Leitsatz (amtlich)
Die Rechtsmittelbelehrung muß als Teil des finanzgerichtlichen Urteils durch die Unterschrift der Richter gedeckt sein, die an der Entscheidung mitgewirkt haben.
Normenkette
FGO § 105
Tatbestand
Streitig ist, ob die Revision rechtzeitig eingelegt wurde.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat seinen Wohnsitz in Österreich. Gegen einen Einkommensteuerhaftungsbescheid des Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) erhob er beim FG Klage. Die Geschäftsstelle des FG forderte den Kläger "im richterlichen Auftrag" unter Hinweis auf § 53 Abs. 3 FGO auf, einen im Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen. Geschehe dies nicht, so gelte eine Sendung mit der Aufgabe zur Post als zugestellt, selbst wenn sie als unzustellbar zurückkomme. Mit Gerichtsbeschluß wurde der Kläger an die Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten erinnert. Hierauf erwiderte der Kläger, daß er keine Möglichkeit habe, in Deutschland einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen; er bitte, sich weiter seiner österreichischen Anschrift - im Bedarfsfalle per Einschreiben - zu bedienen.
Auf Grund der mündlichen Verhandlung, die mit dem Beschluß endete, die Entscheidung werde schriftlich bekanntgegeben werden, erließ das FG ein Urteil, das der Klage zum Teil stattgab. Die Begründung des Urteils enthielt vor der Unterschrift der mitwirkenden Richter den Vermerk "Rechtsmittelbelehrung s. Beilage". Aus den Akten ist nicht ersichtlich, welche Rechtsmittelbelehrung dem Urteil beigegeben war.
Auf einer Aktenverfügung des Berichterstatters beim FG vom 25. Juni 1975, mit der angeordnet wurde, die Niederschrift über die mündliche Verhandlung an die Beteiligten mit dem Urteil zu versenden, ist der mit Handzeichen und Datumstempel versehene Vermerk angebracht "an Kläger einfach, abgesandt 10. Juli 1975".
Nachdem der Kläger den Kostenansatz des FA erhalten hatte, teilte er am 8. September 1975 mit, er habe das dort erwähnte Urteil nicht erhalten. Daraufhin teilte das FG dem Kläger die Einzelheiten über die Absendung des Urteils mit und übersandte ihm einen Abdruck des Urteils, das der Kläger seinen Angaben gemäß am 20. Oktober 1975 erhielt. Mit Schreiben vom 11. November 1975, beim FG eingegangen am 13. November 1975, legte der Kläger "Berufung" ein und begründete sein Rechtsmittel in einem am 29. Dezember 1975 eingegangenen Schreiben vom 23. Dezember 1975.
Das FG hat dem BFH die Schreiben vom 11. November 1975 und 23. Dezember 1975 mit einer Abschrift des Urteils vom 16. Mai 1975 übersandt. Dem Abdruck ist eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, die unter Ziff. 1 den Hinweis auf die Streitwertgrenze von 1 000 DM enthält und in Ziff. 5 wie folgt lautet:
"Für das Verfahren vor dem Bundesfinanzhof ist außerdem zu beachten, daß sich jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen muß ..."
Das FA beantragt in erster Linie, die Revision als unzulässig zu verwerfen. Es macht geltend, das Urteil sei am 10. Juli 1975 gemäß § 53 Abs. 3 FGO ordnungsgemäß zugestellt worden. Die Revision sei daher verspätet eingelegt. Aber selbst wenn man das angefochtene Urteil als erst am 20. Oktober 1975 zugestellt ansehen wolle, so sei die Revision im Hinblick auf das BFH-EntlastG vom 8. Juli 1975 (BGBl I, 1861, BStBl I 1975, 932) nicht zulässig. Denn gemäß Art. 1 Nr. 1 i. V. m. Art. 2 Nr. 1 BFH-EntlastG bestehe in Verfahren vor dem BFH Vertretungszwang, wenn das finanzgerichtliche Urteil nach dem 15. September 1975 bekanntgegeben worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist rechtzeitig eingelegt.
1. Nach dem Inhalt der Akten, insbesondere nach dem Absendevermerk auf der Aktenverfügung des Berichterstatters, ist der erkennende Senat der Überzeugung, daß das Urteil am 10. Juli 1975 an den Kläger abgesandt wurde. Da dieser es abgelehnt hat, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, galt das Urteil mit der Aufgabe zur Post als zugestellt. Ob der Kläger es erhalten hat, ist für die Wirksamkeit der Zustellung unerheblich (§ 53 Abs. 3 FGO).
2. Jedoch ist die Rechtsmittelfrist im Streitfall durch die Zustellung des Urteils nicht in Lauf gesetzt worden.
Ist - wie hier - im Fall der Anfechtungsklage der Verwaltungsakt schriftlich ergangen, so beginnt die Frist für die Einlegung der Revision nur, wenn der Berechtigte über die Revision und das Gericht, bei dem sie einzulegen ist, dessen Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist (§ 55 Abs. 1 Satz 1 und 2 FGO). Den Akten des FG kann nicht entnommen werden, ob das dem Kläger am 10. Juli 1975 zugestellte Urteil eine Rechtsmittelbelehrung enthalten hat und - falls dies zutrifft - ob diese Rechtsmittelbelehrung richtig war. Obwohl die Rechtsmittelbelehrung Teil des Urteils ist (§ 105 Abs. 2 Nr. 6 FGO), ist sie im Streitfall nicht erkennbar in die Willensbildung der mitwirkenden Richter einbezogen worden. Die Rechtsmittelbelehrung hätte als Teil des Urteils durch die Unterschrift der am Urteil mitwirkenden Richter gedeckt sein müssen (§ 105 Abs. 1 Satz 2 FGO). Der Hinweis auf eine Beilage, deren Inhalt vom Revisionsgericht zudem nicht nachgeprüft werden kann, erlaubt nicht den Schluß, eine Prozeßpartei sei über die Möglichkeit des von ihr einzulegenden Rechtsmittels richtig belehrt worden. Dies gilt im Streitfall um so mehr, als die Rechtsmittelbelehrung, die der dem BFH vorgelegten Abschrift des finanzgerichtlichen Urteils beigefügt ist, insofern falsch ist, als zur Zeit der Zustellung des Urteils das BFH-EntlastG noch nicht in Kraft war und ein Vertretungszwang in Verfahren vor dem BFH noch nicht bestanden hat.
Läßt sich danach eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung des Klägers durch das FG nicht sicher feststellen, so muß zugunsten des Klägers davon ausgegangen werden, daß die Revisionsfrist und die Revisionsbegründungsfrist nicht in Lauf gesetzt worden sind. Die Einlegung der Revision ist daher jedenfalls innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe des Urteils zulässig. Diese Frist hat der Kläger im Streitfall gewahrt. Denn er hat das von ihm als "Berufung" bezeichnete Rechtsmittel, das bei sinngemäßer Auslegung als Revision zu deuten ist,. am 13. November 1975 eingelegt.
Gemäß §§ 121, 97 FGO entscheidet der Senat über die Rechtzeitigkeit die Revisionseinlegung durch Zwischenurteil. Nach §§ 121, 90 Abs. 3 FGO hält es der Senat für zweckmäßig, zunächst einen Vorbescheid zu erlassen (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 1971 I R 212/71, BFHE 104, 493, BStBl II 1972, 425).
Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 72008 |
BStBl II 1976, 787 |