Klageverfahren in Steuerberaterprüfungssachen

Die Angemessenheit der Dauer eines Klageverfahrens zur Überprüfung von Ergebnissen der Steuerberaterprüfung ist schon aufgrund der hohen Bedeutung und Grundrechtsrelevanz für den Betroffenen und der besonderen Eilbedürftigkeit einzelfallbezogen zu betrachten. Die für den Regelfall finanzgerichtlicher Klageverfahren geltende Vermutung, dass die Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach Klageeingang mit der Bearbeitung beginnt und diese nicht mehr nennenswert unterbricht, ist hier nicht anwendbar.

Hintergrund: Klage wegen Nichtbestehen der Steuerberaterprüfung

X beantragte nach § 198 GVG Entschädigung wegen der von ihm als unangemessen angesehenen Dauer eines finanzgerichtlichen Verfahrens. Das Verfahren war von der Klageerhebung am 12.1.2017 bis zur Urteilszustellung am 30.1.2020 (d.h. rund 3 Jahre) beim FG München anhängig.

X erreichte bei der StB-Prüfung 2015 in den schriftlichen Aufsichtsarbeiten die Noten 4,5, 4,5 und 5,0. Das Bayerische FinMin stellte deshalb das Nichtbestehen der StB-Prüfung fest.

Dagegen erhob X am 12.1.2017 Klage und begründete diese am 20.1.2017. Die StB-Kammer nahm dazu als Prozessbevollmächtigte des FinMin am 12.4.2017 Stellung.

Am 28.2.2019 erkundigte sich die StB-Kammer beim FG nach dem Sachstand.

Unter dem 30.10.2019 erhob X Verzögerungsrüge (Eingang beim FG am 4.11.2019).

Am 10.12.2019 lud das FG die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung am 22.1.2020. Das in der mündlichen Verhandlung verkündete Urteil wurde X am 30.1.2020 zugestellt.

Am 30.4.2020 erhob X Entschädigungsklage beim BFH wegen überlanger Dauer des FG-Verfahrens.

Entscheidung: Besondere Eilbedürftigkeit prüfungsrechtlicher Verfahren

Der BFH gab der Klage statt. X hat aufgrund der unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens antragsgemäß Anspruch auf Entschädigung für einen von ihm erlittenen immateriellen Nachteil in Höhe von 900 EUR.

Angemessene Verfahrensdauer in finanzgerichtlichen Verfahren

Für ein typisches finanzgerichtliches Klageverfahren, das keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, hat der BFH die Vermutung aufgestellt, dass die Verfahrensdauer angemessen ist, wenn das FG gut zwei Jahre nach dem Klageeingang mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und der weitere Verfahrensablaufs nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen die Akte unbearbeitet bleibt (BFH v. 7.11.2013, X K 13/12, BStBl II 2014, S. 179, Rz. 69).

Die typisierende Vermutung gilt nicht für prüfungsrechtliche Verfahren

Diese typisierende Vermutung gilt im Streitfall nicht. Denn ein prüfungsrechtliches Klageverfahren hat für den Prüfling eine sehr hohe Bedeutung. Das gilt insbesondere für Berufszulassungsprüfungen, die in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) eingreifen. Solche Klageverfahren sind daher besonderen eilbedürftig. Die Dringlichkeit verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer (BFH v. 7.5.2014, X K 11/13, BFH/NV 2014, S. 1748, Rz. 41 ff.).

Die Verfahrensdauer war im Streitfall unangemessen

Obwohl der Schriftsatzaustausch mit der Stellungnahme der StB-Kammer bereits am 12.4.2017 endete, hat das FG das Verfahren in den kommenden zweieinhalb Jahren nicht einer Entscheidung zugeführt. Eine inhaltliche Bearbeitung hätte spätestens aufgrund der Sachstandsanfrage der StB-Kammer (28.2.2019) beginnen müssen. Aktivitäten des FG sind jedoch erst mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 10.12.2019 entfaltet worden. Folglich ist die Verfahrensdauer in der Zeit von März 2019 bis November 2019 und damit für neun Monate als unangemessen anzusehen.

Die Verzögerung war nicht gerechtfertigt

Die Erkrankung des Berichterstatters kann nur eine kurzfristige Verfahrensverzögerung rechtfertigen, da im Krankheitsfall der zuständige Vertreter zur Förderung des Verfahrens verpflichtet ist.

Verzögerungsrüge

Die Entschädigungsklage setzt die vorherige Erhebung einer Verzögerungsrüge voraus. Wird diese erst nach Überschreiten der Unangemessenheitsgrenze eingereicht, ist im Regelfall von einer gut sechsmonatigen Rückwirkung auszugehen (BFH v. 25.10.2016, X K 3/15, BFH/NV 2017, S. 159, Rz. 39). Im Streitfall ist von einer Rückwirkung bis März 2019 auszugehen, da X wohl das Verhalten des FG auf die Sachstandsanfrage der StB-Kammer abwarten wollte.

Regelbetrag von 1.200 EUR pro Jahr

Da keine besonderen Umstände vorliegen, steht X der Regelbetrag von 1.200 EUR pro Jahr (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG) gekürzt auf 9 Monate (900 EUR) zu.

Hinweis: Eilbedürftigkeit prüfungsrechtlicher Verfahren

Die StB-Prüfung ist bekanntlich nicht ganz einfach und das Bestehen kann für die weitere berufliche Entwicklung der Absolventen von ganz entscheidender Bedeutung sein. Entsprechende prüfungsrechtliche Verfahren sind daher ganz besonders eilbedürftig und müssen gegenüber üblichen finanzgerichtlichen Verfahren vorgezogen werden. Zutreffend erscheint daher auch der Hinweis des BFH, dass im Krankheitsfall der Vertreter des verhinderten Richters heranzuziehen ist und dass auch der Senatsvorsitzende selbst in die Bearbeitung einsteigen muss, wenn eine Vertretung durch ein anderes Senatsmitglied nicht möglich ist bzw. wenn ein Richter eines anderen Senats einspringen muss.

Wegen der besonderen Bedeutung der Qualifikation als StB für die Berufsausübung (trotz der Zulassung des X als Rechtsanwalt) erscheint die Entschädigung von 100 EUR pro Monat als zu gering.

BFH Urteil vom 23.03.2022 - X K 2/20 (veröffentlicht am 04.08.2022)

Alle am 04.08.2022 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen