsteuerrechtliche und gewerbesteuerrechtliche Behandlung von Organschaften, Abschn. II, 4, BStBl II 1959, 161) bestehenden Meinungsverschiedenheiten über den abzuführenden Gewinn sind im Bereich des Gesellschaftsteuerrechts nicht nur für die Frage der Verlustübernahme durch den Organträger (§ 2 Nr. 2 KVStG), sondern auch für die des Verzichts auf nach dem EAV abzuführende Gewinnansprüche (§ 2 Nr. 3 Buchst. b KVStG 1934, 1955, § 2 Nr. 4 Buchst. b KVStG 1959) ohne Bedeutung (Urteil II 105/59 U, a. a. O.). Für das Gesellschaftsteuerrecht ist kein Grund ersichtlich, der es - von den Sonderfällen der §§ 5, 6 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) abgesehen - rechtfertigen könnte, hinsichtlich eines EAV, der auf einem durch die Gesellschaftereigenschaft vermittelten Beherrschungsverhältnis (vgl. hierzu Urteil II 176/61, a. a. O., Nr. 5 Buchst. b der Entscheidungsgründe) beruht, die grundsätzlich bestehende Freiheit in der Gestaltung von Rechtsverhältnissen nicht anzuerkennen.
3. Die Antwort auf die Frage, ob der Organträger, der es zugelassen hat, daß das Organ freie Rücklagen bildete, auf den ganzen oder einen Teil des ihm zustehenden Anspruches auf das Geschäftsergebnis verzichtet und damit eine Leistung im Sinne des § 2 Nr. 3 Buchst. b KVStG 1934, 1955 (§ 2 Nr. 4 Buchst. b KVStG 1959) erbracht hat, hängt von der Vereinbarung über die Bemessung dieses Anspruches ab. Die Zulassung der Rücklagenbildung durch die Obergesellschaft kann nur dann Verzicht auf die gesamte oder einen Teil der auf die Abführung des Geschäftsergebnisses gerichteten Forderung sein, wenn die Rücklage Teil dieses nach dem EAV abzuführenden Ertrages ist. Sie ist ein Teil dieses Ergebnisses, wenn der Tochtergesellschaft im EAV nicht das Recht vorbehalten blieb, freie Rücklagen zu bilden.
Im Urteil II 114/56 U, a. a. O., hat der Senat für einen Rechtsstreit, in dem sich der EAV auf das Geschäftsergebnis der Handelsbilanz bezog, ausgesprochen, es handele sich um das Geschäftsergebnis von Bilanzen, die nach kaufmännischen Grundsätzen, d. h. nach den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Aufstellung von Handelsbilanzen gefertigt würden; Rücklagen, die in der Satzung vorgesehen oder bei der Bilanzfeststellung von der Gesellschafterversammlung aus dem Gewinn gebildet würden, könnten an sich das Geschäftsergebnis mindern (§ 42 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -). Im Urteil II 105/59 U, a. a. O., hat der Senat entschieden, es sei in aller Regel davon auszugehen, daß in einem von Kaufleuten abgeschlossenen Vertrag unter dem abzuführenden "Geschäftsergebnis" allein das Ergebnis der Handelsbilanz gemeint sei, wenn sich aus der Formulierung des EAV nicht eindeutig ergebe, welches Geschäftsergebnis die Vertragsparteien als zu übernehmen ansehen; da das Organ das Geschäftsergebnis der Handelsbilanzen, nicht aber den Rohgewinn abzuführen habe, sei es ihm vertraglich nicht verwehrt, Rücklagen zu bilden, die bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung wirtschaftlich begründet seien. Dem dort entschiedenen Fall lag die tatsächliche Feststellung zugrunde, daß der Geschäftsbetrieb des Organs für Rechnung des Organträgers geführt werde und das Geschäftsergebnis (Gewinn oder Verlust) abzuführen sei. An dieser Rechtsauffassung hält der Senat nicht mehr fest.
a) Die Formulierung, das "Geschäftsergebnis der Handelsbilanz" oder das "Geschäftsergebnis" sei abzuführen, läßt für sich allein keinen hinreichend sicheren Schluß darauf zu, daß und in welchem Umfange es dem Organ erlaubt sei Beträge einzubehalten, um freie Rücklagen zu bilden. Gegen beide Ausdrücke könnte eingewandt werden, sie seien zu unbestimmt, als daß sie eine Grundlage für eindeutige Maßstäbe (Abschreibungspolitik, Bildung von Rücklagen als Reservefonds usw.) bilden könnten, nach denen der abzuführende Gewinn ermittelt werden soll; dies gilt sowohl für den Fall, daß das Organ eine GmbH ist, als auch für den, daß es eine Aktiengesellschaft ist. Weder das GmbHG noch das AktG 1937 oder das AktG 1965 kennen den Ausdruck Geschäftsergebnis. Auch wenn man diesen Ausdruck dem Wortsinne nach als Sammelbegriff für die Begriffe Gewinn und Verlust versteht - dies trifft offensichtlich auf den vorliegenden Fall und auf den, der dem Urteil II 105/59 U, a. a. O., zugrunde lag, zu -, kann nicht ohne weiteres gesagt werden, das Geschäftsergebnis "Gewinn" sei der Betrag, der sich nach Abzug der Zuführungen an die freien Rücklagen ergebe.
Die bisherige Rechtsprechung des Senats identifiziert den Bedeutungsgehalt des Ausdruckes Geschäftsergebnis mit dem nach Gesellschaftsrecht unter die Gesellschafter verteilungsfähigen Gewinn, also mit dem Reingewinn (im Sinne der §§ 54 Abs. 1, 126, 131 Abs. 3, 132 Abs. 2 Nr. 18, Abs. 3 Nr. 33 AktG 1937), d. h. einem Gewinn, der u. a. um die Zuführungen zu den gesetzlichen und den freien Rücklagen gemindert ist. Es ist dabei nicht genügend beachtet, daß der den Gesellschaftern in ihrer Gesamtheit zustehende Gewinnanspruch wesensmäßig verschieden ist von dem auf einem EAV beruhenden Gewinnanspruch des Organträgers.
b) Der Gewinnanspruch des Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft hat seine Grundlage im Gesellschaftsrecht. Er ist dem Grunde und der Höhe nach abhängig von der Feststellung der Jahresbilanz durch die dazu berufenen Gesellschaftsorgane (§ 46 Nr. 1 GmbHG, §§ 52 Satz 1 Halbsatz 2, 125 Abs. 1 und 3 AktG 1937, §§ 58 Abs. 4, 172 AktG 1965). Im Recht der GmbH obliegt die Feststellung der Jahresbilanz und damit auch des verteilungsfähigen Gewinns (Reingewinn) grundsätzlich (§ 45 Abs. 2 GmbHG) der Gesellschafterversammlung. Nach dem AktG 1937 war der Jahresabschluß durch Vorstand und Aufsichtsrat festzustellen, sofern nicht die Feststellung durch die Hauptversammlung erfolgen mußte (§ 125 AktG 1937); die Hauptversammlung hatte in der Regel nur über die Verteilung des vom Vorstand und Aufsichtsrat festgestellten Reingewinns zu beschließen (§§ 125 Abs. 1 bis 3, 126 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 AktG 1937). Ähnlich ist die Rechtslage nach dem AktG 1965 (§§ 172 bis 174 AktG 1965); der Hauptversammlung ist es jedoch verwehrt, bei der Feststellung des Jahresabschlusses (nicht bei der Gewinnverteilung, § 58 Abs. 3 AktG 1965) Beträge in offene Rücklagen einzustellen, die nicht nach Gesetz oder Satzung vorgesehen sind (§ 173 Abs. 2 Satz 2 AktG 1965).
Der Gewinnanspruch des Organträgers ist nicht Ausfluß des allgemeinen Mitgliedschaftsrechts, beruht vielmehr auf einem Vertrage, den der Organträger kraft seiner durch die Gesellschafterstellung vermittelten Herrschaftsmacht abschließen konnte (vgl. Urteil II 176/61, a. a. O., Nr. 5 der Entscheidungsgründe). Das Geschäftsergebnis des Organs geht zugunsten oder zu Lasten des Organträgers, soweit dem nicht das Gesetz oder eine durch den Organ- und EAV nicht aufgehobene Regel der Satzung oder des Gesellschaftsvertrages entgegenstehen. Die Verpflichtung des Organs, das positive Geschäftsergebnis an die Muttergesellschaft abzuführen, hindert das Entstehen mitgliedschaftsrechtlicher Gewinnansprüche in dem Umfange, in dem sich die Verpflichtung auf den Überschuß der Aktiven über die Passiven - den Reingewinn - auswirkt.
c) Die Wesensverschiedenheit des auf einem EAV beruhenden Gewinnanspruches von den auf dem Mitgliedschaftsrecht beruhenden Ansprüchen schließt es aus, in Fällen, in denen in dem EAV weder der Umfang noch die Maßstäbe für die Berechnung des abzuführenden Geschäftsergebnisses im einzelnen ausdrücklich geregelt sind, ohne weiteres an den in der Handelsbilanz ausgewiesenen Gewinn anzuknüpfen. Dem steht schon der Umstand entgegen, daß in der Handelsbilanz ein Gewinn im Sinne des § 42 Nr. 5 GmbHG, des § 131 Abs. 3 Satz 1 AktG 1937 bzw. des § 151 Abs. 1, Passivseite, VIII, und Abs. 4 Satz 3 AktG 1965 insoweit nicht ausgewiesen werden kann, als das Organ verpflichtet ist, sein Geschäftsergebnis an die Muttergesellschaft abzuführen. Die Handelsbilanz weist den an die Aktionäre oder Gesellschafter verteilbaren Gewinn aus. Dieser Gewinn ist manipulierbar; die Organe der Gesellschaft können die Höhe des auszuweisenden Gewinns dadurch beeinflussen, daß sie stille und offene Reserven bilden. Der auf einem Organverhältnis beruhende Anspruch auf Abführung des Geschäftsergebnisses bezieht sich jedoch nicht auf einen Gewinn, dessen Umfang durch vom Willen der Verwaltung der Tochtergesellschaft abhängige Maßnahmen beeinflußbar ist. Die beherrschte Gesellschaft ist nicht in der Lage, sich dem Willen des sie beherrschenden Organträgers zu entziehen. Die in einem Organ- und EAV enthaltene Formel, das Organ habe sein Unternehmen für Rechnung des Organträgers zu führen, verpflichtet die Tochtergesellschaft, das gesamte Ergebnis ihrer unternehmerischen Betätigung an die herrschende Gesellschaft abzuführen, soweit nicht gesetzliche Regeln entgegenstehen. Diese angesichts des Wortlauts der Vereinbarung zwingende Auslegung hat in § 291 Abs. 1 Satz 2 AktG 1965 für das neue Aktienrecht ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden.
Damit ist allerdings noch nicht gesagt, nach welchen Maßstäben dieses Ergebnis zu berechnen ist. Der Senat ist jedoch im Streitfall weder genötigt noch befugt, sich dazu zu äußern, nach welchen Grundsätzen das abzuführende Ergebnis zu ermitteln ist, wenn im EAV entsprechende Maßstäbe nicht vereinbart sind. Zu entscheiden ist allein darüber, ob ein Teilverzicht des Organträgers auf den Gewinnanspruch vorliegt, wenn er es zuläßt, daß die Organgesellschaft, die nach dem EAV ihr (ganzes) Geschäftsergebnis abzuführen hat, freie Rücklagen bildet.
d) Der Verwaltung der Tochtergesellschaft, die ihr Unternehmen für Rechnung des Organträgers zu führen hat, ist es verwehrt, freie Rücklagen zu bilden, wenn ihr dies nicht durch eine Klausel gestattet ist, welche die auf dem EAV beruhende Ertraglosigkeit im Verhältnis zur Muttergesellschaft einschränkt. Mangels einer entgegenstehenden Abrede ist das Organ verpflichtet - weil es sein Unternehmen für Rechnung der Obergesellschaft führt -, das Ergebnis seiner unternehmerischen Betätigung ungeschmälert an den Organträger abzuführen. Diese Pflicht schließt es denknotwendig aus, daß die Tochtergesellschaft Ansprüche auf Gewinnteile hat, die es ihr ermöglichen, freie Rücklagen zu bilden. Die freien Rücklagen werden aus dem erwirtschafteten Geschäftsergebnis gebildet. Diese Auffassung ist unbestritten. So führt schon Hefermehl (Juristische Wochenschrift 1937 S. 3071) zum AktG 1937 aus, freie Rücklagen seien ihrem Wesen nach echte Gewinne (vgl. auch Mellerowicz in Großkommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl., § 131 Anm. 33, 50; Würdinger, Aktien- und Konzernrecht, 2. Aufl., S. 29). Die nach § 131 Abs. 2 AktG 1937 bereits in der Jahresbilanz zu bildenden freien Rücklagen schmälern den Reingewinn, den unter die Gesellschafter verteilungsfähigen Gewinn (§ 52 Satz 1 AktG 1937); da sie in der Bilanz als Passivposten auszuweisen sind (§ 131 Abs. 1, B, II Nr. 2 AktG 1937), mindern sie den Überschuß der Aktivposten über die Passivposten (§ 131 Abs. 3 Satz 1 AktG 1937). § 132 Abs. 3 AktG 1937 in der Fassung des Gesetzes über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über die Gewinn- und Verlustrechnung vom 23. Dezember 1959 (BGBl I S. 789) und § 157 AktG 1965 stellen klar, daß die Bildung freier Rücklagen Gewinnverwendung ist.
Die hier vertretene Ansicht wird durch § 301 Satz 2 AktG 1965 bestätigt; diese Vorschrift bringt zum Ausdruck, was schon unter der Geltung des AktG 1937 Rechtens war. Nach Satz 2, a. a. O., können Beträge, die während der Dauer eines EAV in die freien Rücklagen eingestellt worden sind, diesen entnommen und als Gewinn abgeführt werden. Diese Regel beruht auf der Vorstellung, daß die Bildung freier Rücklagen Gewinnverwendung ist (vgl. auch § 58 Abs. 3 Satz 1 AktG 1965). Dies mag es rechtfertigen, aus der Auflösung freier Rücklagen freiwerdende Beträge als Gewinn an die herrschende Gesellschaft abzuführen. Die Vorschrift schließt es aber auch negativ aus, vor dem Inkrafttreten des EAV gebildete freie Rücklagen als Gewinn an die Obergesellschaft abzuführen; vor Bestehen des EAV erwirtschaftete Gewinne stehen dem Organträger nicht auf Grund dieses Vertrages zu.
4. Der Organträger realisiert die ihm zustehende Forderung nicht in vollem Umfange, wenn er es zuläßt, daß die Tochtergesellschaft einen Teil des von ihr für Rechnung der Obergesellschaft erwirtschafteten Geschäftsergebnisses dazu verwendet, freie Rücklagen zu bilden, obwohl sie keinen Anspruch darauf hat, daß ihr die Obergesellschaft aus dem Jahresüberschuß Beträge zur Bildung freier Rücklagen beläßt, vielmehr nach dem EAV verpflichtet ist, das ganze Geschäftsergebnis abzuführen. Kraft der durch das Organverhältnis vermittelten Herrschaftsmacht kann der Organträger auf die Feststellung des Jahresabschlusses des Organs Einfluß nehmen. Macht er von seiner Herrschaftsmacht in der Weise Gebrauch, daß er das Organ anweist, Teile des Jahresergebnisses einer freien Rücklage zuzuführen, oder entspricht er einem Ansuchen des Organs, die Bildung einer freien Rücklage zu bewilligen, so verzichtet er auf einen Teil seiner Forderung aus dem EAV, wenn dieser Vertrag die Abführung des ganzen Geschäftsergebnisses vorsieht. Dieser Verzicht ist eine freiwillige Leistung im Sinne des § 2 Nr. 3 Buchst. b KVStG 1934, 1955 (§ 2 Nr. 4 Buchst. b KVStG 1959). Freiwillig ist der Verzicht, weil der Organträger mangels einer entgegenstehenden Abrede nicht verpflichtet ist, der Organgesellschaft Mittel zur Bildung freier Rücklagen zu belassen. Da dem Organ infolge des Verzichts Vermögenswerte verbleiben, die es an sich abführen müßte, erhöht sich der Wert seines Vermögens; die Leistung ist deshalb geeignet, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen.
Der Tatbestand des § 2 Nr. 3 Buchst. b KVStG 1934, 1955 - freiwillige Leistung durch Forderungsverzicht - ist nicht erfüllt, wenn die Zuführung zu den freien Rücklagen dem Grunde und der Höhe nach darauf beruht, daß dem Organ durch den EAV oder durch eine besondere Vereinbarung das Recht vorbehalten wurde, solche Rücklagen zu bilden. Die Forderung des Organträgers, für dessen Rechnung das Organ wirtschaftet, das volle Geschäftsergebnis zu erhalten, wird durch das Recht der Tochtergesellschaft modifiziert, einen Teil des Geschäftsergebnisses einzubehalten, um freie Rücklagen zu bilden. Da der Anspruch der Obergesellschaft mangels einer entgegenstehenden Abrede darauf gerichtet ist, daß das Organ sein Geschäftsergebnis ungeschmälert abführt (vgl. oben I, 3, c), muß die vertragliche Beschränkung dieses Anspruches hinreichend genau bestimmt sein. Die eindeutige Bezeichnung der Maßstäbe für die Bemessung der freien Rücklagen regelt den Umfang des der Muttergesellschaft verbleibenden Anspruches auf das abzuführende Geschäftsergebnis. Die Höhe dieses Anspruches ist Entscheidungsgrundlage für die Antwort auf die Frage, ob der Organträger (zum Teil) auf eine ihm zustehende Forderung verzichtet und dadurch eine freiwillige Leistung an die Tochtergesellschaft erbracht hat.
II.
Die mit der Revision im Verfahren II 32/62 angefochtene Entscheidung des FG beruht auf der Auffassung, im Rahmen eines EAV dürfe das Organ Rücklagen nur insoweit bilden, als dies unter Berücksichtigung kaufmännischer Interessen sachlich geboten sei. Das mit der Revision im Verfahren II R 49/66 angefochtene Urteil des FG geht von der im Urteil des Senats II 105/59 U, a. a. O., vertretenen Rechtsauffassung aus; die Kammer war jedoch der Ansicht, die Klägerin sei nicht berechtigt gewesen, Rücklagen zu bilden, weil diese bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung nicht begründet gewesen seien. Beide Entscheidungen stimmen mit der oben dargelegten Rechtsauffassung nicht überein und sind daher aufzuheben; beide Rechtssachen werden an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
1. Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen wäre nicht gerechtfertigt, wenn sich der Senat der Rechtsauffassung anschließen könnte, die der VI. Senat des BFH in den Urteilen VI 21/65 vom 16. August 1967 und VI R 72/67 vom 18. August 1967, BFH 90, 55, 67, BStBl III 1967, 755, 760, für die Rechtsanwendung bei Verschärfung der Rechtsprechung zum Nachteil des Steuerpflichtigen vertreten hat. Danach müssen Fälle aus der Zeit vor Bekanntwerden der neueren, strengeren Rechtsprechung nach der bisher milderen Rechtsprechung abgewickelt werden. Diese Rechtsauffassung war entscheidungserheblich im Falle des Urteils VI R 72/67, a. a. O. In diesem Urteil hob der VI. Senat das mit der Revision angefochtene Urteil des FG auf, obwohl die Entscheidung im Ergebnis mit der neueren (strengeren) Rechtsprechung des BFH übereinstimmte. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils hat der VI. Senat mit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung begründet; diesem Grundsatz widerspreche es, die neue Rechtsprechung auf einen Fall anzuwenden, der sich zu einer Zeit zugetragen habe, in der allgemein nach der früheren (milderen) Rechtsprechung des BFH verfahren worden sei. Das FG - an das die Sache zurückverwiesen wurde - müsse seiner Entscheidung die Rechtsauffassung zugrunde legen, die vor Ergehen der neueren Rechtsprechung allgemein angewandt worden sei.
Der Senat kann diese Auffassung nicht teilen. Gesetz und Recht sind die Richtschnur richterlichen Handelns (Art. 20 Abs. 3 GG). Der Richter ist verpflichtet, Rechtsstreitigkeiten nach Maßgabe des das streitige Rechtsverhältnis regelnden Gesetzes zu entscheiden (Art. 97 Abs. 1 GG). Das Gesetz muß er nach den allgemein anerkannten Regeln auslegen. Da eine richterliche Entscheidung nur für den Einzelfall ergeht und weder das Gericht für ähnlich gelagerte Fälle noch andere Gerichte bindet (Urteil des BFH VI 23/65 S vom 9. April 1965, BFH 82, 535, 540, BStBl III 1965, 441, 443; vgl. auch Hartz in Die Auslegung der Steuergesetze in Wissenschaft und Praxis, Gedächtnisschrift für Spitaler, S. 89 ff., 99, und Berger, Die Reichsabgabenordnung nach ihren Schwerpunkten für die Praxis, S. 327), muß der Richter - von besonders vorgeschriebenen Fällen der Bindung abgesehen (vgl. z. B. § 126 Abs. 4 FGO) - jeder Entscheidung seine Erkenntnis über den Bedeutungsgehalt der für den Rechtsstreit maßgebenden Norm zugrunde legen (vgl. auch Urteil des BFH IV 194/64 vom 13. April 1967, BFH 88, 333, BStBl III 1967, 398 mit Nachweisen). Auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaatsprinzips können gegen die verschärfende Änderung der Rechtsprechung keine Einwendungen erhoben werden (Beschluß des BVerfG 1 BvR 488/62, 562/63, 216/64 vom 11. November 1964, BVerfGE 18, 224, 240).
Es ist nicht erforderlich, den Großen Senat nach § 11 Abs. 3 FGO wegen dieser Abweichung anzurufen. Der VI. Senat hat die in den Urteilen VI 21/65 und VI R 72/67, a. a. O., vertretene Rechtsansicht offensichtlich nicht aufrechterhalten. Im Urteil VI 249/64 U vom 6. August 1965 (BFH 83, 317, BStBl III 1965, 615) hat der VI. Senat ausgesprochen, daß Kanalanschlußgebühren für den Anschluß eines Mietwohngrundstückes an eine städtische Entwässerungsanlage zu den Herstellungskosten des Gebäudes gehören; die Kanalanschlußgebühr sei in vollem Umfange sofort abzugsfähiger Erhaltungsaufwand, wenn der Anschluß an die gemeindliche Kanalisation gefordert werde, obwohl die vorhandene Sickergrube noch brauchbar gewesen sei. Im Urteil VI R 302/66 vom 24. November 1967 (BFH 91, 42, BStBl II 1968, 178), das eine Einkommensteuerveranlagung des Jahres 1964 betraf, hat der VI. Senat diese Rechtsprechung aufgegeben; er rechnet die Kanalanschlußgebühren zu den - nicht abzugsfähigen - Aufwendungen für Grund und Boden. Damit hat der VI. Senat auf den Fall VI R 302/66, a. a. O., den im Urteil VI 23/65 S, a. a. O., ausgesprochenen Grundsatz angewandt, daß eine richterliche Entscheidung nur für den Einzelfall ergehe und das Gericht selbst für ähnlich gelagerte Fälle nicht binde. Diese Rechtsauffassung vertritt auch der Senat.
2. Die Zurückverweisung an das FG ist geboten, weil weder die Voraussetzungen des § 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO noch die des Abs. 4 dieser Vorschrift erfüllt sind. Das FG hatte von seiner Rechtsauffassung aus keinen Anlaß, in tatsächlicher Hinsicht festzustellen, ob und mit welchem Inhalt eine Abrede zwischen dem Organträger und der Klägerin bestand, nach der es die Tochtergesellschaft (unbeschadet der Pflicht, das Geschäftsergebnis abzuführen) erlaubt sein solle, freie Rücklagen zu bilden. Die Möglichkeit ist nicht auszuschließen, daß eine entsprechende Vereinbarung bestand. Obwohl der Vortrag der Klägerin in der Revisionsinstanz gegen die Existenz einer solchen Vereinbarung zu sprechen scheint, kann der Senat nicht in der Sache selbst entscheiden. Die Klägerin kann im erneuten Verfahren vor dem FG Tatsachen vortragen, die den Schluß auf eine entsprechende Abrede zulassen. Wegen der Anforderungen, die an den Inhalt einer Vereinbarung über die Rücklagenbildung zu stellen sind, wird auf das Urteil II 208/61 vom 7. Mai 1968 (BStBl II 1968, 612) hingewiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 68105 |
BStBl II 1968, 614 |