Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerfreiheit der beim Überflug über die DDR erzielten Einkünfte

 

Leitsatz (NV)

Einkünfte, die ein Arbeitnehmer anteilig für die Zeit bezogen hat, in der er das Staatsgebiet der ehemaligen DDR überflogen hat, sind nach § 3 Nr. 63 EStG in der für das Jahr 1979 gültigen Fassung steuerfrei.

 

Normenkette

EStG § 3 Nr. 63, § 49

 

Tatbestand

Mit der Klage gegen den Einkommensteuerbescheid für 1979 machte der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erstmals die Steuerfreiheit gemäß § 3 Nr. 63 des Einkommensteuergesetzes (EStG) desjenigen Teils seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit geltend, der zeitanteilig auf den Überflug über das Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) entfällt. Im Rahmen seiner nichtselbständigen Tätigkeit als Geschäftsführer einer GmbH flog der Kläger im Streitjahr insgesamt 13mal von westdeutschen Flughäfen nach Berlin (West) und wieder zurück. Nach einer vom Finanzgericht (FG) eingeholten Auskunft der Bundesanstalt für Flugsicherung befand sich der Kläger jeweils 23 Minuten über dem Hoheitsgebiet der DDR, also insgesamt im Streitjahr 598 Minuten (23x13x2).

Das FG wies die Klage als unbegründet ab und führte aus: Nach § 3 Nr. 63 EStG in der im Streitjahr gültigen Fassung seien Einkünfte der in § 49 EStG bezeichneten Art, wenn sie in der DDR oder in Berlin (Ost) bezogen worden seien, steuerfrei. Zu den beschränkt steuerpflichtigen Einkünften nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG gehörten die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die im Inland ausgeübt oder verwertet werde. Die Durchführung einer Dienstreise ohne jegliche private Mitveranlassung gehöre zur nichtselbständigen Arbeit, so daß der Kläger während des Fluges über der DDR seine nichtselbständige Tätigkeit ausgeübt habe.

Der Kläger habe die Einkünfte jedoch nicht, wie es in § 3 Nr. 63 EStG vorausgesetzt sei, für eine Tätigkeit in der DDR bezogen. Er habe sich zwar bei den Flügen geographisch über dem Territorium der DDR, aber in einem Flugzeug in einem Luftkorridor befunden, der nicht der Hoheitsgewalt der DDR und ihrer staatlichen Organe unterlegen habe.

Bei der Besetzung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg habe es sich um eine sog. occupatio bellica (kriegerische Besetzung) gehandelt. Dies bedeute, daß der besetzende Staat die Gebietshoheit ausübe. Soweit die Besatzungsmacht die Hoheitsgewalt ausübe, trete die Rechtsordnung des besetzten Staates zurück. Durch Art. 3 des Abkommens über Kontrolleinrichtungen in Deutschland vom 14. November 1944 sei der sog. Kontrollrat geschaffen worden. Dem Kontrollrat nachgeordnet sei ein sog. Koordinationskomitee gewesen. Dieses habe die Schaffung dreier Luftkorridore von Berlin nach dem Westen in der Form vorgeschlagen, daß die Flüge über die Korridore durch Luftfahrzeuge der Deutschland regierenden Nationen durchgeführt werden könnten, ohne daß vorher eine Benachrichtigung ergehe. Am 30. November 1945 habe der Kontrollrat die vorgeschlagenen Luftkorridore genehmigt. Zwar sei der DDR im Vertrag über die Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR vom 20. September 1955 (Gesetzblatt - Gbl-DDR - I 1955, 918) die Souveränität übertragen worden. Gleichzeitig werde aber den bestehenden internationalen Vereinbarungen der Vorrang eingeräumt. In Tz. 2 des Briefwechsels zu diesem Vertrag werde ausdrücklich festgestellt, daß die Kontrolle des Verkehrs von Truppenpersonen und Gütern der in West-Berlin stationierten Garnisonen Frankreichs, Großbritanniens und der USA einschließlich dem Verkehr auf den Luftkorridoren vom Kommando der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland und nicht von der DDR ausgeübt werde. Daß die Lufthoheit eingeschränkt gewesen sei, beweise nicht zuletzt die Tatsache, daß für die technische Überwachung des Flugverkehrs in den Luftkorridoren und der Kontrollzone Berlin ausschließlich die Luftsicherungszentrale zuständig gewesen sei. Somit habe die DDR über die Luftkorridore zwischen dem Bundesgebiet und Berlin (West) in einer Breite von 32 km und zwischen dem Boden und 3000 m Höhe (nach Auffassung der UdSSR) bzw. unbegrenzter Höhe (nach Auffassung der USA) keine Hoheitsgewalt besessen, die sie im Gegensatz zu Italien im Falle des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14. Dezember 1988 I R 148/87 (BFHE 155, 374, BStBl II 1989, 319) zu einer Steuererhebung berechtigt hätte. Die demgegenüber von der DDR vertretene These, daß sie die vollständige und ausschließliche Souveränität über den Luftraum der DDR besessen habe, sei unzutreffend und verschweige die rechtliche Relevanz der von der DDR eingegangenen völkerrechtlichen Verträge.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 3 Nr. 63 EStG. Er trägt vor: Er habe entgegen der Auffassung des FG seine Einkünfte während seiner Flüge über der DDR auch in der DDR bezogen. Das FG habe verkannt, daß sich die alliierten Besatzungsrechte auf dem Territorium der DDR einschließlich des Luftraumes im Streitjahr 1979 auf ein Verkehrsservitut zugunsten der drei Westmächte beschränkt habe. Die DDR habe in den Luftkorridoren das Besteuerungsrecht gehabt. Servitute seien funktional begrenzte Rechte, die regelmäßig wirtschaftlichen, militärischen oder politischen Zwecken dienten. Besonders häufig seien sog. Verkehrsservitute, die ein Transitrecht über bestimmte ausländische Staatsgebiete gewährleisteten. Derartige Beschränkungen beträfen lediglich die Ausübung der Gebietshoheit bei bestimmten Funktionen. Die Staatsgewalt als solche bleibe unangetastet. Demgemäß habe der BFH sowohl für den Bahn- als auch für den Straßentransit zwischen der alten Bundesrepublik und Berlin (West) eine Steuerfreiheit gemäß § 3 Nr. 63 EStG für die während dieser Fahrzeit erzielten Einkünfte angenommen. Der BFH habe den Einwand der Finanzbehörde, die DDR habe kein Besteuerungsrecht auf der Transitstrecke gehabt, nicht für erheblich gehalten. Das gleiche Ergebnis müsse auch hinsichtlich des Luftkorridors gelten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 3 Nr. 63 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung sind Einkünfte der in § 49 EStG bezeichneten Art steuerfrei zu belassen, wenn sie in der DDR oder Berlin (Ost) bezogen worden sind. Diese Vorschrift ist dahin zu verstehen, daß in der DDR bezogene Einkünfte freizustellen sind, die bei einem in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) beschränkt Steuerpflichtigen zu den inländischen Einkünften i.S. des § 49 EStG gehören würden (vgl. das den Bahn-Transit zwischen der Bundesrepublik und Berlin (West) betreffende BFH-Urteil vom 28. September 1990 VI R 98/89, 100/89, BFHE 162, 414, BStBl II 1991, 363, 365, m.w.N.). In § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG sind auch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezeichnet, die im Inland ausgeübt oder verwertet wird.

Zu den Einkünften der in § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG bezeichneten Art gehören auch die Einkünfte, die ein Arbeitnehmer für die Zeit bezieht, in der er auf einer Dienstreise das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik überfliegt. Eine Dienstreise gehört zu der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeit, so daß die vom Arbeitgeber gezahlte Vergütung auch für diese Tätigkeit geleistet wird (vgl. BFH-Urteil vom 21. Mai 1986 I R 37/83, BFHE 147, 52, BStBl II 1986, 739). Es handelt sich bei einer Dienstreise, bei der das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik überflogen wird, um eine Tätigkeit, die im Inland ausgeübt wird. Denn die Frage, wo eine nichtselbständige Tätigkeit ausgeübt wird, ist nach den Regeln des Völkerrechts zu beurteilen (vgl. BFH-Urteil vom 5. Oktober 1977 I R 250/75, BFHE 123, 341, BStBl II 1978, 50). Völkerrechtlich zählt aber die Luftsäule über der Staatsfläche zum Staatsgebiet des betroffenen Staates (vgl. BFH-Urteil in BFHE 155, 374, BStBl II 1989, 319, 320 m.w.N.). Eine nichtselbständige Tätigkeit wird auch dann im betreffenden Staat ausgeübt, wenn dieser ohne Landung auf seinem Territorium lediglich überflogen wird.

Aus diesen Gründen hat der Senat mit Urteil vom 27. November 1992 VI R 95/90, BFH/NV 1993, 365 entschieden, daß die Einkünfte einer im Flugverkehr zwischen der Bundesrepublik und Berlin (West) eingesetzten Flugbegleiterin für die Ausübung ihrer Tätigkeit über dem Staatsgebiet der DDR im Sinne der Vorschrift des § 3 Nr. 63 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung in der DDR bezogen worden sind. Es sei unerheblich, ob die DDR die für eine auf ihrem Gebiet ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte auch tatsächlich besteuert habe oder zu besteuern vermocht habe. Wie auch die Doppelbesteuerungsabkommen zum Ziel hätten, schon die virtuelle, d.h. die nur denkbare Doppelbesteuerung zu vermeiden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 155, 374, BStBl II 1989, 319), müsse dies aufgrund des eindeutigen Wortlauts auch für die Vorschrift des § 3 Nr. 63 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung gelten (vgl. das BFH-Urteil vom 28. September 1990 VI R 157/89, BFHE 162, 290, BStBl II 1991, 86).

An dieser Rechtsauffassung hält der Senat auch nach erneuter Überprüfung und unter Berücksichtigung der vom FG aufgezeigten Besonderheiten im Luftverkehr zwischen der Bundesrepublik und Berlin (West) fest. Er sieht dabei als ausschlaggebend an, daß im Vertrag über die Beziehungen zwischen der DDR und der UDSSR vom 20. September 1955 der DDR die Souveränität über ihr Staatsgebiet übertragen worden ist. Soweit bestehende internationale Vereinbarungen dadurch nicht außer Kraft gesetzt worden sind, hatte dies zwar eine Einschränkung der Souveränität der DDR im Bereich der Luftkorridore zugunsten der vier Hauptsiegermächte zur Folge. Diese Sonderrechte waren aber nur für zivile und militärische Luftfahrzeuge der vier Hauptsiegermächte eingeräumt, die die Luftkorridore ohne zahlenmäßige Beschränkung und ohne Kontrolle befliegen durften (vgl. Zivier, Der Rechtsstatus des Landes Berlin, 1987, 4. Aufl., S. 180). Sie haben die Hoheitsrechte der DDR gegenüber anderen Staaten als den vier Hauptsiegermächten nicht beseitigt. Deshalb ist anerkannt, daß die Benutzung der Luftkorridore durch Luftfahrzeuge anderer Staaten als der vier Hauptsiegermächte der Zustimmung der DDR bedurft hätte (vgl. Schwenk, Rechtliche Auswirkungen aus dem Verhältnis beider deutscher Staaten auf den zivilen Luftverkehr, Zeitschrift für Luftrecht- und Weltraumrechtsfragen - ZLW - 1990, Seite 147, 149, zu II. 1.2; Bentzien, Möglichkeiten des zivilen Luftverkehrs in Deutschland in ZLW 1973, Seite 61, 62, letzter Satz, und Seite 65). Unter diesen Umständen hält der Senat das Tatbestandsmerkmal des § 3 Nr. 63 EStG, daß Einkünfte in der DDR bezogen sind, auch dann für erfüllt, wenn das Territorium der DDR innerhalb des Luftkorridors überflogen worden ist. Die Regelungen über den Luftkorridor zugunsten der vier Hauptsiegermächte enthielten ebensowenig wie diejenigen über den Transit durch die DDR (vgl. dazu das BFH-Urteil in BFHE 162, 414, BStBl II 1991, 363, 365) einen Besteuerungsverzicht der DDR in bezug auf die in der Luftsäule über ihrem Territorium erzielten Einkünfte i.S. des § 49 EStG.

2. Die Vorentscheidung ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen und deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht - keine tatsächlichen Feststellungen zur Höhe des freizustellenden Arbeitslohns des Klägers getroffen. Es wird diese Feststellungen nachzuholen und die Einkommensteuer des Klägers für das Streitjahr neu festzusetzen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419202

BFH/NV 1994, 91

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